Über das dröhnende Schweigen deutscher Bischöfe
Wann, wenn nicht jetzt, müssen Christen aufstehen, um mit Zähnen und Klauen die unantastbare Würde und das Lebensrecht aller Menschen zu verteidigen? Warum bleibt ausgerechnet der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz stumm?, fragt sich Bernhard Meuser.
Im Buch Genesis begegnen wir Gott, der sich, wie es heißt, „beim Tagwind im Garten erging“. Außer ihm waren auch noch Adam und Eva da. Freilich hatten die beiden sich in die Büsche geschlagen. Seit den Tagen von Eden geistert die bekannte Frage von Gen 3,9 durch die Weltgeschichte: „Adam, wo bist du?“ „Adam“ heißt „Mensch“ und ist eine Variable für alle, die sich gerne verstecken, wenn es heiß wird.
Oberbischof in den Büschen
„Georg, wo bist du?“ Das fragt sich eine ratlose Öffentlichkeit, wo es dieser Tage in Sachen Lebensschutz ans Eingemachte geht. Um Haaresbreite – und mit den Stimmen von CDU/CSU – sollte eine Frau zur Richterin am Bundesverfassungsgericht gewählt werden, für die Art. 1 des Grundgesetzes („Die Würde des Menschen ist unantastbar“) antastbar ist. Frauke Brosius-Gersdorf hatte öffentlich die Menschenwürde für alle Menschen in Frage gestellt: „Die Annahme, dass Menschenwürde überall gelte, wo menschliches Leben existiert, ist ein biologistisch-naturalistischer Fehlschluss. Es gibt gute Gründe dafür, dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt.“ Mit anderen Worten: Du darfst dein Kind töten lassen, sofern es noch nicht geboren ist. Das ist zumindest die letzte Konsequenz einer Trennung von Lebensrecht und Menschenwürde, auch wenn sie diese Konsequenz selbst noch nicht zieht, vielleicht so gar nicht ziehen will. Wir werden sehen: Früher oder später werden diese Konsequenzen gezogen. Das könnte dann am Ende wohl auch heißen: Du darfst der dementen Oma die Spritze geben, wenn sie den Brosius-Kriterien von Menschsein nicht mehr entspricht. Und geistig behinderte Menschen sind dann wahrscheinlich auch keine richtigen Menschen mehr.
Alle kamen sie aus den Büschen: engagierte Lebensschützer, philosophisch gebildete Humanisten, ethisch denkende Juristen, vor allem aber tausende von Christen, die ihre Abgeordneten an die unaufhebbaren humanen Grundlagen unserer Gesellschaft erinnerten. Nur einer blieb im Busch: Georg Bätzing. Dröhnendes Schweigen vom Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz! Während sich die Bischöfe Oster und Voderholzer sofort und in denkbarer Klarheit zu Wort meldeten („Es darf in Deutschland nie wieder Menschen zweiter Klasse geben“), ihnen andere Bischöfe (Gössl, Dieser) beisprangen, ja sich selbst Irme Stetter-Karp ansehnlich zu Wort meldete, was kam da von Georg Bätzing? Nichts. Nothing. Nada. Niente. Da „geriet ich in Furcht, weil ich nackt bin, und versteckte mich.“
Wofür schämte sich Georg Bätzing? Warum gab er sich diese Blöße?
Vom Drama der Fraternisierung
Seit 1803 und den nachfolgenden Vereinbarungen zu Entschädigungsleistungen in diversen Konkordaten werden deutsche Bischöfe indirekt vom Staat bezahlt. Das mag einer der Gründe sein, warum Hirten sich traditionell moderat in der Nähe der Macht bewegen und sich auch dann noch verständnisvoll geben, wenn die Macht in ethische Abgründe torkelt.
In seinem Buch „Evolution der Kooperation“ beschreibt der amerikanische Politikwissenschaftler Robert Axelrod etwas, wofür wir im Deutschen das Wort „Fraternisieren“ haben. Wie verhältst du dich, wenn du gefangen bist in einem Umfeld, das – bei Licht betrachtet – auf deine Auslöschung aus ist? Axelrod: „Das System des ´Leben und leben lassen´, das sich in den erbitterten Grabenkämpfen des Ersten Weltkriegs herausgebildet hat, zeigt, dass Freundschaft für eine auf Gegenseitigkeit beruhende Zusammenarbeit kaum notwendig ist, um in Gang zu kommen. Unter geeigneten Umständen kann sich sogar zwischen Gegnern eine Zusammenarbeit entwickeln.“ Sei nett! Kooperiere! Stelle Beratungsscheine aus! Nun hat die gestenreiche Kooperation der deutschen Bischöfe und des politkatholischen Apparats (ZdK) mit dem immer raffinierter sich geltend machenden linksliberalen Machtstream im Laufe der Zeit der Kirche zwar beim institutionellen Überleben geholfen. Dabei hat dies freilich auch zur Anhäufung verlogener Arrangements von Zusammenarbeit geführt, in denen das Profil der Kirche unsichtbar wurde und ihre Mission erlosch. Man umtanzte sich höflich und schmuste so lange auf der Bettkante, bis man im Bett und unter der Decke lag. Mucksmäuschenstill.
Dass sich der Wind inzwischen gedreht hat und der woke Universalismus nicht mehr das Maß aller Dinge ist, hat sich noch nicht bis Limburg herumgesprochen. Merz die Leviten zu lesen? Der CDU das „C“ entziehen? Der SPD und den Grünen die Nichtwählbarkeit androhen? Den BDKJ auf den Katechismus einschwören? Professorale Rügen provozieren? Die feministischen Theologinnen frustrieren? Lauter No-Go´s für Georg Bätzing. Der Klüngel der korrekten Gesinnung hätte es als Verrat gewertet. Wie weit sich Georg Bätzing von seinem heimischen Milieu entfernt hat, beweist die sichtlich vom Zorn getrübte Überreaktion eines alten Pfarrers: „Wenn ich für ein paar Sekunden Bätzing sein könnte, würde ich Merz (merke: dieses unsägliche „Ja!“) stantepede exkommunizieren! Kannst Du Dich erinnern, wie sie über Mixa hergefallen sind, als er sagte, im Dritten Reich habe man den Juden das Menschsein abgesprochen? Jetzt tut man das mit den Kindern vor der Geburt!“
Man kann es auch nüchterner sagen: Die seit Jahrzehnten grassierende Politiknähe katholischer und evangelischer Oberhirten wurde erkauft mit dem Verlust der evangeliumsgemäßen Freiheit zum Widerspruch, mit dem Verrat an der Soziallehre, der gegen Null gehenden Relevanz der Institutionen und der Verachtung der Anständigen.
Der Kniefall vor der Selbstbestimmung der Frau
Georg in den Büschen – das ist der Kniefall vor einer bis weit ins katholische Milieu vorgedrungenen Überzeugung, wie ich sie gerade in einem typischen Posting ausgedrückt fand: „Frauen / Gebärende sollen selbst entscheiden! Das Traurige ist: wir waren in der Gesellschaft schon mal weiter, es geht zurück. Es steht keiner Frau zu, dass über ihre Schwangerschaft entschieden wird.“
Tatsächlich gibt es die Selbstbestimmung der „Gebärenden“, von denen ich hoffe, dass es weiterhin nur Frauen sein werden. Die individuelle Selbstbestimmung endet jedoch exakt bei der Selbstbestimmung des Anderen. Würde die Selbstbestimmung der Frau nicht ihre Grenze bei der Selbstbestimmung des Kindes finden, so wäre das Kind in ihrem Leib ein Etwas und kein Jemand. In Sachen „Recht auf Abtreibung“ geht es nicht um den selbstbestimmten Umgang mit einer eigenen „Schwangerschaft“, sondern um die Fremdbestimmung über ein Kind, will sagen: um ein im höchsten Grade schutzbedürftiges anderes Menschenwesen, das niemand „gehört“, – und das auch dann nicht in Eigentum überführt werden darf, wenn es noch nicht sprechen und denken kann.
Wir haben es also mit schlechter Metaphysik zu tun. Es gibt eine Menge Gründe, klar zu denken, ohne das Evangelium zu Hilfe rufen zu müssen. Auch für Immanuel Kant ist ein Baby im Bauch seiner Mutter kein „Gemächsel“, das sie „als ihr Eigenthum zerstören“ kann. Christen haben aber den unschätzbaren Vorteil, Lk 10,27 zu kennen: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele, mit deiner ganzen Kraft und deinem ganzen Denken, und deinen Nächsten wie dich selbst“, – dazu noch die jesuanische Lehrgeschichte vom barmherzigen Samariter. Der Nächste einer schwangeren Frau ist das Kind in ihrem Leib. Wir wissen aber auch nur zu gut um verzweifelte Umstände, in denen Frauen Samariter am laufenden Band benötigen, damit ihr Kind leben darf.
Für Herrn Bätzing hätte ich noch Lk 10,31:
„Zufällig kam ein Priester denselben Weg herab; er sah ihn und ging vorüber.“
Bernhard Meuser
Jahrgang 1953, ist Theologe, Publizist und renommierter Autor zahlreicher Bestseller (u.a. „Christ sein für Einsteiger“, „Beten, eine Sehnsucht“, „Sternstunden“). Er war Initiator und Mitautor des 2011 erschienenen Jugendkatechismus „Youcat“. In seinem Buch „Freie Liebe – Über neue Sexualmoral“ (Fontis Verlag 2020), formuliert er Ecksteine für eine wirklich erneuerte Sexualmoral. Bernhard Meuser ist Mitherausgeber des Buches “Urworte des Evangeliums”.