Gleich einer netten Stammtischplauderei beim Bierchen stellt Bernhard Meuser glasklar den Umgang mancher Kleriker mit dem Thema Sexualmoral dar. Trotz bierernstem Inhalt liest sich der Beitrag wie geölt. Genießen Sie die Lektüre und schauen Sie bis auf den Grund des Glases! Irgendwann wird der Kopf auch nach dem größten Rausch wieder klar. Das ist allen klerikalen Braumeistern zu wünschen, die ihren eigenen Hopfensaft brauen und vom römischen Reinheitsgebot abweichen oder sich bildlich gesprochen „verzapft“ haben.

Über weihbischöfliche Versuche zur Sexualmoral

„Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit“ (so ein witziger Filmtitel) gibt vielen zu denken – auch in der Kirche. Die Leute tun einfach… Nicht wenige Theologen sagen: Sollen sie doch! Sie sind der Ansicht, die Kirche habe sich zum Thema Liebe, Ehe und Sexualität hinreichend blamiert, um sich dazu besser nicht mehr zu äußern. Außerdem habe sich Jesus zu Fragen sittlicher Lebensgestaltung nicht weiter geäußert. Deshalb könne man dazu auch schweigen oder das Gegenteil tun: mal ganz neu, locker und unbefangen über Sex, Liebe, Lust und Geschlechtlichkeit nachdenken.

Nun gibt es diese sperrige Stelle im Matthäusevangelium (Mt 5,27):

„Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst nicht die Ehe brechen. Ich aber sage euch: Jeder, der eine Frau ansieht, um sie zu begehren, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen.“

Und es gibt dieses Evangelium von den zwei Wegen (Mt 7,13), mit dem im großen Katechismus der Katholischen Kirche die gesamte Weisung zu ethischen Fragen eröffnet wird:

„Es zeigt, wie wichtig sittliche Entscheidungen für unser Heil sind. ´Der Wege sind zwei: einer des Lebens und einer des Todes. Sie gehen aber weit auseinander´ (Didaché 1, 1).“  (KKK 1696).

In der Tat kann sich die Kirche – was immer ihre Mitglieder auch angestellt haben – die sittliche Weisung nicht schenken, ohne vom Evangelium abzufallen. Sie dankt ab, wenn sie sagt: Nicht mein Bier!

Apropos „Bier“ …

Im Youcat gibt es eine witzige Stelle, in der jungen Menschen in Frage 404 mit einem etwas kühnen Vergleich nahegebracht wird, warum „Keuschheit“ keineswegs ein Begriff aus der Werkzeugkiste repressiver Pastoral ist. Dort heißt es:

„Unkeuschheit schwächt die Liebe und verdunkelt ihren Sinn. Die katholische Kirche vertritt einen ganzheitlich-ökologischen Ansatz der Sexualität. Dazu gehören erstens sexuelle Lust, die etwas Gutes und Schönes ist, zweitens personale Liebe und drittens Vitalität, das heißt, Offenheit auf Kinder. Und wie zum Bier Hopfen, Malz und Wasser gehören, die getrennt ziemlich schlecht schmecken und gemeinsam ganz gut, ist die katholische Kirche der Auffassung, dass diese drei Aspekte zusammengehören. Wenn nämlich ein Mann eine Frau hat für die sexuelle Lust, eine zweite für die personale Liebeslyrik und eine dritte zum Kinderkriegen, dann instrumentalisiert er alle drei und liebt keine wirklich.“

Mein Bier, sagt der Essener Weihbischof Ludger Schepers und macht sich locker. In einem Interview in der Tagespost vom 5.6.2024 („Wir lassen keinen alleine“), kommt er – unter Aneignung der „neueren humanwissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse“ – zu grundstürzenden Einsichten hinsichtlich Gen 1,27 („… als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie“). Weihbischof Schepers stellt sich „Geschlechtlichkeit eher als eine Ellipse mit zwei Polen vor und der Möglichkeit dessen, was sich dazwischen befindet.“ Und auch zwischen Ehe und Ehe könnte sich elliptisch was tun, wenn wir erst einmal so weit sind: „Die sakramentale Ehe ist das eine und das andere sind Verbindungen, die auch ihren Wert haben, aber wo wir sicherlich noch nicht so weit sind, diese als Ehe zu bezeichnen.“

Plaudereien im Amt

Man kann ja auch als Bischof über Sex plaudern, sollte dabei allerdings KKK 2034 beachten, wo es unter Bezugnahme auf das Zweite Vatikanische Konzil heißt:

„Der Papst und die Bischöfe sind ´authentische, das heißt mit der Autorität Christi versehene Lehrer, die dem ihnen anvertrauten Volk den Glauben verkündigen, der geglaubt und auf die Sitten angewandt werden soll´ (LG 25).“

Auch ein Weihbischof ist ein Bischof und also auch ein Lehrer und nicht etwa ein Hilfslehrer, der in Sittenfragen noch übt. Was Schepers vom Stapel lässt, ist einigermaßen kongruent mit Judith Butler, nicht aber mit dem, was die Kirche in Fragen von Ehe und Sexualität verbindlich lehrt.

Nun ist Weihbischof Schepers nicht der einzige und erste Weihbischof, der hier unsicher im Dunkeln tappt. Ich erinnere mich sogar an einen, dem ich vor vielleicht sieben oder acht Jahren am Rande einer Kommissionssitzung begegnete, und von dem ich den Eindruck hatte, er habe vielleicht in seiner Jugend zu viel „Bravo“ gelesen. Es ging um den Youcat (siehe oben), von dem der Herr Weihbischof meinte, der sei in Fragen der Sexualmoral doch von gestern. Ich rieb mir die Augen, hatten wir uns doch gerade in diesen Fragen ganz eng an die „sichere Norm für die Lehre des Glaubens“, den KKK, angelehnt, der gerade in Fragen der Ethik unter dem besonderen Augenmerk von Papst Johannes Paul II. stand. Servais Pinckaers OP hieß der bedeutende Moraltheologe, dem der Papst dieses Thema anvertraute, um es aus dem engen Korsett einer Gebots- und Verbotsmoral zu befreien und Freiheit und Glück als neue Determinanten christlicher Ethik zu etablieren. „Das werden Sie doch einem heutigen Jugendlichen nicht mehr im Ernst sagen wollen“, mantelte sich der Weihbischof auf, dessen Namen wir hier lieber verschweigen.

Auch hier wieder diese unappetitliche Melange aus pastoraler Schreckstarre vor einem standardisierten Sexualverhalten (das – cosi fan tutte – schon seine Richtigkeit haben müsse), schlechter deutscher Moraltheologie und falscher Empathie.

An den Klippen der Moderne

Die zum Hirtenamt bestellt sind, empfangen „tria munera“, drei Ämter „des Lehrens, des Heiligens und des Leitens“. Ihr Amt ist nicht, sich mit dem Mainstream der Lemminge in die Tiefe des Zeitgeists zu stürzen. Es ist nur zu hoffen, dass die Hirten es nicht dem Oberst der französischen Nationalgarde nachmachen. Als sich im Revolutionsjahr 1848 seine Truppe in Anarchie auflöste, stöhnte er: „Da ich das Haupt der Truppe bin, muss ich ihr wohl oder übel folgen.“


Bernhard Meuser
Jahrgang 1953, ist Theologe, Publizist und renommierter Autor zahlreicher Bestseller (u.a. „Christ sein für Einsteiger“, „Beten, eine Sehnsucht“, „Sternstunden“). Er war Initiator und Mitautor des 2011 erschienenen Jugendkatechismus „Youcat“. In seinem Buch „Freie Liebe – Über neue Sexualmoral“ (Fontis Verlag 2020), formuliert er Ecksteine für eine wirklich erneuerte Sexualmoral.

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