“Alles positiv sehen!” – ein abgedroschener Aufruf und doch wahr. Achtsamkeit – ein Modewort. Patricia Haun schildert, wie man unbequeme Ereignisse im Leben als Achtsamkeitstraining und als Schule des Lebens oder Weiterbildungsmaßnahme des Himmels betrachten kann.
„Das ist doch kein Beinbruch“, sagt man manchmal, als wäre dies das Schlimmste, was einem passieren kann. So schlimm fand ich es zunächst gar nicht, als ich mir am ersten Arbeitstag nach dem Urlaub auf der untersten Treppenstufe den Mittelfußknochen brach. Die Schmerzen waren auszuhalten und Krücken hatten wir im Haus. Dass ich für zwei Monate ziemlich kalt gestellt sein würde, war mir in diesem Moment noch nicht klar. Trotzdem fragte ich nach oben: „Herr, was soll das jetzt?“ Voller Tatendrang wollte ich den Spätsommer nutzen. Mein Vorsatz war: Unser großes Haus samt Nebengebäuden und Grundstück ausmisten und aufräumen! Und jetzt?
„Wozu?“ statt „Warum?“
Ich erinnerte mich an einen Impuls, den ich mal bekommen hatte: Nicht fragen „WARUM?“ sondern „WOZU?“ Mit diesem Impuls blickte ich plötzlich neugierig auf die neue Situation und fragte mich: Was kann es mich lehren?
Nun, zunächst machte ich die Erfahrung, dass man tatsächlich recht hilflos ist mit so einem Malheur. Versuchen Sie mal eine volle Kaffeetasse hüpfend mit Krücken von der Küche ins Büro zu befördern! Es war schon eine fast unmögliche Aufgabe, das klingelnde Telefon zu erreichen. Immer lag es gerade da, wo ich nicht war.
Meine erste Lehre war: großer Respekt vor Leuten mit Behinderung beziehungsweise alten Menschen mit Knochenbrüchen. Es war schon als verhältnismäßig junger und sportlicher Mensch eine Herausforderung.
Zweitens: Dankbarkeit für die Gesundheit, was ich meist als selbstverständlich betrachte.
Drittens: Man muss andere um etwas bitten. Das lehrt Demut.
Viertens: Dankbarkeit für Kleinigkeiten: Freude, wenn die Tochter endlich nach dem dritten Bitten den Kompost wegbringt.
Nebenbei war die Situation durchaus förderlich für die Beziehungen in unserer Familie. Wir mussten mehr kommunizieren und besser aufeinander hören. Das war für alle eine Aufmerksamkeitsschulung und ein Achtsamkeitstraining. Auch in der Erziehungsarbeit war die Lage hilfreich: Meine Buben können seither Geschirrspüler und Waschmaschine bedienen, ihre Wäsche sortieren und bügeln! Wow! Die Frage „Wozu?“ wäre hiermit alleine schon ausreichend beantwortet.
Aber noch etwas habe ich gelernt: Es geht auch ohne mich und sogar recht gut. Die Wohnung war ordentlicher als sonst. – Ich frage mich, ob ich allein sonst das ganze Durcheinander veranstalte? Für Einkauf und Kochen war dank meines engagierten Mannes stets gesorgt. Nebenbei lernten wir wohl alle, uns gegenseitig mehr wertzuschätzen. Die Hausgemeinschaft ist näher zusammengerückt, inklusive Schwiegermutter.
Nach “oben“ delegieren
Auch meine berufliche Arbeit litt einerseits unter der Situation, denn ich konnte nicht so lange am Schreibtisch sitzen. Besonders diesbezüglich übte ich mich in Geduld und Gottvertrauen. Als Redaktionsleitung einer Quartalszeitschrift war ich verantwortlich für Planung, Terminierung, Themen- und Autorenauswahl. Da ich zu Perfektionismus neige, will ich gern alle Fäden in der Hand halten. Trotzdem stelle ich immer wieder fest, dass der Herr höchstpersönlich die Fäden in der Hand hält und ich besser beraten bin, wenn ich sie ihm auch überlasse. Jede Ausgabe will erbeten und erlitten sein. Natürlich ist die Arbeit notwendig, aber jedes Mal, wenn ich das neue Magazin in der Hand hielt, stellte ich fest, dass an vielen Stellen der Herr selbst Regie geführt hatte. Die einzelnen Artikel ergänzten sich thematisch und ich konnte einen roten Faden im Heft erkennen, den ich nicht bewusst gezogen hatte. So stellte ich zum wiederholten Male fest, dass es gut war, sich auf den Herrn als obersten Redaktionsleiter zu verlassen.
Gelegenheit, die das Leben bietet
Mein Fazit aus dem unangenehmen Ereignis: Der liebe Gott hatte mir offenbar durch meine unfreiwillige Auszeit eine Menge zu sagen. Rückblickend bin ich dankbar für diese Erfahrung, die mir geschenkt wurde und betrachte sie als Weiterbildungsmaßnahme des Himmels in meiner Lebensschule.
Öffnen wir den Blick für solche Gelegenheiten, die das Leben bietet. Nehmen wir sie neugierig an. Und wenn die Herausforderung gemeistert ist, schauen wir dankbar auf die Früchte, die sie gebracht hat.
Patricia Haun
Jahrgang 1971, ist freie Journalistin, Mutter von vier Kindern und Großmutter von zwei Enkeln. Sie ist Mitgründerin von EuroProLife und Gründerin der „Gebetsvigilien für das Leben“ in Aschaffenburg und Frankfurt. Sie arbeitete als Redaktionsleiterin für Durchblick e. V. und wirkt mit bei der Initiative „Neuer Anfang“.
Beitragsbild: canva