Am Sonntag haben die Wähler das Wort und werden als Souverän nach ihren eigenen Prämissen entscheiden. Bis dahin versuchen allerhand Lobbyisten Einfluss auf die Wähler zu nehmen, die unentschlossen in ihrer Wahlentscheidung und zerrissen wie nie zuvor sind. Stephan Raabe analysiert die Einflussnahme der Kirchen, insbesondere des ZdK, und fragt dabei nach dem Verhältnis von Kirche und Politik im Licht der katholischen Soziallehre.

Mitten im Wahlkampf zur Bundestagswahl am 23. Februar 2023, bei der die politischen Weichen für unser Land neu gestellt werden, hat die von den katholischen Bischöfen nicht autorisierte, von den kirchlichen Verbindungsbüros in Berlin ausgehende Kritik „der Kirchen“ an den Vorschlägen der Union zur Migrationspolitik[1] nach den furchtbaren Terrorattacken von Magdeburg und Aschaffenburg für Aufsehen erregt.  Die darauffolgende Philippika der Vorsitzenden des katholischen Zentralkomitees (ZdK) Irme Stetter-Karp gegen die Unionsparteien[2], die zum Austritt der früheren CDU-Vorsitzenden und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer aus dem Gemium geführt hat[3], löste zudem eine grundsätzliche Debatte über die politische Rolle von Kirchen und Kirchengremien wie dem ZdK aus.

Politisiertes Kirchenportal, uneinige Bischöfe

Im Internetforum der deutschen Bischofskonferenz katholisch.de fanden sich daraufhin folgende Standpunkte und Schlagzeilen:

Für Christen wird es immer schwerer, die CDU von Merz zu wählen“ (29.1.); „Brandbrief zu Unions-Plänen – Die Kirche kann es doch noch“ (31.1.); „Das Einmischen der Kirchen war konsequent und richtig“ (3.2.); „Es braucht kirchliche Gegenrede – gerade im Wahlkampf“ (4.2.); „Söders Mahn- und Drohworte an die Kirche sind anmaßend“ (14.2.). Schon zuvor wurde dort gefragt: „Wo ist die christliche Grundorientierung der Unionsparteien?“ und eine Pflicht für Christen zum Widerspruch gegen Politiker der Union propagiert (7.1.).[4]

Dieser „christlichen Pflicht“ kommt das Portal der Bischofskonferenz offensichtlich in schöner Einseitigkeit konsequent nach. Es gibt keinen einzigen Standpunkt, der eine andere politische Perspektive einbrächte und auf die Gründe der Christdemokraten zumindest einmal einginge. Den Höhepunkt stellten die Ausführungen eines Sozialethikers aus Tübingen dar, der „nach den AfD-Stimmen für den Unions-Gesetzentwurf“ dazu aufrief, das „Tor zur Hölle“ (sic!) zu schließen und statt Mehrheitsdemokratie eine Art Konsensdemokratie in einem Block der guten Demokraten zu betreiben – die Diskursethik lässt grüßen.[5]

Ist es aber Aufgabe eines Portals der Bischofskonferenz, eine derartige politische Polarisierung – noch dazu mitten in einem Wahlkampf – zu betreiben? Nehmen die Bischöfe und Verantwortlichen in der Bischofskonferenz nicht wahr, in welcher einseitigen Weise dort politisch agitiert wird oder ist das vielleicht sogar die „politische Linie“ der Bischöfe? Dagegen spricht der Bericht der Katholischen Nachrichtenagentur: „Katholische Kirche uneins über Kritik an Migrationspolitik der Union“ (29.1.), indem es heißt: es sei

die mehrheitliche Meinung im Ständigen Rat der Bischofskonferenz Anfang der Woche in Würzburg gewesen …, in der aktuellen Situation nicht öffentlich in den Wahlkampf einzugreifen.

Eine kluge Mehrheitsentscheidung. Wie es in der Bischofskonferenz diesbezüglich aussieht, macht der Regensburger Bischof und frühere Dogmatik-Professor Rudolf Vorderholzer deutlich, indem er verärgert über das Vorgehen des Berliner Katholischen Büros zu Protokoll gibt.

Ich distanziere mich in aller Form davon. Leider kann die DBK nicht mehr mit einer Stimme sprechen, wie es das Papier vorgibt.[6]

Derweil politisiert katholisch.de munter weiter und der Kanzlerkandidat der SPD, der nicht einmal dem Gottesbezug im Amtseid für sich eine Bedeutung beimisst, propagiert im Bundestag mit Bezug auf den kirchlichen „Brandbrief“ zweier politischer Prälaten genüsslich, aber sachlich falsch:

Die Kirchen haben vor Ihren Vorschlägen gewarnt, Herr Merz![7]

Legitimer politischer Pluralismus auch in der Kirche

Wie verhält es sich aber grundsätzlich mit dem Verhältnis von Kirche und Politik? Den Rahmen dafür gibt in der katholischen Kirche das Zweite Vatikanische Konzil in seiner Pastoralkonstitution Gaudium et spes“ (Glaube und Hoffnung, 1965) vor.[8] Dort heißt es zum einen im ersten Hauptteil im vierten Kapitel über „Die Aufgabe der Kirche in der Welt von heute“ in Nr. 43:

Die Laien sind eigentlich, wenn auch nicht ausschließlich, zuständig für die weltlichen Aufgaben und Tätigkeiten. … Aufgabe ihres dazu von vornherein richtig geschulten Gewissens ist es, das Gebot Gottes im Leben der profanen Gesellschaft zur Geltung zu bringen. Von den Priestern aber dürfen die Laien Licht und geistliche Kraft erwarten. Sie mögen aber nicht meinen, ihre Seelsorger seien immer in dem Grade kompetent, dass sie in jeder, zuweilen auch schweren Frage, die gerade auftaucht, eine konkrete Lösung schon fertig haben könnten oder die Sendung dazu hätten. Die Laien selbst sollen vielmehr im Licht christlicher Weisheit und unter Berücksichtigung der Lehre des kirchlichen Lehramtes darin ihre eigene Aufgabe wahrnehmen. Oftmals wird gerade eine christliche Schau der Dinge ihnen eine bestimmte Lösung in einer konkreten Situation nahelegen. Aber andere Christen werden vielleicht, wie es häufiger, und zwar legitim, der Fall ist, bei gleicher Gewissenhaftigkeit in der gleichen Frage zu einem anderen Urteil kommen. Wenn dann die beiderseitigen Lösungen, auch gegen den Willen der Parteien, von vielen andern sehr leicht als eindeutige Folgerung aus der Botschaft des Evangeliums betrachtet werden, so müsste doch klar bleiben, dass in solchen Fällen niemand das Recht hat, die Autorität der Kirche ausschließlich für sich und seine eigene Meinung in Anspruch zu nehmen. Immer aber sollen sie in einem offenen Dialog sich gegenseitig zur Klärung der Frage zu helfen suchen; dabei sollen sie die gegenseitige Liebe bewahren und vor allem auf das Gemeinwohl bedacht sein.

Dies ist ein Schlüsseltext mit Blick auf die Politik und die legitime politische Pluralität in der Demokratie. Er sagt klar: die Politik als „weltliche Aufgabe“ ist primär Sache der Laien, nicht der Kleriker oder „politischer Prälaten“, wie noch in der Weimarer Republik; diese haben gemeinhin weder die Kompetenz noch die Sendung, Lösungen für politische Fragen vorzugeben; darum müssen sich die Laien bemühen und können dabei legitimerweise zu unterschiedlichen politischen Urteilen kommen; wenn dem so ist, hat „niemand das Recht“, die „Botschaft des Evangeliums“ oder die „Autorität der Kirche“ nur für seine Meinung zu reklamieren; politische Meinungsverschiedenheiten sollen unter Katholiken mit Blick auf das Gemeinwohl im „Dialog“ und in „gegenseitiger Liebe“ behandelt werden, sie sollen also gerade nicht zu politischer Agitation und Abkanzelung in der Kirche und durch die Kirche führen. Mit dieser Grundorientierung soll ein Integralismus verhindert werden, der eine Zuständigkeit oder sogar einen Führungsanspruch der Kirche in politischen Fragen beansprucht – der alte Streit zwischen „Thron und Altar“. Zugleich soll vermieden werden, dass die Kirche einseitig politisiert und in Wahlkämpfe hineingezogen wird, die die Gläubigen spalten, was aktuell leider zum Teil der Fall ist.

Schutz der Menschenwürde und Grundrechte

Das ist die eine Seite: politischer Pluralismus und Kompetenzabgrenzung. Zum anderen heißt es aber im zweiten Hauptteil von „Gaudium et spes“ über „Wichtigere Einzelfragen“ in Kapitel vier, wo es um „Das Leben in der politischen Gemeinschaft“ geht, in Nr. 76:

Zwar müsse „klar unterschieden“ werden“ zwischen dem, „was die Christen als Einzelne oder im Verbund im eigenen Namen als Staatsbürger“, „und dem, was sie im Namen der Kirche zusammen mit ihren Hirten tun“; und die Kirche dürfe auch „in keiner Weise hinsichtlich ihrer Aufgabe und Zuständigkeit mit der politischen Gemeinschaft verwechselt werden“. „Immer und überall aber nimmt sie das Recht in Anspruch, in wahrer Freiheit den Glauben zu verkünden, ihre Soziallehre kundzumachen, ihren Auftrag unter den Menschen unbehindert zu erfüllen und auch politische Angelegenheiten einer sittlichen Beurteilung zu unterstellen, wenn die Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen es verlangen.

Geht es also um Menschenwürde, Grundrechte und das Seelenheil, dann wird und muss sich die Kirche mit ihrer ethischen Beurteilung in die Politik einschalten.

Es ist wichtig wahrzunehmen, dass dieser Rahmen für das Verhältnis von Kirche und Politik nicht nur für die geistlichen Amtsträger der Kirche gilt, sondern gleichermaßen für die Laien, die in Räten, Verbänden oder im „Zentralkomitee der deutschen Katholiken“ vertreten sind, das sich als Sprecherin einer katholischen Zivilgesellschaft versteht. Verstünden diese sich als politische pressuregroups für diese oder jene Politik, respektierten sie nicht die legitime politische Pluralität und betrieben politische Agitation zumal in einem Wahlkampf, überschritten sie die vom Kirchenkonzil vorgegebenen Grenzen der politischen Kultur in der katholischen Kirche, es sei denn, „die Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen“ verlangten dies ausdrücklich. Ob dies der Fall ist oder nicht, dafür gibt es in der Lehre und im Recht der Kirche, insbesondere in der katholischen Soziallehre, Kriterien, die man kennen sollte, wenn man sich auf diesen Notstand beruft.

Das ZdK und die Grenzen der politischen Kultur

Das ZdK, dem noch immer einige führende Politiker aus CDU/CSU angehören und das über ein halbes Jahrhundert von Unionspolitikern angeführt wurde, hat nun im Wahlkampf verlautbart: „Die Union überschreitet Grenzen der politischen Kultur“. Die keineswegs maßvollen „Schlagworte“ lauten: „Tabubruch in der Migrationspolitik“, „keine Problemlösung“, „Anti-Integrationskampagne“, „populistische Botschaft“, „Versprechens-Bruch“, „Verletzung der Menschenwürde und Menschenrechte“, „Missachtung des Grundgesetzes“, „Verletzung von Richtlinien der EU und von europäischem Recht“, „kein Interesse an einem besseren Miteinander“, „Effekthascherei“, „Pauschalabkehr vom Asylrecht“.[9] Wortwahl und Tonlage zeigen die „Empörung“, mit der vor allem die Vorsitzende des ZdK, Stetter-Karp, eine Sozialarbeiterin und Pädagogin, die ehemals die Caritas in der Diözese Rottenburg-Stuttgart leitete, politisch zu Felde zieht.[10]

Das ZdK hat offensichtlich eine ganz und gar eigene Vorstellung von einem „sachlichen Dialog“ in „gegenseitiger Liebe“, wenn es um politisch legitime Meinungsunterschiede geht, wobei in der eigenen Wahrnehmung der kirchlichen Funktionsträger im ZdK – wie unschwer zu erkennen ist – die Vorschläge der Union eben gänzlich illegitim erscheinen. Damit setzt sich das kirchliche Gremium aber selbst dem Vorwurf aus, die Grenzen der politischen Kultur in Kirche und Gesellschaft zu überschreiten, das Zweite Vatikanische Konzil zu missachten, polemischen Wahlkampf zu führen und die Kirche zu spalten. Das politische Ziel des ZdK ist es dabei laut eigener Verlautbarung, in der Migrationspolitik den Paradigmenwechsel von einem “Wir-schaffen-das” zu einem „Wir-ändern-das“ zu verhindern. Diese Verhinderung wird als ein „Muss“, eine „conditio sine qua non“ qualifiziert, auch wenn es seit geraumer Zeit auf allen politischen Ebenen parteiübergreifend die klare Einschätzung gibt, wir schaffen das nicht, wenn es so weitergeht wie bisher und die gravierenden Probleme nicht besser gelöst werden, was nicht zuletzt ein politisches Konjunkturprogramm für Randparteien wie AfD und BSW ist.

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, einer der führenden Qualitätszeitungen, wurde die Verlautbarung des ZdK von Daniel Deckers mit folgenden Begriffen auf den Punkt gebracht: „pharisäerhaft“, „schamlos“, „Lobby für realitätsblinde Hypermoral“, „Totengräber des politischen Katholizismus“, „Gesinnungsethik“.[11] Es spricht für die Bunkermentalität im „Zentralkomitee“, dass trotz heftiger Kritik an dessen einseitiger Politisierung und Polarisierung und dem Fanal des Austritts von Frau Kramp-Karrenbauer, keiner auf die Idee gekommen ist, den Rücktritt der Vorsitzenden und des Präsidiums zu fordern oder zumindest mal ein selbstkritisches Innehalten. Nachdem das ZdK es in den letzten Jahren im Verbund mit der Mehrheit der Bischöfe geschafft hat, einen grundsätzlichen Konflikt mit dem Papst, mit Rom und einer Vielzahl von Bischöfen weltweit zu verursachen, der die Kirche in Deutschland vor eine Zerreißprobe stellt, spaltet es jetzt den Katholizismus durch seine einseitige politische Agitation.

Legitimer Pluralismus in der Migrationspolitik

Selbstverständlich kann und muss über die Migrationspolitik gestritten werden und müssen sich auch die Unionsparteien der kritischen Debatte stellen. Aber zu behaupten, die Vorschläge der Union seien mit den Werten der katholischen Kirche, mit Menschenwürde und Menschenrechten etc. nicht vereinbar, ist politisch wie sozialethisch falsch, es sei denn, das ZdK qualifiziert sich als links-grüne Vorfeldorganisation, die deren polemische Stereotype bedient – wie in diesem Fall, was wiederum mit dem Status „katholisch“ unvereinbar wäre.

Einer sachlichen Prüfung halten diese Vorwürfe nicht stand. Dann wäre das ZdK in der Beweispflicht darzulegen, warum seine maßlose Philippika gegen die Vorschläge der Unionsparteien, die laut Umfragen eine sehr große Mehrheit der Bürger grosso modo für notwendig halten, mehr als eine parteiische Polemik ist. Das betrifft konkret die Forderungen der Union unter ihrem katholischen Kanzlerkandidaten Friedrich Merz:

  • das Ziel der Begrenzung der Migration, wie es bis 18. November 2023 im Aufenthaltsgesetz stand, bevor es die Ampel-Regierung gestrichen hat, dort wieder aufzunehmen angesichts von rund 1,8 Millionen Migranten aus Drittstaaten (nicht EU) und der Ukraine seit Anfang 2022, die die Integrationskapazitäten Deutschlands massiv überlasten;
  • den Familiennachzug für subsidiär, also nur vorübergehend Schutzbedürftige, bis auf weiteres auszusetzen, wie das bereits von 2016 bis 2018 der Fall war und danach begrenzt weiter geschehen ist;
  • für eine konsequente Durchsetzung vor allem der „vollziehbaren Ausreisepflicht“ zu sorgen und dabei die Bundesländer mehr zu unterstützen;
  • der Bundespolizei auch die Möglichkeit zur Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen zu geben, um die Ausreisepflicht von 226.882 Personen (Stand 6/2024) besser durchsetzen zu können; aktuell werden nur rund 8 % der Ausreisepflichtigen abgeschoben, weshalb die Zahl der Ausreisepflichtigen ständig in hohem Maße steigt.

Grenzkontrollen und Zurückweisungen an den Grenzen, lange von Rot-Grün abgelehnt und auch auf massiven Druck der Bundesländer und Kommunen durchgesetzt, finden bereits seit einiger Zeit rechtmäßig und erfolgreich statt. Hier hatten die Unionsparteien mit einer parlamentarischen Mehrheit von FDP, AFD und BSW die Regierung am 28. Januar 2025 in einem Entschließungsantrag aufgefordert:

  • bis auf weiteres dauerhaft Grenzkontrollen durchzuführen;
  • konsequent „illegale Einreisen“ aus Drittstaaten zu unterbinden, vor allen bei jenen Personen, die in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder des Schengen-Raums bereits Aufnahme gefunden haben oder einen Asylantrag in dem Staat, aus dem sie einreisen, stellen können;
  • vollziehbar Ausreisepflichtige“ in Haft zu nehmen, um den rechtlichen Vollzug besser als bisher zu ermöglichen;
  • eine Verschärfung des Aufenthaltsrechts für ausreisepflichtige Straftäter und Gefährder vorzunehmen.[12]

Über alle diese Fragen kann man mit Fug und Recht streiten. Nur daraus alarmistisch und empört den Bruch des Grundgesetzes sowie von Europarecht und die Verletzung von Menschenrechten und Menschenwürde abzuleiten, ist für das ZdK kein Ausweis politischer Kompetenz und Verantwortung. Es maßt sich vielmehr das an, wovor das Zweite Vatikanische Konzil gewarnt hat, in politisch schwierigen Fragen vermeintlich eindeutige Folgerungen aus dem Evangelium zu ziehen und anderen Moral und Recht abzusprechen. Das ZdK kann höchstens Folgerungen aus eigenen Beschlusslagen ziehen und sachlich begründen, warum es die Lösungsvorschläge der Union nicht für richtig hält und andere, wenn es sie denn haben sollte, für besser geeignet hält. Gar nichts zu tun, wäre politisch unverantwortlich. Dabei gilt für das ZdK als kirchliches Gremium, dass es ebenso wie die Kirche insgesamt „in keiner Weise hinsichtlich ihrer Aufgabe und Zuständigkeit mit der politischen Gemeinschaft verwechselt werden darf“ und die legitime politische Pluralität zu respektieren hat. Wenn es das nicht will, sollte es sich als Nichtregierungsorganisation selbständig machen. Dann kann es politisieren, wie es mag, müsste aber auf die Finanzierung durch Kirchensteuern verzichten.

Das ZdK und die „Brandmauer“: ein Bärendienst für die Demokratie

Bleibt zu guter Letzt das Argument der „Brandmauer“ und der polemische Vorwurf einer Zusammenarbeit der Union mit der AfD, womit das ZdK wiederum linke Stereotype rezitiert.[13] Diese Zusammenarbeit gab es nicht. Vielmehr gab es die Zustimmung auch der AfD neben FDP und BSW zu einer Aufforderung an die Bundesregierung, in der Migrationspolitik endlich konsequenter zu handeln, sowie zu einem Gesetzesvorschlag zur Begrenzung „illegaler Einwanderung„. Die AfD hat übrigens schon vorher öfter parlamentarischen Anträgen anderer Parteien zugestimmt und gerade in NRW damit sogar häufiger Anträgen der SPD-Opposition zur Mehrheit verholfen. Warum hat sich da das ZdK nicht alarmiert zu Wort gemeldet?

Zudem könnte dem ZdK der Hinweis des bekannten Historikers Heinrich August Winkler, seit 62 Jahren SPD-Mitglied, auf die Sprünge helfen: etwas Richtiges werde nicht dadurch falsch, dass auch die Falschen es für richtig halten; wäre es anders, könnte die AfD monopolartig bestimmen, was richtig und falsch ist, lähmten sich die anderen Parteien selbst, sind sie die Verlierer, nicht die AfD.

Einen schlimmeren Bärendienst kann man der Demokratie nicht erweisen.[14]

Auch die Tatsache, dass es keineswegs an einer mangelnden Festigkeit der „Brandmauer“ liegt, dass der AfD-Brand sich immer weiter ausbreiten konnte, wäre politisch beachtenswert. Allein in der Zeit der Ampelregierung von SPD, Grünen, FDP haben sich ihre Umfragewerte bundesweit auf gut 20 % verdoppelt, trotz „Brandmauer“, Warnungen, Ächtung, Beobachtung und Bewertung durch den Verfassungsschutz. Dagegen liegt die Volkspartei SPD nur bei 15/16 % und liegen die Grünen bei 13/14 %. Groß geworden ist die AfD jedoch in der Ära Merkel und über die Flüchtlingskrise, als die Union meinte, das rechte politische Spektrum sei obsolet geworden und Wahlen gewinne man nurmehr im Mitte-Links-Spektrum. Hier steuert die Union unter Friedrich Merz jetzt deutlich gegen mit dem Ziel, die AfD zu reduzieren. Würde das nicht gerade die Unterstützung eines Gremiums wie des ZdK verdienen?

Vertraut man den Umfragen, dann gibt es aktuell eine absolute Mehrheit im Mitte-Rechts-Spektrum der Politik, die eine deutlich andere Politik haben will als bisher. Dafür gibt es aber keine Regierungsmehrheit, weil es gerade die Unionsparteien sind, die eine Zusammenarbeit mit oder selbst eine Tolerierung durch die AfD, wie es ehemals die SPD mit der postsozialistischen vom Verfassungsschutz inkriminierten PDS auf Landesebene gemacht hat, aus guten Gründen ausschließen. Gibt es aber nach den Wahlen keinen klaren Politikwechsel und keine bessere Lösung der Vielzahl zu bewältigender Probleme, wird das absehbar Wasser auf die Mühlen der AfD als weitaus größter Oppositionspartei sein. Dann könnte sie bei den übernächsten Bundestagswalen 2029 stärkste Partei werden und es drohten österreichische oder thüringische Verhältnisse. Das erfordert nach der Wahl eine pragmatische, lösungsorientierte Zusammenarbeit in einer neuen Koalitionsregierung, gerade auch in umstrittenen Kernfragen wie der Migrationspolitik.

Gesinnungsethisch ideologisch geprägte Positionierungen und Kampagnen aus den Kirchen oder kirchlicher Gremien wie dem ZdK tragen dazu gerade nicht bei. Umso mehr ist den wenigen verbliebenen Unionspolitikern im ZdK Respekt zu zollen, dass sie sich einer solchen auch gegen sie persönlich gerichteten Politisierung nicht beugen und zu den begründeten Überzeugungen und Vorschlägen der Christdemokratie stehen, über die sich selbstverständlich demokratisch streiten lässt, solange sich kirchliche Gremien und Foren dazu denn verstehen möchten. Das Wichtigste aber ist, am kommenden Sonntag haben die Wähler das Wort und werden als Souverän selbstverständlich nach ihren eigenen Prämissen entscheiden. Versäumen Sie bitte nicht, wählen zu gehen, denn auch dazu hat sich das Zweite Vatikanische Konzil in „Gaudium et spes“ klar geäußert:

Ein Christ, der seine irdischen Pflichten vernachlässigt, versäumt damit seine Pflichten gegenüber dem Nächsten, ja gegen Gott selbst und bringt sein ewiges Heil in Gefahr.


Stephan Raabe
ist als Projektleiter in Bosnien und Herzegowina tätig. Er studierte Geschichte, Kath. Theologie, Philosophie und Politik für das Schullehramt in Bonn und München, machte einen Magisterabschluss, arbeitete anschließend zehn Jahre in der Jugendseelsorge im Erzbistum Berlin, war 2002/03 Bundesgeschäftsführer des Familienbundes der Katholiken und als solcher Mitglied im ZdK, ging dann für die Konrad-Adenauer-Stiftung nach Polen und Weißrussland und leitete danach das Politische Bildungsforum der Stiftung in Brandenburg. Publizistisch setzte er sich immer wieder kritisch mit der „Weiterentwicklung“ der Kirche in Deutschland auseinander.


[1] https://katholisch.de/artikel/59183-kirchen-kritisieren-vorstoesse-der-union-zur-migrationspolitik (dieser und die folgenden Links wurden am 19.2.2025 abgerufen).
[2] https://www.zdk.de/presse/presse-nach-tags/2025/die-union-ueberschreitet-grenzen-der-politischen-kultur
[3] https://katholisch.de/artikel/59293-nach-cdu-kritik-kramp-karrenbauer-tritt-aus-zdk-aus
[4] https://katholisch.de/standpunkt
[5] https://katholisch.de/artikel/59402-das-tor-zur-hoelle-schliessen-zum-zustand-der-demokratie-im-bundestag
[6] https://www.katholisch.de/artikel/59201-katholische-kirche-uneins-ueber-kritik-an-migrationspolitik-der-union
[7] https://www.katholisch.de/artikel/59197-scholz-die-kirchen-haben-vor-ihren-vorschlaegen-gewarnt-herr-merz
[8] https://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_const_19651207_gaudium-et-spes_ge.html
[9] Siehe oben Anm. 2.
[10] https://www.katholisch.de/artikel/59203-zdk-praesidentin-empoert-ueber-migrationspolitik-der-union
[11] Daniel Deckers: Kirche und Politik: Lobby für realitätsblinde Hypermoral, in: FAZ vom 4.2.2025, https://www.faz.net/aktuell/politik/bundestagswahl/kommentar-zu-kirche-und-politik-rot-gruene-lai-innen-110275819.html
[12] Entschließungsantrag vom 28.1.25 Bundestagsdrucksache 20/14698; Zustrombegrenzungsgesetz Drucksache 20/12804 vom 9.9.24, erneut eingebracht am 31.1.2025.
[13] https://katholisch.de/artikel/59534-zdk-wir-betrachten-migration-aus-perspektive-der-menschenwuerde
[14] Heinrich August Winkler: Wahlkampfthema Migration – Die deutsche Asyllegende. Die Gegner der CDU-Vorschläge zur Migration berufen sich auf das Grundgesetz. Doch die Verfassungsschöpfer wollten nie ein individuelles Grundrecht auf Asyl, in: Der Spiegel, Nr. 7, 8.2.2025, https://www.spiegel.de/politik/deutschland/migration-grundrecht-auf-asyl-als-gegenargument-zur-cdu-aber-stimmt-das-a-a87aac1a-7f34-45db-83da-fb0d78ade06f


Beitragsbild: Kardinäle beim II. Vatikanischen Konzil / Quelle: Heritage Image Partnership Ltd / Alamy Stock Photo

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