Maria 2.0 gibt vor, für Frauenrechte einzutreten und zugleich die Mitte der Kirche zu repräsentieren. Dafür müssen sich deren Vertreterinnen eines Kuhhandels im Lebensrecht bedienen und öfter die Seiten wechseln. Bernhard Meuser überführt sie des Seitensprungs und zeigt Alternativen für einen echten Feminismus auf.
Eine Meditation über Maria 2.0 und die Menschenwürde
Als Maria 2.0 Anfang 2019 gegründet wurde, fiel die High-end-Version der Muttergottes vor allem durch feministischen Rabatz – Stichwort: Kirchenstreik – auf. 2023 hatte der Schwung schon merklich nachgelassen. Die älter gewordenen Aktivistinnen setzten nun alles daran, gut katholisch zu erscheinen: „Wir sind ja keine Randgruppe, sondern kommen aus der Mitte der Kirche. Unsere Mitglieder halten vielerorts das Gemeindeleben mit am Laufen. Insofern glaube ich schon, dass bei vielen Bischöfen und Pfarrern angekommen ist: Wenn so die Revoluzzer aussehen – Nonnen, Jugend-, Kommunion- und Firmgruppenleiterinnen, Lektorinnen, alle im Alter von 20 bis 85 Jahren …“ Sind die Damen nun Falken oder Tauben? Mir fällt es jedenfalls schwerer denn je, in ihnen Tauben „ohne Falsch“ (Mt 10,16) zu sehen.
Seit alters her gibt es in der Kirche die correctio fraterna (= die brüderliche Zurechtweisung). Brüder dürfen ihre Brüder, ja sogar ihre Schwestern und Mütter ermahnen, und umgekehrt (worin Maria 2.0 ja gute Übung hat). Woran dürfen wir uns wechselseitig messen? Paulus sagt es:
„Eure Liebe sei ohne Falsch. Verabscheut das Böse, haltet fest am Guten!“ (Röm 12,9)
Eine correctio materna für Maria 2.0
Die Behauptung steht: Ihre Liebe ist falsch. Sie spielen mit dem Bösen. Sie lassen das Gute fallen. Starker Tobak? Nun, – schauen wir hin, was passiert ist!
Zum größten Wohlgefallen nahezu aller liberalen und öffentlich-rechtlichen Medien hatte „Maria 2.0“ am 17. Juli 2025 – also unmittelbar nach Bekanntwerden der Nominierung von Frauke Brosius-Gersdorf – sofort die feministische Flagge gehisst und mit scharfer Munition auf „konservative und rechte Akteure“ geschossen. Die Laienbewegung rückte die Bischöfe Oster und Voderholzer in die Nähe von „Handlangern einer rechten Kampagne“ und warf ihnen Verantwortungslosigkeit und Unglaubwürdigkeit vor. In der Stellungnahme, die allerdings wenige Tage nach ihrer Veröffentlichung im Internet nicht mehr auffindbar war, heißt es: Wer in politische Entscheidungsprozesse eingreife, „ohne die Faktenlage zu prüfen, gefährdet nicht nur den konstruktiven Dialog, sondern auch die Glaubwürdigkeit eigener moralischer Ansprüche.“
Dabei hatten Oster und Voderholzer präzise, schnell und verantwortungsvoll reagiert; sie hatten erkannt, dass die Nominierung von Frau Brosius-Gersdorf als Verfassungsrichterin eine Fehlentscheidung ist:
„Jede Relativierung von Art. 1 GG muss ein Ausschlusskriterium für die Wahl zum Richter oder zur Richterin des Bundesverfassungsgerichts sein. Es darf in Deutschland nie wieder Menschen zweiter Klasse geben.“
Tatsächlich hatten die Bischöfe die Faktenlage geprüft. Maria 2.0 nicht.
Das Kind war in den Brunnen gefallen. Die Medien konnten Headlines in den Äther blasen wie „Katholische Kirche uneins“, oder: „Laien: Unrühmliche Rolle von Bischöfen in Brosius-Gersdorf-Debatte“. Als dann noch die feige Buschrede von Bischof Bätzing und die verunglückten Friedensverhandlungen von Erzbischof Gössl hinzu kamen, war die kommunikative Katastrophe perfekt. Die Tagesschau konnte titeln: „Markige Worte, falsche Vorwürfe und eine Entschuldigung.“ Die Kirche war durch ihre unqualifizierten Lautsprecher, freundlichen Leisetreter und hilflosen Verteidiger blamiert und ins Zwielicht gerückt, ihre Position im Lebensschutz geschwächt. Das kirchliche Zeugnis verlor sein jesuanisches Qualitätssiegel: die Einheit (Joh 17,21).
Das sanft-feministische Abgleiten in die Barbarei
Die wie von Zauberhand verschwundene, übrigens überwiegend von Männern unterzeichnete Stellungnahme von Maria 2.0 – ich lese die Namen: Mechthild Exner-Herforth, Paul Ulbrich, Altfrid Norpoth – zeigt schon im Wording, wes Geistes Kind die Verfasser sind. Da ist dann die Rede von „Schwarz-Weiß-Moral“, „moralischem Druck“, oder „dogmatischer Entmündigung“, was verhindere, dass „offene, faire Debatten“ stattfinden könnten. Ein Wort schiefer als das andere! Moral hat keine andere Funktion als das Gute zu ermöglichen und das Leben zu schützen. Im Lebensschutz gibt es nun einmal nur Leben oder Tod, Schwarz oder Weiß, keine dritte Farbe. Moral wird immer dann zum Druck, wo das Gewissen drückt, sofern man es nicht ausgeschaltet hat. Die Kirche ist „dogmatisch“, solange sie ihren Wahrheitsanspruch aufrechterhält (Gott sei Dank ist „Du sollst nicht töten“ ein Dogma, von dem ich durch Mündigkeit nicht entbunden bin). Die Kirche nimmt auch durchaus keine ergebnisoffene Haltung in Sachen Menschenwürde und Lebensschutz ein. Sie hat Zeugnis zu geben von einer göttlichen Lebensgarantie, nicht mehr und nicht weniger. Die Kirche ist kein Marktteilnehmer der „pluralistischen Gesellschaft“, der sich am Kuhhandel um das Lebensrecht von Kindern beteiligt, um „schwierige Fragen verantwortungsvoll (zu) verhandeln, ohne das Vertrauen in unsere Institutionen und rechtsstaatlichen Verfahren zu beschädigen.“ Unrechtsstaatliche Verfahren kann es offenkundig nicht geben? Ach! Der aufgeklärte Staat hat wohl immer recht. Christliche Anthropologie lebt auch nicht von sorgsam abgewägten, fairen Kompromissen, die sich aus dem fröhlichen Seitenwechsel von Interessenten ergeben, bei dem man sich einmal auf die eine, dann wieder auf die andere Seite schlagen kann.
“Seitensprung” und Quadratur des Kreises
Maria 2.0 zeigte offenherzig, dass man die Seiten gewechselt hat. Die Damen (und mit ihr verbundenen Herren) möchten mit der Zeit gehen und versuchen sich an der Quadratur des Kreises, nämlich alles zu verstehen, nichts Menschliches kategorisch auszuschließen und trotzdem Christen und Christinnen zu sein, – ermutigt von einem ebenso toleranten „Jesus“. Das macht, dass man sie nicht bei der Gehsteigbelästigung aufgreift und auch noch nie beim „Marsch für das Leben“ gesichtet hat. Der/Die das tut, wird vom Feminismus exkommuniziert, der mindestens seit Simone de Beauvoir für die Rechtmäßigkeit von Abtreibungen getrommelt hat. Nur erwünschte Kinder sollen zur Welt kommen. Ich weiß nicht, wie man „Das andere Geschlecht“ lesen kann, ohne den Zynismus zu sehen, mit dem der andere Mensch zur parasitären Wucherung erniedrigt wird: „Der Embryo, der in ihr haust, ist ja nichts wie Fleisch.“ Nun besichtigen wir in Serie, wie postbeauvoiristische Katholik:innen versuchen, das Selbstbestimmungsrecht der Frau mit dem „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen: Mein bist du“ (Jes 43,1) zu kompatibilisieren. Hört auf! Es wird Euch nicht gelingen.
Der Flurschaden ist gewaltig. Das unbedachte Prä von Maria 2.0 für alles, was nach weiblicher Autonomie und Ausweitung der Frauenrechte riecht, trug nicht erst im vorliegenden Fall dazu bei, dass viele Menschen heute unmerklich in ein durch das Christentum längst überwundenes barbarisches Denken zurückfallen und sich sagen: “Man muss doch mit der Zeit gehen. Abtreibung ist nicht so schlimm. Frau Brosius-Gersdorf meint es doch nur gut. Die Bischöfe sind ja wohl von gestern. Natürlich gibt es hin und wieder Fälle, wo man „das“ wegmachen sollte. Die Kirche soll sich nicht so anstellen und endlich die Realitäten zur Kenntnis nehmen.” So reden die Leute.
Ihre Liebe ist falsch. Sie spielen mit dem Bösen. Sie lassen das Gute fallen.
Ihre Liebe ist falsch. Das Beste, das Gott Frauen mitgibt, ist ihre sinnlich-körperliche Nähe zum unausdenkbaren Geheimnis des Lebens, ist die vom Schöpfer in ihre Gene eingeschriebene Zärtlichkeit, mit der sie den anderen Menschen als Frucht ihres Leibes auf natürliche Weise empfangen und willkommen heißen können. Liebe ist Transzendenz – die Fähigkeit, sich selbst auf den Anderen – den geliebten Menschen, das geschenkte Kind, den wahren Gott – hin zu überschreiten. Ein anderes Wort dafür ist: Hingabe. Eine christliche Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass es eine „liebreich“ entfaltete Willkommenskultur für jeden Menschen gibt, den Gott (und nicht die Gynäkologie) zur Welt kommen lässt. Nur in einem solchen Kontext sprechen Christen über „Schwangerschaftskonflikte“. Natürlich gibt es sie in einer Vielzahl menschlicher Dramen. Dabei ist es die große Ehrenrettung des Christlichen, dass sich hier so viele Helfer zum Leben engagieren.
Sie spielen mit dem Bösen. Aus dem falschen Wunsch, sich vom Strom der Gesellschaft und dem aktuellen Standard der Überzeugungen nicht abzukoppeln, flirten sie mit denen, denen es um das Recht auf „reproduktive Selbstbestimmung“ geht und verdrängen, was die Kirche bindend lehrt: dass die Menschenwürde, wie Papst Franziskus betonte, „unabhängig von allen Umständen besteht.“ Deshalb forderte der Papst „alle auf, sie in jedem kulturellen Kontext, in jedem Augenblick des Lebens eines Menschen zu verteidigen, unabhängig von körperlichen, psychologischen, sozialen oder sogar moralischen Mängeln. In dieser Hinsicht versucht die Erklärung zu zeigen, dass wir es mit einer universellen Wahrheit zu tun haben, zu deren Anerkennung wir alle aufgerufen sind, als grundlegende Voraussetzung dafür, dass unsere Gesellschaften wirklich gerecht, friedlich, gesund und letztlich authentisch menschlich seien.“ (Einleitung zu Dignitas infinita)
Sie lassen das Gute fallen. Vor allem den Glauben, das 106.000 Abtreibungen im Jahr 2024 106.000 Abtreibungen zu viel sind. Ich sehe nicht, dass sie dafür kämpfen. Eher für das Gegenteil.
Bernhard Meuser
Jahrgang 1953, ist Theologe, Publizist und renommierter Autor zahlreicher Bestseller (u.a. „Christ sein für Einsteiger“, „Beten, eine Sehnsucht“, „Sternstunden“). Er war Initiator und Mitautor des 2011 erschienenen Jugendkatechismus „Youcat“. In seinem Buch „Freie Liebe – Über neue Sexualmoral“ (Fontis Verlag 2020), formuliert er Ecksteine für eine wirklich erneuerte Sexualmoral. Bernhard Meuser ist Mitherausgeber des Buches “Urworte des Evangeliums”.
Beitragsbild: Hüpfspiel / Adobe Stock / Larisa