Segnen die Australier und die Flamen wirklich bereits heute gleichgeschlechtliche Paare und geschiedene Wiederverheiratete? Diskussionen um Aussagen australischer und flämischer Bischöfe über Geschlechtervielfalt und Segnungen auch in der 5. Vollversammlung des Synodalen Weges sorgen für Verwirrung. Helmut Müller hat die Verlautbarungen konkret im Wortlaut unter die Lupe genommen, bringt Licht ins Dunkel und entlarvt das falsche Spiel rund um die weit her geholten Australier und die um die Ecke wohnenden Flamen.

Während der 5. Synodalversammlung in Frankfurt wurde auf derselben und in ihrem Umfeld auf Verlautbarungen der australischen Bischofskonferenz und eine der flämischen Bischöfe verwiesen, die im Hinblick auf den Umgang mit Geschlechtervielfalt und auf die Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften als vorbildlich gelten können. Bei genauer Lektüre ergibt sich folgendes Bild:

Der Bezug auf die australische Bischofskonferenz

Im Handlungstext „Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt“ ist folgendes in Bezug auf die australische Bischofskonferenz zu lesen:

„Einen bemerkenswerten Kontrast zum Dokument der Bildungskongregation bildet das jüngst veröffentlichte Papier der australischen katholischen Bischofskonferenz „Created and Loved. A guide for Catholic schools on identity and gender“ . Darin erläutern die Bischöfe aus der Perspektive des christlichen Menschenbildes das Zueinander von biologischem und sozialem Geschlecht: Schon im biologischen Geschlecht („sex“) zeige sich eine beachtliche Spannbreite, wie Menschen ihr Geschlecht erfahren und ausdrücken. So entwickele sich vom Zeitpunkt der Zeugung an in einem komplexen genetischen und hormonellen Prozess bereits pränatal für jede einzelne Person „a unique set of male or female characteristics“. Diese je einzigartige biologische Prägung als Mann und Frau verbinde sich lebensgeschichtlich mit dem sozialen Geschlecht („gender“). Das soziale Geschlecht werde selbst von vielfältigen Faktoren wie frühkindliche Erfahrungen, durch Erwartungshaltungen der Familie oder durch generelle kulturelle und gesellschaftliche Prägemuster beeinflusst. So komme es zu einer „much natural variation, in how individuals experience their masculinity or femininity“ ( Anm. red.: zu „vielen natürlichen Variationen, wie Individuen ihre Männlichkeit oder Weiblichkeit erleben“). In bestimmten Fällen könnten sich, so die australischen Bischöfe, entgegenlaufende Erfahrungen zwischen biologischem und sozialer Geschlechtszugehörigkeit zu einer Krise der Geschlechtsidentität entwickeln. Halte diese Krise an, komme es in bestimmten Fällen zur Angleichung („transition“) der biologischen Geschlechtsmerkmale an das gefühlte und erfahrene Geschlecht. Die australischen Bischöfe dokumentieren ein Ringen mit humanwissenschaftlichen Erkenntnissen und gesellschaftlichen Entwicklungen, das vor allem hinsichtlich der Konsequenzen für die Gestaltung kirchlicher Lernräume beachtlich ist.

Was die australische Bischofskonferenz tatsächlich schreibt

Während auf dem Synodalen Weg diese Textpassage so gelesen wird, dass kirchliche Verlautbarungen – Bezug wird auf o. g. Text der Bildungskongregation genommen, – umgeschrieben bzw. korrigiert werden müssten, setzt die australische Bischofskonferenz diesen Text so ein, dass er im Rahmen christlicher Anthropologie beachtet werden sollte, ganz so wie auch Naturwissenschaften mit ihren Ergebnissen umgehen. Einstein hat es einmal so auf den Begriff gebracht: „Erst die Theorie entscheidet, was man beobachten kann[1].“

Sollten der Theorie widerstreitende Ergebnisse vorliegen und eine neue Theorie erfordern, gilt die Beweislastregel: Das neu Erkannte trägt die Beweislast. Das heißt, die neue Theorie muss alte und neue Sachverhalte besser erklären. Das gilt auch für die Christliche Anthropologie: Das christliche Menschenbild entscheidet, wie neue Erkenntnisse der Humanwissenschaften zu beachten sind und in das Bild integriert werden können. Genau diesem Grundsatz folgt die australische Bischofskonferenz dann auch tatsächlich bis in die letzten Details ihrer Ausführungen:

„Created and loved“ ist eine Handreichung an katholische Schulleiter und will orientieren zwischen der Lehre der Kirche, humanwissenschaftlichen Erkenntnissen und politischer, kultureller und gesellschaftlicher Rezeption. Dabei unterscheiden die Bischöfe ganz klar zwischen

  • Lehre (christlicher Anthropologie),
  • Pastoral
  • praktischer Umsetzung und
  • „Definitionen“ (kirchlicher Terminologie versus säkularer Begrifflichkeiten)

Unter Lehre verstehen sie ein Kompendium zwischen christlicher Anthropologie, die in theologischer Reflexion dann humanwissenschaftliche Erkenntnisse in ihr Leitbild einordnet und nicht umgekehrt. Diese „Lehre“ wird wiederum federführend für die Pastoral. Schulische Situationen fordern dann eine kluge Umsetzung erkannter pastoraler Leitlinien, im Papier der Australier Schlüsselprinzipien genannt. Zitat:

Schlüsselprinzipien

„Die folgenden Prinzipien bilden die Grundlage für katholische Bildungseinrichtungen, um Gemeinschaften aufzubauen, die diese pastorale Vision bezeugen, insbesondere im Bereich der Betreuung von Schülern mit geschlechtsspezifischer Varianz. Den Leitern des katholischen Bildungswesens wird empfohlen in Absprache mit den zuständigen Kirchen- oder Bischofs- und Leitungsbehörden und Schulleitern ihre Richtlinien und pastorale Antworten auf diese Schlüsselprinzipien zu stützen:
1. Katholische Schulen sollten sich bemühen, starke Glaubensgemeinschaften zu sein, […] die den ganzen Mensch fördert.
2. Schulleiter sollten alle Mitarbeiter kontinuierlich in christlicher Anthropologie und menschlicher Sexualität ausbilden. […] 3. Schulleiter sollten sich bemühen, informiert zu sein und aktuelle und relevante Gesetzgebung kennen […] und über Gesundheits- und medizinische Forschungsdaten informieren können.
4. Das Personal sollte sich bemühen, eine sichere und vertrauensvolle Beziehung mit dem Schüler herzustellen, der sich Sorgen um seine Identität macht […] und dem Schüler ein unterstützendes Umfeld bieten in dem er lernen und reifen kann auf seinem Weg hin zur Ganzheit.
5. Katholische Schulen sollten stets offen und klar mit allen Beteiligten kommunizieren und dabei konsequent die Pflicht beachten, die Privatsphäre des Schülers zu beachten und Vertraulichkeit wahren […]“

Komplementarität von Frau und Mann statt buntem Kaleidoskop von Geschlechtlichkeit

Bemerkenswert ist, dass von den Schulleitern nicht nur passives Reagieren auf praktische und gesellschaftliche Herausforderungen verlangt wird, sondern auch ein aktiver missionarischer Anspruch erhoben wird. Es wird differenziert zwischen Lehre und Pastoral und auf eine christliche Anthropologie verwiesen, die mittels natürlicher Vernunft erkannt werden kann.

Theologisch wird die Zweigeschlechtlichkeit und Beziehungsfähigkeit untereinander und zu Gott hervorgehoben und auf die Komplementarität von Frau und Mann als guter Teil der Schöpfung ausgewiesen. (Belege: Amoris Laetitae 56, KKK 1, 1878 und Laudato Si #5)

Es wird keiner Geschlechtervielfalt das Wort geredet, wie vielleicht aus dem vom Synodalen Weg oben zitierten Auszug hervorgeht.
Es wird empfohlen biopsychosoziale Modelle, die der katholischen Lehre entsprechen, als Handlungsleitlinien zu folgen und in der Lebenswirklichkeit vorkommende „geschlechtsspezifische Inkongruenz“ als psychosoziale Problematik zu werten und nicht als weitere Variante einer zwar basalen binär verstandenen Geschlechtlichkeit zu sehen, die sich dann aber als objektiv zu bewertende Geschlechtervielfalt ausfaltet.
Das Papier macht einen Unterschied zwischen Lebenswirklichkeit und Lebens(schöpfungs)ordnung.
Katholische Schulleiter werden auf ihre Verantwortung verwiesen, sich richtig zu orientieren, ja sogar darauf hingewiesen, sich kritisch mit in der Gegenwartsgesellschaft kursierenden anderen anthropologischen Konzepten auseinander zu setzen.

Unter D wie „Definitionen“ wird in der Handreichung für die Schulleiter sogar empfohlen statt des Begriffes „Transgender“ die medizinische FachbegriffeGeschlechtsinkongruenz“ und „Geschlechtsdysphorie“ zu verwenden.  Man spricht auch nicht, wie es die Deutschen im Papier für den Synodalen Weg falsch übersetzen von „Angleichung“ des Geschlechtes, sondern von „Transition“. Von der Verwendung des Begriffs „Cisgender“ und anderen Begriffen, die die Akteure der Geschlechtervielfalt präferieren, wird ausdrücklich abgeraten.

Nicht zuletzt: Von der Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ist im ganzen Text keine Rede!

Was die flämischen Bischöfe wirklich meinen

Sowohl der flämische Bischof Johan Bonny als auch der australische Bischof Shane Mackinley haben sich zur Segnung gleichgeschlechtlich Liebender im Umfeld der Synodalversammlung sehr missverständlich geäußert. Man hat wohl nicht ohne Hintergedanken gerade diese beiden Bischöfe eingeladen. Bei genauem Hinsehen wird im Text der Bischöfe Flanderns Segnen nur im Zusammenhang mit Gebet angesprochen. Hier direkt zitiert aus dem Dokument der Flamen (Anm.red.: Unter diesem Link die deutsche Übersetzung komplett)

Gebet für Liebe und Treue“

In den Seelsorgegesprächen wird oft um eine Gebetszeit gebeten, um Gott zu bitten, dass er diese Verbindung von Liebe und Treue segnet und aufrechterhält.
Welchen konkreten Inhalt und welche Form dieses Gebet haben kann, besprechen die Beteiligten am besten mit einem Seelsorger. Ein solcher Moment des Gebets kann in aller Einfachheit stattfinden.
Auch sollte der Unterschied zu dem, was die Kirche unter einer sakramentalen Ehe versteht, deutlich bleiben.

Dieser Gebetsmoment könnte zum Beispiel wie folgt aussehen:

  • Eröffnungswort
  • Eröffnungsgebet
  • Schriftlesung
  • Engagement der beiden beteiligten Personen.

Gemeinsam bringen sie vor Gott zum Ausdruck, wie sehr sie sich füreinander einsetzen. Zum Beispiel:

„Gott der Liebe und der Treue, heute stehen wir vor Dir
umgeben von Familie und Freunden.
Wir danken Dir, dass wir zueinander gefunden haben.
Wir wollen füreinander da sein in allen Umständen des Lebens.
Wir bekunden hier voller Vertrauen, dass wir uns Tag für Tag für das Glück des anderen einsetzen wollen.
Wir beten: Gib uns die Kraft, einander treu zu sein und unser Engagement zu vertiefen.
Auf deine Nähe vertrauen wir, aus deinem Wort wollen wir leben, einander zum Guten gegeben.“

  • Gebet der Gemeinschaft

Belgische Springprozession – einmal hin und zurück

Interessant sind zwei Stellungnahmen belgischer Bischöfe am Tag der Veröffentlichung der Pastoral und am Tag danach. Hier wiedergegeben in der Berichterstattung von katholisch.de am 20. September 2022:

„Der Text sei nicht dem Vatikan zur Prüfung vorgelegt worden, berichtete die Zeitung ‚Nederlands Dagblad’. Er sieht neben Gebeten und einer Bibellesung einen Moment der ‚Verpflichtung der beiden Beteiligten’ vor, in dem sie ‚gemeinsam vor Gott zum Ausdruck bringen, wie sie sich füreinander einsetzen’. Nach Ansicht der Bischöfe aus Flandern entspricht der Vorstoß dem Willen von Papst Franziskus, der Situation homosexueller Menschen konkrete Aufmerksamkeit zu schenken. Dies habe er 2016 in seinem Schreiben ‚Amoris laetitia’ zu Ehe und Familie zum Ausdruck gebracht. (tmg/KNA)

Bereits einen Tag darauf wird dann dieses berichtet, ebenfalls auf katholisch.de zitiert am 21.09.2022

„Brüssel. Was am Dienstag als Vorstoß in der Weltkirche und Vorreiterrolle angesehen wurde, wollen die flämischen Bischöfe einen Tag später anders verstanden wissen: Sie betonen explizit, dass sie keine Liturgie zur Segnung homosexueller Paare einführen wollen.

Die Bischöfe der belgischen Region Flandern wollen nach eigenen Angaben keine Liturgie zur Segnung homosexueller Paare einführen. Anders als in Medienberichten dargestellt, führe man keine Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare ein, sagte der Sprecher des Erzbistums Mechelen-Brüssel, Geert De Kerpel, am Mittwoch auf Anfrage.

Am Dienstag hatten die Bischöfe ein Schreiben unter dem Titel „Homosexuellen Personen pastoral nahe sein – Für eine einladende Kirche, die niemanden ausschließt“ veröffentlicht. Für Situationen, in denen homosexuelle Personen oder Paare die Bitte nach einem ‚Moment des Gebets’ äußern, macht die bischöfliche Handreichung zwei Textvorschläge. Diese gehen auch auf den Wunsch ein, dass Gott ihr ‚Engagement für Liebe und Treue segnen und weiterführen möge’. Dabei betonen die Bischöfe, es müsse der Unterschied zu dem deutlich bleiben, was die Kirche unter einer sakramentalen Ehe versteht’.

‚Wir führen keine Liturgie ein’

Der Bistumssprecher unterstrich nun, die Gebetsvorschläge bezögen sich nicht ausdrücklich auf Homosexuelle; sie könnten in Gemeinschaft oder einzeln, in einer Kirche oder privat gesprochen werden. ‚Wir führen keine Liturgie ein’, sagte De Kerpel. Die Bischöfe seien überzeugt, ‚dass das auf der Linie von Papst Franziskus liegt’“.

Fazit: Falsches Spiel mit falscher Faktenlage

Die australischen Bischöfe unterscheiden korrekt zwischen Lehre und Pastoral. Erkenntnisse der Humanwissenschaften und die Stimmen der Zeit werden in der Hermeneutik der Lehre beachtet und in sie integriert. Ihre Erkenntnisse können durchaus heuristisch für das Verständnis christlicher Anthropologie fruchtbar werden. Die Art und Weise wie der Synodale Weg mit dem Text der australischen Bischöfe umgeht, erweckt allerdings den Verdacht, dass Elemente humanwissenschaftlicher Erkenntnisse gegen die kirchliche Lehre ausgespielt werden sollen, in dem ein Gegensatz zu dem Text der vatikanischen Bildungskongregation (s. o) hergestellt werden soll, verbrämt mit einem weltkirchlichen Bezug auf die australische Bischofskonferenz.

Ähnlich soll in einem Bezug auf die Bischöfe Flanderns, weitere bischöfliche Autorität eingekauft werden, nicht beachtend, dass die flämischen Bischöfe offenbar uneins mit ihren wallonischen Mitbrüdern sind. In beiden Fällen ist der Wunsch der Vater des Gedankens: Die Australier korrigieren eben nicht die kirchliche Lehre mit zudem noch hermeneutisch falsch verstandenen humanwissenschaftlichen Argumenten. Und die flandrischen Bischöfe wehren sich schon einen Tag nach der Veröffentlichung gegen falsche Interpretationen. Beides stört die Akteure und auch Verfasser der Texte auf dem Synodalen Weg offensichtlich nicht. Es sieht ja wohl keiner so genau hin – nach Australien wohl gar nicht und wer kann schon Flämisch?

[1] Albert Einstein, zit. in: Chown, Marcus: Warum Gott doch würfelt. Über ‚schizophrene’ Atome und andere Merkwürdigkeiten aus der Quantenwelt. München 2005, 50.


Dr. phil. Helmut Müller, Philosoph und Theologe, akademischer Direktor am Institut für Katholische Theologie der Universität Koblenz-Landau. Autor u.a. des Buches „Hineingenommen in die Liebe“, FE-Medien Verlag, Link: https://www.fe-medien.de/hineingenommen-in-die-liebe

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