In einer fast schon devoten Note hat der Bischof von Limburg und Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz sich in der Debatte um die Bestellung der Rechtswissenschaftlerin Frauke Brosius Gersdorf zu Wort gemeldet. Diese Wortmeldung ist bedauerlicherweise ein peinliches und entlarvendes Drama, kommentiert Peter Winnemöller.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz schwieg eisern, als es zur Sache ging. Als er sich meldete, kochte der Topf schon längst über. Nun salviert der Bischof die sympathische Frau, der so böse Unrecht geschehen ist und stellt damit die an den Pranger, die offen sagen, was er verschweigt. Die Rede ist von der Debatte um die Kandidatur der Rechtswissenschaftlerin Frauke Brosius-Gersdorf. Längst mühen sich linke Kreise eine Kampagne von Hass und Hetze mit finsteren ausländischen Geldgebern herbeizufantasieren. Die Betroffene durfte ihre Sicht der Dinge bei Lanz ausführlich darstellen. Längst sind auch alle Aussagen der Wissenschaftlerin zur Würde des ungeborenen Kindes öffentlich und können von jedermann nachgelesen und überprüft werden. Mache sich bitte jeder sein eigenes Bild. Es mache sich auch jeder sein Bild von dem Vorwurf, es gebe eine Kampagne gegen die Kandidatin oder es werde Hass und Hetze verbreitet. Auf eben jenen Zug springt auch der Moderator der Bischofskonferenz gerade auf. Auch für Frauke Brosius-Gersdorf gilt, dass ihre Würde unantastbar ist. Nicht unantastbar hingegen ist ihre Sicht auf den Artikel 1 unseres Grundgesetzes. Hier ist Widerspruch unbedingt nötig.
Es gibt eine sachliche Debatte – und das ist gut so
Wer ehrlich zu sich selbst und zur Öffentlichkeit ist, muss sich und anderen eingestehen, dass es schon lange keine öffentliche Debatte in Deutschland mehr gab, die in einem so hohen Maße sachlich geführt wurde. Selten wurde so tief nach Quellen gegraben, um Formulierungen gerungen, Sätze gegeneinander gestellt und interpretiert. Es sei an dieser Stelle daran erinnert, dass auch der Lehrer der Kandidatin Brosius-Gersdorf, Horst Dreier, aus demselben Grund nicht Verfassungsrichter werden konnte, weil er von einer abgestuften Menschenwürde ausgeht. Auch damals gab es eine Debatte.
Die differenzierte Wahrnehmung des Bischof Bätzing
Es geht bei der anstehenden Frage um Sachgründe und nicht um Geschlecht oder politische Weltanschauung. Jeder, der das Gegenteil behauptet, verbreitet Fake News oder ist betriebsblind. Wir befinden uns mit der gerade geführten Debatte im innersten Kern unserer Rechts- und Verfassungssystematik. Wir operieren hier sozusagen am offenen Herzen der Basis unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Wenn der Bischof von Limburg das nicht erkennt, so muss man ihm leider ein erhebliches Defizit in Kenntnis und Wahrnehmung bescheinigen.
Natur und Vernunft
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ So sagt es unsere Verfassung. Diese Würde ist ein nicht verlierbares, aber auch ein nicht gewinnbares Attribut des Menschen in jeder Phase seiner Existenz. Der Mensch als Ebenbild Gottes, so sagen wir Christen es, gewinnt seine Würde aus genau dieser Gottesebenbildlichkeit. Papst Benedikt XVI. sagte bei seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag wörtlich:
„Im Gegensatz zu anderen großen Religionen hat das Christentum dem Staat und der Gesellschaft nie ein Offenbarungsrecht, eine Rechtsordnung aus Offenbarung vorgegeben. Es hat stattdessen auf Natur und Vernunft als die wahren Rechtsquellen verwiesen – auf den Zusammenklang von objektiver und subjektiver Vernunft, der freilich das Gegründetsein beider Sphären in der schöpferischen Vernunft Gottes voraussetzt.“
Relativierung der Menschenwürde
Natur und Vernunft sind die Quelle der Aussage unserer Verfassung über die unverlierbare Würde des Menschen. Darüber waren sich in der Vergangenheit die maßgeblichen Ausleger unseres Grundgesetzes dem Grunde nach einig. Dass die Rechtswissenschaftlerin Brosius-Gersdorf in der Frage der untrennbaren und unverlierbaren Menschenwürde zu einer Verfassungsauslegung kommt, die diesen Aspekt durch die Annahme relativiert, es existierten zu verschiedenen Zeitpunkten verschiedene Grade von Lebensrecht, stellt den Kern des Problems dar. Das muss man im Blick behalten. Es gibt in der Kommentierung der einschlägigen Artikel des Grundgesetzes eine verschieden verlaufende Entwicklung. Während Herdegen eine abgestufte Menschenwürde sieht, findet sich bei Dreier/ Brosius-Gersdorf eine Abstufung des aus der Würde resultierenden Lebensrechts. In der Tat wird in unseren Tagen eine partielle Relativierung der Menschenwürde in breiten Kreisen der Juristen vertreten. Die Verfasser des Grundgesetzes hatten jedoch nachweislich die klare Vorstellung davon, dass die unverlierbare und unantastbare Würde des Menschen zu jedem Zeitpunkt seines Lebens, beginnend mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle unbedingt gilt.
Diese Auffassung ist auch die Lehre der Kirche:
Weil er nach dem Bilde Gottes geschaffen ist, hat der Mensch die Würde, Person zu sein; er ist nicht bloß etwas, sondern jemand. Er ist imstande, sich zu erkennen, über sich Herr zu sein, sich in Freiheit hinzugeben und in Gemeinschaft mit anderen Personen zu treten, und er ist aus Gnade zu einem Bund mit seinem Schöpfer berufen, um diesem eine Antwort des Glaubens und der Liebe zu geben, die niemand anderer an seiner Stelle geben kann. (KKK 357)
Konkret geht es hier ja um die Frage der Abtreibung und den Wunsch der Juristin, diese Frage widerspruchsfrei im deutschen Recht zu regeln. Ein solches Ansinnen ist rechtsphilosophisch und rechtssystematisch der Versuch einer Quadratur des Kreises. Ein Bischof kann hier nicht als Jurist sprechen. Er hat die Lehre der Kirche zu vertreten und öffentlich (gelegen oder ungelegen) darzulegen. Diese Lehre der Kirche hat der Heilige Papst Johannes Paul II. in der Enzyklika „Evangelium vitae“ umfassend und gut nachvollziehbar dargelegt. In Nummer 63 schreibt der Papst:
„Mit der Autorität, die Christus Petrus und seinen Nachfolgern übertragen hat, erkläre ich deshalb in Gemeinschaft mit den Bischöfen — die mehrfach die Abtreibung verurteilt und, obwohl sie über die Welt verstreut sind, bei der eingangs erwähnten Konsultation dieser Lehre einhellig zugestimmt haben — daß die direkte, das heißt als Ziel oder Mittel gewollte Abtreibung immer ein schweres sittliches Vergehen darstellt, nämlich die vorsätzliche Tötung eines unschuldigen Menschen. Diese Lehre ist auf dem Naturrecht und auf dem geschriebenen Wort Gottes begründet, von der Tradition der Kirche überliefert und vom ordentlichen und allgemeinen Lehramt der Kirche gelehrt.“
Die Stellungnahme Bätzings schreit nach Widerspruch
Eine Stellungnahme des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, die in der gerade geschehenen Weise die Würde des Menschen und den Schutz des menschlichen Lebens vor dem von ihm vertretenen Primat der Politik relativiert, ist nur schwer erträglich und verlangt entschiedenen Widerspruch. Der Bischof von Limburg macht sich hier zum Sprecher sozialdemokratischer Politik und nimmt sich damit vollkommen seine Autorität als Bischof selbst weg. Dass er sich so ganz nebenbei noch in eine erhebliche Spannung zur Lehre der Kirche begibt, ist hier fast nur noch eine Fußnote. Man kann und darf dem Bischof in seiner hier vertretenen Auffassung nicht folgen. Im Gegenteil, es gilt hier entschieden, heftig und in der gebotenen Schärfe zu widersprechen! Aber nur in der Sache, denn auch für die Person Georg Bätzing gilt:
Si tacuisses, philosophus mansisses. (Hättest du geschwiegen, wärest du ein Philosoph geblieben.)
Peter Winnemöller
Journalist und Publizist. Autor für zahlreiche katholische Medien. Kolumnist auf dem Portal kath.net. Im Internet aktiv seit 1994. Eigener Weblog seit 2005. War einige Jahre Onlineredakteur bei „Die Tagespost“. Und ist allem digitalen Engagement zum Trotz ein Büchernarr geblieben.
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