In so mancher Gemeinde fühlt man sich als Neuzugang oder Gelegenheits-Besucher nicht selten wie „zur falschen Zeit am falschen Ort“. Katharina Hauser schreibt über ein Gefühl von Unerwünschtheit, die Willkommenskultur in unserer Kirche und ihr noch offenes Potenzial nach oben.

Vor Kurzem feierten wir Maria Himmelfahrt. Ich ging vormittags in den Gottesdienst einer benachbarten Kleinstadtpfarrei. Mich erwartete ein festliches, dem Tag angemessenes Ambiente in einer südbayrischen Barockkirche, mitsamt Spatzenmesse von Mozart. Leider kam ich 5 Minuten zu spät und es gab auf den ersten Blick nicht wirklich viele freie Plätze. Stattdessen viele Blicke der hinteren Reihen, die mich kritisch beäugten, während ich den hinteren Quergang auf- und ablief und nach einer Sitzmöglichkeit Ausschau hielt.

Kann die sich nicht woanders hinsetzen?

Dann wagte ich mich den Seitengang entlang nach vorne. Bei einer älteren Dame in der Bank war noch viel frei, selbst so, dass man noch einen coronatauglichen Abstand halten konnte, falls ihr das wichtig sein sollte. Ich fragte kurz „Ist hier noch Platz?“ und sie schaute mich mit großen Augen an, als hätte ich etwas unglaublich Unverschämtes gefragt.  Sie machte dennoch Platz. Kein kurzes „Ja, klar.“, kein Nicken, kein freundlicher Blick. Nicht, dass man Freudentränen erwarten müsste, aber die Reaktion der Dame und der rundherum sitzenden Personen sprach eher die Sprache: „Was macht sie hier so spät? Kann die sich nicht woanders hinsetzen? Was erlaubt die sich?“

War mein Zuspätkommen Grund genug, mich mit verächtlichen Blicken zu bestrafen? Oder waren sie alle so erstaunt, dass ein junger Mensch in die Hl. Messe geht?  (Ich hatte eine Lederjacke an, vielleicht war das mein Fehler.) Oder war ich aus Versehen auf dem Platz gelandet, der seit Jahrhunderten für eine ortsansässige Familie reserviert ist? Das weiß doch jeder, der zur Kerngemeinde gehört. Anfängerfehler, wenn man sich da vorher nicht informiert. Was war das Problem?

Das Gefühl, nicht dazu zu gehören

Mich hat seitdem der Gedanke nicht losgelassen, wie es anderen Menschen oft gehen muss, die zum ersten Mal in eine neue Pfarrei kommen oder die zum ersten Mal (seit langem wieder) eine Hl. Messe besuchen. Es passiert wahrscheinlich nicht selten, dass diese Menschen auf der Suche nach einem Platz angestarrt werden, dass sie, wenn sie zu spät oder zu lange knien, im Kopf vieler längst verurteilt sind, dass sie das Gefühl haben, irgendwie unerwünscht zu sein oder wenigstens merken, dass sie nicht dazugehören.

Ist das einfach Ausdruck unserer deutschen Kultur, die tendenziell etwas nüchtern und zurückhaltend, bedacht auf Pünktlichkeit, soziale Normen und deren Einhaltung ist? Ist es vielleicht auch Ausdruck einer nicht gelebten Willkommenskultur in unserer Kirche? Ausdruck einer Kultur nach dem Motto „Wir freuen uns schon, wenn neue Leute kommen, aber nur wenn sie sich an unsere (nicht kommunizierten) Regeln halten. Alle sind willkommen, aber zu unseren Bedingungen.“ Die Frage ist: Haben wir als Kirche die Perspektive eines Gastgebers? Wessen Verantwortung ist es denn, dass sich Leute, die den Gottesdienst besuchen, wohl fühlen und sich zurechtfinden? Nicht ihre und auch nicht nur die der Priester oder Hauptamtlichen, sondern die eines jeden Getauften. Eine Kirche, in der sich Menschen willkommen fühlen, besteht aus Menschen, die dieses Gefühl vermitteln. Verbal und nonverbal.

Eine Frage der Perspektive

Dass eine gelebte Willkommenskultur in der Kirche nicht nur eine Traumvorstellung ist, zeigen viele Orte und Initiativen, die das versuchen zu leben. Oder es automatisch tun, weil Menschen dahinterstecken, die sich über neue Gesichter freuen und die Perspektive von Schenkenden einnehmen. Wie in einer Pfarrei, in der ich ab und an werktags in die Hl. Messe gehe: Wenn ich hier mit anderen jungen Erwachsenen erscheine, werde ich öfter von dem ein oder anderen Ü60-Jährigen angesprochen, wie schön es ist, dass wir jungen Leute da sind. Es ist eine Frage der Perspektive.

Bei vielen Initiativen und Gemeinschaften gehört ein Willkommensdienst bestehend aus ein paar Personen, die am Eingang die Leute freundlich begrüßen, zur Grundausstattung. Und dass man das nicht als US-amerikanisches Kulturphänomen, das wir Deutschen nicht nötig haben, abtun muss, hat sich spätestens in der Coronazeit gezeigt. Vielerorts gab es Einweiser, die Plätze zugeteilt haben. Ich weiß von so vielen, dass sie die kleinen Gespräche, die sich dort ergaben, total wertvoll fanden und fast traurig sind, dass es diesen Dienst nicht mehr gibt.

Und auch wenn es nicht gleich ein fester Dienst in einer Pfarrei sein muss, geht es um die Haltung eines jeden Einzelnen: Habe ich einen Blick für den, der sich gerade nicht auskennt? Gehe ich kurz zu dem, der herumirrt, und biete einen Platz an? Spreche ich nach der Messe jemanden an, der verloren herumsteht, während sich alle anderen in ihren Peer Groups unterhalten? Habe ich einen Blick, der hilft oder einen, der verurteilt?

Eine neue Atmosphäre schaffen

Vielleicht klingt das alles recht banal, aber solche Kleinigkeiten sind nicht zu unterschätzen. Zeigen sie doch eine Grundtendenz auf, wer wir als Gemeinschaft vor Ort sind. Sind wir einladend oder vermitteln wir eine Atmosphäre von „Du gehörst hier nicht her!“. Ob wir als Kirche einladend sind oder nicht, liegt in erster Linie nicht an ausgefeilten Konzepten und besonderen Veranstaltungen, sondern an uns selbst. Oder wie G. K. Chesterton sagt „Das beste Argument gegen das Christentum sind die Christen.“


Katharina Hauser, 26 Jahre alt, Theologin,  bringt viel Erfahrung in der kirchlichen Jugend- und Erwachsenenbildung in Pfarreien und Kontexten von Neuen geistlichen Gemeinschaften mit. Nach dem Sammeln beruflicher Erfahrung in Politik, Pfarrei und an der Universität nun tätig im Referat für Neuevangelisierung im Bistum Passau.

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