Die Laien, die Kirche und die Macht

Das Laienapostolat hat eine großartige Tradition, die zunehmend in Vergessenheit gerät. An seine Stelle tritt ein innerkirchlicher „Klassenkampf“, der durch den „Synodalen Weg“ getriggert wird. Martin Grünewald weist auf ein neues E-Book hin, das die Initiative „Neuer Anfang“ jetzt herausgibt.

Eine Zweiklassen-Kirche, in der Bischöfe entscheiden und Laien nur beraten, sei nicht zukunftsfähig. Das stand am 23. November in der FAZ online zu lesen. Ja, es gibt nur eine Taufe und Firmung, die alle verbindet, und gewiss keine Zweiklassen-Kirche. Aber es gibt unterschiedliche Zuständigkeiten und seit Jahrzehnten den Konsens, dass sich daran jeder halten sollte.

Es war im Oktober 1989, kurz vor dem Fall der Berliner Mauer. Auf einer internationalen Konferenz sprach Raniero Cantalamessa OFMCap, damals noch kein Kardinal, aber bereits Prediger des Päpstlichen Hauses. Ich erinnere mich noch sehr gut an das Bild, das er seiner Zuhörerschaft vor Augen hielt: Wir, die Laien, seien die Kämpfer an der Front, und sie, die Kleriker, (nur) dazu da, die Laien mit allem, was nötig ist, zu versorgen.

Überrascht Sie dieses Bild? Vielleicht, denn immer wieder ist vom Klassenkampf die Rede – nein, nicht vom Klassenkampf des Karl Marx, sondern vom kirchlichen. So, wie die FAZ es beschreibt. Aber genau diese Frage stellt sich: Läuft die Frontlinie innerkirchlich oder zwischen dem christlichen und weltlichen Handeln?

Gemeinwohl oder Klassenkampf?

Ich befürchte, die Antwort hängt davon ab, was dem Einzelnen eher zusagt. Wer die „Gegner“ eher in den anti-christlichen Kräften unserer Gesellschaft entdeckt, die den Worten und Taten Jesu diametral entgegenstehen, wird darin eine Herausforderung sehen, der sich ein Christ stellen muss. Weil er seinen Glauben, seine Familie, das Aufwachsen seiner Kinder und die sozialen Errungenschaften unserer Gesellschaft schützen möchte. Und am „Gemeinwohl“ interessiert ist. Oder ob man (lieber) die „Gegner“ in den eigenen Reihen vermutet und deshalb zum innerkirchlichen Klassenkampf mobilisiert.

Nun, ich bin noch mit einem Bewusstsein für das Laienapostolat aufgewachsen. In meiner Kirchengemeinde habe ich das nur begrenzt erlebt, zum Beispiel sonntags, wenn der Priester in der Predigt die gesellschaftlichen Entwicklungen anhand der christlichen Botschaft deutete. So richtig ging es los, als ich beim Kolpingwerk Deutschland engagierte Laien kennenlernte. Die hatten nicht nur die Katholische Soziallehre verinnerlicht, sondern waren auch bereit, dafür in Politik und Gesellschaft einzutreten. Der Zusammenschluss in einer großen Organisation bot dazu unendliche Möglichkeiten.

Diesen Geist habe ich auch in den Vollversammlungen des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) erlebt. Das war keine fremde Welt. Da wurden vielmehr die Themen angesprochen, die auch bei Kolping diskutiert wurden: Familien- und Sozialpolitik, Lebensschutz, Gesundheitspolitik und Pflege, Erziehungsgeld und Babyjahre in der Rente zum Beispiel.

Laien für den Weltdienst

In einem Gastbeitrag der Wochenzeitung „Die Zeit – Christ & Welt“ plädierte der damalige ZdK-Generalsekretär Stefan Vesper noch am 23. Februar 2017 für eine „Aufgabenteilung“ (wörtlich!) zwischen Klerus und Laien. Er bat die Bischöfe, sich daran zu halten, dass eben die Laien für den Weltdienst zuständig sind. Und er zitierte meinen Lieblingssatz aus dem Konzilstext „Lumen Gentium“:

„Die Laien sind besonders dazu berufen, die Kirche an jenen Stellen und in den Verhältnissen anwesend und wirksam zu machen, wo die Kirche nur durch sie das Salz der Erde werden kann“ (LG 33).

Weiter schrieb er:

„Es gibt also Stellen, wo nur durch die Laien Kirche anwesend und wirksam wird. Es gibt unzählig viele davon, auch in der Politik. Denn wo, wenn nicht im politischen Geschehen, im Bundestag, in den Landtagen, in Kommunalparlamenten, in Parteien und Fraktionen, in Bürgerinitiativen und Bewegungen braucht es aktive Christinnen und Christen, die sich aus ihrem Glauben heraus für das Gemeinwohl einsetzen.“

Und er erwähnte in dem „Zeit”-Beitrag auch die damals 40 Kolping-Mitglieder im Bundestag.

Der ZdK-Generalsekretär fügte 2017 eine Mahnung an, die heute noch aktueller als damals ist:

„Auch das Zweite Vatikanische Konzil warnt davor, seine eigene Position allzu schnell als eindeutige Folgerung aus der Botschaft des Evangeliums zu sehen. Auf jeden Fall müsse klar bleiben, dass in solchen Fällen niemand das Recht hat, die Autorität der Kirche ausschließlich für sich und seine eigene Meinung in Anspruch zu nehmen.” 

Themenverschiebung

Heute hat sich der Wind ins Gegenteil gedreht. Zwei kurze Beispiele: Rund ein Vierteljahrhundert lang erschienen bis zum Dezember 2022 beim ZdK die „Salzkörner“ – eine Zeitschrift, in der hauptsächlich gesellschaftspolitische Themen bearbeitet wurden. Das Erscheinen dieses Diskussionsforums wurde vom ZdK eingestellt. Die Katholisch-Sozialethische Arbeitsstelle, jahrzehntelang von ZdK und Bischöfen getragen, wurde ebenfalls geschlossen. Auch wer die ZdK-Homepage besucht, entdeckt dort eine Themenverschiebung von gesellschaftspolitischen zu innerkirchlichen Beiträgen. 

Der innerkirchliche Klassenkampf scheint mit dem „Synodalen Weg“ längst eröffnet: Man ringt um Mitsprache zu Kompetenzfeldern, die das Konzil den Bischöfen zuordnet, und um Stimmenanteile in neuen Gremien. Dazu lässt man sich manche Tricksereien einfallen, wie Kardinal Walter Kasper mehrfach öffentlich bestätigte.

Es gibt aber auch eine andere Tradition: Elf Jahre bevor Karl Marx in London das Kommunistische Manifest veröffentlichte, hielt der jüngste Abgeordnete des Badischen Landtages seine erste parlamentarische Rede. Franz Joseph Buß (1803-1878) schrieb Geschichte mit seiner „Fabrikrede“ im Jahr 1837. Sie war die erste sozialpolitische Ansprache in einem deutschen Parlament. Elf Jahre später (1848) wurde Franz Joseph Buß Präsident des ersten Katholikentages.

Miteinander von Klerus und Laien

Das Laienapostolat hat in Deutschland eine lange und großartige Tradition. Und das gelingende Miteinander von Klerus und Laienschaft ebenfalls. Klassenkämpfe kamen nicht darin vor! Jetzt gibt die Initiative „Neuer Anfang“ ein neues E-Book heraus, welches die Entwicklung, das Selbstverständnis und die Chancen des Laienapostolates beschreibt. Der Titel lautet: „Die Laien, die Kirche und die Macht“. Es kann kostenlos hier heruntergeladen werden.


Martin Grünewald
Der Journalist war 36 Jahre lang Chefredakteur des Kolpingblattes/Kolpingmagazins in Köln und schreibt heute für die internationale Nachrichtenagentur CNA. Weitere Infos unter: www.freundschaftmitgott.de
Martin Grünewald ist Mitautor des Buches „Urworte des Evangeliums“.


Copyright: Imago/epd-bild/Kristina Schaefer

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