Wie kann in ein erfülltes Leben noch Jesus hineinpassen? Teil I der „Kanzelpredigt“ von Juliane Uhl, die sich vor einem Jahr taufen ließ, bildet sehr kurzweilig ihre Bekehrungsgeschichte ab. In Teil II berichtet sie von Reaktionen, ihrem Leben in zwei Welten und wie es gelingt, diese zu verschmelzen.

Glückwünsche und „Pfui Daibel!“

In der Apostelgeschichte sagen Petrus und Johannes:  „Wir können unmöglich schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben.“ (Apg 4,20)

So geht es auch mir. Über meine Bekehrung habe ich öffentlich geschrieben und das hat für Wirbel gesorgt. Es gab zwar viele Glückwünsche, aber auch Kommentare wie

  •         „Pfui Daibel“
  •         „Wie verzweifelt bist du, dich so einer Lüge zu unterwerfen?“
  •         Oder „Warum erzählst du das hier? Glauben ist Privatsache.“  

Manche Leser waren richtig empört darüber, dass man überhaupt noch daran denken kann, in die Kirche einzutreten. Und das spaltete sich auf in diejenigen, die die Kirche als männlichen Machtapparat verstanden und diejenigen, die von den Liberalisierungstendenzen des Synodalen Weges genervt waren. 

Und ganz leicht fiel mir der Eintritt in die Kirche auch nicht. Meine neu entdeckte Welt der Heiligen passte selten zu dem, was die katholische Kirche in Deutschland öffentlich präsentiert. Die Ernsthaftigkeit von Maximilian Kolbe und Franz von Assisi kann ich nicht mit dem infantilen Maskottchen des Heiligen Jahres zusammenbringen.  

Und dass ich die Sakramente nur empfangen darf, wenn ich in die Kirche eintrete und dann Geld bezahlen MUSS, lässt mich bis heute an die GEZ denken.

Aber so ist es nun mal im Moment und ich wollte endlich die Kommunion empfangen und dazugehören.

Ich wurde also in der Osternacht 2024 in St. Maria getauft und gefirmt. Es war die längste Nacht meines Lebens und ich erinnere mich nicht an das, was ich gesagt und versprochen habe. Vollendet habe ich meine Taufe erst, als ich im Herbst darauf im Kloster Wettenhausen bei einer Tauferneuerung bewusst JA zu Jesus sagte, ohne viel Publikum.

Leben in zwei Welten

Jetzt bin ich katholisch. Jesus hat mich gerufen, ich habe ihn gehört. Doch ich kann nicht wie die Fischer einfach alles hinter mir lassen und mitgehen. Mein Leben als Ehefrau und Mutter, in einem sinnstiftenden Beruf, will weitergelebt werden. Ich habe meinen Platz, auch wenn mich das Feuer des Glaubens in die Wüste lockt.

Bruder Christian, einer der Trappistenmönche, die 1996 in Algerien von Islamisten getötet wurden, sagte einmal: „Die Blumen auf den Feldern bewegen sich nicht vom Platz. Gott der Vater sorgt dafür, dass sie da befruchtet werden, wo sie stehen.“

Nun, ich stehe in zwei Welten, – mit einem Bein in meinem Alltag und mit dem anderen – vor allem, wenn ich in der Messe bin – im Reich Gottes. Jeden Tag versuche ich, das irgendwie zusammenzubringen. Heilig werden, wie es Kolbe wollte, scheint gar nicht in diese Zeit passt, in der wir so satt und überladen sind. Doch immer mehr erkenne ich, dass unser Mangel die fehlende Stille ist, in der wir Gott begegnen können. Mein Leben ist viel zu voll, da kann kaum Licht rein, geschweige denn raus. Ich muss Platz schaffen.

Jesus hat mich erschüttert und das Verkantete in mir brüchig gemacht. Jetzt ist mein Leben eine Baustelle; ich saniere es, während ich darin wohne. Das ist eine große Aufgabe und ein Ende ist nicht in Sicht. Der heilige Antonius Maria Claret schrieb einmal über die Katechese:

„Bei den Kindern hat man nur die Arbeit zu pflanzen, bei den Erwachsenen muss man ausreißen und pflanzen.“

Es ist mühsam, manchmal sogar schmerzhaft und oft fehlt mir die Lust. Das größte Hindernis ist die Bequemlichkeit, das zweitgrößte die Ablenkung. Es gibt immer etwas Kurzweiligeres als einen Bibeltext und etwas Angenehmeres als die Gewissenserforschung.

Von der Sonntagspflicht zum Rankgitter in den Himmel

Seit meiner Bekehrung war ich jeden Sonntag und oft auch in der Woche noch in der Messe. In jedem Urlaub suche ich nach den Terminen, um die Eucharistie mitfeiern zu können. An meinen ersten Besuch einer Sonntagsmesse erinnere ich mich gut: Der Weihrauch brannte mir in den Augen, die Altarschellen fand ich albern, die Wandlung konnte ich nicht nachvollziehen. Ich wollte das alles verstehen und auch die letzten Unsicherheiten auflösen. Doch trotz vieler Gespräche mit dem Pfarrer habe ich bis heute nicht wirklich viel verstanden.

Irgendwann aber habe ich einfach JA zu den Geheimnissen gesagt. Glaube ist eben auch eine Entscheidung dazu, mit dem Herzen zu verstehen. Die katholische Liturgie hilft mir dabei, in dem sie den ganzen Körper einbindet. Die Texte fordern meinen Verstand, die Musik berührt mein Herz und der Wechsel von Sitzen, Stehen und Knien fordert meine Kraft. Gott will, dass ich wirklich da bin. Die Liturgie ist dabei wie ein Rankgitter, an dem ich zu ihm hinaufwachsen kann und mich im Höhepunkt mit ihm vereinen kann.

Die zwei Welten verschmelzen

Weil sie einheitlich auf der ganzen Welt und über die Zeiten hinweg gefeiert wird, verbindet sie mich mit allen Gläubigen und Heiligen. In der Messe kommen meine beiden Welten zusammen. Besonders dann, wenn ich Jesu Leib in der Eucharistie empfange. Das ist immer noch so geheimnisvoll und ich ärgere mich, wenn ich den innigen Moment des Verschmelzens verpasse, weil ich an irgendwas Banales denke. 

Ich lasse mich zu oft ablenken. Besonders irritiert bin ich, wenn ein Priester nicht bei der Sache ist, wenn Lesungen fehlen, wenn tagespolitische Statements in der Predigt platziert werden. Dann beim Herrn zu bleiben, ist eine große Aufgabe für mich.

Ebenso schwer ist es, mein Gewissen zu erforschen und zur Beichte zu gehen – beides tue ich viel zu selten. Obwohl es so guttut. Die Beichte erspart jeden Therapeuten und teure Bücher aus dem Ratgeberregal.

„Mamas Gottecke“

Um nicht vom Weg abzukommen, habe ich in meinem Haus kleine Anker gesetzt, die mich an Jesus erinnern. Ein Holzkreuz, ein Bild der heiligen Jungfrau und ein Rosenkranz, sogar einen Hausaltar habe ich gebaut. Mamas Gottecke nennen meine Kinder diesen Ort.

Darauf steht auch die Ikone der Freundschaft: Als ich damals auf dem Petersberg war, stand diese in meinem Zimmer. Ich fragte mich, warum gerade diese. Ich brauchte keine Freunde, ich habe immer alles allein geschafft. Meine Abneigung war so intensiv, dass ich die Ikone mitnahm. Nun schaut sie mich jeden Tag an, schaut Jesus mich jeden Tag an und sagt: „Ich bin’s, ich bin dein Freund.“

Als hätte ich eine Affäre

„Und, wie reagiert dein Mann?“ fragen die Menschen als erstes, wenn ich von meiner Bekehrung erzähle. Sie fragen, als hätte ich eine Affäre. So fühlte es sich aber auch tatsächlich manchmal an. Ich war richtig verliebt in Jesus, dachte nur an ihn, wollte immer nur in die Kirche zu ihm und schrieb sogar Gedichte.

Doch im Gegensatz zu einer Affäre konnte ich diese Liebe mit nach Hause bringen. Mein Mann merkte, dass ich entspannter wurde. Die Ehe hat seitdem viel mehr Gewicht für mich und ich habe aufgehört, mich nach einem Besseren umzusehen.

Inzwischen ist zu Hause alles so eingespielt, dass mein Mann mich sonntags, wenn ich noch vor dem Frühstück zur Kirche fahre, nicht mehr fragt: „Schon wieder?“

Der Same ist gesät und geht auf

Ich habe zwei Töchter, die eine 15, die andere fast 11 Jahre alt. Beiden erzählte ich immer wieder von Gott und sie merkten natürlich auch, dass ich ständig in die Kirche ging. Mitgekommen sind sie nur einmal und sie haben sich furchtbar gelangweilt. Aber das ist in Ordnung, sie sollen selbst wählen. Der Same ist gesät.

Die Kleine ist neugierig. Und wenn ich sie zum Lesen animieren will, hat sie die Wahl zwischen einem Lustigen Taschenbuch, Gregs Tagebuch und der Kinderbibel. Sie nimmt immer die Bibel. Manchmal malt sie Bilder mit biblischen Motiven, am liebsten Moses und irgendwas mit Feuer.

Und die Große? Als sie im letzten September aufs Sportinternat ging, schenkte ich ihr eine Kette mit einem kleinen Kreuz. Sie trägt sie immer. Irgendwann saßen wir zusammen im Auto und ich fragte sie ganz beiläufig: „Glaubst du denn eigentlich an Gott?“ Und mit einer großen Selbstverständlichkeit antwortete sie: „Ähm, ja!“.

Als ich meiner Großmutter von meiner Bekehrung erzählte, antwortete sie „Endlich“ und weinte, weil sie das noch erleben durfte.   

Und meine Kollegin sagte nach meiner Taufe: „Na, dann können wir ja endlich ein Kreuz im Büro aufhängen.“ Das taten wir und wir haben monatliche Andachten im Hospiz eingeführt.

Ich arbeite mit Menschen an ihrem Lebensende. Gott hilft mir, die Spannungen auszuhalten und da zu bleiben. Und er ist jetzt auch dabei, wenn ich an die Verstorbenen denke: Dann, wenn ich an einer Straße vorbeifahre, in der mal jemand wohnte, den ich kennenlernen durfte, bekreuzige ich mich und bitte bei Gott für ihn.

In der Spur Jesu und seiner Liebe

Der Glaube an Gott hilft mir, meine Überheblichkeit zu überwinden. Und immer, wenn mir doch jemand auf die Nerven geht, bete ich folgenden Satz: „Bitte Jesus, lass mich in der Spur deiner Liebe bleiben.“

Wenn ich Angst habe, überlasse ich mich Gott. Was auch immer kommen sollte, ich kann es tragen. Jesus hat sein Kreuz bis zum Schluss getragen und sich auch für mich geopfert, da werde ich diese ganz normalen Alltagssorgen ja wohl aushalten. Es gibt keinen Grund zu jammern.

Und doch bin ich immer wieder unzufrieden. Wie gern würde ich ein paar Monate ins Kloster oder in die Wüste gehen, um ganz bei Gott sein zu können. Kein Handy, keine Nachrichten, kein Small Talk – der totale Rückzug von der Welt. Doch immer, wenn ich zur Einkehr fahre, mahnt der Pfarrer: „Aber sie kommen zurück, Frau Uhl, Sie haben eine andere Aufgabe.“ 

Alte und neue Aufgaben und Vorsätze

Ja, mein Mann, meine Töchter, meine Arbeit – das sind meine Pflichten. Hier hat Gott mich hingestellt. Aber so richtig reicht mir das nicht. Vielleicht hätte ich nicht zuerst Maximilian Kolbe lesen sollen. Der hat Zeitungen herausgegeben und gegen die Nazis gekämpft, Teresa von Avila hat Klostergemeinschaften gegründet, Franz von Assisi hat die Armut vorgelebt und Mutter Teresa die Sterbenden gepflegt.

Jeder von ihnen hatte eine heldenhafte Aufgabe. Ich sehne mich nach diesem einen großen Ziel, dem ich mein Leben widmen kann. Aber das ist jetzt nicht dran. Und wie heißt es bei Lukas im Kapitel 16, Vers 10 „Wer in den kleinsten Dingen unzuverlässig ist, der ist es auch in den größten.“

Also mache ich weiter und frage mich, was muss ich tun, um in der Hütte des Herrn zu wohnen. In Psalm 15 heißt es dazu:

Nichts Schlechtes reden:

Ist Ihnen schon mal aufgefallen, wie oft wir schlecht über Menschen reden? Wir ärgern uns über jemanden und erzählen es einem anderen. Wir machen uns lustig. Wir dämonisieren denjenigen, der anderer Meinung ist und wir nehmen es hin, wenn andere das tun. Jeden Tag nehme ich mir vor, da nicht mehr mitzumachen.

Und es heißt außerdem, man soll die Wahrheit reden:

Wahrheit ist so ein riesiger Begriff und seitdem es das Internet gibt, wird alles aufgebläht und zerredet. Egal wie falsch und absurd die Dinge sind, man lässt sie geschehen, weil man tolerant sein will, weil alles toleriert sein will. Woher soll ich wissen, was die Wahrheit ist, wenn mir mindestens zwei sich widersprechende Parteien sagen, dass sie allein diese für sich gepachtet haben?

Was würde Jesus tun?

Jesus sagt im Johannesevangelium: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“ Ist das die Lösung? Muss ich, wenn immer die Wahrheit in Frage steht, darüber nachdenken, was Jesus getan hätte?

Probieren wir es doch mal aus:

  •         Hätte Jesus akzeptiert, dass ungeborenes Leben getötet wird, weil es nicht in die Lebensplanung passt?
  •         Hätte Jesus akzeptiert, dass junge Mädchen Medikamente einnehmen, damit sie keine Frauen werden?
  •         Hätte Jesus sich von Kranken und Sterbenden abgewendet?
  •         Hätte er Menschen, die zu ihm wollen, nach Zertifikaten gefragt?
  •         Hätte er Waffen geliefert, um Frieden zu stiften?
  •         Hätte er auf Menschen gezeigt und gesagt, mit denen rede ich nicht, die sind die Bösen?
  •         Hätte Jesus geschwiegen, damit er nicht aneckt?

Sie sehen schon: Das Leben mit Jesus macht nichts leichter, wenn die Antworten, die er gibt, nicht dem Zeitgeist entsprechen. Aber so war es schon immer. Jesus entsprach nie dem Zeitgeist.

 „Das wüsste ich auch gern!“

Wenn es unbequem wird, spreche ich mit Jesus. Und manchmal kann ich ihn tatsächlich hören – glaube ich. Ich fragte mal eine Dominikanerin, wie ich unterscheiden kann, ob es Jesus ist, der mir etwas eingibt, oder mein eigenes Wollen. Sie lachte und sagte: „Das wüsste ich auch gern!“ Aber im Grunde ist auch egal, woher es kommt, wenn es zu etwas führt, das ihm gefällt. Denn was Jesus gefällt, ist gut.

Mehr Platz für Gott

Vor zwei Jahren hat sich Gott mir offenbart, in einer katholischen Kirche in Mitteldeutschland. Umkehr bedeutet, immer wieder zu Gott zurück zu kommen. Das kann ich in Kirchen, im Austausch mit Geistlichen, im Lesen und Schreiben und im Gebet. Dort werde ich belehrt, gefordert und gestärkt. Und dann kann ich wieder raus an meinen Platz.

Ich lebe gar nicht in zwei Welten, sondern im Heute, das Risse bekommen hat, durch die das Reich Gottes scheint. Und ich wünsche mir, dass dieses Licht noch größer wird, dass in meinem Leben mehr Platz für Gott ist.

Wenn Sie mich fragen, wie ich es mit dem Glauben halte, dann will ich Ihnen mit einem Zitat von Schwester Clara aus Bautzen antworten. Als ich sie fragte, was ich denn nun tun solle, sagte sie:

„Jeder Moment ist der Ernstfall der Nachfolge.“

Vielleicht ist genau das die Heldentat, die er von mir verlangt.


Juliane Uhl
Jahrgang 1980 – geboren, aufgewachsen und geblieben im Osten der Republik: Seit mehr als zehn Jahren beschäftigt sie sich beruflich mit dem Lebensende, schrieb ein Buch über den Umgang unserer Gesellschaft mit dem Tod und leitet heute einen ambulanten Hospizdienst. Die Autorin ist verheiratet und Mutter von zwei Töchtern.


Beitragsbild: Juliane Uhl (Quelle: privat)

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