Die Serie der Auslegung des Sonntagsevangeliums durch Dr. Martin Brüske geht weiter.

Der Glaube der unnützen Knechte
Auslegung des Evangeliums vom 27. Sonntag im Jahreskreis Lk 17, 5-10

Auf die Bitte der Jünger, ihren Glauben zu mehren, antwortet Jesus mit einem grotesken Bild. Dann mutet er den Jüngern zu, ihren Dienst als bloße Ableistung ihrer Schuldigkeit zu begreifen. Das groteske Bild und die Zumutung unnützer Knechtschaft öffnen für den größeren Gott, der durch uns wirken will, wenn wir uns ihm rückhaltlos überlassen.

Wachstum im Glauben 

Nach der eindringlichen Warnung Jesu, anderen Menschen im Glauben Ärgernis zu geben, besonders den „Kleinen“, den im Glauben Gefährdeten, Anfechtbaren und Schwachen und der Zumutung der Verantwortung für den Sünder und der weiteren Zumutung der ständigen Bereitschaft zur Vergebung (Lk 17, 1-4), bitten die Jünger um die Mehrung, das Wachstum ihres Glaubens. Angesichts der Forderung Jesu spüren sie ihre Schwäche: Sie wissen, dass sie aus sich selbst dieser Forderung nicht genügen können. Ihr eigener Glaube ist schwach und gefährdet, bedroht vom Rückfall in die Sünde, bedroht, ihn im Ärgernis wieder aufzugeben. Immerhin: Hier spüren sie ihre Kleingläubigkeit. Nur wenn der, der sie fordert, sie auch im Glauben stärkt, ihren kleinen Glauben zum Wachsen bringt, ihn vermehrt, können sie bestehen. So bitten sie ihn. 

Glaube ist hier also nichts Statisches und Starres, sondern etwas Lebendiges, das wachsen kann. Hier deutet sich an, dass Glaube ein Weg ist, der auf Vertiefung, Wachstum, Mehrung angelegt ist. Der aber auch Phasen der Schwäche, der Gefährdung, der Krise und Verdunkelung, der Anfechtung durch den Unglauben tief in uns kennt. Dabei verschränken sich in eigentümlicher Weise Einsicht und Vertrauen. Glaube wächst der Schau entgegen (er ist „inchoatio visionis“, Anheben der Schau, wie es die Alten sagten), indem er in aller Ernsthaftigkeit die Einsicht und das immer tiefere Verständnis sucht. Aber wirklich tiefe, tragende Einsicht gewinnt er nur im immer tieferen Vertrauen auf Jesus und den Vater, der sich in ihm offenbart. Dieses Vertrauen wächst im Geist. Wer aber schon in der Not seines Herzens rufen kann „Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben!“, der tut das allein im Geist. 

Ein groteskes, surreales Bild

Jesus antwortet unmittelbar und spontan auf die Bitte der Jünger. Aber wie er es tut, überrascht: Auch ein senfkornkleiner Glaube kann potentiell Dinge tun, die unsere Vorstellungskraft auf grotesk-surreale Weise sprengen. Ein Maulbeerbaum, die Sykomore, ist ein extremer Tiefwurzler, dessen Wurzeln ihm jahrhundertelange, unglaublich zähe Beständigkeit verleihen. Sie zu entwurzeln ist schon eine ungeheure Sache. Aber grotesk und surreal wird Jesu Bild von den Fähigkeiten des senfkornkleinen Glaubens endgültig, wenn er diesen Glauben den Maulbeerbaum nun „im Meer“ verwurzeln lässt. Wie soll das gehen? Ein Ding der Unmöglichkeit! Grotesk! Surreal! Eigentlich sogar absurd! Was soll das? Und wieso stärkt und mehrt das den Glauben?

Die Botschaft des Bildes

Parallel geht unserem Bild die Rede Jesu vom Wegheben eines Berges, die als „Glaube, der Berge versetzt“ sprichwörtlich geworden ist. Auch hier ist es Senfkornglaube, der dies bewirkt:

„Warum konnten wir ihn nicht austreiben? Er aber sprach zu ihnen: Wegen eures Kleinglaubens. Denn wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so könnt ihr sagen zu diesem Berge: Heb dich dorthin!, so wird er sich heben; und euch wird nichts unmöglich sein.“ (Mt 17, 19b.21)

Hier ist der unwirksam bleibende Kleinglaube der Jünger mit dem bergeversetzenden Senfkornglauben kontrastiert. Und Jesus kommentiert: Wer den Senfkornglauben hat, dem ist nichts unmöglich. Das führt uns auch in den Sinn unseres Bildes!

Man kann es vielleicht so formulieren: Der Glaube, von dem Jesus spricht – und sei er winzig wie ein Senfkorn – verändert den Möglichkeitsraum menschlichen Wirkens grundsätzlich. Er öffnet ganz neue Möglichkeiten, ja, „schon“ Senfkornglaube macht das Unmögliche möglich. Der sich weghebende Berg und der sich ins Meer einpflanzende Baum sind unserer „normalen“ menschlichen Erfahrung nach krasse, ja eben grotesk-surreale Bilder des Unmöglichen!

Und Jesus wählt dieses Bild, um die Jünger mystagogisch auf diesen neuen Möglichkeitsraum des Wirkens hinzulenken. Entscheidend ist: Der kommt nicht aus einem Glauben, der bei sich bleibt – auch wenn er sich noch so bemüht zu wachsen. Ein solcher Glaube wird niemals Berge versetzen. Der Glaube, von dem Jesus spricht, öffnet sich für das Wirken Gottes, er tritt hörend-gehorsam ein in den Raum seines Wirkens und gewinnt daran Anteil: Der Möglichkeitsraum des glaubenden Menschen verändert sich, weil er nun bestimmt wird vom Wirkraum Gottes.

Genau hier liegt auch der Unterschied zwischen „Kleinglauben“ und „Senfkornglauben“: Der Kleinglauben bleibt bei sich, er hat sich noch nicht loslassen können, sein Vertrauen reicht noch nicht, um wirklich so von sich wegzukommen, dass er eintritt in das Wirken Gottes in seiner kommenden Königsherrschaft. Der „Kleinglaube“ würde auch in seiner „Großversion“, dem Fanatismus, die Dinge in der Hand behalten wollen. Er muss „machen“ und die Kontrolle behalten. Der in den Wirkraum der anbrechenden Königsherrschaft Gottes losgelassene Senfkornglauben vermag dagegen immer auch gelassen zu bleiben. (Oh liebe Leserschaft, wenn man das schreibt, merkt man sehr schnell, wie wenig man dem selbst genügt und noch im Kleinglauben steckt…).

Genau daran also gibt der Senfkornglaube Anteil: an der senfkornklein und doch vollkommen real anbrechenden Königsherrschaft des Vaters, die in der Verborgenheit des Menschseins Jesu zu uns kommt. Sie kommt. Sie kommt wirklich. Sie kommt verborgen und doch wirksam in Jesus. Der große Gott verborgen im sakramentalen Zeichen des Menschseins Jesu, Instrument des Heils, sanft und stark zugleich! Senfkornglauben öffnet sich dem Senfkorn, in dem die ganze Größe Gottes steckt. N.T. Wright drückt es so aus:

„Wir brauchen keinen großen Glauben, wir brauchen den Glauben an einen großen Gott.“

Vom Kleinglauben zum Senfkornglauben

Oder, anders gesagt, unser Glaube wächst und wandelt sich vom Kleinglauben zum Senfkornglauben, je mehr wir uns der Größe Gottes öffnen. Der Senfkornglaube öffnet sich dem Senfkorn der in Jesus kommenden Königsherrschaft des Vaters. Und deshalb öffnet er sich Jesus und vertraut sich ihm an. Das ist die große Herausforderung – ein Lebensprogramm! Geistliches Leben sucht in, durch und mit Jesus Gottes Gegenwart –  und im Innewerden dieser Gegenwart wandelt sich Kleinglauben zu vertrauendem Senfkornglauben.

Jesus tadelt den Kleinglauben, er ermuntert unsere Hingabe und wirbt um unser Vertrauen. Er will, dass wir loslassen, ganz und ohne Rest und den Schritt in das einschränkungslose Vertrauen wagen. Aber er kennt auch unsere Schwäche. Er lässt den Kleingläubigen niemals fallen. Als Petrus versinkt, ist er vom aufblitzenden Senfkornglauben in den Kleinglauben zurückgefallen – und Jesus ergreift ihn sofort.

Jesus weiß also: Diese Wandlung ist ein geistliches Lebensprogramm. Aber deshalb können wir es auch wagen – und müssen es auch. Denn die Gefahr liegt darin, sich im Kleinglauben zu fixieren. Dann droht im Ärgernis der offene oder verborgene Abfall, in der Verspießerung ein religiöser Zuckerguss über die bürgerliche Existenz oder im Pseudowachstum der Fanatismus. Die Alternative liegt eben in einem geistlichen Leben, das  im Wort, im Gebet, in der Betrachtung, in der Liturgie, im Sakrament die Gegenwart Gottes sucht, sich ihr immer tiefer öffnet und vertrauend überlässt. Dann wandelt sich Kleinglauben zu Senfkornglauben, durch den und in dem Gott wirkt.

Unnütze Knechte

Im zweiten Teil unseres Evangeliums findet scheinbar ein völliger Themenwechsel statt – von der Verheißung eines Glaubens, dem nichts unmöglich ist, zur überdeutlichen, ja schroffen Ansage an die Jünger, dass ihr Dienst sie keinerlei Ansprüche gegenüber Gott erwerben lässt. Verbunden scheinen die beiden Abschnitte lediglich dadurch, dass sie sich direkt an die Jünger richten. Aber sehen wir genauer hin!

Das Bild, das Jesus verwendet, ist wieder tief in der Lebenswelt seiner Zuhörer verankert – und doch spitzt er es wieder in provokativer Weise zu. (Fällt Ihnen auch auf, wie oft wir in den letzten Wochen auf einen provozierenden Jesus gestoßen sind? Leider wird das so oft glattgebügelt! Das ist schade, denn Jesus sucht nicht die Provokation als solche, sondern will mit zugespitzten und irritierenden Wendungen gerade auf wichtige Aspekte seiner Botschaft aufmerksam machen, die quer zu unseren Gewohnheiten liegen, aber schlussendlich tiefere und neue Begegnung mit Gott ermöglichen.)

Wer sich in der Welt Jesu als Lohnknecht bei einem Bauern verdingte, wusste, dass er sich nicht nur zur landwirtschaftlichen Arbeit verpflichtete, sondern – normalerweise jeweils für ein Jahr – seine ganze Arbeitskraft zur Verfügung stellte, also auch das bäuerliche Haus zu versorgen hatte. Was der Bauer hier von seinem Knecht verlangt, ist also in sich tatsächlich selbstverständlich, es ist nicht besonders, es ist nicht über Gebühr, es ist Pflicht und Schuldigkeit. Der Knecht erwirbt sich keinerlei besonderes Verdienst. Er tut, was er zu tun hat. Das wissen Jesu Jünger, die ihm zuhören! Die provozierende Zuspitzung: Dieser Bauer ist nicht reich. Er hat nur einen Knecht. Und so wäre es genauso selbstverständlich, dass dieser Bauer mit dem Lohnknecht zusammen den Hof bewirtschaftet. In der Situation, die Jesus anspricht, kommt aber der Knecht allein vom Feld und findet den Bauer zuhause. Das ist es, was die Situation zuspitzt. Aber auch hier gilt: Der Knecht hat seine ganze Arbeitskraft zur Verfügung gestellt. Also: Kein besonderer Anspruch, keine besondere Nützlichkeit (in dem Sinne „unnütz“), kein besonderer Verdienst! Vertrag ist Vertrag. Punkt.

Und so auch im kontrastierenden Steigerungsschluss, vom Kleineren auf das Größere, umso mehr gegenüber Gott: Er ist mein Schöpfer. Ihm gehöre ich ganz. Denn ihm verdanke ich mich in jeder Faser meiner Existenz. Und – im Kontrast zum Bauern: Er wirkt in jedem Augenblick nicht nur mit, sondern zuerst und grundlegend ist er der Wirkende. All mein Wirken ist nur Mit-Wirken. Und so bin ich ihm völlig und total verpflichtet, nicht nur aus einem Jahresvertrag, sondern aus völlig verdankter, geschaffener Existenz. Dass ich ihm dienen kann, dienen darf, ist seine Gabe. Dem gegenüber ist die Rede von Anspruch und Verdienst einfach ohne Sinn. (Wenn das Evangelium und die christliche Tradition dennoch vom Schatz im Himmel reden, vom Lohn und vom Verdienst, dann in einer paradoxen Weise: nicht im Sinne wirklicher, „unabhängig“ erworbener Ansprüche, sondern weil Gott unser personales Engagement liebt und es deshalb würdigen will, obwohl es zugleich ganz seine Gabe und Gnade ist – so wie ein Vater, eine Mutter die ersten wackeligen Schritte des Kindes an ihren Händen über die Maßen lobt.)

Übrigens, gegenüber vielen falschen Vorstellungen, hat dies auch das Judentum so gesehen. So heißt es in der Mischna: 

„Wenn du viel Tora ausgeübt hast, so tue dir nichts darauf zugute; denn dazu bist du geschaffen worden.“

Das bringt auch Jesu Aussage wunderbar auf den Punkt. Genau das hat er geteilt. Aber Jesus geht noch weiter!

Wer seinen Dienst mit dem Erwerb von Ansprüchen gegenüber Gott verwechselt, an dem kann Gott nicht handeln. In der Geschichte vom Pharisäer und Zöllner im Tempel trägt ersterer seine „Verdienste“ wie einen Bauchladen vor sich her – und verstellt so die Möglichkeit, dass Gott an ihm handelt und ihn rechtfertigt, anders der Zöllner, der nackt und bloß vor Gott steht – „Sei mir Sünder gnädig!“ – und gerade so Rechtfertigung erfährt. 

Aber Jesus geht noch einmal weiter! Unser Text hat im Evangelium ein atemberaubendes, kontrapunktisches Gegenspiel: Wer auf jede Selbstbehauptung vor Gott verzichtet und sich ihm wachend, liebend entgegenstreckt, dem kann Gott dienen! Erst der Zusammenklang dieser Texte gibt den ganzen Akkord:

„Selig sind die Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet. Wahrlich, ich sage euch: Er wird sich schürzen und wird sie zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen.“ (Lk 12, 37).

 


Dr. theol. Martin Brüske,
geb. 1964 im Rheinland, Studium der Theologie und Philosophie in Bonn, Jerusalem und München. Lange Lehrtätigkeit in Dogmatik und theologischer Propädeutik in Freiburg / Schweiz. Unterrichtet jetzt Ethik am TDS Aarau. Martin Brüske ist Mitherausgeber des Buches “Urworte des Evangeliums”.


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