Die Abschaffung der Kirche
Ein Schlagabtausch im Netz. Wen interessiert das? Aber es ist wie bei C. S. Lewis 1943: Ein kurzer, dummer Satz aus einem Schulbuch. Ein gewaltiges Crescendo – am Ende „Die Abschaffung des Menschen“. Die Debatte um moralischen Subjektivismus und objektive Werte/Wahrheit ist nicht so neu. In meinem Fall zeigt sich bei zwei führenden katholischen Journalisten, die wir in Lewis’ Spur Kümmertnix und Queerix nennen wollen, ohne dabei auf den heroischen Freiheitskampf zweier Gallier gegen die Römer anzuspielen, die Unwilligkeit oder Unfähigkeit zur Debatte und am Ende: Die Abschaffung der Kirche. Der eine ist seines Zeichens Chefkorrespondierender einer Kölner Kommunikationsmittel-Gruppe vom Berge und Anführer eines Netzwerkes katholischer Beiträger zur öffentlichen Meinungsbildung, der andere der Chef eines Nachrichten- und Erklärportals rund um den katholischen Glauben. Ein Beitrag von Stephan Raabe
Los geht’s: Ein junger Theologe und Journalist schreibt einen nicht uninteressanten Beitrag über „Papst Leo und die Pressefreiheit“, in dem er der Kirche nicht etwa „Höllenangst“ attestiert, woran bekanntlich Martin Luther litt, sondern „Medienangst“. Ich treffe darauf bei Kümmertnix auf dessen Fanpage, wo er einen Satz von „Benedikt Ratzinger“ aus dem Beitrag zitiert und kommentiert: und wie immer seien „am Ende die Medien schuld …“ – versehen mit dem ironischen Hinweis:
„Das Göttlich Gestiftete Erzbistum (GGE) Köln kommt auch vor.“
Denn Kümmertnix befindet sich seit Jahren in einer Fehde mit dessen Erzbischof.
Papst Benedikt hatte 2013 bei einem Treffen mit dem Klerus von Rom eine sehr lesenswerte Ansprache über das Zweite Vatikanische Konzil gehalten, in der er eine Unterscheidung zwischen dem „wahren Konzil“ der Konzilsväter und dem Konzil, wie es in den Medien vermittelt wurde, vornahm. Die vorherrschende mediale Perspektive habe „viel Unheil“ herbeigeführt, so der Papst, wogegen das „wahre Konzil“ Schwierigkeiten gehabt habe, verwirklicht zu werden. Darüber lässt sich sachlich debattieren, was in den letzten sechzig Jahren in Bezug auf Inhalt und Wirkung des Konzils bereits umfänglich geschehen ist. Zudem haben die Päpste seit 1965 gemeinsam mit Bischofssynoden manchen Fehlinterpretationen des Konzils entgegengesteuert.
Auf diese Art aufmerksam geworden, schaue ich mir den von Kümmertnix beworbenen Beitrag an, lese den Anfang und suche am Ende nach dem Fazit, da mein Interesse an der Thematik dann doch nicht so groß ist. Der letzte Satz des Artikels hat es aber in sich und stößt mir übel auf. Die Rede ist zunächst von einer möglichen „Abkehr von bisherigen kirchlichen Narrativen“ in Bezug auf die Pressefreiheit. Dann heißt es unvermittelt polemisch:
„Was das aber für das Agieren einer Institution heißt, die sich als göttlich gestiftete Hüterin ewiger Gewissheiten geriert, bleibt abzuwarten.“
Geriert sich die katholische Kirche bloß als göttliche Stiftung?
Auf der Facebook-Seite von Kümmertnix kommentiere ich zugegeben verärgert und provokativ:
„Ein katholischer Theologe, der bei der Katholischen Nachrichtenagentur arbeitet, karikiert derart das Wesen der Kirche? Ist die Kirche nicht göttlich gestiftet? Gibt es keine ewigen Glaubensgewissheiten durch die Offenbarung in Jesus Christus? Ein weiterer Beitrag zum Thema: Selbstaufgabe der Kirche und ihre Zerstörung von innen heraus, die wir mit unseren Steuern bezahlen.“
Kümmertnix schmettert meine Kritik mit dem Urteil ab, meine Fragen seien „schon in sich nicht schlüssig“. Der Autor des Artikels stelle weder das Wesen der Kirche infrage noch bestreite er die Existenz ewiger Wahrheiten, sondern problematisiere lediglich, wie die Kirche beides in Anspruch nehme und welcher Habitus daraus folge.
Ich wiederum antworte ihm darauf ironisch:
„Ach so, es geht nur um die ‚Inanspruchnahme‘ ‚ewiger Gewissheiten‘ und der ‚göttlichen Stiftung‘ durch die katholische Kirche. Dieses ‚Gerieren‘ der Kirche ist selbstverständlich schlüssig abzulehnen, da haben Sie völlig recht – wenn man etwa Protestant ist. Das schlüssige Selbstverständnis der katholischen Kirche ist jedoch ein anderes.“
An diesem Punkt hätte eine ernsthafte Debatte über das Selbstverständnis der katholischen Kirche beginnen können. Doch Kümmertnix ließ erkennen, dass er den Eindruck habe, ich wolle ohnehin nur auf bestimmte phrasenhafte Schlagworte („buzz words“) hinaus, und eine Fortsetzung lohne nicht.
Daraufhin schaltete sich nun jedoch Queerix ein mit der Frage, ob das mit den Steuern Ironie sei. Schließlich müssten auch Bürger Steuern zahlen, ohne dagegen etwas tun zu können. Damit ging er am eigentlichen Vergleichspunkt, der tatsächlich bitteren Ironie, allerdings geradewegs vorbei.
Ich schrieb:
„Wenn ein Staat die Kräfte finanziert, fördert und in zentrale Positionen übernimmt, die seine Verfassung subversiv aushöhlen, dann gibt er sich selbst auf. Genauso ist es mit der Kirche.“
Weil ich erwähnte, man könne immerhin auswandern, was immer mehr Katholiken aus ihrer Kirche ja tatsächlich täten, wozu sein Portal manche durchaus motivieren könne, erwiderte Queerix: allein schon, dass ich dächte, seine Redaktion könne ein möglicher Austrittsgrund sein und „nicht der sexuelle Missbrauch …“, zeige schon, „wessen Geistes Kind“ ich sei. Zudem verwies er auf weltweite Umfragen, nach denen es in der Kirche Reformen brauche. Kümmertnix habe wohl recht, dass sich eine weitere Debatte mit mir nicht lohne.
Persönliche Unterstellungen und respektlose Überheblichkeit
Zu welchen Unterstellungen die Frage nach dem Kirchenbild in einem Beitrag über die katholische Kirche doch führen kann: Meine Fragen seien nicht schlüssig, ich arbeitete angeblich mit bloßen Phrasen und ignorierte den Missbrauch als Grund für Kirchenaustritte, sei offenbar gegen Reformen in der Kirche, weshalb die Diskussion mit jemandem wie mir nicht lohne.
Das wiederum fordert mich zu einer schärferen Apologie heraus:
„Lieber Queerix, allein, dass Sie mir unterstellen, ich würde den Missbrauchsskandal nicht für Kirchenaustritte verantwortlich machen, zeigt, ‚wessen Geistes Kind‘ Sie sind. Ebenso Ihre aus der Luft gegriffene indirekte Unterstellung, ich sei gegen Kirchenreformen. Gerade angesichts des schlechten Zustandes der Kirche in Deutschland bin ich ein entschiedener Vertreter einer ecclesia semper reformanda; nur eben mehr in der Richtung, die Papst Franziskus in seinem Schreiben an die deutschen Katholiken 2019 angemahnt hatte, das missachtet wurde. Also kommen Sie nicht mit derart armseligen Plattitüden, die vom Thema ablenken. … Der eine Grund für Kirchenaustritte schließt jedoch den anderen nicht aus: Die andauernde Propagierung einer ‚queeren Kirche‘, die ständigen Diffamierungen der Kirche als ‚diskriminierend‘, die Einseitigkeit der Themenauswahl und Kommentierung etc. in einem Portal der Bischofskonferenz, die nur durch die zahlreichen kritischen Kommentare der Leser etwas ausgeglichen werden, veranlasst nicht wenige, über einen Kirchenaustritt nachzudenken, insbesondere dann, wenn sie nicht mehr in einer ‚normalen‘ katholischen Gemeinde beheimatet sind, wo ein anderer Wind weht. Je weiter die ‚Spaltung‘, in anderen Augen ‚Fortentwicklung‘, voranschreitet, die Bemächtigung der Kirche in Deutschland durch bestimmte Kreise, die eine grundsätzlich andere Kirche anstreben, desto mehr stellen sich Katholiken die Frage, wollen sie römisch-katholisch bleiben oder aber der neuen deutsch-katholischen Kirche angehören, die sie mit ihrer Kirchensteuer umfänglich finanzieren, um dann nicht selten von Kirchenpersonal abgekanzelt zu werden, ‚wessen Geistes Kind‘ sie seien. Jetzt führen Sie bitte nicht erneut den Missbrauch an. Dazu habe ich mich seit Jahren kritischer und klarer gerade auch an die Adresse der Bischöfe und Verantwortungsträger geäußert als etwa der ‚Synodale Weg‘ oder Ihr Portal. Es ist absolut fatal, dass es ein derartiges schuldhaftes Versagen gibt, und kaum einer der Verantwortungsträger übernimmt persönlich Verantwortung, selbst wenn ihnen schuldhaftes Versagen in Studien nachgewiesen wurde. Also, wenn Sie die Traute hätten, in Ihrem Portal immer wieder die Rücktritte zum Beispiel von Kardinal Marx oder Erzbischof Heße und anderen zu fordern, finden Sie mich an Ihrer Seite. Wenn nicht, unterlassen Sie bitte Ihre böswilligen Unterstellungen in dieser Hinsicht.“
Zugegeben, da ist mir die Hutschnur geplatzt. Aber auf einen groben Klotz gehört bisweilen ein grober Keil – in brüderlicher Liebe, die manchmal auch bei mir und meinen zwei Brüdern recht handfest war.
„Beiger Katholizismus“ und das Selbstverständnis der katholischen Kirche
Das, was mich – und sicher eben nicht nur mich – auf die Palme bringt, habe ich kürzlich in dem Begriff „beiger Katholizität“ erklärt gefunden. Die Rede vom „beige Catholicism“ wurde von dem diesjährigen Träger des Josef-Pieper-Preises eingeführt, dem US-Bischof Prof. Dr. Robert Barron. Er ist systematischer Theologe und ein Star der digitalen Evangelisierung mit enormer Reichweite. Allerdings wurde er durch Vertreter einer „anderen Kirche“ vor der Preisverleihung übel diffamiert. Der Passauer Bischof Stefan Oster erläuterte den Begriff in seiner Laudatio auf Bischof Barron am 27. Juli 2025 in Münster folgendermaßen:
„Übertragen aufs Glaubensverständnis, ist ‚beiger‘ Katholizismus ein Phänomen, bei dem die herrschende Kultur den Glauben dominiert und ihn sich selbst anpasst. Und zwar ohne dass der Glaube dabei auch in die andere Richtung wirksam wäre. Also ohne ein Glaube zu sein, der mit Wahrhaftigkeit, Überzeugung und Liebe in der Lage ist, seinerseits auch die Kultur zu verändern.“4)
Damit sind wir nach einigen polemischen Girlanden, die den Herren Kümmertnix und Queerix geschuldet waren, wieder beim Ausgangsthema angelangt, dem Begriff von Kirche. Nun kann es sein, dass den ambitionierten katholischen Journalisten Kümmertnix in Köln oder Queerix in Bonn das leckere Kölsch oder Bönsch den Verstand vernebelt hat, was mir in Sarajevo, wo ich lebe, eher durch die Wasserpfeife passieren könnte. Also versuche ich, ihnen hier einmal in der Sache etwas auf die Sprünge zu helfen.
Auf meine Ausgangsfrage, wie es sich denn mit der göttlichen Stiftung der Kirche und ihrer Funktion als Hüterin ewiger Gewissheiten verhält, hätten die beiden Theologen auf die Differenz zwischen römisch-katholischer Kirche und einer allumfassenden christlichen Kirche abheben können, wozu Kümmertnix mit dem Begriff der „Inanspruchnahme“ dieser Attribute durch die katholische Kirche ansetzte. Dann hätte ich ihnen mit dem Hinweis auf die Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils Lumen gentium Nr. 8 im Wortlaut, nicht in irgendeiner medialen Darstellung, geantwortet, wo es heißt: Die Kirche als „eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst“, „ist die einzige Kirche Christi, die wir im Glaubensbekenntnis als die eine, heilige, katholische und apostolische bekennen. … Diese Kirche, in dieser Welt als Gesellschaft verfasst und geordnet, ist verwirklicht in der katholischen Kirche, die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird.“ Hier geht es um nicht weniger als das tatsächliche Sein der Kirche, nicht um ein „Gerieren“ von Kirche oder einen bloßen „Habitus“ (Kümmertnix), nicht also um eine Kirche, die sich zwar so zeigt, dies beansprucht, aber dies nicht ist.
Die Theologenjournalisten hätten sodann vielleicht die Vielfalt in der Kirche und die Wahrheit auch außerhalb der Kirche angeführt. Woraufhin ich wiederum auf Lumen gentium Nr. 8 verwiesen hätte, wo es heißt, dass auch außerhalb der römisch-katholischen Kirche „vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind, die … auf die katholische Einheit hindrängen.“ Zudem kommt das Konzil in diesem Kontext auf die Sünder im eigenen Schoße zu sprechen, mit der Schlussfolgerung: Die Kirche sei auch mangels katholischer Einheit „zugleich heilig und stets der Reinigung bedürftig, sie geht immerfort den Weg der Buße und Erneuerung.“ Hier wird also nicht einem Triumphalismus als göttliche Stiftung das Wort geredet, sondern „Demut und Selbstverleugnung“ betont.
Und hinsichtlich der Vielfalt in Einheit hätte ich auf Karl Rahner SJ Bezug genommen, der in seinem Aufsatz „Ich glaube die Kirche“, es war wohl just 1965 am Ende des Konzils, sinngemäß mit Blick auf das kirchliche Lehramt formuliert hat: Es gebe nur eine Objektivität in Glaubensfragen und das sei die Subjektivität der Kirche insgesamt, mit der diese unter dem Beistand des Heiligen Geistes diese Fragen beantworte. Im Gegensatz zu etlichen Theologen heute hatte Rahner noch die Demut, sich diesen Entscheidungen letztlich anzuschließen, um nicht in einer Kakophonie von Glaubenslehren und auseinanderstrebenden Wegen zu enden. Bekanntlich möchten manchmal gerade Professoren gerne ihr eigener Papst sein. Schließlich hätte Queerix auf der Reformnotwendigkeit der Kirche bestanden, die sich keineswegs nur aus dem Missbrauchsskandal ergibt. Dem hätte ich ohne weiteres zugestimmt, allerdings unter der Bedingung: mit und unter dem Papst/Lehramt und mit Rücksicht auf den wesentlichen „sensus ecclesiae“, den Papst Franziskus so eindringlich von der Kirche in Deutschland angemahnt hatte.
Auf diese Weise hätte sich eine lohnende, vernünftige, vielleicht klärende Diskussion über das Sein von Kirche in katholischer Sicht und „wes Geistes Kinder“ wir denn als Katholiken sind, entwickeln können, wenn unsere beiden Theologenjournalisten denn dafür offen gewesen wären. Aber mit der so überheblichen wie fatalen Gewissheit von Kümmertnix und Queerix, es lohne sich sowieso nicht, mit jemandem von meiner Einstellung, den Blockierern der „anderen Kirche“ zu diskutieren oder auch zu streiten, wird daraus natürlich leider nix. Wo kritischer Dialog gerade über ekklesiologische oder theologische wie ethische Kernfragen angebracht wäre, macht sich auf diese bezeichnende Weise Dialogverweigerung und Abkanzelung breit.
1) Vgl. Benedikt Heider: Papst Leo und die Pressefreiheit: Schluss mit der Medienangst im Vatikan? – feinschwarz.net vom 4.8.2025
2) Vgl. Der Heilige Stuhl. Ansprache von Papst Benedikt XVI., Begegnung mit dem Klerus der Diözese Rom (14. Februar 2013)
3) Kritische Anmerkungen zum Missbrauch des kirchlichen Missbrauchsskandals für eine ganz anders gelagerte Veränderungsagenda der Kirche und die mangelnde Rechenschaft der Verantwortungsträger finden sich in etlichen meiner Beiträge auf dem Blog Neuer Anfang
4) Vgl. https://ewtn.de/2025/07/29/bischof-oster-wuerdigt-us-bischof-barron-uebt-deutliche-kritik-an-kirche-in-deutschland/. Dort auch die Antwort von Bischof Oster an die Kritiker – vor allem die Kath.-Theol. Fakultät der Universität Münster – von Bischof Barron.
Stephan Raabe
ist als Projektleiter in Bosnien und Herzegowina tätig. Er studierte Geschichte, Kath. Theologie, Philosophie und Politik für das Schullehramt in Bonn und München, machte einen Magisterabschluss, arbeitete anschließend zehn Jahre in der Jugendseelsorge im Erzbistum Berlin, war 2002/03 Bundesgeschäftsführer des Familienbundes der Katholiken und als solcher Mitglied im ZdK, ging dann für die Konrad-Adenauer-Stiftung nach Polen und Weißrussland und leitete danach das Politische Bildungsforum der Stiftung in Brandenburg. Publizistisch setzte er sich immer wieder kritisch mit der „Weiterentwicklung“ der Kirche in Deutschland auseinander.
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