Glaskugel, Prophetie oder Spekulation? Wird die Frauenordination kommen oder nicht? Bernhard Meuser zu den Hypothesen von Kardinal Marx und Sr. Philippa Rath.

Immer wieder einmal melden sich Bischöfe mit kühnen Prophezeiungen zu Wort. So auch der Münchner Erzbischof bei der Herbstvollversammlung des Landeskomitees der Katholiken in Bayern in Ohlstadt am 18. November 2024. Dort versicherte er einer begierigen Zuhörerschaft, dass Frauen in der katholischen Kirche irgendwann einmal Priesterinnen sein werden: „Das wird kommen.“ Näher an den Rathschlüssen Gottes ist nur Sr. Philippa OSB; sie weiß sogar, dass sie es “noch erleben werde, dass die ersten Frauen geweiht werden.“

Das Dumme daran: Es kommt nicht.

Nicht zu Lebzeiten des Kardinals (71), nicht zu Lebzeiten von Sr. Philippa (70). Es kommt überhaupt nicht. Warum es eine klassische Utopie ist, werden wir später betrachten.

Die Kunst der geplanten Frustration

Versprechungen sollte man nur dann machen, wenn man sie auch einhalten kann. Lk 14,28 gilt für alle Menschen, erst recht für Verantwortungsträger in der Kirche: „Wenn einer von euch einen Turm bauen will, setzt er sich dann nicht zuerst hin und rechnet, ob seine Mittel für das ganze Vorhaben ausreichen?“ Hat sich der Kardinal – als er für die ganze Kirche sprach – hingesetzt und Kassensturz gemacht? Sicher nicht.

Er hat es gemacht wie alle Populisten, die von Fake Money leben. Er macht eine falsche Versprechung, – im Wissen, dass er für den Kredit, den er bei den Leuten genießt, nicht in Schuldhaft genommen wird. Inmitten einer feministisch aufgeheizten Szenerie, in der die Spekulationen wie ein Flächenbrand durch die Kirche gehen, sichert er sich die Gunst der Stunde, indem er „die Frau“ und mit ihr alle Frauenversteher versteht. Er bedient Erwartungen, an denen man nicht ihn, aber die Kirche an den Haaren ziehen wird. Noch in zwanzig Jahren werden (vor allem weibliche) Menschen die Kirche verlassen und (was schlimmer ist) Gott Adé sagen, weil ihnen einige Hirten und der Kardinal von München ins Mikrofon versprochen haben, das werde kommen, – das mit der „Priesterin“. Und dann kommt das nicht, und kommt nicht, und kommt nicht … Alle, die im Vertrauen auf die Rede des Münchner Kardinals den Kirchenstaub von den Füßen schütteln, werden es guten Gewissens tun, denn sie glauben, ihnen würde von einer totalitären klerikalen Herrensippe das Grundrecht auf freie Berufswahl verweigert. So leert man die Kirche, – wie man in Bayern sagt: mit Fleiß.

Die Ankündigung des Kardinals von München und Freising hat noch einen Subtext. Mit seiner utopischen Ankündigung macht sich der Kardinal so en passant und quasi trivialmarxistisch ein bisschen gemein mit einer neuerdings verbreiteten Lesart von Kirchengeschichte, wonach die eigentlich menschen- und frauengerechten Kirche erst noch ein Zukunftsprojekt ist, das sich nach Auflösung aller Widersprüche und der Überwindung einer 2000-jährigen patriarchalischen Klassengesellschaft ergibt.

Gewiss hat die Kirche eine lange Schuldgeschichte in Hinsicht auf die Frauen; das aber an der Verweigerung der Frauenordination festzumachen, ist unzulässig. Wie wir uns vor einer „allzu engelsgleichen Vorstellung von der Kirche“ hüten müssen, „die nicht real ist“ wie Papst Franziskus sagt, „weil sie keine Flecken und Falten hat“, so sehr müssen wir uns vor einer pharisäischen Distanzierung von der real existierenden Kirche hüten, als gehöre man dem Hier und Jetzt falscher Verhältnisse gar nicht an. „Die Kirche“, sagt Papst Franziskus in seinem jüngst erschienen Brief zur Erneuerung des Studiums der Kirchengeschichte (21.11.2024), „muss wie eine Mutter so geliebt werden, wie sie ist, sonst lieben wir sie gar nicht oder bloß ein Phantasiegebilde. Die Geschichte der Kirche hilft uns, einen Blick auf die wirkliche Kirche zu werfen, um jene Kirche lieben zu können, die tatsächlich existiert und die aus ihren Fehlern und Niederlagen gelernt hat und weiter lernt.“

Frauenordination und andere Bagatellen …

„Das wird kommen!“ Es lohnt sich, die Implikationen der prophetischen Selbstinszenierung des Münchner Erzbischofs genauer zu betrachten. Sie lebt vom Gestus einer älteren Trutzrede: „Hier stehe ich und kann nicht anders!“ Der historische Luther hat zwar nur gesagt: „Ich bin hindurch.“ Aber auch das gehört zum Subtext der Marx´schen Rede. Mit einer allzu verbindlich lehrenden Kirche ist er durch! Was immer Papst Franziskus im Konsens mit den Vorgängerpäpsten und den Konzilien zur Frauenordination festgestellt haben, – es ficht ihn, den Kirchenmann von morgen, nicht an. Die Konzilien? Schnee von gestern! Johannes Paul II. – „… dass sich alle Gläubigen der Kirche endgültig an diese Entscheidung zu halten haben…“? Netter Versuch! Der Erzbischof von München will theologisch nicht zu viel wissen; er surft eher am Rand der dogmatischen Liquidation. Alles geschichtlich, alles überholbar, alles im Fluss!

Nun mag man die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Frauenordination für eine Bagatelle am Rand der großen dogmatischen Fragen ansehen. „Ablass“ war auch eine Bagatelle. Immerhin zerbrach daran im 16. Jahrhundert die Kirche. Auch heute gibt es scheinbar randständige Fragen, etwa der christlichen Anthropologie und der Ekklesiologie, an deren Rändern sich gewaltige Bruchkanten auftun. Sein und Werden der Kirche sind gebaut um eine von Jesus herkommende Gestalt, die nur im geistlichen Hören an die Oberfläche der Wahrnehmung tritt. Es braucht nicht viel, bis uns Offb 18, 35 wieder das Urteil spricht. „Die Stimme von Braut und Bräutigam hört man nicht mehr in dir.“

Weil die Frage des apostolischen Amtes unmittelbar mit dem Brautmysterium der Kirche zusammenhängt, sollte die Kirche gewarnt sein vor allzu pragmatischen Zugriffen à la „Weg mit dem Zölibat!“, „Frauen an den Altar!“ Gewiss gehört der Klerikalismus zu den schwereren Sünden der Kirche. Es war sicherlich Zeit, das Amt von falschem Pathos zu befreien und die gemeinsame Berufung von Laien und Klerikern ins Bewusstsein zu heben. Nun sieht man aber auch, dass die Künste der Dekonstruktion, mit der eine bestimmte Sorte von Theologie das Priesteramt ins Funktionale herunterschraubte, es von der unverfügbaren Berufung, der personalen Hingabe an den Herrn und einem existenziellen Aufgespanntsein auf Christus ablöste, in einen pragmatischen Konstruktivismus mündet, dem eine m/w/d-Jobdeskription genügen soll, um den Kirchenbetrieb aufrecht zu halten. 

Es ist ein Spiel mit dem Feuer, geltende Lehre der Kirche (und die, die sie universalkirchlich treu vertreten) in ein Licht zu stellen, als wären sie restaurative Faktoren einer bösen Vergangenheit. Und als könnte man sie den theologischen Gleichstellungsbeauftragten überantworten. Marx gibt mehr oder weniger den Stimmen recht, die in der Katholischen Kirche ein pathologisches Männerding sehen, dem Frauen nur solange angehören können, als noch Aussicht auf ihre schnelle Bekehrung zur Geschlechtergerechtigkeit besteht. Es fehlt ja nicht an Stimmen, die von einer feministischen Pflicht zum Kirchenaustritt sprechen, sollte sich die Kirche an dieser Ecke nicht bewegen. Und die Mitchristen bis ins Petrusamt, die dem kühnen Münchner Oberhirten nicht in seine Utopie folgen, diskreditiert er (ohne es laut zu sagen) als feige Reformgegner und verbockte Frauenfeinde.

Warum die Frauenordination ein falsches Versprechen ist

Um zu verstehen, warum die Frauenordination nicht kommt, genügt es, auf einen einzigen, scheinbar nebensächlichen Punkt zu schauen. Sie wird nicht kommen, weil es die Einheit der Kirche zerstören würde. Bis heute gibt es bei den Anglikanern und im Luthertum lokale und nationale kirchliche Gemeinschaften, in denen die Möglichkeit zur Frauenordination nicht eröffnet wird. Diese Gemeinschaften berufen sich auf ein einziges hard fact: Jesus hat es nicht getan, also tun wir es auch nicht. Auch für die tief ins „Ewige“ der ergangenen Offenbarungen eingelassene Orthodoxie ist die Frauenordination ein „casus irrealis“ (der orthodoxe Theologe A. D. Schmemann), was die Kirche nicht von einer Plausibilisierung der vermeintlichen Frauendiskriminierung entbinde.

Es ist im Grund diese fundamentale Bezugnahme, die für die Haltung der Katholischen Kirche bestimmend ist. Würde die Kirche dem Druck nachgeben, käme es also zu grundstürzenden Änderungen, und würde die katholische Kirche in einem gewaltigen Akt all das verwerfen, was dazu in der Kontinuität der gesamten Lehrgeschichte seit der Apostelzeit gesagt wurde, so würde es die Kirche noch einmal zerreißen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gäbe es nicht nur Einzelne, sondern ganze Lokalkirchen, die wieder auf das Unbestreitbare hinweisen:

„Jesus hat es nicht getan, die frühe Kirche hat sich daran gehalten, also tun wir es auch nicht.“

Und so wiederholt Johannes Paul II. in Ordinatio Sacerdotalis nur, was Paul VI. zusammenfasste und was künftige Päpste auch nicht anders sagen werden:

„Sie (die Kirche) hält daran fest, dass es aus prinzipiellen Gründen nicht zulässig ist, Frauen zur Priesterweihe zuzulassen. Zu diesen Gründen gehören: das in der Heiligen Schrift bezeugte Vorbild Christi, der nur Männer zu Aposteln wählte, die konstante Praxis der Kirche, die in der ausschließlichen Wahl von Männern Christus nachahmte, und ihr lebendiges Lehramt, das beharrlich daran festhält, dass der Ausschluss von Frauen vom Priesteramt in Übereinstimmung steht mit Gottes Plan für seine Kirche“.

Auf eine weitere Feinheit in Ordinatio Sacerdotalis muss man hinweisen: Dort steht nichts von einem kirchlichen Verbot der Frauenordination. Dort steht nur, dass die Kirche in dieser Frage (wie in anderen Fragen auch) schlicht nicht zuständig ist. Johannes Paul II. verliert sich nicht in hypothetischen Mutmaßungen über Sinn oder Unsinn einer Praxis; er erklärt nur,

„… dass die Kirche keinerlei Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihe zu spenden.“

Wieder sind wir bei dem „Jesus hat es nicht getan, also tun wir es auch nicht“. Regeln, die nicht kirchlich gesetzt wurden, sondern „die göttliche Verfassung der Kirche selbst“ betreffen, kann die Kirche nicht aufheben. Das ist der entscheidende Hinweis, aber auch die große Provokation.

Hypothesen über Jesus

Die Rede von der „göttliche(n) Verfassung der Kirche“ ist nicht die durchschaubare Verpanzerung männerkirchlicher Machtansprüche. Es ist die einzig sachgerechte Form des Umgangs mit einer von der Kirche durchgängig übernommenen jesuanischen Praxis, die allerdings immer wieder plausibilisiert werden muss, sollte sie nicht Gefahr laufen, als blind mitgeschleppte Routine vorgeführt zu werden. Festzuhalten ist: In einer wesentlichen Streitfrage befindet sich die Kirche im Punkt des Ursprungs auf festem empirischem Boden. Jesus musste keineswegs so handeln, wie er gehandelt hat. Im wertschätzenden Umgang mit Frauen hat er ja sonst alle Konventionen der Zeit gebrochen.

Den Sinn des Handelns Jesu erschloss sich der geistlichen Kontemplation der Kirche im Bild von der großen Hochzeit am Kreuz. Christus ist der in der Schrift bezeugte „Bräutigam“, der um eine Braut wirbt und sich für sie (die nach menschlichen Maßstäben keine Liebe verdient) hingeben möchte. Die Braut ist die Kirche. Der „in persona Christi“ stellvertretend handelnde Priester bekräftigt in physisch-symbolischer Präsenz das leidenschaftliche Werben des Bräutigams Christus um die Braut. Er will die Gemeinde gewinnen, will ihre Schönheit zum Vorschein bringen, sie schmücken, sie dem Bräutigam zur Hochzeit entgegen führen. Um der sakramentalen Bildlogik willen wird die Kirche nie etwas Anderes tun, als diesen Dienst – wie es Jesus getan hat – Männern zu übertragen. Sie wird dies auch tun in einer Zeit tiefgreifender, das Geschlecht neutralisierender Irritationen, in der es nichts bedeuten soll, ein Mann, eine Frau oder keines von beiden zu sein.

Faktisch wissen wir freilich nur im Glauben der Kirche, warum Jesus „nur Männer zu Aposteln wählte“; und dass dies „in Übereinstimmung steht mit Gottes Plan für seine Kirche.“ Worauf beruht aber die Annahme, es handle sich um ein interessengeleitetes Vorurteil? Könnte es nicht doch ein antikes Denkmuster gewesen sein, eine frühe, präemanzipatorische Bildungsstufe, eine Konstellation ohne weitere Bedeutung, eine nichtssagende Zufälligkeit? War Jesus in Sachen Geschlechterrollen einfach ein Kind seiner Zeit? Würde Jesus es heute ganz anders machen? Jesus war niemals … Jesus hätte … Jesus würde … Wenn Jesus heute lebte … In allen diesen Mutmaßungen handelt es sich um Interpolationen in das Bewusstsein Jesu. Doch „niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will“ (Mt 11,27).

Der Aussagenklasse nach bewegen sich alle denkbaren Annahmen der genannten Art im Bereich der „Hypothese“. Eine Hypothese ist eine vorsätzlich gestellte vorläufige Annahme, die ebenso wahr wie falsch sein kann. Darunter fällt die Spekulation, die Mutmaßung, das Postulat. Hypothesen können nur dort in Gewissheit überführt werden, wo es die Möglichkeit gibt, sie im Experiment zu falsifizieren, dann zu verwerfen und durch eine andere Hypothese zu ersetzen. Mir ist kein Fall bekannt, in dem die Kirche jemals eine wichtige Veränderung auf einer Hypothese aufgebaut hätte.

Fazit: Die wackere Prophezeiung des München-Freisinger Oberhirten zur Priesterweihe von Frauen – „Das wird kommen!“ – ist erstens hypothetisch, zweitens ungehorsam, drittens unterminiert es die Einheit in der Kirche und viertens treibt es Menschen aus der Kirche, weil ein Bischof seine Autorität für falsche Ankündigungen missbraucht. 

Man darf das erschütternd finden.


Bernhard Meuser
Jahrgang 1953, ist Theologe, Publizist und renommierter Autor zahlreicher Bestseller (u.a. „Christ sein für Einsteiger“, „Beten, eine Sehnsucht“, „Sternstunden“). Er war Initiator und Mitautor des 2011 erschienenen Jugendkatechismus „Youcat“. In seinem Buch „Freie Liebe – Über neue Sexualmoral“ (Fontis Verlag 2020), formuliert er Ecksteine für eine wirklich erneuerte Sexualmoral.

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