Als Fastenserie posten wir jeden Freitag die Auslegung des Sonntagsevangeliums durch Dr. Martin Brüske.

Die Bewährung des Sohns. Zum Evangelium des ersten Fastensonntags C Lk 4, 1-13.

In Jesus, dem Sohn Gottes, der Fleisch angenommen hat, geschieht ein neuer Anfang unseres Menschseins. In seinem Gehorsam und in seinem unbedingten Vertrauen auf den Vater ist die durch die Sünde verletzte, verwirrte Natur des Menschen geheilt. Wir Verletzten und Verwirrten dürfen uns in ihm bergen, immer neu. Denn dieser geheilte neue Anfang bleibt.

Israel und sein Beziehungsdrama

Israel in der Wüste: Das ist einerseits der Honeymoon einer gott-menschlichen Beziehungsgeschichte. Und andererseits fast von Beginn an ein Drama von menschlicher Untreue, göttlichem Zorn (die Kehrseite seiner Liebe) und noch größerer göttlicher Barmherzigkeit. Von menschlichem Ungehorsam und göttlicher Treue. Israel vergisst Gott, Israel murrt: Es verweigert sich der Führung Gottes, weil es immer wieder aus dem Blick verliert, wer Gott ist. Lieber die Dinge selbst im Griff behalten, lieber die Fleischtöpfe Ägyptens, lieber den selbstgegossenen Götzen, statt Vertrauen zu dem Gott, dessen heilige Gegenwart kaum zu ertragen ist (und die man deshalb besser verdrängt und vergisst). Und wenn schon Israel, der erwählte Augapfel, dann erst recht der Mensch, wir – ich. Denn das ist unsere Situation, seit der Satan das Gift des Misstrauens („Hat Gott wirklich gesagt…?“) in unser Herz geträufelt hat.

Jesus, der Geist und die Wüste

Jesus in der Wüste! Gerade noch, bei der Taufe durch Johannes im Jordan, hat ihn die Stimme des Vaters als den geliebten Sohn geoffenbart. Gerade ist der Heilige Geist auf ihn herabgekommen, hat ihn gesalbt und hat ihn erfüllt zu seiner messianischen Sendung. Und jetzt heißt es nicht: Jesus beschließt in der Wüste Juda eine geistliche Auszeit zu nehmen und Exerzitien zu machen. Sondern: Der Geist, der eben auf ihn herabgekommen ist, führt ihn in der Wüste umher, drastischer noch Markus: Er stößt ihn hinein. Der Heilige Geist hat offensichtlich etwas mit ihm vor. Der messianische Auftrag des geliebten Sohnes scheint in der Wüste zu beginnen.

Jesu Auftrag

Der Menschensohn wird also geführt, lässt sich führen – schon dies ist Gehorsam – in die Wüste: Dort wo die Dämonen lauern. Dort wo wir auf uns zurückgeworfen sind. Dort, wo wir unsere Endlichkeit und Verletzlichkeit besonders spüren. Dort, wo man Gott begegnen kann. Dort, wo Israel umherzog vierzig Jahre lang. Dort fastet er vierzig Tage. Klar, das ist der Grund, wieso die Kirche dieses Evangelium auf den ersten Fastensonntag gelegt hat. Das ist Beispiel. Aber es ist noch viel mehr: Es ist der Grund, wieso wir in aller Anfechtung bestehen können. Mysterium. Jesus, der Menschensohn, soll heilen, worin der Mensch gefallen ist im Anfang. Und deshalb musste er den vierzigjährigen Weg Israels durch die Wüste, das diesen uranfänglichen Fall an entscheidender Stelle wiederholte, in sich in der Abkürzung der vierzig Tage rekapitulieren – um ihn zu erlösen und für uns alle einen neuen Anfang zu stiften.

Fasten

Jesus, der Menschensohn in Niedrigkeit, fastet also. Fasten in der Wüste: Das steigert die Erfahrung des Ausgesetzten, der eigenen Endlichkeit und Verletzlichkeit, die ohnehin mit der Wüste verbunden ist, noch einmal. Die Urerfahrung der Stillung, Beruhigung in der Sättigung, fällt weg. Die Befriedigung, die jede Mahlzeit schafft. Dann aber folgt, lange Zeit, eine ganz intensive Wachheit, Sensibilität, Fähigkeit zur Fokussierung, Leichtigkeit, manchmal fast rauschhaft erlebt. Fokussierung und Sensibilität: Das kann auch neue Ausrichtung auf Gott und Gespür für seine Gegenwart bedeuten. Schließlich aber: Elementarer Hunger, wenn das Fasten die organische Substanz erreicht und die Reserven aufgezehrt sind. Dann löst der Organismus „Alarmstufe rot“ aus – und es geht nur noch um eines: Selbsterhaltung! An dieser Stelle ist Jesus angekommen nach vierzig Tagen. Und dort versucht ihn der Satan zu packen.

Wort Gottes

Der Teufel will es wissen: Wer ist der wirklich, der da einige Zeit zuvor als „geliebter Sohn“ proklamiert wurde? Verführung und „Test“ sind eins. „Wenn du wirklich Sohn Gottes bist…“. Und er kennt genau die schwache Stelle, den Hebelpunkt: Der mit elementarer Wucht auftretende Drang zur Selbsterhaltung nach vierzig Tagen Fasten. Jesus, der später sagt: „Wer sein Leben behalten will, wird es verlieren“, er würde sich auf die pure Selbsterhaltung fixieren, voll und ganz davon eingenommen werden. Und die Beziehung, die sein Lebensgrund als Sohn ist, verschwände aus der Mitte seiner Existenz. Jesus lässt sich auf keine Disputation ein. Er antwortet Satan in vollkommener Ruhe und Souveränität. Der Verführungsversuch prallt an ihm ab. Diese ruhige Souveränität weist uns in das Geheimnis seiner Person, ihrer geheimnisvollen Herkunft. Zugleich ist sie ganz und gar menschlich. Dreimal antwortet Jesus mit einem Wort aus dem Buch Deuteronomium. Dreimal also mit einem Wort jenes Buches, das in ganz besonderer Weise die Wüstenexistenz Israels meditiert, dies aber im Blick auf seine kommende Existenz vor Gott im Land der Verheißung. Wie schon angedeutet: In der Bewährung seiner Sohnschaft rekapituliert Jesus die Wüstenexistenz Israels. Der Menschensohn heilt das aus dem Urfall des Menschen kommende Scheitern des ungehorsamen Israels in seinem vertrauenden Gehorsam. Gott bleibt das Zentrum seiner Existenz: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.“ Indem er dieses Wort Gottes existenziell realisiert, bleibt die unbedingte Ausrichtung seiner Existenz auf den lebendigen Gott unversehrt. Das Wort Gottes ist sein Lebensgrund.

Teufelsanbetung

Der zweite Angriff ist dem gegenüber erstaunlich primitiv. Er steht bei Matthäus an dritter Stelle, ist also dort der Ziel- und Höhepunkt. Obgleich primitiv, zeigt sich in ihm tatsächlich das Äußerste der Perversion: Die Anbetung des Satans ist der vollendete Abfall von Gott. Satan präsentiert sich hier als „Fürst dieser Welt“, dem – angeblich oder wirklich? – alle Macht und Herrschaft übergeben sei – und der sie Jesus anbietet, wenn er ihn anbetet. Die Selbstdarstellung Satans und sein Anspruch auf die politische Sphäre zwischen Wahrheit und Lüge führt in abgründige Fragen hinsichtlich seiner Rolle in der Ökonomie des Heils und der Deutung des Imperium Romanum und von dorther des Politischen überhaupt in der Spannweite von Röm 13 bis Offenbarung 13. Wiederum antwortet Jesus mit dem Buch Deuteronomium in vollkommener Ruhe und Souveränität: Nur einem gilt Anbetung – dem einen, lebendigen, souveränen Gott, der alles in Händen hält.

Wort Gottes gegen Wort Gottes

Der Ansatz beim elementaren Lebensdrang ist dem Satan ebenso misslungen wie der beim puren, brutalen und direkten Versprechen der Macht gegen Anbetung – jetzt versucht er es mit der Frömmigkeit und betätigt sich als geistlicher Verführer. Er will Jesus dazu herausfordern, seine Sohnschaft – wie schon beim ersten Versuch – zu demonstrieren, indem er in falschem Vertrauen Gott „auf die Probe stellt“. Wer, wenn nicht Jesus, der zum Sohn Gottes proklamiert wurde, kann den in Ps. 91 verheißenen Schutz der Engel in Anspruch nehmen? Der Satan betätigt sich hier als „Schriftgelehrter“, der den Sinn der Stelle im wahrsten Sinne des Wortes „diabolisch“ verschiebt. Gemeint ist die schützende Lebensbegleitung – und nicht eine irrwitzige Handlung wie der Sprung vom Tempel in Jerusalem, die, willkürlich vollzogen, Gott herausfordert, manipuliert und instrumentalisiert und so – unter dem Schein der Frömmigkeit – das authentische Gottesverhältnis des vertrauenden Gehorsams gerade zerstört. Jesus bleibt auch hier vollkommen souverän und ruhig. Wieder setzt er ein Wort aus dem Deuteronomium, Gott nicht auf die Probe zu stellen, in seiner Klarheit der Schriftmanipulation Satans entgegen. Das ist nun für Lukas der Höhe- und Schlusspunkt der Versuchungserzählung. Wie so oft bei Lukas spielt bei ihm Jerusalem und sein Tempel die Rolle des Zielpunktes, zu dem eine Bewegung führt. Tatsächlich führt sie hier Satan aus. Jesus lässt es geschehen, „mitgenommen“ zu werden. Aber seine souveräne Abwehr des satanischen Angriffs zeigt am Ende nur, dass auch dieser Angriff ein Teil des göttlichen Planes ist, indem Gott in unbeeinträchtigter Souveränität alles zum Heil führt. Jesus beginnt hier die Wunde Israels zu heilen. Er rekapituliert in sich Israels Weg durch die Wüste und setzt den neuen Anfang des vertrauenden Gehorsams. Noch tiefer heilt er darin den Fall des ersten Adam. Er wird zum neuen Adam, zum Beginn einer neuen, geheilten Schöpfung. Satan gibt vorerst auf. Er wird wiederkommen und den Versuch starten, diesen neuen Adam, der sich in seiner Sohnschaft bewährt hat, endgültig zu vernichten. Aber im Sterben und Auferstehen des Menschensohns wird er wieder das Gegenteil von dem bewirken, was er erreichen wollte. Der neue Adam ist jetzt zugleich der erhöhte Herr. Jeder Mensch kann sich in seiner Anfechtung bei ihm bergen. Und jeder Gefallene bei ihm aufrichten. Denn er bleibt in Barmherzigkeit.


Dr. theol. Martin Brüske
Martin Brüske, Dr. theol., geb. 1964 im Rheinland, Studium der Theologie und Philosophie in Bonn, Jerusalem und München. Lange Lehrtätigkeit in Dogmatik und theologischer Propädeutik in Freiburg / Schweiz. Unterrichtet jetzt Ethik am TDS Aarau. Martin Brüske ist Mitherausgeber des Buches “Urworte des Evangeliums”.

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