Georg Bätzing und sein Abschied von Hans Urs von Balthasars Theologie des Priestertums und der Geschlechter

Hans Urs von Balthasar (1905-1988) war einer der größten Theologen im 20. Jahrhundert. „Ich habe nie wieder Menschen mit einer so umfassenden theologie- und geistesgeschichtlichen Bildung wie Balthasar und de Lubac gefunden und kann gar nicht sagen, wieviel ich der Begegnung mit ihnen verdanke.“ (Papst Benedikt) Vor Jahrzehnten noch schien es, als hätten sich seine treuesten Jünger in Trier versammelt. Gleich eine Reihe von Bischöfen ging aus Balthasars „Johannesgemeinschaft“ hervor. Sie schwören noch immer auf ihren Meister. Nur nicht mehr so ganz, – wie Georg Bätzing. Der Bamberger Theologe und Balthasar-Kenner Dr. Stefan Hartmann weiß mehr dazu.

In seinem rechtzeitig zum Erfurter Katholikentag 2024 erschienenen Interviewbuch „Rom ist kein Gegner. Warum die Kirche Reformen braucht“ mit Stefan Orth, dem Chefredakteur der Freiburger „Herder Korrespondenz“, schildert der aktuelle Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz und Co-Präsident der Versammlung des „Synodalen Weges“, der Limburger Bischof Georg Bätzing, teilweise sympathisch und unaufgeregt „bieder“ seinen biografischen Weg, zu dem im Rahmen seines Trierer und Freiburger Theologiestudiums auch die Begegnung mit dem großen Basler Theologen Hans Urs von Balthasar (1905-1988) zählte (Interview 17-26). Bernhard Meuser hat es am 31. Mai 2024 auf diesem Portal („Bätzing und ich“) und mit anderer Überschrift in der Würzburger Tagespost („Der Politfuchs“) engagiert und kritisch besprochen. Der letzte Satz der Rezension fasst seinen Eindruck ungeschönt zusammen: „Sie müssen dieses Buch nicht lesen“. Ich tat es dennoch – als ehemaliger Trierer Kleriker, der den jetzigen Bischof damals persönlich kennenlernte und für den die Begegnung mit Balthasar (1978) schon vor dem Seminareinritt (1979) prägend war. So sei Meusers Blick hier um einen theologischen Punkt ergänzt:

Verständnis und vorzügliche Darstellung

Als junger Theologe hat sich Bätzing, auch unter dem Einfluss des damaligen Trierer Subregens (und heutigen Bischofs von Münster) Felix Genn, der Exerzitien mit Balthasar organisierte, intensiv mit Balthasars Eucharistietheologie beschäftigt und darüber eine bemerkenswerte Diplomarbeit „Die Eucharistie als Opfer der Kirche nach Hans Urs von Balthasar“ geschrieben. Diese hat Balthasar überraschend 1986 in seinem damals noch in Einsiedeln/Schweiz ansässigen eigenen Johannes-Verlag in der Reihe „Kriterien“ veröffentlicht und dankt im Vorwort als Verleger „dem Autor sehr herzlich für sein Verständnis und seine vorzügliche Darstellung“ (13). Die frühe Arbeit des späteren Regens, Generalvikars und Bischofs bleibt weiter lehrreich und thematisiert auch den in der Balthasar-Rezeption meist übersehenen Einfluss der spirituellen Theologie Adrienne von Speyrs (1902-1967), deretwegen Balthasar 1950 den Jesuitenorden verlassen musste. Leider nicht berücksichtigt hat Bätzing Balthasars wichtigen Text „Frauenpriestertum?“, der 1979 in der Aufsatzsammlung „Neue Klarstellungen“ erschien (ebd. 109-115).

„Wenn dieser Mann heute noch leben würde“

In seinem Interviewbuch plädiert der Balthasar-Kenner Bätzing („Die fünf Bände seiner Theo-Dramatik habe ich gelesen und intensiv studiert“, 22) dann auch für die vom Frankfurter „Synodalen Weg“ (2019-2023) mehrheitlich gewollten „Reformen“, die u.a. eine Anerkennung homosexueller Partnerschaften auch im Katechismus und die Priesterweihe von Frauen wünschen. Letzteres ist inzwischen „Mainstream“ und wird in deutschsprachigen Ländern nur noch von Minderheiten abgelehnt. Die Erkenntnis theologischer und geistlicher Wahrheiten erfolgt jedoch nicht nach dem Mehrheitsprinzip und es ist unredlich, Balthasar posthum die Möglichkeit gegenteiliger Positionen als die zu Lebzeiten vertretenen zu unterschieben. Die Forderung nach einem Frauenpriestertum war schon damals nicht nur feministisch virulent. Sie wurde bereits 1976 von der Glaubenskongregation lange vor „Ordinatio sacerdotalis“ (1994) mit aktiver Unterstützung Balthasars als damaligem Mitglied der „Internationalen Theologischen Kommission“ zurückgewiesen. Es ist daher irreführend, wenn Bätzing meint, „dass Balthasar 36 Jahre nach seinem Tod seine Ämtertheologie selbst auch kritischer sehen und nicht eins zu eins ohne weitere Entwicklung wiederholen würde“ (25f). Geradezu eine Missachtung des kurz vor seinem Tod zum Kardinal ernannten Theologen ist die Folgebemerkung: „Wenn dieser Mann heute noch leben würde, hätten er und seine Theologie sich doch bestimmt auch weiterentwickelt. Gerade er hat sich doch immer der Gegenwart mit ihren Fragen gestellt“ (26). Süßholz-Raspeln und emotionale Belobigungen waren Balthasar zuwider. Gerade er hätte sich kritisch mit der seit den 1990er Jahren aufkommenden Gender-Bewegung um angebliche Geschlechtergerechtigkeit und fließende Trans-Identität befasst. Im tiefsinnigen oben erwähnten Aufsatz „Frauenpriestertum?“ hielt er prophetisch fest: „Vielleicht ist die katholische Kirche aufgrund ihrer eigenen Struktur das letzte Bollwerk in der Menschheit einer echten Würdigung der Differenz der Geschlechter. Wie im Dogma der Trinität die Personen gleicher Würde sein müssen, um die Differenz zu sichern, die den dreieinigen Gott zur subsistierenden Liebe macht, so wird die Gleichheit der Würde von Mann und Frau von der Kirche betont, damit durch höchstmögliche Opposition ihrer Funktionen die geistige und leibliche Fruchtbarkeit des Menschenwesens gewährleistet sei“ (114).

Marianisches und petrinisch-christologisches Prinzip widersprechen sich nicht

Die Opposition und Differenz der Geschlechter bedeuten nicht, dass beide Geschlechter keine Anteile des anderen Geschlechts enthalten und ausprägen können. Balthasar erwähnte einmal im Gespräch mit jungen Priestern das C. G. Jung-Bild von animus– und anima-Seelenanteilen, die der Mensch in sich trägt. Das hat aber mit einem „sozialen Geschlecht“ der auf dem Frankfurter „Synodalen Weg“ einflussreichen Gender-Theorie nichts zu tun. Mütterliche Marianität und Bereitschaft ist Grundprinzip der ganzen Kirche, sie beschränkt sich nicht auf ein Geschlecht. Auch Männer und männliche Priester, Bischöfe und Päpste sollten von ihr geprägt sein. Marianisches und petrinisch-christologisches Prinzip widersprechen sich nicht, sondern umgreifen sich und werden unter dem Kreuz „johanneisch“ vermittelt, wie Balthasar besonders in seinem Buch „Der antirömische Affekt. Wie lässt sich das Papsttum in der Gesamtkirche integrieren“ (Trier ²1989) im Kapitel „Das apostolische Geviert“ subtil ausgeführt hat. Hier ist Bätzings Kritik an zu pauschalen Äußerungen von Papst Franziskus vor deutschen Bischöfen im November 2022 berechtigt: „Man darf die Analogie nicht überziehen und diese auf einzelne Personengruppen übertragen, als gelte das eine nur für Männer und das andere nur für Frauen. Das wäre ein hermeneutischer Fehlschluss, wenn man beispielsweise das Marianische nur den Frauen zuordnen wollte“ (25). Das tut Balthasar aber gerade nicht, obwohl Bätzing es dann seiner „Denklinie“ (ebd.) unterstellt. Ganz im Gegenteil singt er mit seiner Geistesverwandten Adrienne von Speyr immer wieder und zunehmend das Lob Mariens, die allen feministischen oder patriarchalen Klerikalismus überwindet.

Theologie-Update für den DBK-Vorsitzenden

Man kann zusammenfassend dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz also nur ein update der Theologie seines ehemaligen Förderers wünschen, dabei auch auf das Grundwerk „Christlicher Stand“ (1977) hinweisen, das die Berufung aller Getauften auseinanderfaltet und das von dem auch in deutschsprachigen Ländern bekannten slowenischen Theologen Anton Štrukelj klar gedeutet wurde. Das Werk des Bonner Theologen Karl-Heinz Menke „Sakramentalität. Wesen und Wunde des Katholizismus“ (Regensburg 2012) wäre eine weitere Pflichtlektüre für den katholischen Bischof. Die Alternative bestünde darin, dass Bätzing den Bruch mit der Amtstheologie Balthasars offen zugibt und die entsprechenden Konsequenzen zieht. Der große Schweizer Theologe hatte mit Trier große Hoffnungen verbunden, transferierte 1987 ein Jahr vor seinem Tod seinen Verlag dorthin, weihte in der Eifel dafür (mit mir und anderen) ein Buchlager ein und hielt in seinem Todesjahr 1988 kurz vor der Kardinalsernennung noch eine akademische Gastvorlesung an der Theologischen Fakultät Trier zum Thema „Apokatastasis“ (Allversöhnung“). Es ist bedauerlich und tragisch, wenn nun seinem kirchlichen Geist von in seiner Theologie geprägten Bischöfen aus Trier nach erfolgter Karriere zuwidergehandelt wird.


Dr. Stefan Hartmann, geb. 1954 in Oberhausen-Sterkrade, war u.a. Universitätsseelsorger in Wien und dann 19 Jahre Gemeindepfarrer im Erzbistum Bamberg. An der Katholischen Universität Eichstätt promovierte er s.c.l. zum Dr. theol. mit Arbeiten zur Geschichtstheologie seines Lehrers Hans Urs von Balthasar und zur Mariologie des Pallotiners Heinrich M. Köster. Seit seiner Entscheidung, den aktiven priesterlichen Dienst 2016 zu beenden, wirkt Hartmann als freier Publizist, Buchautor und Redner in Bamberg.

Aktuelle Veröffentlichung: Klarstellungen in einer Zeitenwende


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Bildquelle: Imago Images, Wikipedia

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