Gedanken über die leibliche Gegenwart Gottes in dieser Zeit 

Nach einer alten theologischen Formel ist ausgerechnet das Fleisch das Spezifische des christlichen Glaubens – und tatsächlich die »Türangel des Heiles«. Doch warum ist das so? In dieser längeren, aber fundamentalen Untersuchung geht Bernhard Meuser dieser Frage nach.

Schon lange sagt man dem Christentum nach, es sei leibfeindlich, verachte das sinnlich Körperliche. Zeitweise stimmte das. Luther etwa hatte ein ambivalentes Verhältnis zum eigenen Leib, nannte sein durch Krankheit gequältes Fleisch einen „stinckenden Madensack“. Wie passt das zusammen mit einem fleischgewordenen Gott? Wie mit dem peinlichen Materialismus von einem Gottessohn, der sich als „Fleischbrod“ (auch das von Luther) quasi zu essen gibt?

Dass Gott einen Leib hat, und es gut meint mit unseren angebeteten und gequälten Leibern – das klingt komisch und fremd. So komisch und fremd wie eine Fronleichnamsprozession, die sich durch die Shopping-Mall windet. Tatsächlich gibt es im Christentum ein etwas in die Jahre gekommenes barockes Festival, ein eigentümliches Fest des Leibes, das dringend neu bedacht werden muss. Fronleichnam feiert keinen „Leichnam“, sondern den lebendigen Leib. Doch unterscheidet sich die Feier des Leibes Christi (darin die Feier der Rettung des Leibes schlechthin) vom dionysischen Kult der zuckenden Leiber auf dem CSD in jeder Weise. Gefeiert wird nicht die exponierte Lust am eigenen Leib – sie ist zuletzt ein Totentanz -, sondern die Erlösung des Leibes. Fronleichnam leitet sich von mittelhochdeutsch vrône lîcham für ‚des Herrn Leib‘ ab, nämlich von vrôn‚ ‚was den Herrn betrifft‘ (man denke an das Wort Fron) und lîcham (Leib).

Dreimal macht Gott Skandal

Im Horizont des Glaubens gibt es drei apokalyptische Manifestationen der Leiblichkeit, im ursprünglichen Sinn von apokalypsis = Enthüllung: die Jungfrauengeburt, die Eucharistie und die Auferstehung Jesu. Dreimal geht es um den Leib, dreimal macht Gott Skandal, dreimal geht es um letzte Enthüllungen, die wir im Glauben nur bezeugen können, ohne sie umfassend begreifen zu können. Das Christentum ist keine Vernunftgeburt, sondern die Folge einer göttlichen Geschichte mit uns Menschen; wir bewegen uns in einer Offenbarungsreligion. Der französische Philosoph Jean-Luc Marion mahnt: „Es versteht sich von selbst, dass die Offenbarung sich wie ein plötzlicher Einfall in ein Territorium ereignet, das so endlich, begrenzt und bar jeder Heiligkeit ist, dass es diesen folglich per Definition weder begreifen, noch sehen, noch empfangen kann.“ Mit der Methode der Korrelation hat man immer wieder versucht, „die Offenbarung als eine Antwort auf die Fragen der Menschheit zu denken“. Der unaufgelöste Rest dessen, wenn Gott sich zeigt, bleibt jedoch immer größer als das, was wir bezeugend (noch) nicht verstehen: „Wenn man alles einzeln aufschreiben wollte, so könnte, wie ich glaube, die ganze Welt die dann geschriebenen Bücher nicht fassen.“ (Joh 21,25)

Dass der unendliche, ewige, transzendente Gott Endlichkeit, Zeitlichkeit und Weltlichkeit angenommen haben könnte, sich quasi verstofflichte, ohne sein jedem Stoff jenseitiges Gottsein aufzugeben, ist unausdenkbar. Wir aber bekennen: „Herr, du nahmest menschlichen Leib an, der von deiner Mutter Maria kam“, wie es im Lutherlied von 1524 heißt. Das ist paradox – para doxa = ´daran vorbei´ am ´Anschein´.

Die Steigerung dieser Widersprüchlichkeit ereignet sich in Mk 26,26: „Nehmt und esst; das ist mein Leib.“ Auch hier haben wir es wieder mit einer rational niemals einholbaren, schockierenden Selbstmaterialisierung Christi zu tun, einen Skandal, den die Kirche in jeder Heiligen Messe fortschreibt, in der sie – in Treue zum Auftrag des Herrn – den Gläubigen den Leib und das Blut Christi darreicht und keine geschmacklose Teigtablette und keinen ´guten Tropfen´. „In der Eucharistiefeier werden Brot und Wein durch die Worte Christi und die Anrufung des Heiligen Geistes zu Leib und Blut gewandelt“ (KKK 1333).

Die dritte Apokalypse ist die leibliche Auferstehung Christi, von der die Apostel und mit ihnen die Kirche nicht etwa die Rückvergeistigung, sondern bleibende Verleiblichung Gottes bezeugen, weswegen Karl Rahner 1956 Grund hatte, die Kirche an die „ewige Bedeutung der Menschheit Jesu für unser Gottesverhältnis“ zu erinnern.

Deshalb ist ein Fest wie Fronleichnam die Clearingstelle des Christentums. Hier steht die Gemeinschaft der Glaubenden vor der Nagelprobe ihres Glaubens. Hält sie daran fest, woran die Kirche seit den Zeiten der Apostel festgehalten hat – am Skandal aller Skandale: dem fleischgewordenen Gott? Würden wir nur an ein transzendentes Gerücht glauben, eine den Urknall gebärende Urkraft oder an eine unfassbar im Irgend- oder Nirgendwo wabernde Gottheit, wir wären noch Heiden oder wären es wieder. So aber beten wir den wahren Gott und Menschen an. Wir leben aus der Eucharistie, versammeln uns am Herrentag (und so oft uns die Liebe dazu einlädt) um den Altar, hören kniend: „Das ist mein Leib!“ und „Esst alle davon“ und werden im Empfang des Leibes zum Leib der Kirche.

Ein dreifacher Angriff auf den Leib

Die berühmten „Zeichen der Zeit“ sagen uns, dass wir im Zeitalter eines dreifachen Angriffs auf den Leib leben: Angegriffen wird der Leib Jesu, der Leib der Kirche und der Leib des Menschen. Wer tiefer blickt, wird sehen, dass diese Angriffe unterirdisch verbunden sind. Das heißt: Wer den wahren Leib Jesu angreift, greift auch die Kirche an. Wer die Kirche zersetzt, greift auch den Leib Jesu an. Und wer die Wahrheit des Leibes Jesu und die Wahrheit des Leibes der Kirche unterhöhlt, ruiniert auch die Anthropologie, nämlich das tiefere Wissen über Menschen, seinen Leib und seine Bestimmung im Horizont der Erlösung.

Das Geheimnis des Leibes Jesu wird angegriffen, indem die fundamentalen dogmatischen Grenzsteine von Nicäa und Chalcedon in der landläufig erfahrbaren Verkündigung unserer Tage unterminiert oder einseitig aufgelöst werden. Als bloßes Vorbild ist Jesus ein kaum greifbares Schema aus Überforderung und Geschmackssache. Die Kirche konstituiert sich aber aus dem Glauben, dass „uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben (ist), durch den wir gerettet werden sollen.“ (Apg 4,12) Glaube der Kirche ist es, dass wir in der Begegnung mit dem leiblich wahren Menschen Jesus, uns mit dem wahren Gott in Christus vereinigen.

Das Geheimnis der Kirche – sie ist der lebendige Leib Christi – wird angegriffen, indem sie ihres göttlichen Charakters („Wer euch hört, der hört mich“, Lk 10,16) entkleidet und soziologisch überblendet wird, so, dass die Kirche zum Machtspiel und zur Spielfläche individueller Performances verkommt. Sie ist aber Jesu Tischgemeinschaft, und sie wird bis zum jüngsten Tag aus Gottes barmherziger Annahme von „Zöllnern und Sündern“ (Mt 9,11) bestehen, bei gleichzeitiger göttlicher Begabung von Sündern zur vollmächtiger Lehre und Leitung dieser Kirche. Die Balance dieser paradoxen Konstellation, die im klerikalen Missbrauch noch einmal aufs Äußerte strapaziert wird, besteht in der Bekehrung oder dem Gericht. Jean-Luc Marion spricht von der Kirche als einer „Waschmaschine zur Heiligkeit“.

Der Angriff auf den menschlichen Leib versteckt sich hinter seiner scheinbaren Hochschätzung in Körperkult und Bodyshaping. In Wahrheit macht ihn eine neue (in die Kirche eingedrungene) Anthropologie zum reinen Stoff für das freie Autodesign, indem sie den Leib von seinem Sinn losmacht, ihn nicht länger als göttliche Gabe und menschliche Aufgabe versteht. Der Leib ist ohne Botschaft aus einer geschaffenen metaphysischen Ordnung. Er hat keine Herkunft und keine finale Zukunft. Der Leib wird als totales Mach-Werk neu erfunden. Kein Schöpfer, – der Mensch bestimmt sein Geschlecht und seine Art, sich sexuell selbst zu verwirklichen. Im Leib erschafft das autonome Individuum die Ikone seiner selbst. Kein Gott sagt mehr: „Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich!“ (Gen 1,26)

Verherrlicht also Gott in eurem Leib!

Christlich gesehen ist der Leib aber eine lesbare Botschaft von Gott, mehr noch: ein Abbild vom Urbild des Menschen, auf den hin wir erschaffen sind – Christus. Christus „ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes“ (Kol 1,15) – wir sind auf seinen Leib gespannt. Der Mensch, der zum Leben kommt, ist „Ikone Christi“ – und muss sich nicht in blasphemischer Überhöhung selbst anbeten. „Tatsächlich“, heißt es in Gaudium et Spes 22,1, „klärt sich nur im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft auf.“ Vor 1600 Jahren fasste Leo der Große das in den Worten zusammen: „Christ, erkenne deine Würde! Du bist der göttlichen Natur teilhaftig geworden. Kehre darum nicht mehr zurück in die degenerierte Lebensform deiner alten Niedrigkeit.“ Man muss 1 Kor 6 noch einmal in Ruhe und mit Andacht lesen, um den Zusammenhang unseres menschlichen Leibes mit dem Leib des Herrn und mit dem Leib der Kirche zu verstehen:

„Wisst ihr nicht, dass eure Leiber Glieder Christi sind? Darf ich nun die Glieder Christi nehmen und zu Gliedern einer Dirne machen? Auf keinen Fall! Oder wisst ihr nicht: Wer sich an eine Dirne bindet, ist ein Leib mit ihr? Denn es heißt: Die zwei werden ein Fleisch sein. Wer sich dagegen an den Herrn bindet, ist ein Geist mit ihm. Meidet die Unzucht! Jede Sünde, die der Mensch tut, bleibt außerhalb des Leibes. Wer aber Unzucht treibt, versündigt sich gegen den eigenen Leib. Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den ihr von Gott habt? Ihr gehört nicht euch selbst; denn um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden. Verherrlicht also Gott in eurem Leib!“

Die Kirche zwischen Anbetung und Abgesang

Was man im Fokus auf den Leib (und auf Fronleichnam 2023) sieht, was man selbst erlebt und was man von Freunden erfährt, offenbart zentrifugale Kräfte, die den Leib Christi bis zum Zerreißen anspannen. Vor allem im Süden des Landes wird von einer Wiederentdeckung des Fronleichnamsfestes gesprochen. Es finden wieder vermehrt Prozessionen statt. Junge Leute lernen von alten Leuten Blumenteppiche zu legen, und sie haben mit ihren Kindern Freude daran, Gott in Schönheit zu ehren. Auch in der Tiefe des persönlichen Glaubens gibt es eine echte Renaissance des Leibes – in der Anbetung des eucharistischen gegenwärtigen Herrn. Spirituell wache Gemeinden installieren ein 24/7, beten vor dem Allerheiligsten und werden aus dieser Tiefe lebendig. Sie folgen ihrem sensus fidelium und vielleicht der besonderen Spürigkeit von Mutter Teresa. Ein Ausspruch von ihr kursiert als eine Art prophetischer Erneuerungscode:

„Seitdem wir damit begonnen haben, täglich Anbetung zu halten, ist unsere Liebe zu Jesus inniger geworden, unsere gegenseitige Liebe verständnisvoller, unsere Liebe zu den Armen mitleidiger, und wir haben die Zahl der Berufungen verdoppelt. Gott hat uns gesegnet.“

Immer mehr Gemeinden bezeugen: Es stimmt! Wenn wir Jesus in die Mitte nehmen, ihn anbeten und aus der Eucharistie leben, erfahren wir einen Segen, den wir sonst in keiner anderen Weise hätten herstellen können. Katholische Prayerfestivals und eine neue Welle von Pfingstreffen sind ohne die Monstranz in der Mitte nicht denkbar. Sie entfalten integrative Kraft und vibrieren von Lobpreis. Über 1200 Menschen, darunter viele junge Leute, kommen zum Adoratio-Kongress nach Altötting, auf dem es gerade um die Herrlichkeit Gottes ging: „Das … war nicht nur theoretisch spannend“, resümiert Bischof Stefan Oster, „sondern wurde real erfahrbar. Von dieser seiner Schönheit und Fülle durften wir diese Tage hindurch ein Stück kosten.“

Wie ein Frostregen in die Blüten fallen die Nachrichten von einem Freund, fallen auch eigene Erfahrungen. Er schreibt von der Reise in sein Heimatbistum, wo es zwar in kirchlichen Einrichtungen schon blitzblanke Gendertoiletten gibt, aber wo „fast nirgends mehr Fronleichnamsprozessionen, vielerorts sogar Heilige Messen mehr stattfinden. Katholisches Leben ist zusehends selten bis schwierig zu finden … Das Land vertrocknet.“ Was ist Fronleichnam? Fronleichnam ist: Jesus kommt in die Stadt, höre ich in einer Predigt. Schöner Gedanke. Im gleichen Moment, in dem ich schon nicken will, präzisiert der Prediger: … der Jesus, den die Kirche verraten hat. Und als ich schon geneigt war, an Judas, Petrus und mich selbst zu denken und mir an die Brust zu klopfen, steigert der Prediger noch einmal: … diese Kirche, die Menschen verurteilte, ausgegrenzte, diskriminierte, in Angst und Schrecken versetzte, usw. Es braucht wohl eine aus Missbrauch und Gewalt gewebte schwarze Folie, um den gerade stattfindenden Anbruch des Gottesreiches ins rechte Licht zu rücken.

Der Prediger selbst gehört offenkundig nicht zu dieser praetoleranten Kirche, von der er immerhin die Taufe, die Firmung und den Glauben empfing. Warum wurde er Priester? Ging er ihrer übergriffigen Verkündigung auf den Leim? Ich kann nicht andocken, so sehr ich mich bemühe, fühle mich plötzlich fremd im festlich geschmückten, weihrauchverhangenen Gotteshaus. Frustriert höre ich mir den erwartbaren Rest von einem 2000 Jahre lang missverstandenen, endlich neuentdeckten Jesus an, dem – Achtung Ironie! – nichts Menschliches fremd war, der die Sünde nicht kannte, alles verstand, eine Religion universaler Toleranz begründete, niemand verurteilte, Segen spendend durch die Lande zog und heute von einer synodal runderneuerten „Kirche“ repräsentiert wird, die genauso gestrickt ist wie der Sanfte aus Galiläa. Mir kommt der vorbildliche, aber etwas neurasthenische Jesus, der da per Prozession und Gesinnungswandel in die Stadt kommen soll, so vor, als hätte Andy Warhol das berühmte Schlafzimmerbild von Johannes Raphael Wehle: „Christus im Ährenfeld“ auf Zeitgeist getrimmt.

Nun muss man nur eine Seite Evangelium aufschlagen, um erschüttert zu sein von Inkommensurabilität Jesu, den seine Jünger nicht verstanden und den nicht einmal seine Mutter auf den Begriff bringen konnte (Joh 2,4). Lieber ist mir Jesus fremd, als dass ich ihn mir falsch vertraut machen lasse, ihn mir anderskatholisch zertifiziert auf den Leib binden lasse. Die Bergpredigt ist mitreißend positiv, aber sie ist auch von ätzender Schärfe; in ihr spiegelt sich vieles, aber gewiss nicht das neue kirchliche Arbeitsrecht. Das Fünfte Gebot lautet auch nicht: Du sollst nicht töten/morden, aber Verständnis für Selbsttötung und Abtreibung haben. Und das Sechste Gebot lautet nicht: Du sollst nicht die Ehe brechen, aber Verständnis zeigen im Fall von kirchlichen Angestelltenverhältnissen. An einen rational gezähmten Jesus zu glauben, halte ich für eine größere intellektuelle Zumutung als die Jungfrauengeburt und die Auferstehung zusammen. Hier wird ein Abziehbild von Jesus benutzt, um eine schon lange abgehalfterte Verkündigung massentauglich aufzupeppen und die fluchtartig fortströmenden Gläubigen mit Sonderangeboten zurück ins System „Kirche“ zu locken.

Wie kommt der wirkliche Jesus in die Stadt?

Wie kommt der wirkliche Jesus in die Stadt? Das ist die Frage.

Erste Antwort: gar nicht. Er ist nämlich schon da, verborgen zwar, aber real. Jesus muss nicht erst durch eine funktionierende Pastoralindustrie hergestellt und flächendeckend vertrieben werden. Er ist auch nicht da als eine Idee oder als eine Lehre oder eine Weltanschauung oder ein Bildungsauftrag. Man muss ihn nicht rhetorisch beschwören, um ihm Gestalt zu geben.

Zweite Antwort: Er ist in der Stadt als eine Person und ein Leib. Man kann ihn ansprechen im Gebet, anbeten und „essen“ im Geheimnis der Eucharistie und ihm dienen im Dienst an den Geringsten, den Leidenden, Verirrten und Suchenden.

Dritte Antwort: Er ist da als Entdeckung einer Offenbarung, die durch Verkündigung und Mission provoziert wird. Die helfen, seine Gegenwart zu entdecken, verrichten keinen Job, sondern folgen einer lebensverändernden Berufung, – der Berufung nämlich, „Zeuge“ aus Freundschaft zu sein; das nämlich macht den Jünger aus. „Einer von den Jüngern lag an der Brust Jesu, es war der, den Jesus liebte.“ (Mt 13, 23) Nur der Jünger, der Jesus (und damit die Freude) berührt hat, kann ein „missionarischer Jünger“ (Evangelii Gaudium) sein. Einer, der kompetent ist, in die Freude einzuladen …

Vierte Antwort: Um an den Punkt der glaubwürdigen Bezeugungen zu kommen, mit dem der Erste Johannesbrief anhebt – „… was wir gehört, was wir mit unseren Augen gesehen, was wir geschaut und was unsere Hände angefasst haben vom Wort des Lebens … das verkünden wir auch euch, damit auch ihr Gemeinschaft mit uns habt“ (1 Joh,1-3) – … um an diesen Punkt der Verleiblichung zu kommen, wird sich die Kirche auf den langen Weg katechetischer Initiationen machen. In einer gewaltigen Kraftanstrengung wird sie die epochale Sünde jahrzehntelang verweigerter Katechese erkennen, den Ritualismus oberflächlicher Sakramentenspendung beenden und Menschen wieder ganzheitlich in den spirituellen Lebenszusammenhang der Kirche integrieren.

Fünfte Antwort:  Jesus kommt in die Stadt über den Blumenteppich unserer individuellen und kollektiven Reinigungen. Die Kirche der unbewältigten Missbrauchskrise ist für viele Menschen keine Instanz der Offenbarung. Sie leuchtet nicht, ihr Leib spricht nicht, weil so viele sich in den „Begierden ihres Herzens“ gerade „der Unreinheit“ ausgeliefert wissen müssten, „sodass sie ihren Leib durch ihr eigenes Tun entehrten.“ (Röm 1,24) Ganzheitliche (auch sexuelle) Integrität der Verkündiger ist von Jesus an und im gesamten Neuen Testament eine essentielle Voraussetzung kirchlicher Fruchtbarkeit. „Der Leib ist … nicht für die Unzucht da, sondern für den Herrn und der Herr für den Leib.“ (1 Kor 6,13)

Reden wir biblisch: Jesus kommt in die Stadt wie Maria zu Elisabeth. Maria ist das Urbild der Kirche: die erste Wohnung Jesu, die erste Trägerin der leiblichen Verheißung Gottes, die erste Missionarin, die erste Monstranz der Erlösung. In langen Prozessen innerer Erneuerung wird die Kirche auf den Tag warten, an dem Menschen wieder in ihr erkennen, was Elisabeth in der schwangeren Maria erkannte: „ … Gesegnet ist die Frucht deines Leibes.“


Bernhard Meuser
Jahrgang 1953, ist Theologe, Publizist und renommierter Autor zahlreicher Bestseller (u.a. „Christ sein für Einsteiger“, „Beten, eine Sehnsucht“, „Sternstunden“). Er war Initiator und Mitautor des 2011 erschienenen Jugendkatechismus „Youcat“. In seinem Buch „Freie Liebe – Über neue Sexualmoral“ (Fontis Verlag 2020), formuliert er Ecksteine für eine wirklich erneuerte Sexualmoral.

Bildquelle: Wikipedia, Christus im Ährenfeld, nach Raphael Wehle

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