Pfingstliche Rosenkranzgeheimnisse von Romano Guardini. Peter Esser hat die Gesätzchen auf der Seite der Erzdiözese Wien entdeckt und kurze Betrachtungen dazu geschrieben. Eine Empfehlung für jede Gebetszeit, die man verbringen möchte, um den Heiligen Geist und sein Wirken in der Jüngergemeinde – also in unserer Mitte – zu betrachten. Die Geheimnisse haben es in sich. Die kluge Auswahl der biblischen Bilder ist von bleibender Aktualität.

Die Rosenkranzgeheimisse in aller Kürze:

  • Jesus, der die Seinen nicht als Waisen zurücklassen wollte
  • Jesus, der seinen Jüngern einen anderen Beistand verheißen hat
  • Jesus, der den Heiligen Geist wie einen Sturm vom Himmel gesandt hat
  • Jesus, dessen Geist die Kirche durchweht und regiert
  • Jesus, dessen Geist das Innerste unseres Herzens erfüllt

Jesus, der die Seinen nicht als Waisen zurücklassen wollte

In diesem Ersten Geheimnis wird deutlich, worum es geht. Es geht nicht um einen reinen Gedanken, um die Erinnerung an eine Person, an ein leuchtendes Vorbild, an einen großen Philosophen, Menschheitslehrer oder ähnliches. Es geht um eine familiäre Beziehung. Zweimal verlässt Jesus seine Jünger: In den schockierenden Ereignissen seiner Hinrichtung; aber auch nach seiner Himmelfahrt, als den Jüngern klar wird, dass der Meister nicht leiblich unter ihnen bleibt. Jesus erkennt ganz klar die Gefahr des Verlassenseins derer, die zu ihm gehören. Wer Waise ist, der ist verlassen, der ist allein, der ist einsam, der lernt vieles nicht, der braucht Hilfe, der muss jemanden finden, der sich um ihn kümmert. Waisenschaft ist ein Urverlust des Menschen. Diesem Urverlust tritt Jesus entgegen.

»Ich werde euch nicht als Waisenkinder zurücklassen, ich komme zu euch.« (Joh 14,18)

Der Meister, der seine Jünger um sich gesammelt und gelehrt hat, versteht sich nicht nur als Lehrer, sondern als Vater. Er hat den Vater geoffenbart, er hat gelehrt, zum Abba, seinem lieben Vater zu beten, und er sagt:

»Ich und der Vater sind eins (Joh 10,30).«

Der Beziehung stiftende Heilige Geist tritt in diese Wunde ein, die das Verlassensein geschlagen hat, und gleich damit ist die Not des Menschen zugleich angesprochen und geheilt. Nein, wir sind im Vaterherzen Gottes keine Waisen. Wir sind Kinder mit Hausrecht, wir sind Berechtigte und Erben. Wir müssen uns nicht wie Fremde im Palast Gottes bewegen. Wir können sozusagen jederzeit an den Kühlschrank. Gott ist ein Vater, der uns liebt. Im Beten des Rosenkranzes ist uns zugleich eine Mutter geschenkt – Maria, die das Urbild der Kirche ist.

Jesus, der seinen Jüngern einen anderen Beistand verheißen hat

»Als Gott, der Herr, noch auf Erden wandelte« ist ein klassischer Stereotyp der Sagen, wie sie die Gebrüder Grimm zusammengestellt haben. Er ist der göttliche Begleiter, der sichtbar die Unschuld beschützt und die Barmherzigen belohnt. Ich kann in Gedanken mit Jesus durch Judäa und Galiläa wandern. Ich stehe mit ihm am See Genezareth, ich bin Zeuge, wie Jesus in Nazareth seine Zeitgenossen bis aufs Blut provoziert, indem er ihnen zusagt, der Prophet gelte nichts im eigenen Land. Und wenn dann die Leute auf ihn zugehen und drohen, ihn die Klippe herab zu stürzen, geht er einfach mitten durch sie hindurch. Ich bin im Geiste dabei, wenn ihm die Tempelhierarchie tausend kleine Fallen stellen will. Doch über kein Stöckchen springt er. Dieser Mann ist ein wandelnder Safe Space. Ich denke an die vielen Wunder Jesu: Krankenheilungen, Totenerweckungen, physische Wunder wie Brotvermehrung und Stillung des Sturms. Wer könnte sich in der Gegenwart des Gottessohnes überhaupt unsicher fühlen? Das sollte immer so weitergehen, denkt der Jünger bei sich.
Aber plötzlich ist alles anders. Jesu menschliche Gegenwart bleibt nicht Teil unseres Gegenwartserlebens. Er bleibt nicht jemand, der leiblich mit uns durch die Zeit geht, wie er es damals getan hat. Gott der Herr wandelt nicht mehr auf Erden. Er war leiblich da, aber nun scheint er nicht mehr da zu sein. Und nun brauchen wir einen anderen Beistand. Ich werde bei dem Wort »anders« stutzig. Wer kennt nicht die Enttäuschung, die wir bei der Frage nach der Erfüllung des Bittgebetes verspüren, wenn wir hören:

»Wieviel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist denen geben, die ihn darum bitten. (Lk 11, 13)« 

Der Heilige Geist hilft anders als erhofft, der Heilige Geist ist der Andere. Und gerade das fordert mich heraus. Ich will die Lösung meiner Probleme sehen, doch Gott will in meinem Herzen wohnen. Es fordert mich heraus, nicht mehr im eingeschlagenen Gleis zu gehen. Hilfe kommt von anderswo, aus der Andersheit des Beistandes. Jesus wandelt tatsächlich immer noch durch die Zeit, aber nicht neben mir wie im Märchen, sondern in meinem Herzen, das den Heiligen Geist erbittet.

Jesus, der den Heiligen Geist wie einen Sturm vom Himmel gesandt hat

»Als der Tag des Pfingstfestes gekommen war, waren alle zusammen am selben Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daher fährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. (Apg 2,1f)«

Romano Guardini reduziert in seiner Betrachtung das Pfingstwunder auf das Sturmereignis. Das Brausen des Sturmes ist real und beängstigend. Es erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Der Sturm vom Himmel ist keine Einbildung, aber paradoxerweise findet er im Haus – sozusagen im Raum der Kirche – statt. Schon einmal hat sich Jesus, der Herr, den Jüngern in einem Unwetterereignis gezeigt: Jesus, der im Boot geschlafen hatte,

»stand auf, drohte dem Wind und den Wellen, und sie legten sich und es trat Stille ein. (Lk 8,22 ff)«

Jesus zeigt im Sturm seine göttliche Vollmacht. Damit erinnert er – zusammen mit dem liturgisch eng mit dem Pfingstfest verknüpften Psalm 104 – an die durch die Schöpfermacht Gottes gebändigte und in den Dienst genommene Natur:

»Du fährst einher auf den Flügeln des Windes. Du machst die Winde zu deinen Boten (…) (Ps 104,3-4).«


Es ist ein heftiger, aber kein zerstörerischer Sturm, der mit der Vision der Flammenzungen einhergeht, seine unmittelbare Folge sind das Sprachenwunder und fassungsloses Staunen.
Jesus, die Kraft deines Geistes, die Grenzenlosigkeit deiner Liebe, die im Sturm und in deiner Schöpfermacht sichtbar wird, können uns verunsichern. Wir sind fassungslos vor Staunen: »Was hat das zu bedeuten?« 

Jesus, dessen Geist die Kirche durchweht und regiert

Der Sturm des Pfingsttags bleibt nicht folgen- und formlos. Er greift ein, schöpferisch, reinigend und läuternd. Immer noch ist der Sturm des Pfingsttags mit dem »Haus«, der Kirche verbunden. Aber er weht nicht einfach in das Gebäude hinein, sondern schafft seine eigene Dynamik, indem er hindurch weht. Es bleibt beim Bild des Wehens und es bleibt damit bei der Urgewalt und der Unverfügbarkeit durch den Menschen. Der Geist richtet sich nicht nach unseren Spielregeln – Er regiert! Das ist ein Bild, das mich sehr tröstet in Hinsicht auf diejenigen, die mit Verfahrensmacht versuchen, die Kirche in ihre Gewalt zu bekommen. Macht in der Kirche ausüben zu wollen bedeutet, zu glauben, wir seien die Herren der Kirche. Eine solche Kirche bedeutet nicht mehr, als das, was wir uns selber geben können. Eine solche Kirche ist wertlos. Wenn die Kirche vom Heiligen Geist durchweht wird, dann macht sie ein Ende mit aller Verfahrensmacht, Wokeness auf der einen Seite und Spitzenklöppelei auf der anderen. Der Beter darf einen Blick auf die geistliche Wirklichkeit hinter dem Wehen des Geistes werfen. Es ist Sein Geist, der die Kirche durchweht und regiert.

Jesus, dessen Geist das Innerste unseres Herzens erfüllt

Die fünf pfingstlichen Rosenkranzgeheimnisse kommen zum Ausgangspunkt zurück. Ein Mensch ist nicht mehr Waise, wenn er im Innersten sein Warum und Wozu gefunden hat. So enden die Geheimnisse des Rosenkranzes bei dem Menschen, der seine Vollendung in Gott findet. Es ist ein Bild für das Jetzt, und es ist ein Bild für die verheißene Vollendung in der Ewigkeit.


»Sie werden sein Angesicht schauen und sein Name ist auf ihre Stirn geschrieben (Apk 22,4).«

Die Menschen suchen heute nach ihrer Identität. Und Gott schafft Identität. Gott schafft Heimat. Gott schafft Ganzheit. Gott schafft den ganzen, den aufrechten, den stehenden und gehenden Menschen, den Menschen, der in der Lage ist, in der Gemeinschaft der Brüder und Schwestern vor ihm zu stehen und sich nicht mehr zu schämen. Der sich nicht mehr Gedanken darüber macht, wer er ist, wer er sein kann, wie er sich entfalten kann. Er darf einfach sein in der Gemeinschaft der Armen Gottes, die auch gleichzeitig die Gemeinschaft der Kinder Gottes ist, die ihren irdischen Weg im Wirken des Heiligen Geistes vollendet.


Peter Esser
Der Autor ist 1962 am Niederrhein geboren, arbeitet als Cartoonist und Illustrator und begeistert sich für die Werke von J. R. R. Tolkien.  Peter Esser ist Mitautor des Buches „Urworte des Evangeliums“.

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