Wenn laut Martin Heidegger die „Sprache das Haus des Seins“ ist – dann ist das Gendern der Sprache offensichtlich Hausfriedensbruch. Eine philosophische Glosse über Gendern und was Gendern sprachlich anrichtet. Nicht nur Bischof Voderholzer befürchtet, dass sich der Synodale Weg Anfang Februar auf einen weiteren Irrweg zu bewegt.
„Die Sprache ist das Haus des Seins. In ihrer Behausung wohnt der Mensch. Die Denkenden und Dichtenden sind die Wächter dieser Behausung. Ihr Wachen ist das Vollbringen der Offenbarkeit des Seins, insofern sie diese durch ihr Sagen zur Sprache bringen und in der Sprache aufbewahren.“ [1]
An anderer Stelle spricht Heidegger davon, dass der Mensch der Hirte des Seins sei. Wenn ich Heidegger richtig verstehe, hat der Mensch mit Beginn des Sprechens versucht, das was ihm in seiner Wirklichkeit begegnet zum Ausdruck zu bringen, in Höhlenzeichnungen, erster Kunst, religiöser Verehrung und eben in der Sprache, dem Versuch einer phonetischen Abbildung der Wirklichkeit, in einer Grammatik des Seins, eben des Wirklichen, das ihm begegnet. Und da ist ihm offensichtlich aufgefallen – und das in allen Sprachen: Über alles Lebendige hinweg gibt es eine einschneidende Asymmetrie, Komplementarität über alles Lebendige hinweg, das unsere Vorfahren in allen Sprachen mit Ausdrücken des Weiblichen und Männlichen benennen und es verbinden mit
- Eindringen und Empfangen,
- Zeugen und Gebären.
- Spontanität und Beständigkeit.
- physische Kraft und emotionale Stärke
- Macht und Milde
- Autorität und Vertrauen
Sonne wärmend weiblich im Deutschen oder stechend männlich im Französischen?
Das muss so eindrücklich gewesen sein, dass die ersten Savannen- oder Höhlenbewohner auch die sie umgebende Wirklichkeit weitgehend in diese Asymmetrien und Komplementaritäten einbinden: Himmel und Erde, Sonne und Mond, Baum und Blume, später auch in zunehmender Sesshaftwerdung den Hund und die Katze, wohlwissend das jeweilige andere Geschlecht der beiden Haustiere unterschlagend.
Nicht in allen Sprachen sind diese Asymmetrien gleichsinnig bestimmt. So ist die Sonne wohl wärmend weiblich in der deutschen Sprache und das Mondlicht männlich kühl. Im Französischen ist das Sonnenlicht offenbar stechend männlich und das Mondlicht mild weiblich, weil sich das französische Idiom einige Breitengrade südlicher entwickelt hat. Auffallend ist allerdings und das wird auch sprachlich in der Grammatik zum Ausdruck gebracht: Substantivisch Männliches und Weibliches deckt sich weitgehend mit den entsprechenden Adjektiven. Wenn das in wenigen Fällen nicht so ist, wurde das schon in ferner Vergangenheit mythologisch zum Ausdruck gebracht, etwa in den Amazonen der Antike und den Kugelmenschen in Platons Symposion. In seinem Denken und Dichten hat der Mensch es in allen Sprachen der Welt zu einer gewissen Meisterschaft gebracht in Poesie und Differenziertheit.
Gendern – eine Demenz des Geistigen?
Wenn das alles so ist, haben wir es seit einiger Zeit mit einer Demenz des Geistigen zu tun und in einer anderen Hinsicht mit einer die Wirklichkeit vergewaltigenden Intelligenz. Letztere verschafft sich mit Gewalt Zutritt in das Haus des Seins, nach Heidegger der Sprache. „Politker:innen“ und „Journalist:innen“ hicksen sich nicht nur in Tagesschau und heute durch dieses Haus, als hätte das Sein – im Sinne von Heidegger – einen Schluckauf bekommen. Und wenn sie darüber schreiben, stolpern sie über Sonderzeichen (*) oder Satzzeichen (:) durchs Alphabet. Heidegger hätte darüber nur den Kopf geschüttelt und dieses Sprechen und Schreiben nicht als eine Schickung des Seins [2] gedeutet, wie es in ferner Vergangenheit Gott und die Götter geschickt hat. Jürgen Habermas wiederum ignoriert in seinem 1.700-seitigen Alterswerk souverän diesen – im wahrsten Sinne des Wortes – Unsinn.
Gendern ist so gesehen zumindest Hausfriedensbruch im „Haus des Seins“. Viel eher handelt es sich nach meiner Einschätzung aber um ein Wohn-Nomadentum mit Vermüllung des Hauses und Ruinieren der Wohnung bis man zur nächsten Gender-Sprechweise weiterzieht. Ein philosophischer Kabarettist würde vielleicht auch von einem Schluckauf des Seins sprechen und von Stolpersteinen in Alphabet und Sprache. Menschen, die von Sprache leben und sie zu einem Kunstwerk machen wie etwa Kabarettisten allen voran Dieter Hallervorden, aber auch Jürgen von der Lippe sehen das ähnlich. Ein solcher Wort-Nomade ist dann nicht mehr Hirte des Seins, sondern der sprichwörtliche Mietling des Evangeliums, den das Wohl der Herde nicht mehr kümmert, der sie auseinanderlaufen und von Wölfen fressen lässt.
Es wird sich nicht mehr um Abbildlichkeit von Wirklichkeit bemüht, wie Heidegger die Sprache versteht, stattdessen handelt es sich beim Gendern um die Indoktrination einer politischen Agenda. Über deren Berechtigung lässt sich nun streiten. Dieser Streit sollte aber nicht „im Haus des Seins“, der Sprache geführt werden. Die Einrichtung dieses „Hauses“ ist bereits differenziert genug, um alle Vorstellungen des Seins zum Ausdruck zu bringen. Man sollte den Stil der Einrichtung nicht verderben, damit das Haus weiterhin bewohnbar bleibt. Folgen wir also lieber George Orwell, wenn er sagt: „Wenn das Denken die Sprache korrumpiert, korrumpiert die Sprache auch das Denken.“ Und das sollte nicht sein.
von Dr. Helmut Müller
[1].Martin Heidegger, Brief über den »Humanismus
[2] Schickung oder Geschick des Seins: Damit meint Heidegger epochale Grundbestimmungen menschlichen Denkens. Es war ein Geschick des Seins, dass menschliches Denken bis in die frühe Neuzeit vom Gedanken Gottes oder des Göttlichen in der Konzeption von Welt und Wirklichkeit dominiert wurde, danach wurde dieser Stil des Denkens förmlich „vergessen“ und u. a. durch funktional-technisches Denken (vgl. Die Technik und die Kehre oder, Brief über den Humanismus) ersetzt. Gendern wäre bestenfalls eine Unterkategorie funktional-technischen Denkens geworden. Sein bei Heidegger wird als rätselhafte aber bestimmende und alles hervorbringende unbestimmbare Grundströmung des Wirklichen begriffen, so dass selbst Gott oder die Götter Schickungen dieser Grundströmung sind.