Nach langer Zeit des „Gott Zerdenkens“ entscheidet sich Juliane Uhl für ein Leben mit Gott. Wie ihr Leben ohne Gott zuvor verlief, von ihrer Wandlung und warum sie sich vor genau einem Jahr taufen ließ, erzählte sie in der Kirche ihrer Kindheitstage, St. Maria in Köthen (Anhalt), am 9. März 2025. Sie nennt es selbst „Kanzelpredigt“.
Ich will mich kurz vorstellen: Ich bin Juliane Uhl, Ehefrau, Mutter, Autorin, Leiterin eines ambulanten Hospizdienstes und seit letztem Jahr Konvertitin. Konvertieren, so dachte ich, kann man nur von einem Glauben in einen anderen. Ich jedoch komme aus dem Nicht-Glauben. Doch das Wort konvertieren bedeutet umwandeln. Ich möchte Ihnen heute von meiner Wandlung erzählen, die vor Jahren begann und bisher nicht endete.
Dies ist meine Antwort auf die Frage: Wie hältst du´s mit dem Glauben?
Schlüsselszene
Vor einigen Jahren saß ich mit einigen Leuten in einem Berliner Restaurant. Alle stellten sich vor. Und das ging so: „Ich heiße Tammy und bin katholisch.“, „Ich heiße Jan und bin katholisch“, „Ich heiße Christoph und bin evangelisch“ und so weiter.
Ich saß am Tisch mit Bestsellerautor Jordan Peterson, seiner tiefgläubigen Frau, einem ehemaligen Mitarbeiter von YouCat, einem Mann, der rosenkranzbetend durch Berlin zieht und für Christus demonstriert und anderen Gläubigen. Als ich an der Reihe war, sagte ich: „Ich heiße Juliane, arbeite in einem Krematorium und bin nichts.“
Auf dem Weg zum Temprodrom, wo Peterson einen Vortrag halten sollte, riet mir einer seiner Freunde, genau hinzuhören, wenn ich auf der Suche nach Jesus sei. Denn wenn ich ganz still sei, würde ich ihn hören können. Ich lief neben ihm her, betrachtete die grellen Lichter der Stadt und dachte „Ja, ist klar!“
Diese Episode ist fast drei Jahre her. Jordan Peterson hat inzwischen ein Buch über Gott geschrieben, und ich stehe als Konvertitin auf der Kanzel einer katholischen Kirche. Wie konnte es dazu kommen?
Mein Leben ohne Gott
Bis ich 15 Jahre alt war, wuchs ich ziemlich gottlos in einer mitteldeutschen Kleinstadt auf, in der Religion kaum eine Rolle spielte. Was nicht verwunderlich ist, da diese Stadt bis 1990 Teil der DDR war. In meiner Schule gab es ein paar Kinder, die zum Firmunterricht gingen, ansonsten hatte ich keine Berührung mit dem Katholischen. Ich kannte nur den evangelischen Glauben meiner Tante und meiner Großmutter.
Wenn ich sie als Teenager in die Kirche begleitete, machte ich mich über die glaubenden Menschen lustig. Ich blieb sitzen, wenn sie sich erhoben, ich sang nicht mit, ich kicherte viel. Ja, ich war davon überzeugt, klüger als diese Leute zu sein, die zu einen Mann mit weißem Bart im Himmel beteten, den sie „lieber Gott“ nannten.
Öffentlich konnte ich das nicht ernstnehmen, aber eigentlich beneidete ich sie um ihren Glauben, um den Vater, der immer für sie da war. Vielleicht machte der Neid mich zum Spötter.
Als 2009 das Buch Die Hütte in Deutschland erschien, wagte ich mich zum ersten Mal intellektuell an das Thema heran. Aber am Ende zerdachte ich Gott und packte ihn wieder in das Regal zu den Dingen, die nicht sein können. Es waren einfach zu viele Fragen offen.
Ich las dann lieber ein Buch über Kirchenkritik und kam mir unheimlich schlau vor, weil ich etwas zerlegen konnte, was anderen gut tat. Irgendwas sträubte sich in mir und da ich Gott nicht fassen konnte, wollte ich ihn stören.
Gott spielte weiterhin keine wirkliche Rolle in meinem Leben, nur mal ganz kurz, als meine zweijährige Tochter verschwunden war. Da – als ich wirklich Angst hatte – betete ich. „bitte mach, dass ihr nichts geschieht“. Dafür war er gut genug für mich. Heute weiß ich, dass es so nicht funktioniert. Das Kind ist wieder aufgetaucht. Sie hatte nur mit dem Bobbycar eine Runde gedreht.
Wissen Sie, was wirklich verrückt ist? Ich habe neun Jahre Öffentlichkeitsarbeit in einem Krematorium gemacht und seit 2017 bin ich schon nebenberuflich im Hospizdienst. Ich habe mich wirklich intensiv mit dem Tod auseinandergesetzt. Sogar ein Buch habe ich geschrieben. Aber Gott gab es in meiner Auseinandersetzung mit dem Tod einfach nicht.
Das große Heulen
Das Krematorium verließ ich Ende 2021 und ich ging ganz in den Hospizdienst. Vor zwei Jahren nahm ich aber einen Nebenjob an und dieser führte mich zurück nach Köthen, in die Stadt, in der ich meine Kindheit verbracht habe und in der ich zur Schule ging, bevor ich nach dem Abitur nach Halle (Saale) zog. Mein Büro befand sich direkt da drüben im Prinzessinnenhaus. Jeden Tag konnte ich die Glocken von St. Maria hören, jeden Tag die Kirche von meinem Schreibtisch aus sehen. Ich war also schon ziemlich nah dran. Irgendwer erzählte mir dann von diesem katholischen Pfarrer, der mit Soutane herumläuft und der sehr konservativ ist. Das fand ich interessant, da mein Bild der Kirche von immer mehr Liberalität und Anpassung an den Zeitgeist geprägt war. Ich mag den Zeitgeist nicht so sehr. Er ist flüchtig und kann sehr destruktiv werden. Hier also ging es konservativ zu. Das wollte ich mir ansehen.
Also ging ich an einem Dienstag zum ersten Mal durch die Pforte und nahm in der Bank Platz. Ich wollte nur mal schauen. Nichts weiter. Und damit mein Kopf nicht gleich wieder alles zerlegt, hatte ich mir eine Frage nach meiner Zukunft mitgenommen. Ich wollte Hilfe bei der Entscheidung, ob ich mit dem Schreiben weitermachen solle.
Seit einigen Jahren kommentiere ich das Zeitgeschehen und diese Texte hatten mir schon einigen Ärger eingebracht, weil ich nicht immer das denke, was man gerade so denken sollte. Ich suchte damals nach einem Hinweis darauf, ob ich weitermachen oder mein Talent zur Sicherheit lieber vergraben sollte.
Gott antwortete mir in aller Deutlichkeit mit einer Stelle aus dem Matthäusevangelium „Denn die Pforte ist eng und der Weg ist schmal, der zum Leben führt.“ Und im Lied „Hilf Herr meines Lebens, […]“ sagte er mir, dass ich zu etwas da bin, dass ich gebraucht werde und dass das gut sei, was ich tue.
Da war es vorbei mit mir. Nein, eigentlich fing es erst an.
Ich weinte heftig, alle Schleusen öffneten sich und ich hatte keine Kontrolle mehr. Die beiden Papiertaschentücher, die ich vorsorglich eingesteckt hatte, konnten nicht fassen, was da aus mir rauskam.
Es war keine Trauer und keine Angst, kein greifbarer Schmerz. Es war eine Erlösung, wie ein Dammbruch, der alles aus mir schwemmte, was nicht in mir sein soll. Es fühlte sich an, als hätte Gott mein Herz mit seinem Finger berührt und es weich gemacht. Mein rastloses hartes Herz …
Ich sank immer tiefer in die Bank und versuchte, nicht aufzufallen. Das war natürlich unmöglich in dieser fast leeren Kirche, vor allem, weil ich mich anhörte wie eine Ertrinkende. Der Pfarrer teilte die Kommunion aus und kam dann direkt zu mir. Er blickte auf mich hinab und fragte, ob er mich segnen dürfe. Ich schluchzte, nickte und senkte meinen Kopf.
Nach einer halben Stunde war die Messe vorbei und mein Arbeitstag begann. Ich war völlig fertig, erschlagen und ausgelaugt. Doch am nächsten Tag kam ich wieder. Und wieder und wieder. Ich ließ mich auf Gott und die Kirche ein, hörte zu, ahmte nach und fragte viel.
Bekehrung schafft Verantwortung vor Gott
Doch im Gegensatz zu früher, als ich lieber zweifelte als zu glauben, suchte ich nicht mehr nach Beweisen für seine Nicht-Existenz, sondern nach Orten, Texten und Menschen, die mich ihm näherbrachten.
Und immer fragte ich mich: Warum? Warum hat er mich gerufen, warum jetzt noch, was ist meine Aufgabe, was soll ich tun?
Irgendwann bei einem Spaziergang kam mir ein Satz in den Kopf: „Du musst auf einen hohen Berg“. Also fuhr ich auf den höchsten Berg in der Gegend, auf den Petersberg in ein evangelisches Kloster.
Ich las dort alles, was ich in die Hände bekam und Zweifel regte sich in mir. Was, wenn ich Gott wieder zerdenke? Also sprach ich mit einer Schwester und sie sagte mir: „Es gehört beides dazu, Verstand und Gefühl.“ Glaube ist also auch was für kluge Menschen. Mir begegnet ja tatsächlich oft das Urteil, dass Religion nur etwas für Menschen ist, die zu schwach für die Realität sind.
Aus eigener Erfahrung kann ich jedoch sagen, mit Jesus ist das Leben eher anstrengender. Ich kann nicht mehr einfach mitschwimmen, ich habe Verantwortung vor Gott – und zwar jetzt und nicht irgendwann.
Eine neue Welt öffnete sich
Am Anfang las ich viele Bücher über Heilige. Begonnen habe ich mit Maximilian Kolbe. Als ich las, dass er heilig werden wollte, war ich empört und inspiriert zugleich. Ich empfand den Anspruch, heilig werden zu wollen, als eine Anmaßung. Dabei ist das doch Christenaufgabe. Ich mochte Kolbe, weil er ein Schreibender war. Und ich dachte, dass ein solch starker Glauben nicht schaden kann, wenn die Zeiten wieder schlimmer werden.
Danach beschäftigte ich mich mit Franz von Assisi, der radikal alles aufgegeben hat. Ich las die Geschichte von König David und seiner Vorbestimmung, und von der Zielstrebigkeit Teresa von Avilas.
All das eröffnete mir eine Welt, in die ich immer tiefer eintauchen wollte. Da wollte ich mich hin verwandeln. Ich wollte auch neu anfangen, mein Boot einholen und Jesus folgen, wie es Simon und die anderen getan hatten.
Aber ich fand keinen Einstieg, keine große Aufgabe. Ich musste nichts leiden, nichts fiel mir wirklich schwer. Bis heute frage ich mich: Wo ist mein Kreuz?
Gott wringt mich aus wie einen Schwamm
Es zog mich von Anfang an ins Kloster, an diesen Ort der Stille. Meine Suche führte mich nach Bautzen zu den Klarissen der ewigen Anbetung. Ich saß dort Ewigkeiten in der Kirche und betete mit den Schwestern. Ich blieb allein beim ausgesetzten Allerheiligsten und starrte angestrengt auf die Monstranz, mit der ich nichts anfangen konnte. Ein Stück Gebackenes in einer goldenen Sonne. Das sollte Jesus sein? Das konnte ich nicht fassen und je mehr ich mich bemühte, desto weniger fand ich eine Verbindung. Der Rücken tat mir weh und ich hatte Kopfschmerzen. „Ganz normal“ sagte die Äbtissin Schwester Clara zu mir. „Da wehrt sich was.“
Und irgendwas ist dann doch passiert, denn als ich allein beim Essen saß, brach alles auf und Gott überschwemmte mich. Wieder weinte ich heftig.
Das kommt immer wieder mal vor, besonders, wenn ich im Kloster bin – so ganz in dieser anderen Welt. Dann wringt mich Gott aus wie einen Schwamm und lässt mich erst wieder los, wenn ich ganz leer und erschöpft bin. Ja, so fühlt es sich an. So gut fühlt es sich an.
Juliane Uhl
Jahrgang 1980 – geboren, aufgewachsen und geblieben im Osten der Republik: Seit mehr als zehn Jahren beschäftigt sie sich beruflich mit dem Lebensende, schrieb ein Buch über den Umgang unserer Gesellschaft mit dem Tod und leitet heute einen ambulanten Hospizdienst. Die Autorin ist verheiratet und Mutter von zwei Töchtern.
Beitragsbild: Juliane Uhl (Quelle: privat)