Riccardo Wagner feiert in dieser Osternacht sein einjähriges Taufjubiläum und zugleich die Taufe seines Sohnes. Der 14jährige hat sich ebenfalls für Jesus Christus entschieden. Lesen Sie, warum Riccardo in die Kirche eingetreten ist, während viele andere sie verlassen und welche Bedeutung er den Urworten beimisst, mit denen sich auch der Neue Anfang befasst.
Liebe kann man sehen und Vertrauen kann man beinahe physisch mit den Händen fassen. Es war auf einem Spaziergang mit meinem damals ungefähr 12jährigen Sohn: Ich tippte ihm auf die Brust, schaute ihm tief in die Augen und sagte: „Gott wollte Dich“ – Den Blick meines Sohnes werde ich nie vergessen. Ich wusste sofort, er spürt im Herzen, was ich bisher nur im Kopf zugelassen habe. Lange Zeit war mein Weg in den Glauben keine wirklich geplante Reise mit dem Ziel der Taufe. Im Gegenteil. Die letzten Endes zehnjährige Phase war über weite Strecken ein rein intellektuelles Kräftemessen – wirklich aufgebrochen bin ich und Kopf und Herz mitgenommen habe ich erst einige wenige Jahre vor meiner Taufe.
Aufbruch im doppelten Sinne
Nun bin ich erst seit einem Jahr katholisch. Ich wurde in der Osternacht am 30.3.2024 in der schönen Dominikanerkirche St. Andreas in Köln getauft. Und doch fühlt es sich im Rückblick oft an, als hätte mich dieser Weg nicht nur die letzten zehn Jahre des intensiven Studiums, sondern mein ganzes Leben lang begleitet – nicht, weil ich aus einer gläubigen Familie komme oder irgendwie „fromm“ war. Im Gegenteil: Ich bin in einer atheistischen Arbeiterfamilie in der DDR groß geworden. Gott, Kirche, Sakramente – das war für mich völlig außerhalb der Welt, in der ich lebte. Nicht einmal negativ besetzt. Einfach: nicht existent.
Und doch war da immer ein leiser Ruf. Mal als hartnäckiges Interesse an Fragen zu Leben und Tod. Mal als tiefere Sehnsucht nach Beziehung und Gebet und vor allem später immer mehr als manchmal eitle intellektuelle Neugier. Heute würde ich sagen: Gott war da längst auf dem Weg zu mir, lange bevor ich auf die Idee kam, konkret nach ihm zu suchen.
Der leise Ruf und viele Fragen
Was ich damals nur als Ahnung spürte, war eine wachsende Unruhe. Ich hatte beruflichen Erfolg, Anerkennung, ein gutes Leben in der westlichen Welt nach der Ausreise aus dem Osten. Und doch stellte sich immer wieder die Frage ein: War das wirklich alles? Ist dieses Leben, so wie wir es führen, wirklich das Ziel? Warum berühren mich manche Orte und Dinge so tief – alte Kirchen, Friedhöfe, Musik? Warum ist mir die Liebe meiner Frau seit unserem Kennenlernen in der Schulzeit und später die Liebe zu und von meinem Sohn so teuer und wichtig? Warum ist das Vertrauen in die Liebe meiner Eltern so essentiell?
Kluge Menschen und Glauben – wie geht das zusammen?
Was mich besonders beschäftigte und auch manchmal verrückt machte: Warum finden auch sehr kluge Menschen überhaupt Trost und Wahrheit in einer Religion, die in meinen Augen lange Zeit absurd wirkte? Geradezu frech und größenwahnsinnig kamen mir die Behauptungen von Inkarnation und Auferstehung vor. Gerade die katholische Kirche erschien mir, dem Mainstream folgend und genauso unhinterfragt von mir, als ein Überbleibsel aus vormodernen Zeiten. Auch wenn ich Ihre Ästhetik zugegebenermaßen immer großartig fand. Und doch war da etwas, das mich nicht losließ.
Mein Weg mit den Urworten
Auf der Suche habe ich mich über viele Jahre tief eingegraben in alles, was ich finden konnte: Bücher, Videos, Podcasts, Zeitschriften u.v.m. Ich musste mir zunächst überhaupt einen Zugang zu Begriffen verschaffen, die für mich vollkommen leere Signifikanten waren – ohne jede Bedeutung, ohne emotionale Verbindung. Begriffe wie Erlösung, Sünde, Frohe Botschaft, Gnade – selbst Jesus, Liebe, Kirche. Ja, selbst Jesus war für mich ein eher peinlich besetzter Begriff aus kitschigen Sprüchen und überromantisierender Inszenierung von Freude und Verzückung. Das als Graffiti immer mal sichtbare „Jesus saves“ sagte mir absolut nichts.
Heute weiß ich, und ich bin der Bewegung „Neuer Anfang“ dafür sehr dankbar: Ich bin den Weg der Urworte gegangen. Und deshalb kann ich auch bezeugen: Er funktioniert.
Mehr als Rituale?
Heute weiß ich auch: Es war eben kein Projekt. Kein intellektuelles Experiment. Es war – ganz einfach – der Ruf Gottes, der in den Urworten verborgen ist. Nicht laut. Nicht mit Pauken und Trompeten. Sondern leise, beharrlich, menschlich. Nach vielen Jahren wurde mir klar, der Kopf allein wird mich nie zu Gott bringen. Ich begann zu beten. Ganz schlicht. „Gott, wenn es Dich gibt, zeig Dich mir.“ Ich bat nicht um Wunder. Ich wollte einfach verstehen, ob das, was Menschen da Sonntag für Sonntag tun – beten, beichten, Eucharistie feiern – wirklich mehr ist als ein Ritual. Ob man Gott erfahren kann.
Und ich erlebte: Ja. Man kann.
Nicht auf Knopfdruck. Nicht magisch. Sondern schrittweise, im Hören, im Staunen, in der Erkenntnis: Ich bin gewollt. Geliebt. Gemeint. Und ich wusste: Ich will, dass ER ist und will Ja sagen zu ihm.
Als ich dann einige Monate später nach meiner Taufe das Buch Urworte des Evangeliums nach der Buchpräsentation an der KHKT in die Hand bekam, traf es mich ins Herz. Denn ich merkte: Das ist der Weg, den ich längst gegangen bin. Wort für Wort. Schritt für Schritt. Ohne es zu wissen, und es war im wahrsten Sinne des Wortes eine Offenbarung zu erkennen:
„Du bist gewollt.“ – Ich hatte immer wieder das Gefühl: Es gibt einen Blick auf mein Leben, der tiefer reicht als mein eigenes Urteil. Einen, der mich kennt. Der mir sagt: Du musst Dich nicht neu erfinden. Ich wollte Dich schon immer.
„Du bist geliebt.“ – Ich, der Kritiker, der Skeptiker, der Analytiker, der nur zu gern bewertet und abwägt und versucht alles im Leben zu kontrollieren. Ich lernte, dass Gottes Liebe nicht so funktioniert. Gott gibt frei und in Fülle für alle.
„Du bist gerufen.“ – Die Taufe war kein Ziel, sondern ein Anfang. Ich wurde gerufen – in die Kirche, in die Nachfolge, in ein Leben mit Gott. Nicht perfekt. Aber offen und in Liebe.
„Du bist gesandt.“ – Als Professor, als Vater, als Mensch, der in der Welt steht. Ich darf etwas weitergeben. Nicht aus moralischer Überlegenheit, sondern aus Dankbarkeit.
Kein Zufall vermutlich, als ich einige Zeit nach meiner Taufe an einem Tag, an dem ich sehr unsicher war, wie mein Weg weiter gehen soll und wie öffentlich ich weiter mit meinem Bekenntnis umgehen sollte, in meine Taufkirche zur Mittagsmesse zurückkehrte. Leider etwas verspätet, genau in dem Moment trat ich ein, als bei der Lesung aus dem 2. Timotheus-Brief die Stelle aus Kapitel 4.2-6 vorgelesen wurde: „Verkünde das Wort…“
Warum ich überzeugt Ja zur Kirche gesagt habe
Natürlich bin ich auf meinem Weg vor und nach der Taufe auch gestolpert und kam mir mehr als einmal albern vor – „Willst Du wirklich einer dieser seltsamen Christen werden?“ Und ich habe gehadert mit mir und immer wieder auch mit der Institution Kirche. Mit ihrer Geschichte, mit ihren Widersprüchen, mit ihrem Erscheinungsbild.
Sicher auch kein Zufall, dass mir an einer solchen Stolperstelle die Heilige Katharina von Siena in die Hände fiel, deren Gedenktag zudem noch mein Geburtstag ist. Ihr „Dialog über die Vorsehung Gottes“ hat mich tief beeindruckt und hat mir einen Menschen gezeigt, der nie aufgehört hat, Gott und seine Kirche zu lieben, nur weil es Grund zur Kritik gab. Im Gegenteil: Gerade weil sie die Kirche liebten, wollten die Heiligen sie heilen.
Und ich habe erkannt: Die Kirche ist eben nicht bloß ein Apparat, Gebäude oder gar einige Personen. Sie ist eine heilige Wirklichkeit. Wir alle sind Teil davon und die Sakramente sind nicht symbolische Gesten, sondern die liebend ausgestreckte Hand Gottes.
Die Sakramente: keine Folklore, sondern Wirklichkeit
Ich bin kein Mystiker. Aber ich kann aus tiefstem Herzen bezeugen: Die Sakramente sind real und auch mit Vernunft begründbar, wenn wir vom Gottesbild ausgehen, wie es Jesus offenbart. Vernunft ist mir nach wie vor sehr wichtig – nicht umsonst hat mich vor allem Papst Benedikt XVI. so stark beeinflusst und geprägt. Aber ich habe auch erlebt, wie die Beichte einen Menschen wirklich befreit. Wie die Eucharistie trägt – durch schwere, durch einsame, durch widersprüchliche Zeiten. Wie das einfache Kreuzzeichen über dem eigenen Kind, bevor es schläft, mehr sagt als 100 kluge Erziehungsratschläge.
Ich habe lange gedacht, Religion sei etwas für Menschen, die nicht so genau hinschauen. Heute denke ich: Christsein ist für Menschen, die bereit sind, sich ganz ehrlich anschauen zu lassen. Von einem Gott, der uns nicht fertig, aber vollkommen liebt.
Glaube ist möglich – heute, hier, ganz real
Ich bin Kommunikationswissenschaftler, Hochschullehrer, Familienvater. Ich stehe mitten im Leben. Und ich kann heute sagen: Der Glaube macht es nicht einfacher – aber echter. Er gibt Tiefe. Halt. Richtung. Und: Hoffnung.
Wenn ich heute auf die Kirche schaue – auf all ihre Brüche, Skandale, Schwächen – sehe ich immer noch dieselbe Sehnsucht wie damals: Wo ist Heimat? Wo ist Wahrheit? Wo ist Sinn?
Ich habe sie gefunden – nicht in einem System, sondern in einer Person: Jesus Christus. In seiner Kirche. In der Eucharistie. In der stillen Begegnung mit Gott, die sich oft unscheinbar zeigt, aber tiefer reicht als alles andere.
Ich schreibe diesen Text für Menschen, die vielleicht ähnlich ticken wie ich damals. Menschen, die kritisch sind, die viele Fragen haben. Menschen, die sich nicht vorstellen können, je zu beichten oder in eine Kirche einzutreten. Ich sage: Das macht nichts. Gott findet einen Weg. Man muss ihn nicht kennen, um ihn zu gehen.
Es funktioniert und es geht weiter
Ich kann heute bezeugen: Der Weg in die Kirche, den ich gegangen bin, funktioniert. Nicht, weil ich besonders klug oder fromm bin. Sondern weil Gott ein guter und treuer Vater ist und uns seine Urworte als sichere Wegmarken dienen. Er ruft damit heute genauso wie damals. Auch Dich. Auch jetzt. Auch hier.
In der Osternacht dieses Jahres darf ich nun meinen Sohn als Pate bei seiner Taufe, Firmung und Erstkommunion begleiten und jetzt kann man bei mir die Freude und Liebe mit Händen greifen – Gelobt sei Jesus Christus!
Dr. phil. Riccardo Wagner
ist Professor für Nachhaltiges Management & Kommunikation, Studiendekan für Nachhaltigkeitsmanagement & Leadership (M.Sc.) und Leiter der Media School an der Fresenius Hochschule Köln. Seit seiner Taufe 2024 äußert er sich öffentlich regelmäßig zu Glaubens- und Kirchenfragen und zu Fragen der Sozialethik.
Beitragsbild: Riccardo Wagner bei seiner Taufe am 30.3.2024; Foto:privat