Dürfen wir Kindern vor der Erstkommunion den Empfang des Beichtsakraments zumuten? Oder zwingt sie die Kirche zu etwas, das sie gar nicht verstehen können? Manche behaupten heute sogar, es handle sich um eine Form von Missbrauch. Bernhard Meuser beleuchtet die Hintergründe.
Kinder und das Sakrament der Beichte
Kennen Sie die neueste Form von Missbrauch? Missbrauch ist, wenn ein Priester einem Kind die Beichte abnimmt. Angefangen hatte es damit, dass sich vor einiger Zeit polnische Katholiken in einer Petition an das Parlament wandten, der Staat möge doch der Kirche verbieten, Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahren das Sakrament der Versöhnung zu spenden.
Das war natürlich ein gefundenes Fressen für katholisch.de und eine Steilvorlage für die einschlägige pastorale Szene hierzulande, der daran gelegen ist die helle Welt der Kinder möglichst weit vom dunklen Reich der Kleriker und ihren Folterinstrumenten fernzuhalten. Mit Verweis auf den Psychiater Harald Dreßing (MHG-Studie, ForuM), weiß Gabriele Höfling, dass 8- oder 9-jährige Kindern noch gar nicht in der Lage sind, „Konzepte wie Schuld und Sünde richtig zu begreifen“. Das weiß man? Ich weiß nicht. Was ich sicher weiß: Manche begreifen es nie.
Kinder sind nicht böse
Wie konnte die Kirche nur auf den Gedanken kommen, schon Kinder hätten ein Gewissen, oder einen freien Willen, oder es gäbe etwas Böses im Kinderzimmer? Kinder sind nicht böse. Nie. Nur von Klerikern weiß man aufgrund einschlägiger Studien, dass sie böse sind. Sie möchten nichts lieber, als Macht über Seelen gewinnen. Damit kann man nicht früh genug anfangen, weshalb sie schon unschuldige Kinder auf die Knie und in ein dunkles Verlies zwingen. Hinter Gittern machen sie den lieben Kinderchen dann Angst: Huh!
Kinder gehören in den pastoralen Streichelzoo, wo sie von menschenfreundlichen Wesen betreut werden, die – wie die lieben Kleinen auch – der Sünde fern sind. Sünde ist eher so ein Männerding. Hat der hellsichtige Aphoristiker Bellermann die christianity-light-Szene im Blick gehabt, als er den bösen Satz prägte: „Unter Sündern gibt es keine Sünde„? Ich wette nämlich, dass diejenigen, die Kinder von der Beichte abhalten, selbst auch nicht beichten. Ich tue das schon mal … und hab von denen noch keinen im weiteren Umkreis eines Beichtstuhls gesehen. Gut, – das ist jetzt nicht repräsentativ. Aber ich habe in ihren Traktätchen nicht wirklich etwas über Sünde gelesen. Sie reden auch nicht davon. Es kommt in ihrem Psychohaushalt nicht vor. Shit happens. Fehler passieren. Aber Sünde ist eine Erfindung.
Ein Christentum ohne Sünde hat Vorteile
Hier ist der Mensch erstmal gut, – besser gesagt: naturrein. Er braucht keine Versöhnung mit Gott, schon gar nicht über den Zwischenhandel von Männern in Schwarz. So ein guter Mensch braucht keinen, der für seine Sünden starb. „Ohne Sünde“ kann er Steine werfen (Joh 8,7). Er muss nicht beten, nicht fasten, sich keinen Reinigungsritualen unterwerfen. Und er geht der Spaßbremse Teresa von Ávila nicht in die Tugendfalle: „Wer das Gebet übt, bleibt nicht lange in der Sünde. Denn entweder wird er das Gebet oder die Sünde lassen, weil Gebet und Sünde nicht nebeneinander bestehen können.“ Schließlich kann er auch die Bibel bei Momox verticken. Da steht: „Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, führen wir uns selbst in die Irre und die Wahrheit ist nicht in uns.“ (1 Joh 1,8) Wer glaubt denn sowas?!
Wege ins Licht
Wer Kinder oder Enkel hat, kann bezeugen, dass Kinder schon sehr früh den Unterschied von gut und böse kennen, ja an sich erfahren: Zorn, Neid, Missgunst Gewalt, … alles ist unreflektiert da! Natürlich geht es dann um eine sensible Gewissensbildung. Der Weg in ein gutes Leben mit Gott, den zunächst die Eltern und Großeltern den Kindern bahnen, besteht immer in einer elementaren Verschränkung von Erfahrung und Transformation. Gott ist gut und er hilft uns gut zu werden, auch wenn wir alles andere als gut sind. Von der liebevollen Annahme Gottes zu hören, heißt: nicht mehr böse sein, sich bessern, sich hinwenden zum Licht. Das gilt vom Kindergarten bis ins Sterbezimmer. Mitten auf dem existenziellen Weg hat Gott eine Oase eingerichtet: das Sakrament der Versöhnung. Sich in der Oase zu reinigen, bevor man an den Tisch des Königs geladen wird, ist theologisch sinnvoll und menschlich möglich, – auch für Kinder, wenn man das Sakrament der Versöhnung nur angemessen spendet.
Dass Kinder nicht beichten können, ist Altersdiskriminierung. Dass es möglich ist, bezeugen nicht nur pastorale Mitarbeiter, sondern auch Menschen, die aus einer eigenen „innigen“ Erfahrung sprechen und von einer ersten ernsthaften Hinwendung zum lebendigen Gott berichten. Auch ein Priester, Michael Engel, spricht aus Erfahrung: „Ich habe schon viele Erstbeichten abgenommen, und weiß, dass es nötig ist. Wenn man nicht als Kind beginnt, ist es gelaufen.“
Beichte und Missbrauch
Das Schlimme an der Geschichte ist, dass pastorale Akteure getaufte Christen von einem Sakrament fernhalten. Bevor man das grotesk nennt, muss man die Dinge auch auf dem Hintergrund des sexuellen Missbrauchs von Priestern beleuchten, denen selbst das Beichtzimmer nicht heilig war, – eine Katastrophe sondergleichen, die ein Milieu grenzenlosen Misstrauens generiert hat. Sie könnte letztlich jede Form seelsorglicher Nähe und heilender Zuwendung im Ansatz unmöglich machen, besonders wenn diese Beziehung asymmetrisch ist: Alter Mann spendet kleinem Kind das Sakrament. Man kann die Hermeneutik des Misstrauens so weit treiben, bis das Sakrament entmaterialisiert in sich zusammenfällt. Klar: für die Kinderbeichte braucht es den „safe space“ und das Vertrauen in die Integrität des Beicht-Vaters, wobei ich das Wort bewusst benutze im Anklang an Lk 15, das symbolische Heimkommen zum Vater.
Man muss die Attacke auf die Kinderbeichte m.E. aber auch im Kontext von „Missbrauch mit dem Missbrauch“ interpretieren. Immer deutlicher treten die Konturen eines innerkirchlichen Machtkampfes zwischen Klerikern und theologisch geschulten und angestellten Laien zu Tage. Um die Machtfrage stellen zu dürfen, kam der klerikale Missbrauch gerade zur rechten Zeit um die Ecke. Die Schlüsselfrage dazu wurde in fröhlicher Offenherzigkeit auf dem deutschen Synodalen Weg gestellt: „Braucht es den ordinierten Priester?“ Subtext: Nein! Kirche geht auch ohne. Wir gelernten Theologen haben das auch so drauf! Mit dem Versuch der laikalen Delegitimierung des „Priesters“, der apostolisch der Gemeinde gegenübersteht, geht die Zerstörung der Sakramente Hand in Hand. Man schraubt ja nicht nur an der Beichte! Ich empfehle es der Nachdenklichkeit kritischer Katholiken, sich im Geist ein Sakrament nach dem anderen vor Augen zu führen und zu betrachten, was damit gerade passiert.
Alle haben es nötig
Aber wenn es sich die Kinder gar nicht wünschen? „Nur Masochisten wünschen sich die Beichte“, sagte mir einmal ein Jugendlicher. Mit dem Wünschen ist das so eine Sache. Weil wir gefallene Wesen sind, wünschen wir uns notorisch die falschen Sachen: Hab und Gut des anderen, die Frau des Nachbarn. Die Sünde ist eine Realität. Ebenso das Geschenk der Sündenvergebung. Erst wenn ich mein Elend und das Wünschenswerte der göttlichen Vergebung verstanden habe, werde ich mich nach der Beichte sehnen.
Damit kann man nicht früh genug anfangen. Dass Hänschen es nicht gelernt hat, sieht man an den Zahlen. Das zweite unter den fünf Kirchengeboten besagt: „Du sollst deine Sünden jährlich wenigstens einmal beichten.“ Wo passiert das denn in Deutschland? Ich lasse mich nicht vom Gedanken abbringen, dass dies ein echter Indikator für die Betriebstemperatur in der Kirche ist. Und ich freue mich, dass eine junge Generation kommt, die – wenn sie kommt – über Anbetung, Lobpreis und Beichte kommt. Da wird mir warm.
Bernhard Meuser
Jahrgang 1953, ist Theologe, Publizist und renommierter Autor zahlreicher Bestseller (u.a. „Christ sein für Einsteiger“, „Beten, eine Sehnsucht“, „Sternstunden“). Er war Initiator und Mitautor des 2011 erschienenen Jugendkatechismus „Youcat“. In seinem Buch „Freie Liebe – Über neue Sexualmoral“ (Fontis Verlag 2020), formuliert er Ecksteine für eine wirklich erneuerte Sexualmoral.
Beitragsfoto: „Vergeben und Verzeihen“ aus pfarrbriefservice.de