Wie steht Papst Franziskus zum Synodalen Weg? Wie schätzt er die Lage ein? Martin Brüske analysiert die Vorgänge um die Privataudienz des Vorsitzenden der polnischen Bischofskonferenz, Stanislaw Gadecki beim Papst, die zuletzt für Aufregung gesorgt hat.

Stanisław Gądecki, Erzbischof von Posen und Vorsitzender der polnischen Bischofskonferenz war bei Papst Franziskus in Privataudienz. Vor Wochen hatte er dem Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing von Limburg, einen Brief der Sorge zukommen lassen. Öffentlich, ernst, aber nobel und höflich. Gegenstand waren die Bedenken und Befürchtungen, die der sog. Synodale Weg bei den polnischen Bischöfen auslöst.

Für die Antwort wählte Georg Bätzing zunächst einen irritierenden Weg: Weder suchte er das direkte, vertrauliche Gespräch, noch antwortete er auf ernst und öffentlich vorgetragene Sorgen ebenfalls ernst und öffentlich. Sondern er beschritt den Weg einer „halben“ Öffentlichkeit: die Mitteilung, dass eine Antwort erfolgt sei und ein Blumenstrauß von Zitaten aus seinem Antwortbrief, aber kein argumentativ nachvollziehbarer, vollständiger Text. Hat man sich programmatisch (und auch pathetisch) eine neue Transparenz auf die Fahnen geschrieben, sollte man sich fragen, ob das dann wohl ein guter Weg ist. Man scheint die Problematik im Nachgang gespürt zu haben: Mittlerweile ist der ganze Brief veröffentlicht.

Unter den ausgewählten Selbstzitaten findet sich eines, das offensichtlich Ressentiments bedient. Denn Bätzing fragt, was denn die polnischen Bischöfe gegen die zahlreichen Missbräuche in ihrem Land zu tun gedenken. Das würde er gerne erfahren. Da nun gerade auf dem Synodalen Weg die permanent wiederholte Rhetorik der Missbrauchsbekämpfung kaum etwas mit der Realität zu tun hat – ein eigenes Thema, das hier schon öfter beleuchtet worden ist und weiterhin beleuchtet werden wird – gilt die alte Volksweisheit: Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen schmeißen.

Die veröffentlichten Zitate ließen eine ernsthafte Argumentation, die die polnischen Bedenken hätte entkräften können, nicht erkennen. Sie beschränkten sich auf Beteuerungen. Auf präzise Anfragen erfolgten nur vage Wortwolken. Schlussendlich war die Art von Bätzings Antwort einfach befremdlich – und schlicht und ergreifend schlechter Stil.

Bischöfe in der Verantwortung

Und tatsächlich hat sie die Bischöfe Polens offensichtlich nicht beruhigen können. Denn ihre Sorgen hat ihr Vorsitzender in seiner letzten Privataudienz erneut auch Papst Franziskus vorgetragen. Übrigens sollte niemand denken: Was geht denn die polnischen oder skandinavischen Bischöfe, die ja auch voll Sorge einen Brief geschrieben haben, die „deutsche Kirche“ an? Ist das nicht Einmischung in fremde Angelegenheiten (in Bätzings ressentimentgeladener Invektive zu Missbräuchen in Polen klang das durch)?

Nein – und zwar sehr klar aus drei Gründen:

  1. Vertreter des Synodalen Weges schreiben sich gerne eine modellhafte Rolle für Reformen in der Kirche insgesamt zu, auch wenn sie – logisch etwas unausgeglichen – wenn es nützt, gerne auf die Besonderheiten unseres Kulturraums verweisen; und es nützt immer dann, wenn sie einen deutschen, am Ende nationalkirchlichen, Sonderweg mental vorbereiten wollen.
  2. Die Umdeutung des Bischofsamtes und das Zerbrechen der Lehreinheit in wesentlichen, biblisch fundierten Fragen der Ethik und des Menschenbildes bleibt natürlich nicht ohne Auswirkungen auf die weltweite Gemeinschaft der Kirche. Es handelt sich ja nicht um irgendwelche Randfragen, sondern um fundamentale Weichenstellungen.
  3. Der wichtigste Punkt: Die Kollegialität des Bischofsamtes, wie sie auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil entfaltet worden ist, schließt eine Verantwortung jedes einzelnen Bischofs für die universale Gemeinschaft der Kirche ausdrücklich ein. Also: Mitnichten Einmischung in fremde Angelegenheiten, sondern Wahrnehmung von mit dem Bischofsamt gegebener Verantwortung und Ausdruck kollegialer, wirklich brüderlicher Mitsorge.

Ein ungewöhnliches Kommuniqué

Riesig müssen die Sorgen der polnischen Bischöfe und ihres Vorsitzenden sein. Denn nach der Audienz veröffentlichten sie ein Kommuniqué gleich in mehreren Sprachen (einschließlich deutsch!), das – neben dem Thema des Ukrainekrieges und seinen Auswirkungen – auch ausdrücklich den Synodalen Weg als Thema des Gesprächs zwischen dem Papst und Erzbischof Stanisław Gądecki ansprach. Schon das ist eher ungewöhnlich – und man fragt sich, inwieweit dieser Schritt zumindest grundsätzlich mit den römischen Behörden abgestimmt war. Die Frage ist – angesichts der nachfolgenden Verwicklungen – nicht ganz leicht zu beantworten. Aber nach wie vor scheint mir wahrscheinlich, dass mindestens die Veröffentlichung des Kommuniqués und die Grundlinien des Inhalts den zuständigen Stellen zuvor mitgeteilt wurde und dort auf keine grundsätzlichen Einwände gestoßen sind. Noch ungewöhnlicher wäre der Schritt indes, wäre er nicht abgesprochen gewesen. Dann müssen die Sorgen unermesslich sein.

Tatsächlich beinhaltet das Kommuniqué gegen Ende nicht nur den Hinweis auf den Gesprächsgegenstand „Synodaler Weg“, sondern den Hinweis auf eine deutliche Distanzierung des Papstes von diesem Vorgang in Deutschland. Noch deutlicher war ein weiterer Text auf der Seite der polnischen Bischofskonferenz, der von der Gefahr einer Protestantisierung sprach, einer Protestantisierung, die viele Protestanten selbst skeptisch sähen. Es spricht nichts dafür, dass der Erzbischof diese Einlassungen von Papst Franziskus erfunden hat. Im Gegenteil: Gerade die nachfolgende Entwicklung spricht indirekt für die Authentizität!

Kein Dementi: Die Distanz des Papstes von Anfang an

Man kann sich vorstellen, wie die Reaktionen im Lager des Synodalen Weges bei Laien und Bischöfen aussahen, als das polnische Kommuniqué und der Begleittext bekannt wurden. War die bekannte römische Irritation und Verärgerung über den Synodalen Weg bis hinauf zum Papst mittlerweile so gewachsen, dass man mit einem baldigen Eingreifen rechnen muss? In dieser Situation preschte die Katholische Nachrichtenagentur (KNA) vor und fragte in Rom offiziell an. Und sie bekam eine sehr typische römische Antwort: Von päpstlicher Seite werden die Inhalte von Privataudienzen grundsätzlich diskret behandelt. Also keine Antwort auf die Frage, ob der Inhalt der polnischen Berichte so bestätigt werden kann! Stattdessen der Verweis auf den Papstbrief an das Volk Gottes in Deutschland vom 29. Juni 2019. Dem gegenüber habe sich die päpstliche Haltung nicht verändert. Dieser Brief – ein Mahnschreiben, freundlich, aber deutlich! – stellt gleichsam die offizielle Stellungnahme von Papst Franziskus zum Synodalen Weg dar.

Im Juni 2019 zeichnete sich bereits klar ab, dass seine Protagonisten fest entschlossen waren, eine jahrzehntealte liberale Reformagenda nun endlich entschlossen in die Tat umzusetzen. Dem gegenüber zeigt Franziskus einen anderen Weg auf: Primat der Evangelisierung als Ausdruck der tiefsten Wesensstruktur der Kirche, keine Fixierung auf Strukturen, echte Synodalität im Sinne eines geistlichen Prozesses, in dem auf den Heiligen Geist und aufeinander gehört wird. Dies alles drückte schon damals eine tiefe Distanz zur Programmatik in den Köpfen der deutschen Protagonisten aus. Entsprechend hat man höflich genickt, fühlte sich angeblich ermuntert und hat die Formulierungen des Papstes regelmäßig sonntagsrednerisch in Anspruch genommen.

Realisiert hat man nichts von den päpstlichen Mahnungen. Bei Licht besehen hat man die Einlassungen von Papst Franziskus abgenickt und ist zur selbstfabrizierten Tagesordnung übergegangen, um sie mit der Arroganz erputschter Verfahrensmacht bis zum heutigen Tag durchzuexerzieren – und wird das weiterhin tun. Die ohnehin schon große Distanz von Papst Franziskus zum Synodalen Weg hat sich seit dem Brief vom 29. Juni 2019 gewiss nicht verkleinert. Fazit: Der Verweis auf diesen Brief als maßgebliches Dokument durch Vatikansprecher Bruni ist alles andere, nur kein Dementi des polnischen Kommuniqués!

Was bedeutet das alles?

Dennoch ist die Frage zu stellen: Was bedeutet das alles? Müsste – wie nicht wenige meinen, für die der Synodale Weg ein auf vielfältig falschen Prämissen beruhender Irrweg ist, der nicht in die Rettung der katholischen Kirche in Deutschland, sondern in ihre Selbstpulverisierung führen wird (so sieht es auch der Verfasser dieser Zeilen) -, müsste nicht Papst Franziskus mit der ganzen Autorität seines Amtes diesen Irrsinn beenden? Aber offensichtlich greift er nicht ein! Wieso? Schwäche? Ignoranz? Falsche Berater? Heimliche Sympathie? Mangelnde Entschlusskraft? Jenseits von übelmeinenden Unterstellungen, die dem komplizierten Dilemma, in dem er steckt, nicht gerecht werden, sind drei Komponenten zu unterscheiden:

  1. die tatsächliche Lage
  2. die Folgen eines direkten Eingreifens
  3. die Folgerungen, die daraus zu ziehen sind.

Natürlich sind diese Elemente ganz eng miteinander verflochten. Bevor wir das Ineinander dieser Elemente anschauen, zunächst noch einmal eine Bilanz dessen, was wir mehr oder weniger klar wissen:

  1. Aller Wahrscheinlichkeit nach steht der Papst dem Synodalen Weg – dies ist schon allein auf Grund des Briefes vom Juni 19 zu folgern – tatsächlich „distanziert“ gegenüber.
  2. Er scheint einen unmittelbaren autoritativen Eingriff zu scheuen.
  3. Für November 2022 sind die deutschen Bischöfe ad limina apostolorum bestellt – ein einfaches Faktum, das aber, nimmt man es mit allem anderen zusammen, die Sache klar macht. Daraus ergibt sich, eigentlich sehr durchsichtig, ein mögliches Szenario! Und auf dessen Hintergrund auch die Lageeinschätzung durch Papst Franziskus.

Es ist tatsächlich klar: Ein direkter Eingriff in die Situation in Deutschland würde zur Explosion der Lage führen – mit unabsehbaren Folgen vom tatsächlichen Schisma über Massenaustritte bis zur Auflösung der kirchlichen Struktur. Genau das wird es sein, was ihm mit allergrößter Wahrscheinlichkeit seine Gesprächspartner zum Thema Deutschland vermitteln. (Wer ist das? Auch etwa sein ehemaliger Mentor in St. Georgen, P. Michael Sievernich S.J.?). Die Vorstellung dagegen, ein solcher Eingriff würde die Lage einfach bereinigen, ist unerlaubt naiv.

Das ist das Dilemma, in dem Franziskus steckt. Man muss also wissen, was man tut und welche Folgen das haben kann. Tatsächlich hatte das polnische Kommuniqué die Lunte an der hochbrisanten Ladung angesteckt. Der Vatikan hat sie noch einmal ausgetreten. Denn Franziskus hofft, die Explosion vermeiden zu können, um die Ladung im Herbst zu entschärfen. So interpretiere ich die Einladung der deutschen Bischöfe zum Adlimina-Besuch. Vielleicht will man nach einer mittleren Linie suchen, nach praktischen Zugeständnissen unter Wahrung der lehrmässigen Integrität.

Das Unvermeidliche und der neue Anfang

Ich befürchte: Diese Einschätzung wird nicht aufgehen. Sie beruht – mit allem Respekt und mit viel Verständnis für das bestehende Dilemma – auf einer mangelnden Unterscheidung der Situation. Vor Jahrzehnten hätten die Bischöfe mit einem solchen Ergebnis von den Gräbern der Apostel zurück in ihre Bistümer kommen können. Heute ist eine solche Möglichkeit längst überholt. Der Prozess hat eine solche Dynamik angenommen, dass er darüber hinweg gehen wird. Und auch viele der deutschen Bischöfe haben sich so weit hinausgelehnt, dass das angedeutete Szenario kein Punkt mehr ist, zudem sie realistisch zurück können.

Wie sollte man sich das nach den letzten Äußerungen von Bätzing, Bode, Overbeck, Dieser und Marx vorstellen? Wie nach den Taten, die schon – in Form von Selbstverpflichtungen – gesetzt sind? In der Tiefe ist es längst geschehen. Jetzt wird nur manifest, was da geschehen ist: die Gemeinschaft der Kirche, ihre „Communio“ (wie die Theologen sagen) ist schwer verletzt. Die Situation – ohne kirchenrechtlich festgestellt zu sein – ist bereits schismatisch, weil die Wahrung der Communio längst keine verbindliche und erstrangige Instanz im Denken und Empfinden der Protagonisten mehr ist – auch wenn sie das Gegenteil behaupten. Ihre substanziellen Einlassungen – dort wo sie nicht nur beteuern, sondern zur Sache sprechen – und ihre Taten sprechen längst eine eindeutige Sprache. Nein, Heiliger Vater, die Explosion wird sich nicht vermeiden lassen. Alles wird darauf ankommen, ihre Zerstörungskraft zu begrenzen, um danach auf dem Weg des Evangeliums den neuen Anfang zu wagen.

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von Dr. theol. Martin Brüske

Der Autor ist 1964 im Rheinland geboren, lebt in Fribourg/Schweiz und unterrichtet Ethik am TDS Aarau.
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