Euer Mitbruder Stefan aus Passau hat unter Euch einen schweren Dissens in der Lehre festgestellt. Einer von Euch stellt fest: Da ist ein Papier. Und dieses Papier, das einige von Euch zu verantworten haben, lässt das christliche Bild vom Menschen fallen. Es ersetzt den Glauben durch eine säkulare Ideologie. Martin Brüske fragt: Was sagt Ihr dazu?
Vergesst nicht: Ihr seid zu öffentlichen Zeugen bestellt!
Liebe Bischöfe, vergesst bitte nie: Nach der großen Tradition der Theologie Eures Amtes – zuletzt höchstlehramtlich bezeugt durch das zweite Konzil im Vatikan – seid Ihr nicht als Funktionäre bestellt, sondern als öffentliche Zeugen des Evangeliums. Darauf haben wir armen Gläubigen Anspruch. Als Zeugen-Hirten müsst Ihr uns auf die Weide der Wahrheit des Wortes Gottes führen. Ihr verweigert uns die Nahrung und lasst uns geistlich hungern, ja, manchen lasst Ihr verhungern, wenn ihr uns nicht mit dem authentischen Evangelium nährt. Dann trifft Euch aber der Fluch, den der Prophet Ezechiel über die schlechten Hirten ausgesprochen hat.
Der große Erik Peterson – erinnert Ihr Euch, dass Euer ehemaliger Vorsitzender, Kardinal Karl aus Mainz, auf ihn schwor? Hätte er seine Theologie doch nicht nur in seinen Kopf, sondern in sein Herz gelassen im Angesicht von Missbrauch: er hätte anders gehandelt! – hat diese Öffentlichkeit als eschatologisch bestimmt. Auf Basis der besten Tradition zeigt er: Ihr seid zu Zeugen der Gotteswahrheit bestellt, nicht nur vor den Menschen, sondern vor Gott und den heiligen Engeln. Seid Ihr Euch eigentlich dessen bewusst? Oder haltet Ihr das nur für so frommes Zeugs? Das wäre ein sicheres Anzeichen dafür, dass Euer Glaube schon im Sterben läge. Denn wenn die Botschaft Jesu wahr ist, dann ist Eschatologie der einzige Realismus. Was öffentliche Lüge, aber auch das Verschweigen der Wahrheit bedeutet, das könnt Ihr begreifen, wenn Ihr Euch klar macht: Es geschieht in eschatologischer Öffentlichkeit, es geschieht vor Gott und den Engeln. Und dann hat sich die Manipulation der Wahrheit, die Lüge, aber auch das Schweigen, wo die Bezeugung der Wahrheit kategorisch geboten wäre, schon gerichtet – und eines Tages wird es offenbar werden. Ich frage mich sehr ernst: Wer unter Euch glaubt und weiß das noch? Bei wem ist dieser Glaube schon krank, vielleicht todkrank und bei wem ist er gestorben?
Ein öffentlicher Zeuge
Nun hat einer von Euch öffentlich Zeugnis abgelegt. Er hat erklärt, dass ein Papier, das kirchliche Praxis legitimiert und hinter dem deshalb nichts anderes stehen darf als das Evangelium in Form und Gestalt der verbindlichen Lehrüberlieferung der Kirche, tatsächlich Lehre, Theorie, Weltanschauung enthält – aber eine ganz andere. Nicht das Evangelium, sondern eine säkulare Ideologie. Und er sagt: Diese Ideologie ist unvereinbar mit dem Evangelium. Ich persönlich glaube, Euer Mitbruder Stefan, der der Hirte der Herde Gottes zu Passau an der Donau ist, hat einfach recht. Aber das steht nicht fest. Weder er noch ich sind ja hier unfehlbar. Und keiner von Euch. Nicht allein, auch nicht als Konferenz.
Ihr seid gefordert: Der Dissens muss aufgelöst werden – so oder so
Bischof Stefan fühlte sich als Zeuge verpflichtet, öffentlich zu reden. Egal ob er in der Sache richtig liegt – wovon ich fest überzeugt bin – oder nicht: Er hat pflichtgemäß gehandelt im Sinne seines Amtes. Wie einer handeln muss, der sich als öffentlicher Zeuge durch die Wahrheit des Evangeliums gebunden weiß. Ein solcher Dissens muss aber geklärt werden. Sonst verdunkelt er das Zeugnis des Evangeliums. Es droht im Nebel des Dissenses zu verschwinden. Deshalb haben wir Gläubigen Anspruch auf Klärung. Und: Es geht hier gleichrangig um das Wohl von Kindern. Bischof Stefan – und wieder stimme ich zu – klagt Euch an, dass die Stellungnahme des Papiers zur Transidentität im Blick auf den gegenwärtigen Kenntnisstand absolut unverantwortlich ist. Er sagt damit: Einige von Euch verraten wieder einmal das Wohl von Kindern!
Und es geht hier nicht um offene Fragen, sondern um Themen, zu denen das Evangelium, die Lehrtradition der Kirche und ihr Lehramt in der Sicht von Bischof Stefan – ich teile sie – eindeutig, klar und vor allem verbindlich Stellung genommen hat. Der Bischof von Passau, der überdies Lehrer der Theologie mit akademischer Expertise ist, sagt: Die, die dieses Papier unterstützen, haben mit der christlichen Anthropologie gebrochen. Eine solche Situation darf so nicht bleiben. Sie muss geklärt werden. Wir Gläubigen haben Anspruch darauf, zu wissen, wo Ihr steht! Widerlegt Bischof Stefan, wenn Ihr könnt. Er hat genau und präzise argumentiert. Besonders Heinrich Timmerevers als Vorsitzender der Schulkommission ist hier zwingend gefordert. Oder distanziert Euch in aller Eindeutigkeit von diesem unseligen Schulpapier. Aber Schweigen dürft Ihr nicht mehr: Zeugen, wir warten auf Euer Zeugnis!
Dr. theol. Martin Brüske
Martin Brüske, Dr. theol., geb. 1964 im Rheinland, Studium der Theologie und Philosophie in Bonn, Jerusalem und München. Lange Lehrtätigkeit in Dogmatik und theologischer Propädeutik in Freiburg / Schweiz. Unterrichtet jetzt Ethik am TDS Aarau. Martin Brüske ist Mitherausgeber des Buches “Urworte des Evangeliums”.
Beitragsbild: Christus und die zwölf Apostel

