Hier wird nichts weniger beschrieben als ein Musterbeispiel an Cancel Culture, das sich rund um die geplante Verleihung des „Evangelii Gaudium-Preises“ abgespielt hat. Dabei treten Unterstellungen, Vorurteile und Redeverbote prominent auf, die Hauptrolle spielt jedoch die unvergebbare Kontaktschuld. Der herrschaftsfreie Diskurs ist im woken Universum ebenso ausgestorben wie die Neugier auf den anderen. Diesen Weg der Verarmung wird der Neue Anfang nicht mitgehen.
Vom schwierigen Versuch, in der Kirche in ein Gespräch zu kommen
Endlich hat auch Philipp Greifenstein den „Neuen Anfang“ entdeckt! Wurde ja Zeit! Lesen Sie bitte unbedingt seinen Beitrag Keine Gaudi im Bistum Hildesheim | Die Eule. Darin werden Sie zwar wenig Zutreffendes über den „Neuen Anfang“ erfahren, dafür aber eintauchen in ein konzentriertes Lehrstück über Denunziation, illiberales Denken, cancelculture, name dropping, thoughtcontrol und Kontaktschuld. Die Mühe lohnt sich. Nicht, dass Greifenstein ein besonders origineller oder wichtiger Kopf wäre; aber er ist der typische Vertreter einer vielköpfigen elitären Bewegung, die sich mit der Attitüde von Liberalität und Weltoffenheit, gleichzeitig mit dogmatischer Unbelehrbarkeit in der Kirche breitgemacht hat, das Terrain arrondiert und alle wegbeißt, die nicht in ihr Credo einstimmen. Greifenstein gibt den Rhythmus vor, bei dem – wie es Udo Lindenberg besang – ein „jeder mit muss“. Schneller als bei Greifenstein erhalten Sie kaum einen Überblick über antidemokratische autoritäre Denkmuster und typische Mechanismen, mit denen man Andersdenkende durch Abwertung und Ausgrenzung aus dem Feld schießt.
„Klimavergiftung“
Seit etlichen Jahren vergiftet eine bestimmte Form des Umgangs das Klima unter Christen. Gemeinschaften und Einzelpersonen werden, wo immer ihr Name auftaucht, mit diskreditierenden Eigenschaften (Umstritten! Rechte! Populisten! Reformfeinde! Erzkonservative!) belegt, bis sie stadtbekannt, mundtot und sozial vernichtet sind, und kein vernünftiger Mensch – schon gar kein Bischof – sich mehr in ihrer Gesellschaft sehen lassen kann. Er würde „Kontaktschuld“ auf sich laden, – ein Begriff, den der Pazifist und Antimilitarist Heinrich Hannover (1925-2023) prägte. Die Urheber dieses mitmenschlichen Umgangs scheinen vergessen zu haben, dass wahre Humanität darin besteht, Gesicht und Stimme des fremden Anderen unter allen Umständen zu erhalten, sonst stimmen wir bald wieder in die Klage des Widerstandskämpfers Martin Niemöller (1892-1984) ein:
„Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“
Beispiel Hildesheim
Am 23. November 2024 sollte es auf Einladung von Bischof Heiner Wilmer in Hannover zur ersten Verleihung des Evangelii-Gaudium Preises kommen, – zusammen mit der festlichen Weihe des neuen Altars in St. Joseph. Alles war mit der Gemeinde und dem Pfarrer vereinbart, die Gäste waren eingeladen, ein namhaftes Podium war zusammengestellt, die Presse informiert, das Catering gebucht. Was dann kam, ist in der Sache so lächerlich und kleinkariert, wie es alarmierend ist, weil sich Leute wie Philipp Greifenstein sagen könnten: Schaut doch, Ausgrenzung funktioniert! Den Verantwortlichen in Bistum und Gemeinde wurde von bestimmten Kreisen – die mutmaßlich gut vernetzten Aktivisten traten nie direkt an den Neuen Anfang heran – ordentlich heimgeleuchtet. Briefe, Telefonate, Mails! An die Gemeinde. Das Ordinariat. Den Bischof. Ob man denn überhaupt wisse, mit wem man es zu tun habe!? Mahnwachen wurden angedroht. Als dann auch noch ruchbar wurde, jemand habe bei der Hannoveraner Polizei eine leibhaftige Demonstration angemeldet, ging in St. Joseph nur noch “German Angst” um. Würde es zu gewaltsamen Ausschreitungen kommen? Müsste man rund um die Liturgie der Altarweihe Sicherheitsvorkehrungen treffen? Würde der „Neue Anfang“ die Gemeinde spalten? Die Leute mussten den Eindruck haben, als müsse verhindert werden, dass da Hardliner in Springerstiefeln aufmarschieren. Der Bischof beriet sich mit uns. Das konnte man den guten Leuten in St. Joseph auf die Schnelle nicht zumuten. Ein dialogischer Zwischenschritt sollte Brücken bauen und zur Verständigung zwischen unterschiedlichen Ansichten in der Kirche beitragen.
Greifenstein und der woke Universalismus
Nun können wir uns die Auseinandersetzung mit der verdeckt agierenden Aggression, die sich hinter der Hildesheimer Kampagne verbirgt, nicht ganz ersparen. Jedes Mundverbieten ist Ausdruck eines totalitären Denkens und verdient es, die großen Aufklärer des 20. Jahrhunderts noch einmal auf den Plan zu rufen. Hannah Arendt etwa: „Gewalt beginnt, wo das Reden aufhört.“ Oder Jürgen Habermas, der für die Vorstellung einer offenen Gesellschaft warb; sie sollte von einem „herrschaftsfreien Diskurs“ bestimmt sein, in dem vier Prinzipien gelten: „die Gleichberechtigung der Kommunikationspartner“…, „die gleiche Möglichkeit, sich zu äußern“…, „die symmetrische Situation“…, „die Entscheidung durch den Zwang des besseren Arguments.“ Gewaltandrohungen sind Diskursschwäche. Wer keine guten Argumente hat, holt den Prügel heraus.
Zu Philipp Greifenstein: Der mit einer Pfarrerin verheiratete evangelische Theologe betreibt das EULE-Magazin, eine Art selbsternanntes Aufsichtsorgan über politische Umtriebe in den verschiedenen christlichen Denominationen. Greifenstein tut man sicher kein Unrecht, wenn man in ihm einen typischen Vertreter jenes theologischen Liberalismus´ sieht, der – wie Wolfgang Huber einmal sagte – „auf die Säkularisierung der ihr anvertrauten Glaubensgehalte mit einer Selbstsäkularisierung antwortet, statt unter der Asche der Säkularisierung die Glut der ursprünglichen Glaubensmotive freizulegen.“ Wohl deshalb gibt sich Greifenstein jedweder humanistischen, halb- oder ganzatheistischen Luftnummer mit Leidenschaft hin, während er in evangelikal oder charismatisch orientierten Christen die schlimmsten Feinde wahren Christentums ausmacht und akribisch danach forscht, mit wem diese Leute schon einmal gemeinsam Apfelkuchen gegessen haben. Eine besondere Idée fixe des Verschwörungstheoretikers Greifenstein ist das Aufspüren von systemischen Gemeinsamkeiten und unterirdischen Verdrahtungen von Christen, die für „Mission“, „Evangelisierung“ und „Lebensschutz“ einstehen, mit Donald Trump, Viktor Orban und der AfD. Törichte Menschen gibt es überall; aber auch genug aufrechte Christen, die sich in derlei Schubladen nicht ablegen lassen.
Aber wo steht Greifenstein selbst? Ihm ist es sichtlich darum zu tun, von höherer Warte herab zu urteilen. Dass der Papst und die Universalkirche keine hermeneutischen Instanzen für ihn sein können, versteht sich. Aber die höhere Warte ist für ihn auch nicht das einmal ergangene Wort Gottes. In fernem Nachklang zum Deutschen Idealismus scheint die im EULE-Magazin waltende “Heilige Geistkraft” personalidentisch mit dem Geist von heute oder dem inneren Gang der Vernunft zu sein. „Das Recht des Weltgeistes“, befand schon Hegel, „geht über alle besonderen Berechtigungen.“
Dieser Zeit- und Weltgeist, mit dessen Recht und in dessen Namen Greifenstein in die Niederungen Hildesheims hinabsteigt, ist (das Kind muss ja einen Namen haben) eine Art woker Universalismus – eine krude Mischung aus Gendertheorie, radikalem Autonomiedenken, critical race theory, Intersektionalismus und militantem Feminismus, – ein compositum mixtum, das seine zusammengepuzzelte Partikularität für das Ganze der Wahrheit hält. Da die Melange rational nicht diskursfähig ist, wird sie in den Rang eines unfehlbaren Glaubensgegenstandes erhoben, den in Frage zu stellen Sünde ist. Zudem ruft das Konstrukt natürlich nach lehramtlicher Aufsicht, nach Identifikation und Elimination von Schädlingen, nach Blogwarten der rechten Gesinnung, nach Säuberung und Inquisition. Den Priestern dieser neuen Religion, deren einer Greifenstein ist, gibt es das Recht, die Menschheit in gut und böse, rechts und links zu sortieren. Das ahmt einen Typus von Religion nach, der nur eine korrekte Haltung kennt: die Unterwerfung. Ein bereits bewohntes Land wird erobert; eine Fahne wird in den Boden gerammt – und jeder, der den hegemonialen Anspruch der Konquistadoren nicht anerkennt und die Fahne des neuen Glaubens nicht küsst, wird ins Exil geschickt.
So finden wir uns vom Neuen Anfang denn wieder als „erzkonservative Akteurinnen“, auch als „rechtskatholische Multi-Aktivisten“, für die es typisch ist, dass sie sich „häufig mit niederschwelligen und vermeintlich harmlosen Veranstaltungen“ in bereits aufgeklärte kirchliche Milieus einschleichen. „Anknüpfungspunkte sind dabei immer wieder die Themen Abtreibung, Erziehung, Sexualität und Gender.“
Kirchliche Grundüberzeugungen
Nun verhält es sich freilich so, dass „Familie und das ganze Gedöns“ (Gerhard Schröder) zum Kernbestand christlicher Identität gehören. Zu jedem dieser Themen liegen – unter dem lockeren Erdreich vertretbarer Ansichten – Granitschichten fundamentaler Lehre aus Schrift und kirchlicher Überlieferung vor. Jedes dieser Themen kann man vertiefen, neu auf zeitgenössische Herausforderungen hin lesen und gegebenenfalls anreichern. Es gibt aber kirchliche Grundüberzeugungen, die nicht veränderbar sind, weil man dazu „prima prinicipia“ außer Kraft setzen müsste. Ihre Streichung, Ersetzung oder auch nur Unterminierung durch andere Prinzipien stellen für gläubige Christen die Aufhebung der Geschäftsgrundlage dar. Sie sind: Bundesbruch mit dem Gott Abrahams, Isaak und Jakobs – Abschied von Lehre und Person Jesu. Auch wer Papst oder Bibel nicht auf der Rechnung hat, sollte „Abtreibung, Erziehung, Sexualität und Gender“ für Themen halten, zu denen man in einer offenen Gesellschaft ganz, ganz, ganz anderer Meinung sein kann.
Man sollte also darüber reden können. Dialog beginnt, wo man den Andersdenkenden sucht, ihm mit Respekt begegnet und gemeinsam nach der Wahrheit sucht. Gespräche im Klüngel von Gleichgesinnten kann man sich sparen.
Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire!
Philipp Greifensteins Klassifizierungsversuchen müssen wir uns natürlich widersetzen. Im Vergleich mit autoritären und vernunftfeindlichen Kräften, die uns anonym anfeinden, um nicht mit uns reden zu müssen, sind wir geradezu linke Rebellen, – jedenfalls Leute, die es mit dem Marquis Posa in Schillers Don Carlos halten: „Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire!“ Mit Papst Franziskus gehen wir in der Kirche von zwei unabdingbaren Voraussetzungen aus: Es braucht „apostolischen Eifer“ und „kühne Redefreiheit … damit sie (i.e. die Kirche) aus sich selbst herausgeht“ und in eine evangelisierende Dynamik kommt. Wir nehmen uns daher auch in der Kirche das Recht auf freie Meinungsäußerung, notfalls – so sich die Institution verweigert und „wenn´s der Wahrheitsfindung dient“ (Fritz Teufel) – in Gestalt einer „außerparlamentarischen Opposition“. Wir lassen uns mit keiner neoabsolutistischen Geste den Mund verbieten, ob sie nun vom Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz, der Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken oder von einem liberalen evangelischen Theologen kommt.
Bedauerlicherweise hatten und haben wir Grund, die institutionell verfasste Kirche in Deutschland an jahrzehntelange Versäumnisse zu erinnern, die zu einem pastoralen Niedergang ohnegleichen führten; wir tun dies, – nicht, weil wir nicht auch selbst daran beteiligt wären, sondern weil uns allen die Geheime Offenbarung den Schweiß auf die Stirne treiben sollte: „Bedenke, aus welcher Höhe du gefallen bist! Kehr zurück zu deinen ersten Taten! Wenn du nicht umkehrst, werde ich zu dir kommen und deinen Leuchter von seiner Stelle wegrücken.“ (Offb 2,5) Es macht uns keine Freude, in einer Kirche zu leben, die von selbstherrlichem Apparatedenken und bürokratischer Verkapselung geprägt ist, die in fortdauernder Monotonie um sich selbst kreist („autoreferencialidad“ nannte es Papst Franziskus), darüber ihre Bekehrung aufschiebt und ihre Mission vergisst. Wenn Papst Franziskus vom Volk Gottes spricht und ihm in flehentlicher Bitte Synodalität ans Herz legt, möchte er damit die wirkliche Beteiligung aller „missionarischen Jünger“ an der Sendung der Kirche. Dazu braucht es offenen Austausch und konstruktive Ansätze zur Versöhnung der – horribile dictu – feindlichen Lager in der Kirche.
Die Freiheit der Meinung darf schon in einer liberalen Demokratie letztlich nur durch das Strafrecht begrenzt werden. Dies gehört zu ihren elementaren Bedingungen. Wer dieses Prinzip verteidigt, steht auf dem Boden einer solchen Demokratie. Im Freiwilligkeitsverband der Kirche wird die Freiheit der Meinung innerhalb des gemeinsamen, verbindlichen Glaubens gelebt – aber eben dadurch auch begrenzt. Der Neue Anfang war jedoch immer bereit, Konflikte in der Kirche, die diese Grenze in Frage stellen, ja eigentlich überschreiten, fair, im Gespräch und in einem synodalen Ringen auszutragen, – und zwar diesseits der Durchsetzung kirchlicher Disziplin. Der „Synodale Weg“ hat dagegen Positionen, die nicht seiner Agenda entsprachen, von vornherein auf teilweise intransigente Weise marginalisiert, wie man dieses Muster des Umgangs mit der missliebigen Meinung auch im Fall Greifenstein identifizieren kann.
Grundforderung nach freier Meinungsäußerung
Der „Neue Anfang“ versteht sich als aufgeklärte, ideologiekritische Minderheit, die auf dem Boden des Grundgesetzes steht und mit extremen politischen Richtungen nichts, aber auch gar nichts am Hut hat. Wir haben uns der Grundforderung nach freier Meinungsäußerung verschrieben – im Staat wie in der Gemeinschaft, der wir aufgrund eines gemeinsamen Glaubens angehören. Im Rahmen der Katholischen Kirche, um die wir uns sorgen, weil wir sie lieben, bewegen wir uns in der radikalen Mitte einer nachhaltigen Orientierung am Evangelium und den großen Konsenstexten der Konzilien. Als freie Christenmenschen lassen wir uns dabei von keiner innerkirchlichen Stallorder („Die gibt es nicht! …“) beeindrucken. Gerade die Kirche muss höchstmöglichen Anforderungen an den Umgang mit Andersdenken genügen; ihr Ruhmesblatt sind Leute, die es mit Evelyne Beatrice Hall halten:
„Ich missbillige, was Sie sagen, aber ich werde bis zum Tod Ihr Recht verteidigen, es zu sagen.“
Von Beginn an etablierte sich im „Neuen Anfang“ ein Netzwerk von einfachen Laien, aber auch renommierten Anthropologen, wissenschaftlich arbeitenden Theologen und Philosophen, die ihre kritische Distanz zu Zweck, Anlage, Legitimität, Durchführung und Resultaten des „Synodalen Weges“ offen kommunizierten und grosso modo zu den gleichen Ergebnissen kamen wie Papst Franziskus. Ein früh publiziertes, eigenes Reform-Manifest fand innerhalb von Tagen die Zustimmung von mehr als 7.000 Katholiken. Die FAZ befand, hier meldeten „sich zivilisierte Kritiker des Synodalen Wegs zu Wort“ und attestierte uns „eine messerscharfe, zumal philosophische Analyse der kirchlichen Verwerfungen.“
Die wahre Hildesheimer Geschichte?
Nun könnten wir die „wahre Hildesheimer Geschichte” von einer Seite beleuchten, die Philipp Greifenstein verborgen ist. Wir unterlassen es, weil wir nicht mit gleicher Münze herausgeben möchten. Wir möchten nicht die Grabenkämpfe im Bistum verstärken. Als Vertreter der Initiative „Neuer Anfang“ sind wir nach Hildesheim gefahren, weil wir in einem offenen Gespräch an der Überwindung der real existierenden Spaltung und der tödlichen Blockade in der Kirche arbeiten wollten. Immerhin gibt es – hätte niemand den Mut, die Wagenburgen verlassen – in Mt 12,25 eine prekäre biblische Verheißung: „Jedes Reich, das in sich gespalten ist, wird veröden und eine Stadt und eine Familie, die in sich gespalten ist, wird keinen Bestand haben.“
Dass der Bischof redebereit war und katholischen Christen zuhörte, die in zentralen Punkten – etwa der christlichen Anthropologie oder der Ekklesiologie – vermutlich anderer Meinung waren und sind als er, verdient hervorgehoben zu werden. Dass seine Bereitschaft ein evangelisierendes Projekt zu unterstützen, das mit den fatalen Streitthemen auf dem Synodalen Weg nichts zu tun hat, von unversöhnlichen Kräften torpediert und konterkariert wurde, steht auf einem anderen Blatt. Wir urteilen darüber nicht. Wir vergeben den „Evangelii Gaudium Preis“ zu einem anderen Termin.
Worauf wir hoffen? Auf ein wenig Nachdenklichkeit in Hildesheim, Hannover und darüber hinaus. Was uns klar wurde? Wie schwer es ein Bischof heute hat, Nachfolger der Apostel zu sein. Die Kirche ist ja nicht auf den Konsens ihre gerade am Start befindlichen Mitglieder gebaut, sondern „auf das Fundament der Apostel und Propheten …; der Eckstein ist Christus Jesus selbst“, – und dies so vollmächtig und nachdrücklich, dass der Gemeinde das Jesuswort zugemutet wird: „Wer euch hört, der hört mich.“ (Lk 10,16) Das apostolische Prinzip bewahrt uns letztlich davor, den Herrschaftsanspruch Jesu aufzugeben und in ein Konglomerat von selbstbestimmten Konventikeln und autonomen Freikirchen zu zerfallen. Der Bischof ist eben nicht in erster Linie der Sachwalter gemeinschaftlichen Interesses; er steht in gewisser Weise mit Jesus an der Seite in einem ermutigenden wie kritischen Gegenüber zur Gemeinde. Das kann dazu führen (wie mir einmal ein Bischof im privaten Gespräch anvertraute): „Du kommst in ein Gremium, erinnerst an das Evangelium, – und bist der Feind.“ Helmut Müller meinte einmal:
„Das Amt eines Bischofs der römisch-katholischen Kirche verlangt Kompetenzen, denen kaum jemand voll und ganz gerecht werden kann. Er soll Politiker, Heiliger, Prophet, Hirte, Mahner, Versöhner, Friedensstifter, Vater und Brückenbauer sein. Das führt dazu, dass er immer dann, wenn er eine dieser Anforderungen vorbildlich erfüllt, genau darum einer anderen weniger gerecht werden kann.“
Die Lehre aus der Causa Hildesheim
Wenn Hildesheim für uns ein Lehrstück ist, dann im Wachsen der Gewissheit, dass wir weder zurückfallen dürfen in die Konfrontation, noch uns und der Kirche schmerzliche Wahrheiten ersparen können, wie wir das all die Jahre in wachsamer theologischer Begleitung des deutschen „Synodalen Weges“ getan haben. Mit Leidenschaft werden wir uns dem „Positiven“ widmen, – dem, wozu die Kirche da ist – ihrer selbstvergessenen Mission im Dienst an den Menschen. Wir werden die „missionarische Entscheidung“ vorantreiben, von der Papst Franziskus spricht, jene „Entscheidung, die fähig ist, alles zu verwandeln, damit die Gewohnheiten, die Stile, die Zeitpläne, der Sprachgebrauch und jede kirchliche Struktur ein Kanal werden, der mehr der Evangelisierung der heutigen Welt als der Selbstbewahrung dient.“
Deshalb muss man Evangelii Gaudium lesen. Deshalb gibt es den „Evangelii Gaudium Preis“.
Bernhard Meuser
Jahrgang 1953, ist Theologe, Publizist und renommierter Autor zahlreicher Bestseller (u.a. „Christ sein für Einsteiger“, „Beten, eine Sehnsucht“, „Sternstunden“). Er war Initiator und Mitautor des 2011 erschienenen Jugendkatechismus „Youcat“. In seinem Buch „Freie Liebe – Über neue Sexualmoral“ (Fontis Verlag 2020), formuliert er Ecksteine für eine wirklich erneuerte Sexualmoral.