Abigail Favale, eine mit allen Wassern feministischer Konstruktionen gewaschene amerikanische Dozentin für Gender Studies, hat ein unwiderstehliches Buch geschrieben, das vor allem junge Frauen und deutsche Bischöfe lesen sollten, empfiehlt Bernhard Meuser.
Sie ist schön, neugierig, blitzgescheit und gehört zur internationalen Elite junger Vordenkerinnen, die vom Gedanken besessen sind, Sexualität müsse ganz neu gedacht werden; dem „anderen Geschlecht“ (Beauvoir), ja vielen anderen Geschlechtern, müsse endlich Gerechtigkeit widerfahren. Sie will, dass tief eingefressene paternalistische Strukturen aus dem Sozialkörper herausoperiert werden. Ihre intellektuell-feministische Biographie hat nur einen Makel: Seit sie 22 ist, ist sie verheiratet (!), mit einem Mann (!), glücklich (!), wird neben ihrem akademischen Aufstieg auch noch Mutter (!), weshalb sie ihre Geschlechtsgenossen manchmal anstarren wie ein Tier aus einer anderen Welt.
Den Studierenden geistiges Gift eingeträufelt
Dann die Irritation: Abigail Favale, eine mit allen Wassern feministischer Theorie gewaschene amerikanische Dozentin für Gender Studies („…orientierte mich ständig um, im Bemühen, mit dem neuesten Jargon und den neuesten Trends Schritt zu halten“), liest mit ihren Studentinnen und Studenten einen Text von Judith Butler: „Frauen existierten nicht wirklich, und jeder Anspruch auf Wahrheit sei letzten Endes eine Ausübung von Macht.“
Anders als sonst verlässt sie das Seminar nicht mit dem Hochgefühl, durch „Desorientierungsarbeit“ zur Erschütterung simpler Denkmuster beigetragen zu haben. Die junge Professorin befällt plötzlich ein Unwohlsein: „Ist irgendetwas davon überhaupt wahr?“ Eine Cola light in der Hand, offenbart sie ihre Selbstzweifel einem erfahrenen Kollegen: „Nach fünf Minuten fühlte ich mich wie im Beichtstuhl.“ Es bricht aus ihr heraus: „Ich habe den Eindruck, meinen Studierenden geistiges Gift eingeträufelt zu haben.“ Der Kollege („mit einer Aura wie Gandalf aus dem Herrn der Ringe“) reagiert krass:
„Kennen Sie jenen Vers bei Matthäus? Der, in dem es heißt, wer einen von diesen Kleinen zum Straucheln bringt, für den sei es besser, wenn ihm ein Mühlstein um den Hals gehängt und er in der Tiefe des Meeres versenkt würde? Ich habe schon immer gedacht, dass es für uns Hochschullehrer eine gute Idee wäre, uns das auf den Arm tätowieren zu lassen.“
2023 gab es in Deutschland acht Professuren für Kernphysik, aber 173 Genderprofessuren, deren wissenschaftstheoretische Grundlagen so nachdrücklich behauptet werden, wie sie ungeklärt sind. Es gibt kaum einen Studiengang, an dem die Studierenden nicht „gegendert“ werden. Bis in die Alltagssprache hinein hat sich eine Sprachpolizei etabliert, die dafür sorgt, dass keine „Geschlechter“ ausgegrenzt werden, von denen es eine spektrale Vielfalt (jedenfalls mehr als zwei) geben soll. Bis heute haben die Gender Studies noch nicht herausgefunden, was eine „Frau“ ist. Von der Pubertät geschüttelte Mädchen können durch irreversible chemische und operative Eingriffe ihr Geschlecht wählen, es ihrem momentanen Empfinden angleichen.
Man könnte das Buch von Abigail Favale als Anti-Gender-Buch, als abenteuerliche Konversion einer Ex-Feministin, als Trip durch das Tollhaus der Postmoderne, als Auflistung wissenschaftlicher Irrwege in der Frauenforschung lesen – und würde es vierfach im Kern verfehlen. Abigail Favale war Feministin und ist Feministin. Sie befreit Goldkörner wahrer Erkenntnis aus dem Wust falscher Theorien. Ja, es gibt nur zwei Geschlechter und keine nichtbinären Menschen. Aber: „Um dem Gender-Paradigma entgegenzuwirken, muss … eine größere Offenheit für die Vielfalt der Erscheinungsformen innerhalb der Kategorien von Mann und Frau erreicht werden.“
Mit höchster Empathie und ohne jede Polemik erkundet sie das Drama und die spezifischen Traumata ihres eigenen Geschlechts im Zeitalter einer nie dagewesenen Plünderung ihrer Würde und Schönheit. Sie spart dabei auch die Abstürze und Irrfahrten ihrer eigenen Biographie nicht aus – nicht einmal den Selbsthass, mit der sie sich nach der Geburt eines ihrer Kinder im Spiegel betrachtet, wenn sie zur Toilette humpelt: „…die Fremde, die ich da sehe … Diese Frau da blickt benommen und halb verrückt drein, so als wäre sie gerade der Unterwelt entstiegen, ihre Brüste hängen herab und fangen bereits an, sich durch die einschießende Milch zu verhärten; ihre Gebärmutter hängt heraus … grotesk und exzessiv, blutend und triefend und mit Fleisch bespannt … Bis vor kurzem hätte ich nie daran gedacht, meine postpartale Körperdysmorphie mit der Geschlechtsdysmorphie zu vergleichen.“
Den Kosmos der Lüge durchmessen
Genau das macht die Stärke dieses Buches aus. Sie ist Teil weiblicher Erfahrung in dieser Zeit. Sie versteht. Versteht. Versteht. Verurteilt nicht. Macht sich die „Kunst der Begleitung“ (Papst Franziskus) zu eigen, die uns lehrt „vor dem heiligen Boden des anderen sich die Sandalen von den Füßen zu streifen“. Sie hat diesen unendlich beziehungsvollen, integrativen, mütterlichen Blick der Liebe, der sich durch die zweite Entdeckung ihres Lebens – die Entdeckung des katholischen Glaubens – exponentiell verdichtet. Die Grazie der restaurierten Schöpfung, die Gnade des geretteten Leibes, der Möglichkeit von Liebe, die Beendigung des Krieges zwischen den Geschlechtern – nirgends habe ich das eindringlicher gelesen als bei Abigail Favale.
Die Sympathie, mit der Favale auf die Frauen und Männer schaut, überträgt sich von der Autorin auf den Leser. Man fühlt sich eingebunden in ihre Leidenschaft, Brücken zu bauen aus allen Formen der Verhärtung, Fragmentierung, Abspaltung, Vereinzelung.
Mit ihr durchmisst man den Kosmos der Lüge. Mit ihr registriert man, „dass weder der Feminismus noch die Gender-Theorie die Vorstellung von einem inhärenten Wert und einer inhärenten Identität der Frau verteidigen“. Mit ihr atmet man auf und staunt über ihre in Schmerzen gewonnene Gewissheit, dass nur „das katholisch-christliche Paradigma“ die Geschlechter zueinander und zu allen Bestimmungen der Liebe führt.
Selten habe ich übrigens eine so gute Prosa in einem Sachbuch gelesen, was auch für die famose Arbeit der Übersetzer spricht. Favale schreibt mit einer suggestiven subjektiven Wucht: dokumentarisch genau, wissenschaftlich präzise, dabei stilistisch glänzend, hochgebildet, anspielungsreich, metaphorisch zwingend. Man kann sich dem Buch bis zur letzten Seite nicht entziehen.
Wer je an der Hermetik postmoderner Philosophie gescheitert ist, wird schmunzeln, wenn Favale Abbitte bei den Lesern leistet,
„…dass ich ihnen eine unnötig komplexe Reihe von theoretischen Matroschkas zeige – man öffne die Butler-Puppe, um darin die Foucault-Puppe zu finden! In Wirklichkeit riskiere ich eher, den Sachverhalt zu sehr zu vereinfachen, denn wenn Butlers Werk eine Schachtelpuppe wäre, würde man darin Dutzende von kleinen französischen Puppen finden: zweifellos Foucault, auch Beauvoir – und daneben Derrida, Lacan, Irigaray, Kristeva, Wittig …“
Wie sie mit sicherem Instinkt zum Meisterdenker der großen Lüge – zu Foucault – hinführt, bei dem Wahrheit nur noch in Anführungszeichen existiert, das sucht seinesgleichen: „Es bleibt nur die Macht … Wahrheit ist selbst nur eine Konstruktion der Macht … Butler leugnet nicht, dass es biologische Geschlechtsunterschiede gibt. Sie argumentiert jedoch, dass jede Kategorisierung oder Bedeutung, die wir diesen Unterschieden zuschreiben, eine Frage der Macht und nicht der Wahrheit ist.“
Wissenschaftsgläubig, in der Sache aber unbeleckt
Wem würde ich dieses glänzende, unwiderstehliche Buch empfehlen? Ich stelle mir zwei Zielgruppen vor.
Zielgruppe eins: Junge Frauen im Studium. Sie müssen sich in einer Gesellschaft behaupten, die ihre weiblichen Sehnsüchte (wie Favale sie ingeniös herausarbeitet) ausplündert und verrotteten männlichen Idiosynkrasien angleicht. Sie müssen sich durch den Dschungel der Gender Studies kämpfen und ihre oft unberatenen, irrlichternden, scheinbar so sicheren Lehrer belehren. Das wird ihnen kaum gelingen. Aber sie können intelligent scheitern – und es in der nächsten Generation besser machen.
Zielgruppe zwei: Katholische deutsche Bischöfe. Vielleicht hat der Herder Verlag ja die Spendierhosen an und schickt jedem deutschen Bischof ein kostenloses Exemplar, in der Hoffnung, dass die Hirten lesen, über den Mühlstein (Mt 18,6) reflektieren und über Beschlüsse erröten, die sie – wissenschaftsgläubig, in der Sache aber unbeleckt – auf dem Synodalen Weg mitbeschlossen haben.
Abigail Favale: Die geleugnete Natur: Warum die Gender-Theorie in die Irre führt. Herder Verlag, Freiburg 2024, 311 Seiten, Hardcover, EUR 26,–
Bernhard Meuser
Jahrgang 1953, ist Theologe, Publizist und renommierter Autor zahlreicher Bestseller (u.a. „Christ sein für Einsteiger“, „Beten, eine Sehnsucht“, „Sternstunden“). Er war Initiator und Mitautor des 2011 erschienenen Jugendkatechismus „Youcat“. In seinem Buch „Freie Liebe – Über neue Sexualmoral“ (Fontis Verlag 2020), formuliert er Ecksteine für eine wirklich erneuerte Sexualmoral.
Der Beitrag erschien zuerst in der Tagespost.
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