„Neuer Anfang“ hält Papst Franziskus die Stange

Ein Interview zur Weltsyonode von Dorothea Schmidt mit Bernhard Meuser, dem Mitbegründer der „Initiative Neuer Anfang“, das am 6.10.2023 in der Tagespost erschien.

Herr Meuser, es gibt kritische Stimmen zur Weltsynode. Man wirft dem Papst vor, dass er klammheimlich die apostolische Verfassung der Kirche abschafft und eine Alle-dürfen-jetzt-mal-Kirche ins Werk setzt. Stimmt das?

Ich halte das für Unsinn. Die Weltsynode ist in der Art, wie sie angelegt wurde, in der Tat etwas Neues, das sich von klassischen Bischofssynoden unterscheidet. Aber Synodalität ist ein uraltes Moment der Kirche; Bischöfe können niemals in autoritärer Isolierung durchregieren, so sehr die Verantwortung der Kirche bei ihnen liegt. Bischöfe und Volk Gottes gehören von Anfang an zusammen; schon bei Ignatius von Antiochien (35-110 n.Chr.) heißt es: „Wo immer der Bischof sich zeigt, da sei auch das Volk, so wie da, wo Jesus Christus ist, auch die katholische Kirche ist.“ Papst Franziskus geht es um eine Art Generalmobilmachung des Volkes Gottes, das in sich zerrissen ist und sich in einer vertikalen Spaltung von Aktiven (Klerikern, Funktionsträgern) und Passiven (Gläubigen, Zuschauern) befindet. Es geht Franziskus – siehe sein wichtigster Text: Evangelii Gaudium – um eine gemeinsame missionarische Dynamik. Eine richtig verstandene Synodalität modifiziert nicht die Verfassung der Kirche, sondern belebt und erfrischt sie durch einen neuen Lifestyle, ein kraftvolles Miteinander.

Herr Meuser, wie steht der Neue Anfang zur Weltsynode?

Nun bin ich nicht der „Neue Anfang“; ich kann nur für mich sprechen, glaube aber, dass ich die Ansicht der meisten Mitglieder vertrete, wenn ich sage: So sehr wir den deutschen Synodalen Weg für eine kostspielige Beschädigung der Kirche halten, so sehr begrüßen wir die Weltsynode von ganzem Herzen und sind Papst Franziskus dankbar für seine Initiative. Wir sehen: Gewollt ist ein spezifisch geistlicher Prozess; Gebet und Hören auf das Wort Gottes spielen eine tragende Rolle, die Lehre der Kirche soll nicht angetastet werden, die Presse ist weitgehend ausgeschlossen (und damit Pressionen von außen); die Einladungen spiegeln einigermaßen das Meinungsspektrum der Kirche wieder. Alle, die sich von der Weltsynode einen Durchbruch von Parlamentarismus und Basisdemokratie erhoffen, träumen. Wir sehen in der Weltsynode eine Einladung in die Versöhnung und ein neue Qualität von Einheit. Und das Wichtigste: Die Kirche hat eine einmalige Chance, die Grundintention des Zweiten Vatikanischen Konzils zu verwirklichen.

Worin besteht diese Grundintention?

Sie ist gekennzeichnet durch zwei Momente: Erstens wollte das Konzil die echte Teilhabe aller Gläubigen an der Sendung der Kirche. Zweitens wollte das Konzil den Neuaufbruch der Katholischen Kirche durch eine missionarische Dynamik in allen Gliedern des Volkes Gottes. Weil das bis heute weithin nur auf dem Papier steht, brauchen wir die Weltsynode.

Echte Teilhabe – ist das nicht genau das, was der Synodale Weg in Deutschland anstrebte?

Nein. In Deutschland ging es mehr um die Teilhabe einer säkularisierten Funktionärskirche an kirchlicher Macht, als um die Beendigung einer in Ritualismus und falschen Routinen erstarrten Betreuungskirche und die Weckung einer missionarischen Dynamik bei allen Gläubigen. Das genau meint Neuevangelisierung. Versessen darauf, die Privilegien einer mainstreamaffinen, staatsnahen Kirche und die Profi-Struktur der Apparate zu erhalten, brach man unter dem Vorwand der Missbrauchsbewältigung eine Pseudo-Synode vom Zaun, die sich ohne Legitimation durch die Weltkirche immer mehr radikalisierte und politisierte. Für den Traum einer neuen Kirche nach Art einer Räterepublik, pulverisierte man alle ihre vier Wesenselemente der Kirche: ihre Einheit, ihre Heiligkeit, ihre Katholizität und ihre Apostolizität. Und weil die Deutschsynodalen auch noch meinten, an ihrem Wesen könnte die Welt genesen, musste man sich nicht wundern, wenn Bischöfe aus allen Teilen der Welt in Rom Sturm liefen mit der Frage: Papst, wann stoppst Du das?

Warum hat der Papst nicht rechtzeitig die Notbremse gezogen?

Kein Papst möchte ein zweiter Leo X. sein und ein Schisma in seiner Biographie haben. Pius XII. hätte wahrscheinlich Bischöfe abgesetzt, gar exkommuniziert. Aber die autoritäre pianische Methode, der gewaltsame Durchgriff, hätte mit Sicherheit zu einer zweiten Reformation in Deutschland geführt, am Ende mit nicht absehbaren epidemischen Folgen für die Universalkirche. Papst Franziskus – darin ganz Jesuit – wählte einen anderen, gleichwohl risikoreichen Weg. Er setzte auf Dialektik. Er sagte sich wohl: Man tilgt geistige Strömungen nicht von der Bildfläche, indem man sie verbietet. Kampf, Auseinandersetzung, Unruhe, Widerspruch bis zum Erlöschen der Kräfte, bis das Neue am Horizont aufgeht! Auf dem Synodalen Weg erhoben die lange niedergehaltenen progressiven Kräfte ihr Haupt, in der Hoffnung, die Aufklärung sei der Rhythmus, bei dem ein jeder mit muss; sie könne nicht anders, denn siegen. Aber siehe da:  Nach und nach wurden ungefähr alle Kirchenumbau-Ideen aus Deutschland vom Vatikan (und durchaus auch vom Papst) zurückgewiesen, so dass die Gläubigen wissen, woran sie sind. Bischöfe, die weiterhin meinen, sie müssten an bestimmten Beschlüssen des Synodalen Weges festhalten, sie rhetorisch tarnen und trickreich umsetzen, stehen nun da im Strahlerlicht des Ungehorsams. Ich denke, der Papst hält es mit Apg 5 und dem Rat des Gamaliel:

„… wenn dieses Vorhaben oder dieses Werk von Menschen stammt, wird es zerstört werden; stammt es aber von Gott, so könnt ihr sie nicht vernichten; sonst werdet ihr noch als Kämpfer gegen Gott dastehen.“

In die gleiche Richtung geht Mt 7,16:

„An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Erntet man etwa von Dornen Trauben oder von Disteln Feigen?“

Worin besteht die Gefahr dieses Ansatzes?

Vielleicht ist dieses „cool down“ von Papst Franziskus, dem wir zunächst einmal Vertrauen entgegenbringen sollen, ja der falsche Weg. Man kann durchaus fragen: Ist es richtig, Kirchenführer, die sich auf dem Holzweg befinden, so lange in die falsche Richtung laufen zu lassen, bis sie endgültig vor der Wand stehen? Und beschädigt man nicht das „Amt“ (der Bischöfe, des Papstes), wenn die disziplinarische und lehrmäßige Abweichung zwar benannt wird, aber die Rechtsmittel, die es durchaus in der Kirche gibt, im Schrank bleiben? Und lässt man nicht jene Gläubige nicht im Regen stehen, die sich fragen, ob sie ihrem Bischof noch trauen können?

Ist die Ausrufung einer Weltsynode vielleicht eine Antwort auf das kirchliche Chaos in Deutschland?

Eine gewisse Rolle mag das gespielt haben. Aber wir Deutschen denken immer, der Papst würde Tag und Nacht nur über die Alpen und nach Limburg schauen. Aus römischer Sicht sind wir zahlenmäßig klein, theologisch nicht gerade Champions League, und geistlich gelten wir seit Jahrzehnten schon als Entwicklungsland. Gewiss gibt es in Rom Verärgerung über die eigensinnigen Deutschen. Aber der Blick geht nach Afrika, Asien und Lateinamerika, auf Ortskirchen mit missionarischer Power – dort liegt die Benchmark. Von dort – so wohl die Absicht des Papstes – sollen die traurigen Kirchen des globalen Westens lernen, wie Kirche geht – in der Freude am Evangelium. Die Weltsynode entzündet sich nicht an der Asche, sondern am Feuer.

Wie bewerten Sie, welche Personen aus Deutschland in die Weltsynode berufen wurden?

Es ist nicht mein Job, Haltungsnoten zu verteilen.

Aber es ist doch ein Signal …?

… wer nicht berufen wurde? Ja, Irme Stetter Karp wurde nicht berufen.

Dafür aber Thomas Söding?

Ja, ihr Stellvertreter. Ein Mann von hohen Gaben. Ich erinnere mich noch an die Zeit, als er alles daransetzte, als der Helfer und enge Berater von Papst Benedikt zu erscheinen. Das war, bevor er seine Wissenschaft in den Dienst des Apparates stellte.

Bei den Bischöfen findet man die Namen Bätzing und Overbeck?

Der eine ist der Vorsitzende der Bischofskonferenz, der andere der Vorsitzende der Glaubenskommission. Beide haben in Rom keine besonders guten Karten, sei es durch ihre diversen Auftritte, sei es, dass beide manchmal wie Lobbyisten von Gender und nicht wie Sachwalter des Evangeliums auftreten. Aber es gibt ja auch noch andere bischöfliche Vertreter deutscher Zunge.

Sie meinen Kardinal Müller?

Müller ist qua theologischer Kompetenz ungefähr so unschlagbar wie ein Lexikon. Er hat Verwundungen, die seiner Klarheit manchmal schroffe Züge verleihen. Vielleicht ist er es, dem wir die Tatsache verdanken, dass es keine deutsche Sprachgruppe geben wird. Man stelle sich das vor: Overbeck und Müller in einer Gruppe! Das hätte Mord und Totschlag bedeutet.

Und dann gibt es ja noch die Bischöfe Genn und Oster?

Bischof Genn ist ein wirklich liebenswürdiger und frommer Mann; sein Manko ist meines Erachtens, dass er geradezu demütig zu Theologen aufschaut und umstellt ist von einem liberalen Milieu, gegen das er nicht ankommt. Ich möchte ja auch nicht von Leuten wie Sattler, Schüller und Söding umzingelt sein. Oster ist die eigentliche Hoffnung für die Kirche. Theologisch und philosophisch kann ihm kaum jemand das Wasser reichen. Seine Position ist klar; zugleich ist er bis zur Grenze der Selbstverleugnung dialogbereit. Ich bewundere ihn für diesen Spagat. Wo er das herhat? Wahrscheinlich aus dem Gebet. Aber am Ende braucht es Leute von seinem Format, damit sich die Kirche nicht zentrifugal im Nichts verliert.


Bernhard Meuser
Jahrgang 1953, ist Theologe, Publizist und renommierter Autor zahlreicher Bestseller (u.a. „Christ sein für Einsteiger“, „Beten, eine Sehnsucht“, „Sternstunden“). Er war Initiator und Mitautor des 2011 erschienenen Jugendkatechismus „Youcat“. In seinem Buch „Freie Liebe – Über neue Sexualmoral“ (Fontis Verlag 2020), formuliert er Ecksteine für eine wirklich erneuerte Sexualmoral.

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