Die Serie der Auslegung des Sonntagsevangeliums durch Dr. Martin Brüske geht weiter.
Bereitung der Begegnung.
Auslegung des Evangeliums der Osternacht C Lk 24, 1-12
Der Tote lässt sich als Lebendiger sehen. Das wird die zentrale Ostererfahrung sein. Sie ist so überwältigend, dass sie bei denen, denen sie widerfahren soll, innere Vorbereitung braucht. So steht vor der Begegnung mit dem Lebenden die Auffindung eines leeren Grabes, das Erscheinen von Engeln, die Erinnerung an Jesu Wort, das Staunen des Petrus.
Liebe sucht Verlorenes
Manche Ausleger der Schrift haben den Gang der Jüngerinnen Jesu zum Grab am frühesten Morgen des ersten Wochentages nach dem Sabbat für „unglaubwürdig“ erklärt. Ist denn nach einem und einem halben Tag eine Salbung des Leichnams im warmen Klima noch sinnvoll? Aber das ist eine ziemlich groteske und wohl auch „maskuline“ Überlegung. Die Jüngerinnen waren in ihrer Sorge um den toten Leib durch den beginnenden Sabbat, der jede Tätigkeit dieser Art ausschloss, unterbrochen worden. Sie wissen nur eins: Ihre Liebe will diesen letzten Dienst der zärtlichen Zuneigung unbedingt zu Ende bringen. Das ist eine völlige Selbstverständlichkeit, über die sie keinen Augenblick nachzudenken brauchen. Und wohl in ihrer Trauer und in der Unmöglichkeit, die Ungeheuerlichkeit des Geschehenen zu sortieren, auch gar nicht nachdenken können. Ja, sie wissen nur eins: Dem toten Leib, in dem der Verlorene noch auf paradoxe und äußerst schmerzvolle Weise abwesend-anwesend ist, soll ihre Fürsorge gelten. So können sie dem Verlorenen im Symbol seines „Gewesenseins“, im Leib ohne Leben, gut sein. Die Liebe sucht den Verlorenen. Voller Sehnsucht. Ohne Hoffnung. Und so eben in äußerstem Schmerz.
Ein unlesbares, verwirrendes Indiz
So machen sich also die Jüngerinnen bei erster Gelegenheit, in der frühesten Frühe des ersten Tags, mit Salben und Aromen zu dem Grab auf, das sie am Freitag, am Sabbatbeginn, verlassen mussten. Doch sie finden alles verändert. Das durch einen großen Rollstein verschlossene Grab ist geöffnet. Und das Grab ist leer. Nur die Tücher, mit denen Jesus begraben wurde, sind zurückgeblieben. Was sich hier zeigt, ist das Indiz eines ungeheuren Geschehens. Aber dieses Indiz ist für die Frauen am und im Grab in keiner Weise lesbar. Alles und sein Gegenteil könnte hier passiert sein. Es kommt deshalb nicht etwa sofort Osterfreude auf – so wie sie sich im Kirchenlied findet: „Das Grab ist leer, der Held erwacht.“ Erst für uns ist das möglich, solche Freude schon im Blick auf das leere Grab zu empfinden, weil das in sich verwirrende und vieldeutige Indiz des leeren Grabes zum Zeichen dessen geworden ist, der, aus Toten erweckt, sich als Lebender und Verklärter zeigte. Die Frauen sind dagegen perplex, verwirrt, ratlos. Ja, zunächst ist da wohl vielleicht ein Schmerz gewesen, der sogar das „Maß“ der Maßlosigkeit ihres Schmerzes noch einmal sprengte: Der Leib, auf den sich Trauer, Liebe, Sorge richten konnte, war ihnen jetzt auch noch genommen worden. Und so war da deshalb vielleicht auch Wut oder innere Erstarrung und Betäubung bis zur Leblosigkeit. Sie brauchten Hilfe vom Himmel, um zu begreifen, dass alles noch einmal ganz anders war.
Die Frage des Himmels
Die Trauer und die trauernde Liebe der Jüngerinnen hatte eine eindeutige Richtung gehabt: Sie suchten den Verlorenen, den im Tod Entzogenen im Symbol seines Gewesenseins – im toten Leib. Und deshalb bei den Toten in den Gräbern. Jetzt wird diese Richtung durch eine himmlische Frage, die aus himmlischer Klarheit, aus der Unmittelbarkeit und Selbstverständlichkeit geschauter Wahrheit kommt, verändert. Die Jüngerinnen werden in die neue Richtung des Weges gelenkt, auf dem sie Jesus begegnen werden. Man sollte die Frage des Himmels, die durch die ehrfurchtgebietende Engelerscheinung mitgeteilt wird, nicht so sehr als Tadel, denn als Werkzeug göttlicher Pädagogik verstehen. Sie spricht das Ungeheuerliche aus, als ob es das Selbstverständlichste wäre: Wie kann man nur darauf kommen, den, der aus der Lebendigkeit Gottes kommt, zu den Toten, zu den Gewesenen in den Gräbern dieser Welt zu zählen – um ihn dort zu suchen? Das ist so elementar unvernünftig…. Wie gesagt: Ich lese das weniger als Tadel. Vielmehr soll der Blick geöffnet werden für die himmlische, göttliche, aber in der Verhüllung des Todes verborgene Dimension des Geschehens. Die lastende, brutale Evidenz des Todes, die in dieser Welt alles umhüllt, wird aufgerissen zu der noch viel größeren Evidenz göttlichen Lebens, das sich in der Auferweckung Jesu zeigt. Das spiegelt sich in der erstaunten Selbstverständlichkeit der Engelfrage. In der Frage der Engel reißt der Bleihimmel über Golgotha und Grab plötzlich auf und darin wird die Sehnsucht geweckt, nicht dem toten Leib des Gewesenen den letzten Dienst zu tun, sondern dem heute und jetzt Lebendigen zu begegnen:
„Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier, sondern er ist auferstanden.“
Sucht ihn bei den Lebendigen, um ihm dort zu begegnen, ihm, der in Wahrheit der Spender alles Lebens der Lebendigen ist.
Erinnerung an Jesu Wort
Damit diese Sehnsucht voll wird und ihr Ziel findet, braucht es aber die Rückbindung an Jesus vor seinem Tod am Kreuz. Der Auferstandene ist weder ein anderer, noch vom Geschehen der Kreuzigung isoliert. Er ist kein mythisches Himmelswesen, das sich für einen Kurzbesuch in unserem Elend eine irdische Larve übergezogen hat. Der Auferstandene wird seine Wunden zeigen. Sie sind verklärt. Aber sie sind genau die Wunden dessen, den die Römer hingerichtet haben. Der Auferstandene, zur Rechten des Vaters Erhöhte und als „Herr“ Eingesetzte ist kein anderer als der, der in Galiläa gepredigt und gewirkt hat. Er hat seine irdische Existenz nicht zurückgelassen, sondern in Tod und Auferstehung hat genau diese ihre Vollendung gefunden. Seine himmlische Existenz, seine Verklärung und Erhöhung verraten nicht seine Nähe zu uns. Sie wird ewig bleiben und nie mehr zurückgenommen. Die Verborgenheit seiner himmlischen Existenz für unsere leiblichen Augen verändert nur ihren Ort. Jetzt lässt sie das Herz brennen, bis sie in die Präsenz durchbricht. So wird es den Jüngern auf dem Weg nach Emmaus widerfahren, deren Geschichte gleich nach unserem Evangelium erzählt wird. Ist das mehr oder weniger Nähe? Die Frage ist müßig: Wir wollen sein Antlitz sehen, aber auf die Gegenwart in unseren Herzen gewiss nie mehr verzichten.
So ist es also wichtig, dass die Engel das Selbstzeugnis Jesu in Erinnerung rufen. Die Jüngerinnen hatten es vergessen. Denn es war vor Ostern das vollkommen Unverständliche und Fremde, vor dem Jüngerinnen und Jünger ratlos waren: „Der Menschensohn muss in die Hände sündiger Menschen ausgeliefert und gekreuzigt werden und am dritten Tag auferstehen. Da erinnerten sie sich an seine Worte.“ Die Erinnerung, die hier einsetzt, ist nicht etwa ein simples „Ach, ja, jetzt fällt es mir wieder ein.“, sondern ein qualifiziertes Gedenken. Das immer wieder erneuerte Gedächtnis der Kirche an Jesu lebendiges Wort, an das lebendige Wort eines selbst Lebendigen, das gegenwärtig ist und in dem ihre Identität besteht, hat hier seinen Beginn. Jesus bezeugt seine Identität als Menschensohn, der zu unserem Heil stirbt und aufersteht. Denn dies ist Teil des Planes seines Vaters, den er in liebendem Gehorsam verwirklicht hat. Das liegt in dem geheimnisvollen „muss“ (griech. „dei“), das sich in seinem Selbstzeugnis findet und auf die Weisheit des Vaters im Plan seines Heilswirkens, seiner „Heilsökonomie“, wie die Kirchenväter sagen, verweist. Dieses „muss“ ist von unauslotbarer Tiefe. Den Jüngerinnen geht dies in lebendiger Erinnerung hier erstmals ahnend auf. Sie gehen los, um das ungeheure Geschehen, das sie sicher noch nicht fassen können, aber das sie gepackt hat, weiterzutragen. Die unvorbereiteten Apostel werden ziemlich brauchen, bis das Geschehen ähnlich nah und klar bei ihnen angekommen ist, wie es das liebende Herz der drei Frauen in unserem Evangelium berührt und schon jetzt verwandelt hat.
Apostelinnen, ein krasses Fehlurteil und ein staunender Petrus
Die Ergriffenen, deren Herz zu brennen begonnen hat, Maria aus Magdala, Johanna und Maria, die Mutter des Jakobus, wissen also wieder sofort, was sie zu tun haben. Sie brauchen keine amtliche Sendung, um zu gehen. Ihr Herz weiß das Richtige selbstverständlich. So werden sie zu Apostelinnen der Apostel – und scheitern zunächst an diesem verängstigten, entmutigten und hoffnungslosen Haufen der elf Erwählten …. Die wehren ab: Weibergeschwätz, Märchen, die Phantasmen überhitzter weiblicher Phantasie … Man muss wissen: Frauen galten im Judentum der Zeit nicht als vollwertige Zeuginnen: „Das Zeugnis einer Frau ist nicht rechtsgültig wegen der Leichtfertigkeit und Dreistigkeit des weiblichen Geschlechts“ heißt es bei dem jüdischen Historiker Flavius Josephus. Es fiel den Aposteln also verhältnismäßig leicht, das Zeugnis der Frauen abzutun – und damit ihre Angst vor Enttäuschung zu überdecken. Auch bei den Aposteln braucht es also einen inneren Weg, einen inneren Prozess, bis sie das Ungeheuerliche des Geschehens wirklich realisieren können.
Lukas erzählt uns noch von einem, bei dem dieser Prozess dann doch aufgrund des Zeugnisses der Frauen beginnt, merklicher jedenfalls als bei den anderen Aposteln. Es ist einer, der immer wieder durch seine Impulsivität auffällt: Petrus. Er läuft los – und findet alles so, wie es die Frauen beschrieben haben: ein leeres Grab, darin die Leinenbinden. Und er wundert sich. In seinem Staunen hat der innere Weg zur Begegnung mit dem Herrn begonnen.
Ein kleiner Ausblick
An dieser Stelle seines Evangeliums hat Lukas noch keine einzige Begegnung mit dem auferstandenen Herrn erzählt – nicht die Begegnung der Frauen mit Jesus, wie bei Matthäus, und auch die doch für die frühe Kirche so wichtige Begegnung mit Petrus wird nicht erzählt, sondern lediglich erwähnt. Das ist offensichtlich sehr bewusst von Lukas so gestaltet. Um so mehr Aufmerksamkeit verdient deshalb die folgende Perikope: Es ist die Geschichte der trauernden Jünger auf dem Weg nach Emmaus, in der bei Lukas die Begegnung mit dem Auferstandenen erstmals erzählte Gestalt gewinnt. Und wie wunderbar geschieht dies! Ich bin zwar überzeugt, dass sich dieses Ereignis auch so zugetragen hat, dass es sich nicht etwa um eine bloße Lehrerzählung handelt. Aber dennoch bildet gerade dieses Evangelium die Brücke von den Urereignissen in alle spätere kirchliche Gegenwart. Seine frohe Botschaft lautet: Auch wir – du und ich – können dem auferstandenen Herrn auch jetzt noch lebendig begegnen. Und zwar indem wir sein Wort hören und das Brot brechen. Dann wird er, der Auferstandene unser Herz brennen lassen, wenn wir spüren, dass er selbst uns sein Wort auslegt in der Gemeinschaft der Kirche und in der eucharistischen Versammlung und dass er dann immer wieder den Moment seiner lebendigen Präsenz schenkt, ein Moment, der sich nicht fixieren lässt und der doch alles neu macht. Wenn wir es wagen, mit ihm zu gehen, wird er auch unser Herz bereiten zur Begegnung!
Dr. theol. Martin Brüske
Martin Brüske, Dr. theol., geb. 1964 im Rheinland, Studium der Theologie und Philosophie in Bonn, Jerusalem und München. Lange Lehrtätigkeit in Dogmatik und theologischer Propädeutik in Freiburg / Schweiz. Unterrichtet jetzt Ethik am TDS Aarau. Martin Brüske ist Mitherausgeber des Buches “Urworte des Evangeliums”.
Weitere Beiträge aus der Serie Fridays for FAITH:
Evangelium des ersten Fastensonntags
Evangelium des zweiten Fastensonntags
Evangelium des dritten Fastensonntags
Evangelium des vierten Fastensonntags