Verlässt er uns oder bleibt er? Das fragt sich Helmut Müller am Tag, an dem die Jünger sehnsüchtig ihrem Meister nachblicken. Seiner Kirche hat er – in einer Art Selbstverpflichtung – ein in Sakramente und Sakramentalien differenziertes Bei-ihr-Bleiben zugesagt.

Bittprozessionen sind keine Gewaltmärsche

An den Himmelsfahrtstag habe ich aus meiner Kindheit nur schöne Erinnerungen, vor allem an die Tage davor. Wir gingen nämlich in einer Bittprozession an drei Tagen vor dem Fest durch die Wiesen und Felder des Dorfes. Und das in der schönsten Zeit des Jahres, meistens im Mai, an Blumenwiesen vorbei, an schon bestellten Äckern und nicht selten “stand“ eine Lerche über den Feldern mit ihrem Gesang und mischte ihn unter unsere Rosenkranzgebete. Morgens um fünf Uhr ging es los und man betete um den Wettersegen. Die Prozession war rechtzeitig zu Ende, so dass wir Messdiener nach dem Frühstück pünktlich in die Schule gehen konnten. Drei Tage lang vor dem Himmelfahrtstag? War das wie ein Aufbäumen, weil Christus am Festtag diese Erde verlassen will und man quasi in „Gewaltmärschen“ morgens früh – was niemand so empfunden hat – noch einmal um den Wettersegen beten und flehen wollte? Gutes Wetter mit Regen und Sonne, das war in unserem Bergmannsbauerndorf lebensnotwendig. Denn jede Bergmannsfamilie hatte ja noch ihr Feld oder wenigstens einen üppigen Garten hinterm Haus.

Selbstverpflichtung um unseres Heiles willen oder Bindung an ein Mehrheitsvotum?

Kommt diese Notwendigkeit wieder in einer neuen Gestalt, weil das Klima verrückt spielt? Aber nein, die Stimmung war an den Tagen vor Himmelfahrt komplett anders, konnte auch gar nicht anders sein beim Gang über Wiesen und Felder, vielleicht sogar noch bei Sonnenaufgang oder Morgenrot. Das ganze Dorf war auf den Beinen. Auch das Evangelium am Himmelfahrtstag lehrt anderes: Denn der Auferstandene begleitet oder wartet auf jeden von uns, jetzt von einer himmlischen Warte aus: „Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20). Er hat an diesem Tag nur die Erde in unserer leibhaftigen Gestalt verlassen und bleibt seitdem in der Gestalt der Sakramente bei uns. Gewaltmärsche sind also gar nicht vonnöten. In diesem Mysterium ist er mit uns in dieser Welt weiter unterwegs. Das dürfen wir als „Selbstverpflichtung“ Christi aus Liebe um unseres Heiles willen verstehen, wie es im Credo heißt. Das ist anders als gerade manche unserer Bischöfe Selbstverpflichtung verstehen, um einer Bindung an das Mehrheitsvotum eines Gremiums gerecht zu werden, gemäß Beschlüssen des Synodalen Weges

Der offene Himmel

Nein, Selbstverpflichtung aus Liebe im Sakrament meint eine tröstende Heilszusage in allen Widerfahrnissen dieser Welt. Darauf können wir uns verlassen, wenn wir ihm gläubig in jedem Sakrament begegnen. Er ist jedenfalls immer Heil schaffend dabei, wenn der „Blizzard des Daseins“ in unser Leben fährt – wie es einmal Hans Urs von Balthasar dramatisch ausdrückte und damit gar nicht die gelöste und heitere Stimmung an den Tagen der Bittprozession widerspiegelt. In den Sakramenten hat er uns eine Garantie gegeben, dass er bei uns ist und sein wird. Aber auch ohne diese Garantie hat er seinen Himmel nicht verschlossen wie Astronauten ihre Raumkapsel verschließen, wenn sie die Erde verlassen, sondern ist uns zugänglich auch in den vielen Sakramentalien, die es in unserer Kirche über die Selbstverpflichtung in den Sakramenten hinaus auch noch gibt. Denn er hat uns ja aufgefordert zu bitten und regelrecht zu betteln (Mt 7, 7 – 11), wenn wir in Nöten sind. Und das haben wir reichlich an den Tagen vor seiner Himmelfahrt, allerdings in bester Stimmung. Denn sein Himmel ist offen für unser Bitten und Beten.


Dr. phil. Helmut Müller, Philosoph und Theologe, akademischer Direktor am Institut für Katholische Theologie der Universität Koblenz-Landau. Autor u.a. des Buches „Hineingenommen in die Liebe“, FE-Medien Verlag, Link: https://www.fe-medien.de/hineingenommen-in-die-liebe. Helmut Müller ist Mitautor des Buches „Urworte des Evangeliums“.


Beitragsbild: pexels.com (pixabay)

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