In seiner Predigt zur Rolle der Priester in der Kirche erinnerte der Görlitzer Bischof Wolfgang Ipolt an das berühmte Zitat des Heiligen Cyprian: „Man kann nicht Gott zum Vater haben, wenn man nicht die Kirche zur Mutter hat.“ Anstatt als Priester zu beklagen, dass Außenstehende und Medien nur die politische, soziale und strukturelle Seite der Kirche sehen, aber ihr Geheimnis so wenig verstehen, müssten sie sich auch selbst die Frage stellen, ob sie nicht manchmal das Geheimnis der Kirche nicht zu sehen vermögen. (Predigt von Bischof Ipolt beim Treffen der Sprecher der Priesterräte Deutschlands am 14. Oktober 2022)
Liebe Mitbrüder im geistlichen Dienst!
Wie Sie wissen, bin ich durch den Tod unseres langjährigen Diözesanarchivars heute in eine Schwierigkeit gekommen und unser Gespräch, für das ich auf jeden Fall Zeit eingeplant hatte, kann leider nicht stattfinden. Aber unsere gemeinsame Messfeier sollte auf keinen Fall ausfallen, weil sie der Ort ist, wo wir Priester am tiefsten mit dem Herrn verbunden sind.
Diese Messfeier ist mir ein persönliches Anliegen – auch und gerade wegen der vielen Diskussionen die auf dem synodalen Weg über unseren Dienst und damit über die sakramentale Wirklichkeit unserer Kirche geführt werden (wie Sie vielleicht wissen, bin ich von Anfang an Mitglied des Priesterforums).
Ich gebe Ihnen einige geistliche Gedanken an die Hand oder besser ins Herz, mit denen Sie Ihren Dienst (der ja nicht nur aus der Arbeit im Priesterrat besteht!) frohgemut tun können – auch in der jetzigen Situation der Kirche.
Der Apostel hat uns heute in der Lesung aus dem Epheserbrief (Freitag der 28. Woche II, Lesung: Eph 1, 11-14) eine steile Vorlage gegeben: „…wir sind zum Lob seiner Herrlichkeit bestimmt, die wir schon früher auf Christus gehofft haben.“ Kann das noch jemand merken, wenn er uns begegnet, wenn er die Kirche erlebt? Der ganze Brief entwirft dann ein Bild von der Kirche, das heute wenig gern gehört und angenommen wird. Ich vermute zum Beispiel, dass bei kaum einer Trauung hierzulande die Lesung aus diesem Brief über das Ehesakrament vorgelesen wird, geschweige denn vom Zelebranten ausgelegt wird.
Die Feststellung in Eph 5,25: „Christus hat die Kirche geliebt“ kann man eigentlich nicht lesen, ohne sich zu fragen: „Und ich? Liebe ich die Kirche?“ Denken Sie in diesem Zusammenhang auch an den berühmten Satz von Cyprian: „Man kann nicht Gott zum Vater haben, wenn man nicht die Kirche zur Mutter hat.“[1]
Raniero Cantalamessa, der Prediger des päpstlichen Hauses, bezeichnet darum in seinem kleinen Büchlein über den Epheserbrief (2003) diesen als einen „gefährlichen Brief“ – weil er uns tatsächlich an das Geheimnis der Kirche heranführen will, mit dem wir uns zugegebenermaßen heute schwertun.
Manchmal beklagen wir Priester es ja, dass viele (vor allem die Medien) immer nur die Außenseite – die politische, die soziale und strukturelle Seite der Kirche sehen und darstellen, aber ihr Geheimnis so wenig verstehen… Aber sind es wirklich immer nur die anderen – die Presse, die Gegner der Kirche, die Lauen und Gleichgültigen? Sind es nicht manchmal auch wir selbst, die das Geheimnis der Kirche nicht zu sehen vermögen oder kaum in unserer Verkündigung hören lassen?
Was können wir tun, damit dieses Geheimnis mehr zum Leuchten kommt? Wo gilt es in diesem Sinn neu zu evangelisieren – zuerst das eigene Herz (denn dort beginnt es!) und dann das Herz der Menschen zu öffnen für die Botschaft, die uns anvertraut ist und die auch heute Strahlkraft hat?
Ich nehme jetzt die Themen der vier Foren des synodalen Weges in Deutschland zu Hilfe und stelle an diese Themen einige Fragen, die etwas mit diesem Anliegen der Evangelisierung[2] zu tun hat und die aus meiner Sicht noch zu kurz kommen und darum unbedingt weiter bedacht werden müssen.
- Wir sprechen im Forum I über den Missbrauch der Macht in der Kirche – den es ohne Zweifel gibt. Wir suchen nach Wegen der Partizipation der Gläubigen. Ich frage: Braucht es nicht auch ein neues Wissen über die Vollmacht, die die Kirche von Christus empfangen hat und die Erfahrung, dass diese immer nur im Sinne des Herrn („zum Lob seiner Herrlichkeit!“) ausgeübt werden kann und darf?
- Wir sprechen über eine Sexualmoral (Forum IV), die nicht mehr verstanden wird; wir sprechen über einen Bereich, der lange nicht angeschaut wurde und darum tatsächlich geistlich vertrocknet und verblasst ist. Ich frage auch hier: Brauchen wir nicht auch und noch mehr ein neues Verständnis der Taufe, die den ganzen Menschen zum Tempel des Heiligen Geistes gemacht hat? Können wir noch sehen, dass es für den Christen keinen glaubensfreien Bereich geben kann und dass durch die Taufe alles (auch unsere Sexualität) in eine neue Wirklichkeit eingetaucht worden ist, die ein Leben lang eingeholt werden will (und diese Zeit gibt uns Gott, wenn wir nur unterwegs bleiben und uns immer mehr dem Evangelium angleichen)?
- Wir sprechen über unseren priesterlichen Dienst (Forum II); über unsere Fähigkeit zu leiten, über unsere Lebensform, über die Fehler, wie wir in verschiedener Hinsicht machen. Das kann uns und viele unserer Mitbrüder zermürben und verunsichern und kaum Berufungen wachsen lassen. Ich frage: Brauchen wir nicht auch heute das unaufgeregte, frohe und menschenfreundliche Zeugnis unseres Berufes? In der immer kälter werdenden Welt der Digitalisierung braucht es Priester, die im Namen des Herrn, den Kranken mit Öl salben, den Sündern das Wort der Lossprechung sagen, und Worte aussprechen, die sonst niemand ausspricht. Und das tun wir kraft der Weihe mit Leib und Seele (Zölibat).
- Wir sprechen über die Rolle der Frau in der Kirche (Forum III), über ihre Würde und ihre Befähigung zu verschiedenen Diensten und Aufgaben in der Kirche. Viele Fragen in diesem Zusammenhang sind auch anderswo in der Gesellschaft virulent. Ich frage: Fangen nicht alle diese (ohne Zweifel theologischen Herausforderungen) damit an, dass wir den Dienst der vielen Frauen schätzen und ihm den Raum geben, den er verdient? Warum würdigen wir nicht mehr den Dienst der vielen Frauen in den Orden, den geistlichen Gemeinschaften, wo sie in so mütterlicher (!) Weise das Evangelium verkünden?
Liebe Mitbrüder, meine Fragen, die ich Ihnen gern mit auf den Weg geben möchte, sind eher Fragen nach einer Vertiefung aus der Sicht des Evangeliums – aus der Sicht unseres Glaubens. Noch einmal: Das alles beginnt immer zuerst bei uns selbst und bei unserem Dienst.
Wir gehen jetzt durch eine etwas schwierige Zeit, Krisenzeit (wie man sich in solchen Zeiten verhalten soll, das hat uns der hl. Ignatius in seinem Exerzitienbuch gelehrt!). Meine Hoffnung ist, dass es auch eine Zeit der Reinigung, der Klärung und eines neuen Weges zur Mitte – zu Christus! – wird.
Im Weihesakrament, das wir empfangen haben, hat uns der Herr seinen Beistand zugesagt. Darauf dürfen wir uns verlassen in unserem Dienst. Je mehr wir selbst bei IHM bleiben – vor allem im treu durchgehalten Gebet – um so mehr kann er durch unseren armseligen Dienst bei den Menschen ankommen und wirken. Das sollten wir IHM und uns zutrauen. Amen.
[1] Cyprian, De catholicae ecclesiae unitate, in Nr. 6: „Habere jam non potest Deum patrem, qui Ecclesiam non habet matrem.“
[2] Vgl. Brief von Papst Franziskus „An das pilgernde Gottesvolk in Deutschland“ vom 29.06.2019