Vollmacht, Macht und Hierarchie in der katholischen Kirche
Kardinal Walter Kasper
Bei der zweiten Vollversammlung hat der Synodale Weg in erster Lesung das Dokument behandelt „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche – Gemeinsame Teilnahme und Teilhabe am Sendungsauftrag“. Das ist angesichts der Vertrauenskrise, welche durch Missbrauch und Vertuschung entstanden ist, ohne Zweifel ein aktuelles Thema und zugleich ein Thema von grundsätzlicher Tragweite. Denn mit dem Sendungsauftrag der Kirche geht es um die Frage: Wozu ist die Kirche da, wofür steht sie, wofür steht das Bischofsamt und in welcher Weise können alle Christen daran teilhaben?
I. Die Unterscheidung des Christlichen
Doch schon die Überschrift des Textes hat mich überrascht und nachdenklich gemacht. Demi „Macht“ und „Gewaltenteilung“ sind Begriffe, die aus der Soziologie und aus der neuzeitlichen Staatslehre stammen. Der Text geht also von einer soziologischen und politologischen Außenperspektive an die Probleme Kirche heran. Das kann hilfreich sein. Denn wenn es um Macht geht, kann der Blick von außen die Augen öffnen und möglicher Weise zeigen, dass faktisch bestehende Machtverhältnisse bewusst oder auch unbewusst übersehen, verschleiert oder tabuisiert werden.
Um das zu verhindern ist es das Interesse des synodalen Textes, die Kirche in der Demokratie heimisch zu machen. In unseren Breiten ist die Kirche in der Demokratie freilich längst heimisch, und die weit überwiegende Mehrheit der Christen ist dankbar in einer demokratischen verfassten Gesellschaft leben zu dürfen. Insofern besteht kein Bedürfnis die Kirche in der Demokratie heimisch zu machen. In Wirklichkeit geht es dem Text darum die Demokratie in der Kirche heimisch zu machen und eine Art demokratische Machtkontrolle in der Kirche einzurichten.
Dafür beruft sich der Text auf das II. Vatikanische Konzil (1962-65), das eine Wende vollzogen hat von einer von Klerikern dominierten Kirche zur Kirche, die sich als Volk Gottes versteht (LG 9), von einer Betreuungskirche zu einer Beteiligungskirche aller. Denn alle Getauften haben in dem einen HL Geist teil am gemeinsamen Priestertum aller Christen (1 Petr 2,4-10; Offb 1,6; 5,10) (LG 10).
Eine solche grundsätzliche Wende lässt sich nicht von einem Tag auf den anderen verwirklichen; sie hat sich auch heute, mehr als 50 Jahren nach dem Ende des Konzils noch nicht voll durchgesetzt. Darum ist es ein grundsätzlich berechtigtes Anliegen des Synodalen Wegs diese Verwirklichung fortzuentwickeln. Dabei kann die Kirche, so wie sie in der Vergangenheit von der feudalen und monarchischen Ordnung gelernt hat, auch von der demokratischen Ordnung lernen. Sie muss das sogar, falls dies ihrer eigenen Ordnung dienlich ist; sie kann es jedoch nur in dem Maß als es ihre eigene Wesensordnung erlaubt.
Damit stehen wir vor der Grundfrage: Worin besteht die eigene Wesensordnung der Kirche, genauer gesagt: die Wesensordnung der katholischen Kirche? Wir gehen aus vom Selbstverständnis der Kirche als Volk Gottes des Neuen Bundes. Das bedeutet, die Kirche versteht sich nicht als irgendein Volk wie alle anderen Völker, sie versteht sich als Volk
Gottes, das zusammenkommt nicht um über seine eigenen Anliegen und Probleme zu entscheiden, sondern um zu hören, was Gott entschieden hat und was Er von uns will.
Jesus sagt in der Bergpredigt: „Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, dann wird euch alles andere hinzugegeben werden“ (Mt 6,13). So besteht eine Rangordnung zwischen dem was als grundlegender Maßstab zuerst kommt und allem anderen, das dazugegeben wird. Die der Kirche von Gott gegebene Volk-Gottes-Ordnung kommt zuerst und soziologische und andere Gesichtspunkte können in zweiter Linie hilfereich ergänzend hinzukommen.
Lesen wir im Neuen Testament und in den Konzilsdokumenten weiter, dann finden wir, dass es innerhalb des gemeinsamen Priestertums aller Getauften eine große Mannigfaltigkeit von Geistgaben, Berufungen, Sendungen und Dienstleitungen gibt. Die Kirche als Volk Gottes ist wie ein Leib mit vielen und vielfältigen Gliedern, die untereinander zusammenspielen müssen und ein Ganzes bilden (Röm 12,4-8; 1 Kor 12,4-30) (LG 3;7). Alle Getauften nehmen an der einen Sendung der Kirche teil, doch jedes Glied entsprechend seiner Geistgabe, seiner Berufung und seiner Sendung. Es besteht also eine Gleichheit des Geistes, aber eine Gleichheit in der Mannigfaltigkeit der Geistgaben, Berufungen und Sendungen.
Die Gleichheit aller in der Kirche ist demnach keine abstrakte Gleichheit. Nicht einer kann alles, auch nicht der Papst und der Bischof, aber es können auch nicht alle alles, und nicht jeder kann jedes. Alles können nur alle und die Einheit aller ist ein Ganzes, nämlich der eine Leib Christi in und aus vielen Gliedern (Johann Adam Möhler). Jedes Glied soll freimütig seine Gaben und seine Berufung zur Geltung bringen und soll gleichzeitig demütig die Gaben und Berufungen der anderen Glieder anerkennen. Alle sollen im Einklang (consensid) aller Gaben und Berufungen im einen HL Geist den Glauben an den einen Gott und den einen Herrn und Heiland Jesus Christus bekennen (DV10). Alle, auch die Bischöfe sind hörende Kirche, und sollen, wie alle im Hören auf GoL aufeinander hören und den gemeinsamen Glauben bekennen.
Die Grundfrage an den synodalen Text lautet also: Wie steht es mit seinen Kriterien? Wahrt er das Zuerst der Volk-Gottes-Kriteriologie, oder tritt anderes, das hinzukommen kann, also Soziologie, Politologie und Humanwissenschaften an die erste Stelle? Mit Romano Guardini gesprochen: Wahrt der Text die „Unterscheidung des Christlichen“?
II. Das Evangelium Maßstab und Quelle
Damit stellt sich die zweite Frage: Welches ist innerhalb dieser großen Symphonie aller Geistgaben in der Kirche der Part des Bischofs? Welches ist sein Charisma, seine Berufung und seine Sendung in der Kirche?
Um dieser Frage näher zu kommen, ist es nützlich einen Blick auf die Abschiedsreden Jesu zu werfen. Sie finden sich in alle vier Evangelien, am ausführlichsten im vierten Evangelium. In ihnen sendet Jesus die Jünger, die er bereits zu Beginn seines öffentlichen Wirkens frei erwählt hatte (Mk 3,14) nun als Apostel aus, das Evangelium, das er verkündet hat, allen Geschöpfen und allen Völkern zu verkünden bis ans Ende der Welt (Mt 28,16-20; Mk 16,15; Lk 24,44-49). Als Beistand verheißt ihnen besonders in Verfolgungssituationen (Mt 10,19 par.) den Hl. Geist (Lk 24,29; Apg 1,2.4 f). Er soll sie als Paraklet, d.h. als Beistand und Tröster an alles erinnern was er gesagt hat und sie in alle Wahrheit einführen (Joh 14,16.28; 15,26; 16,13 f). Er ist gleichsam die Seele der Kirche (LG 7).
Diese Sendung der Apostel dauert bis ans Ende der Welt. Da die Apostel sterbliche Menschen waren, sind nach ihrem Tod Nachfolger nötig (LG 20). Die Nachfolger sind keine neuen Apostel, sie stehen vielmehr auf dem Fundament der Apostel und Propheten (Eph 2,20), sie haben nicht das Apostelamt, sondern ein apostolisches Amt.
Der Übergang von der apostolischen zur nachapostolischen Zeit wird in der Apostelgeschichte beschrieben. Am Ende seiner dritten Missionsreise nimmt Paulus in Milet Abschied; er weiß, in Jerusalem drohen ihm Fesseln und Drangsale. Er wendet sich an die Bischöfe, welche der Hl. Geist bestellt hat, ermahnt sie als Hirten für die Kirche Gottes zu sorgen und nach seinem Weggang sein Werk der Verkündigung „des Evangeliums von der Gnade Gottes“ weiterzuführen. (Apg 20, 17-31).
Das Amt der Bischöfe stammt also nicht aus einer Ermächtigung durch die „Basis“, es ist im Hl. Geist begründet. Es wird darum durch Handauflegung und Gebet übertragen (1 Tim 4,14; 2 Tim 1,6 f). Der Epheserbrief sagt es ähnlich: Alle Ämter, die dem Aufbau der Kirche dienen, sind vom Himmel her vom erhöhten Herrn Jesus Christus eingesetzt (Eph 4,10-12). Einsetzung durch Jesus Christus meint also nicht nur Einsetzung durch den irdischen Jesus. Es gibt nach der Himmelfahrt Jesu eine normative apostolische Gründerzeit, eine Zeit der Kirch-werdung, die erst mit dem Abschluss des biblischen Kanons zu Ende geht.
Aufgabe der Bischöfe ist es dafür Sorge zu tragen, dass die Botschaft Jesu, das Evangelium vom Reich Gottes, das Evangelium des Lebens, der Freiheit, des Friedens, der Versöhnung, das Evangelium von Kreuz und Auferstehung Jesu Christi (1 Kor 15,1-5) nicht verstummt und nicht durch falsche Lehre verkehrt oder verkürzt wird (1 Tim 1,11; 4,7; 6,26). Sie sollen an die Botschaft Jesu Christi erinnern, sie bewahren und gegen falsche Lehre schützen (1 Tim 1,H; 4,7; 6,26).
Grundlage, Maßstab und Quelle der Sendung der Apostel und ihrer Nachfolger – so sagt es das Konzil von Trient (DS 1501) – ist das Evangelium. Die Bischöfe sollen das eine und selbe Evangelium wie eine sprudelnde Quelle vergegenwärtigen; nicht als ein abgestandenes Gewässer, vielmehr lebendig, stets frisch, jung und neu. Das Evangelium soll Quelle steter Erneuerung der Kirche sein (LG 4; 8 u.a.).
Ich erinnere mich an meine Bischofsweihe. Es sind inzwischen über 30 Jahre her. Am Anfang standen zwei Fragen, aufgrund derer ich die Verpflichtung übernahm das Evangelium zu bezeugen und es treu zu bewahren. In der Weihepräfation wurde dann der Geist der Leitung herabgerufen, d.h. die Aufgabe die Kirche nicht irgendwie und beliebig, sondern sie im Sinn des Evangeliums zu leiten. Nach der Handauflegung wurde mir das aufgeschlagene Evangelienbuch auf die Schulter gelegt. Das war für mich neben der Handauflegung die wichtigste Zeichenhandlung meiner Bischofsweihe.
So etwas prägt für das ganze Leben. Die Lehre vom Prägemai (character indelebilis) ist keine dogmatische Fiktion (LG 21). Die Bischofsweihe nimmt die ganze Person in Anspruch. Sie übermittelt keinen zeitlich begrenzten Job, den man, wenn es schwierig und brenzlig wird, an den Nagel hängen kann; umgekehrt kann man einen Bischof, der einem nicht mehr passt, auch nicht einfach vom Hof jagen, es sei denn er hat sich schwere Verfehlungen zuschulden kommen lassen.
So ist es das Amt des Bischofs dafür zu sorgen, dass das Evangelium verkündigt wird. Das soll er tun durch seine eigene Verkündigung wie durch den Dienst der Leitung damit die Kirche in der Spur des Evangeliums bleibt und vor allem durch die sakramentale Feier des Evangeliums besonders in der Eucharistie. Man kann diese drei Dienste unterscheiden, scheiden, d.h. trennen kann man sie nicht. Sie bilden eine Einheit. Sie interpretieren, stützen und tragen sich gegenseitig.
Fassen wir zusammen: Die Kirche ist da, um zu evangelisieren; evangelisieren ist – wie Papst Paul VI. als Zusammenfassung des II. Vatikanum sagte – ihre Identität. Deshalb gehört das mit dem Evangelium beauftragte Bischofsamt zu der von Christus begründeten Identität und Wesensordnung der Kirche (LG 20).
Es war die „Ursünde“ des Synodalen Wegs, dass er die Einladung von Papst Franziskus vom Evangelium und vom Grundauftrag der Evangelisierung auszugehen beiseitegelegt und damit faktisch nachgeordnete Kriterien in den Vordergrund gerückt hat. Rein formal hat er das Bischofsamt nicht aufgegeben, er hat es aber in seinem Wesen entkernt. Aufs Ganze gesehen ist der Bischof nach dem synodalen Text nicht viel anderes als ein auf Zeit gewählter und jederzeit abwählbarer Vorsitzender eines Aufsichtsrats. Damit ist der auf das Evangelium gegründeten Kirche und dem Bischofsamt das Genick gebrochen.
III. Synodales Miteinander
In einem dritten Schritt kommen wir zur nächsten Frage. Bereits eingangs sagten wir, dass der Bischof nicht so zu sagen im luftleeren Raum steht. Er steht in der Kirche; er ist kein einsamer Einzelkämpfer, kein Solist; auch er muss im Chor der Kirche mitsingen und mitspielen. Die Frage ist demnach: Wie soll dieses Miteinander geschehen?
Zunächst hat der einzelne Bischof an dem einen Episkopat Anteil nur zusammen mit allen anderen Bischöfen in Gemeinschaft mit dem Nachfolger des Petrus, dem Bischof von Rom teil. Er kann sein Bischofsamt nur in Gemeinschaft mit allen anderen Bischöfen ausüben (LG 18; 21). In ähnlicher Weise hat er das Bischofsamt nur innerhalb des Volkes Gottes und für das ihm anvertraute Volk Gottes.
Schon im Neuen Testament hören wir von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Paulus. Paulus nennt sie mit Namen, darunter viele Frauennamen (Röm 16; Phil 4,3). Die Forderung nach einer angemessenen Beteiligung der Frauen ist also berechtigt. Auch ein heutiger Bischof steht nicht allein da. Er ist auf viele amtliche und ehrenamtliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen angewiesen. Er kann seinen Dienst nur tun zusammen mit den Priestern, Diakonen. Katecheten, Lehrern und Dozenten, Mitarbeitern bei der Caritas, den Vätern und Müttern, auch den Großmüttern in der Familienkatechese.
Die Leitungsaufgabe des Bischofs ist im Evangelium begründet, und damit auch auf die geistliche Aufgabe des Bischofs begrenzt. Sie ist sacra potestas, geistliche Vollmacht (LG 18). Damit lässt sie Raum für vielfältige andere Leitungsaufgaben in der Kirche, die auch Laien innehaben können (etwa Administration, Finanzen, Bauwesen, Caritas u.v.a.) Die episkope, die Aufsicht der Gesamtverantwortung des Bischofs ist es, Sorge zu tragen, dass das Ganze im Geist des Evangeliums geschieht.
Es wäre freilich verkehrt, die Zusammenarbeit auf eine Kerngruppe, einen Führungskader, auf das Team der unmittelbaren Mitarbeiter/innen zu reduzieren oder sich von einem magischen Kreis von Ratgebern/innen abhängig zu machen. Der Hl. Geist ist allen verheißen (Joel 3,1 f). und an Pfingsten wurde er über alle ausgegossen (Apg 2). Alle haben die Salbung vom Hl. Geist (1 Joh 2,27) und alle haben bei der Taufe den Glaubenssinn erhalten (LG 12). Sie haben ein geistliches Gespür, so etwas wie einen sechsten Sinn und damit ein Urteil für den wahren Glauben. Das letzte Buch der Bibel mahnt darum zu hören, was der Geist den Gemeinden sagt (Offb 2,7 u.a.).
Im Neuen Testament ist bei wichtigen Anlässen immer die ganze Gemeinde beteiligt. Auch Petrus gab Rechenschaft vor der Gemeinde (Apg 11). Beim sogenannten Jerusalemer Apostelkonzil war die Gemeinde beteiligt. Auch damals ging es nicht ohne heftige Auseinandersetzungen. Am Ende aber heißt es: „Der Hl. Geist und wir haben beschlossen“ (Apg 15,1-28). Anschließend legte man Wert darauf, dass die Beschlüsse an die Gemeinde in Antiochien weitergegeben und von dieser rezipiert werden (15,22.30). Nach der Definition musste also die vom Hl. Geist bewirkte Rezeption der Gemeinde folgen.
Der Grundsatz der Rezeption war für die alte Kirche wichtig. Mit den Beschlüssen allein ist es nicht getan; ohne Rezeption bleiben sie tote Formeln. Kein Geringerer als der hl. John Henry Newman (1801-90) hat die Bedeutung der Laien in Sachen des Glaubens aufgezeigt. Newman konnte zeigen, dass im 4. Jahrhundert, als viele Bischöfe Wackelkandidaten oder gar der Irrlehre des Arianismus zugetan waren, nicht die Bischöfe vielmehr die Laien den wahren Glauben durch ihr treues Zeugnis gerettet haben.
Wenn Papst Franziskus heute die synodale Struktur erneuern will, dann ist das keine Neuerung, sondern die konservativste Reform, die man sich denken kann. Die altkirchliche Grundregel für das Zusammenspiel in der Synode kann man auf die Formel bringen: Nichts ohne oder gegen den Bischof, umgekehrt soll der Bischof alle wichtigen Angelegenheiten nicht ohne den Rat der Presbyter und der Gemeinde entscheiden. Wie Petrus soll auch er vor der Gemeinde Rechenschaft geben. Bei strittigen Fragen soll man nach einer alten Gemeinderegel (Mth 18,15-18) zunächst eine gütliche Lösung anstreben; wenn das nicht möglich ist, könnten als ultima ratio verwaltungsgerichtliche Verfahren eine friedenstiftende Funktion haben.
Man darf die Synoden der frühen Kirche nicht mit einem Kirchenparlament verwechseln, Die Kirche bejaht die Grundlagen der Demokratie, die fundamentalen Menschenrechte, sie übernimmt für sich jedoch nicht deren Ausformung zu einem parlamentarischen System, das mit Mehr- und Minderheiten entscheidet. Sie sucht konsensorientiert oft nach langem Ringen eine einmütige Antwort, die als Zeichen des Hl. Geistes verstanden wird. Eine Synode soll also nicht eine Minderheit ohne seriösen Austausch der Argumente niederstimmen und abzuschmettern, wie es bei der letzten Sitzung des Synodalen Wegs geschehen ist. Damit hat sich der Synodale Weg selbst zur Farce einer Synode gemacht.
Hierarchie bedeutet ursprünglich nicht Herrschaft der Hierarchen, sondern Herrschaft des hieron, des Heiligen, d.h. des Hl. Geistes. Ihm müssen im gegenseitigen aufeinander Hören Laien, Priester wie Bischöfe Raum geben. Die Macht geht weder von der Basis aus, noch ist der Bischof Herr der Synode. Dem Bischof ist der Dienst der Einheit aufgetragen. Das ist beim zunehmenden Individualismus und der zunehmenden Polarisierungen in der Gesellschaft wie in der Kirche eine Aufgabe, die einen innerlich fast zerreißt. Man wird es nie allen recht machen können und oft ins Kreuzfeuer geraten. Vorne in der ersten Linie zu stehen ist nicht nur Privileg, es bedeutet auch in der Schusslinie zu stehen und den Kopf hinhalten zu müssen. Auch das gehört zum Dienstcharakter des Bischofsamtes.
Den Dienstcharakter hat Jesus am Abend vor seinem Leiden durch die Fußwaschung zum Ausdruck gebracht. Mit diesem Sklavendienst wollte Jesus ein Beispiel geben. (Joh 13,1- 17). Damit war die Spitze der hierarchischen Pyramide auf den Kopf gestellt, sie weist nach unten. Wer der Erste sein will, soll der Diener aller sein (Mk 9,35). Leiten heißt nicht kommandieren, diktieren, regieren; leiten heißt inspirieren, motivieren, den Geist des Evangeliums exemplarisch vorleben. Der 1. Petrusbrief mahnt: „Seid nicht Beherrscher eurer Gemeinden, sondern Vorbilder für die Herde“ (1 Petr 5, 2-4).
Sicher bedarf es dazu Strukturen und immer wieder neu einer gründlichen Reform der bestehenden Strukturen. Auf diözesaner Ebene ist die Einrichtung synodaler Strukturen schon heute möglich. In manchen Diözesen gibt es dafür schon seit langem gute Ansätze, ohne dass je ein römischer Hahn gekräht hat. Der Synodale Weg sollte sich darum auf das in Deutschland schon heute Mögliche und auch Nötige konzentrieren, statt sich mit Projekten zu befassen, die nur zu neuen Enttäuschungen und Frustrationen führen können.
Wenn er dagegen einen übergeordneten Synodalrat als Supergremium schaffen will, das weder in der Ekklesiologie noch in der Verfassungsgeschichte der Kirche auch nur den geringsten Anhalt hat, dann sollte er überlegen, ob die Kirche noch mehr als sie es ohnehin schon ist. eine Sitzungskirche werden soll, oder ob sie nicht umgekehrt Kirche im Aufbruch werden muss, eine Kirche, die nicht um sich kreist, die vielmehr hinausgeht, die evangelisiert und sich um die Nöte der Menschen kümmert. Im Evangelium ist Umkehr angesagt (Mk 1.15); zur Umkehr gehört die Hinkehr des guten Samariters zu den Menschen, die in Not sind (Lk 15). Nur dadurch können wir verlorenes Vertrauen zurückgewinnen.
Mein Vorbild als Bischof ist der hl. Martin von Tours (316/17-397). Er hat den Mantel mit einem frierenden Bettler geteilt, den Soldatendienst aufgegeben und den Friedensdienst gewählt. Die damalige Entwicklung von der Katakomben-Kirche zur mächtigen Reichskirche hat er nicht mitgemacht. Auch als Bischof ist er einfacher Mönch geblieben. Er ist in die damals noch heidnischen ländlichen Bezirke hinausgegangen, hat evangelisiert, sich für die Reinheit des Evangeliums engagiert und sich um die Menschen gekümmert. Nicht der Papst, das Volk hat ihn heiliggesprochen.
Ich kann das alles nicht ohne innere Bewegung sagen. Ich muss mich ja fragen, ob ich selbst all dem gerecht geworden bin. Vermutlich nicht. Wie jeder Christ muss auch ein Bischof sagen: „Traurig grüßt der, der ich bin. den. der ich sollte sein.“ Auch ein Bischof ist auf Barmherzigkeit und Vergebung angewiesen. Neben dem Rat und der Mitarbeit braucht er vor allem das fürbittende Gebet der ihm anvertrauten Gläubigen. Das Gebet ist die wichtigste und die nachhaltigste Form der Zusammenarbeit. Sie sollten wir vor allem intensivieren.
Kardinal Walter Kasper, em. Kurienkardinal, ehem. Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, ehem. Dogmatik-Professor. Vortrag vom 7. November 2021 im Rahmen des 3. Online-Studientages der Initiative NeuerAnfang.online. Der Vortrag kann auch als Video auf dem Youtube-Kanal von NeuerAnfang angesehen werden unter diesem Link: und steht als PDF-Download hier zur Verfügung: