Das Urworte-Buch liefert eine Beschreibung der Dynamik des Glaubens an Jesus Christus und an seine Kirche aus den Worten des Evangeliums. Der Untergang eines Teils der Kirche lässt die Kirche nur mit neuer Kraft wieder erstehen. Eine Rezension von Peter Winnemöller

Was wäre, wenn . . . ?

Der Inhalt des Buches „Urworte des Evangeliums“ ist ein ganz großes „Was-wäre-wenn?“. Ausgehend von einer recht schonungslosen Analyse der Lage der Kirche, geht das Buch der These nach, was benötigt würde, wollte man die Kirche nach dem Zusammenbruch wieder aufrichten. Eine Einleitung von Bernhard Meuser, der unter anderem durch YouCat und Mission Manifest bekannt wurde, nimmt die Frage nach der Existenz von christlichen Urworten in den Fokus. Es folgt danach eine Aufstellung und Beschreibung der gewählten Urworte. Eine schonungslose, unter anderem religionssoziologische Analyse des Ist-Standes liefert der Theologe Martin Brüske. Diese hat das Potential, den Leser vollends zu desillusionieren, was die Gegenwart der Kirche in unseren Tagen in unserer Region anbetrifft. Die These von der Kirche als Religionsverwaltungsanstalt öffnet die Augen für die Missstände und deren Herkunft. Dabei bezeichnet Brüske die Disziplinierung der Gläubigen nach dem spätmittelalterlichen Religionschaos als großartige Integrationsleistung. Doch er verschweigt auch nicht den Preis, der dafür gezahlt werden musste. Das Ausmaß dieser religiösen und spirituellen Erstarrung macht den Gläubigen schwach, sobald der Glaube der Kirche kulturell angegriffen wird. Diese Analyse bietet in ihrer schonungslosen Deutlichkeit zudem noch einen anwendbaren Deutungsschlüssel für den katastrophalen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Kleriker und dessen Vertuschung durch den höheren Klerus. Die Analyse endet jedoch nicht im Pessimismus, sondern in einer Folge von Hinweisen, wohin es gehen sollte. Es geht darum, dass die Gläubigen Jünger Jesu sind. Sie werden dann eine Beziehung zu Jesus aufbauen und sich von ihm senden lassen. Die Kirche wird damit eine Kirche sein, die evangelisiert. Das heißt, sie wächst damit zu einer Kirche, in der alle ihre Glieder von Jesus Christus sprechen.

Urworte mit Inhalten füllen

Es sind dann in der Folge über 30 Autoren, die sich der identifizierten Urworte angenommen haben. Autoren wie Texte könnten unterschiedlicher nicht sein. Priester, ein Bischof, zahlreiche Laien, Theologen, Künstler, Nonnen, jüngere und ältere Christen, Charismatiker und Traditionelle. Die Liste ist so spannend, wie das Buch selbst. Denn was beschrieben wurde, die Jünger sollen über den Meister reden, das passiert in den folgenden Texten. Es geht um das Gebet als den Atem der Christen. Es geht um die Person Jesu, um die sich alles dreht. Es geht um die Liebe, weil sie der zentrale Begriff unseres Glaubens ist. Es geht auch um den Leib, denn genau den hat Gott erwählt, um uns darin zu erlösen. Es fällt vielleicht nicht auf den ersten Blick auf, aber die Autoren haben beim Titel des Buches auf den bestimmten Artikel verzichtet. Damit öffnen sie den Raum für weitere Urworte und ermöglichen die Frage: „Was wären denn meine Urworte?“ Der Prozess, wie die Urworte gefunden wurden, ist ebenfalls im Buch beschrieben. Sie sind kein Ergebnis von Mehrheiten, sondern von einmütigen Entscheidungen. Das ist neu und doch so alt. Papst Franziskus bezeichnet es als Synodalität. Wer den Begriff dank des Synodalen Weges nicht mehr hören kann, sei beruhigt. Die Autoren reden nicht darüber, sie tun es einfach und das macht das Buch so angenehm zu lesen. Nebenbei bemerkt: Der Entstehungsprozess des Buches ist eine lebendige Einübung echter gelebter Synodalität gewesen.

Natürlich ist der christliche Glaube auch sperrig. Wer stößt sich nicht am Kreuz? Wer ist nicht zuweilen genervt von der unbedingten Inkarnation der zweiten Person Gottes? Wir hätten lieber einen Gott, der in seiner Transzendenz bleibt. Doch selbst nach der Himmelfahrt lässt er nicht von uns. Gott ist uns in den Sakramenten erschreckend nahe. Man muss sich das klarmachen: Der Jesus, den mir der Priester in der Brotgestalt in der Kommunion reicht, ist kein anderer als der, der mit den Jüngern durch Galiläa zog. Die Autoren verstehen es so wunderbar anschaulich, plastisch und mit soviel Liebe zu beschreiben, dass man das Buch gar nicht aus der Hand legen mag. Beeindruckend sind ferner die Texte zum Gebet. Das ist eben der Atem des Gläubigen. Jeder Sportler weiß um die Bedeutung des Atmens. Hier wird erklärt, warum der Mensch diesen Atem auch im geistlichen Training braucht.

Jünger sein, das ist unser Auftrag

Weiter hinten im Buch geht es erneut um die Jüngerschaft. Man kommt beim Lesen nicht umhin, zu akzeptieren, dass hier der radikale Gegenentwurf zur Volkskirche aufgezeigt wird. Nicht wenige Klerikalbeamte dürften in arge Nöte geraten, wenn ihnen echte und geschulte Jünger gegenüberstehen. Das Buch verschweigt das nicht. Versteht man das Problem, versteht man auch, warum sich viele so schwertun. Die Betreuungsreligion ist für alle Seiten so viel angenehmer. Wer sich dem Konzept von Jüngerschaft aussetzen will, findet im Buch zwei sehr gute Texte dazu. Man kommt in der Kirche weder an Maria vorbei noch an der Freude. Wieder zwei Urworte. Auch diese werden mit Inhalten gefüllt. Kein Text gleicht dem vorherigen oder dem folgenden. Das Buch kann man in einem Stück lesen oder sich zur persönlichen Meditation einzelne Urworte heraussuchen.

Am Ende des Buches erwartet die Leser ein Bonbon. Äbtissin Christiana Reemts, in deren Abtei Mariendonk die Auftaktversammlung für dieses Buch stattfand, berichtet auf den letzten Seiten von der Entstehung des Buches. Wer wissen will, wie Synodalität geht oder was das von Papst Franziskus so geschätzte Gespräch im Heiligen Geist ist, findet hier die Beschreibung dazu. Es war nicht so geplant, es ist einfach so gewachsen. Und wer nicht spätestens hier merkt, dass der Heilige Geist an diesem Buch mitgeschrieben hat, dem ist nicht zu helfen. Die Urworte kann man lesen und ins Bücherregal stellen. Es wäre schade darum. Deutlich besser verwendet wäre es, machte man es sich zu einem regelmäßigen Begleiter im Nachdenken über die Zukunft der Kirche wie auch der eigenen Zukunft als Jünger des Herrn. Schließlich ist das die Grundberufung für alle Getauften und Gefirmten.


Bernhard Meuser, Christiana Reemts, Martin Brüske (Hg)
Urworte des Evangeliums
Für einen neuen Anfang in der katholischen Kirche
Verlag Herder
1. Auflage 2025
272 Seiten
ISBN: 978-3-451-60152-1


Peter Winnemöller
Journalist und Publizist. Autor für zahlreiche katholische Medien. Kolumnist auf dem Portal kath.net. Im Internet aktiv seit 1994. Eigener Weblog seit 2005. War einige Jahre Onlineredakteur bei „Die Tagespost“. Und ist allem digitalen Engagement zum Trotz ein Büchernarr geblieben.

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