Die Serie der Auslegung des Sonntagsevangeliums durch Dr. Martin Brüske geht weiter.

Wisst ihr, was ihr tut?
Auslegung des Evangeliums vom 23. Sonntag im Jahreskreis C Lk 14, 25-33

Jesus fordert uns eindringlich auf, zu erwägen, was Jüngerschaft und Nachfolge bedeuten. Nachfolge und Jüngerschaft sind nicht nebenbei zu haben. Jesus zu folgen bedeutet, eine Entscheidung zu treffen, die mich total beansprucht: alles loszulassen, um seinetwillen. Bedeutet, teilzuhaben an seinem Lebensschicksal bis hin zu Tod und Auferstehung.

Denn sie wissen nicht, was sie tun

Irgendwo zwischen Galiläa und Jerusalem bewegt sich ein Menschenzug: Jesus voran, eine nicht unerhebliche Menschenmenge hinter ihm. Jesus weiß, wohin er geht und was ihn erwartet. Die Menschenmenge weiß es nicht. Sie wissen nicht, was sie tun, wenn sie Jesus nachgehen. Was auch immer sie anzieht – Neugier, religiöse Suche, Sensationslust, Hoffnung auf Hilfe und Heilung in irgendeiner Not, vielleicht aber auch schon eine vage Ahnung: In Jesus geschieht etwas von Gott her! – hat noch nicht zur Klarheit über sich selbst gefunden. Es ist unbestimmt geblieben und hat noch nicht die Eindeutigkeit einer Entscheidung gewonnen. Was von Gott her in Jesus in Gang gekommen ist, fordert aber unsere Freiheit. In Jesus beginnt Gottes Königsherrschaft mitten unter uns anzukommen. Gottes königliche Herrschaft, die Jesus aufzurichten beginnt, bedeutet: Gott hält sich nicht mehr zurück. Er will mitten unter uns da sein. Er will unsere und alle Wirklichkeit bestimmen und so König sein und sein Königtum aufrichten. Diese Herrschaft ist die Herrschaft freier Liebe und machtvoller Gnade. Sie ist stark, aber zugleich zart und das Gegenteil von gewalttätig. Sie ist freie, starke Liebe, die die Antwort der durch Gnade befreiten Freiheit in Glaube, Hoffnung und Liebe will. Was von Gott her in Jesus in Gang gekommen ist, zielt deshalb auf die Entschiedenheit von Nachfolge und Jüngerschaft. In Nachfolge und Jüngerschaft entsprechen wir dem Gott existentiell, der in Jesus gekommen ist. In Nachfolge und Jüngerschaft kommt unsere Entscheidung für Jesus zu sich und zur Klarheit. Das ist in der Menge, die Jesus folgt, noch nicht oder noch nicht genügend geschehen.

Ein wenig, wie immer wieder in der Geschichte der Kirche. Und auch heute. Da sind Menschen mit Jesus unterwegs. Ihre Motivation ist vielfältig. Manches, was gut und echt ist, findet sich darin. Auch manche Suchbewegung. Aber dies alles ist noch nicht zur Klarheit und Entschiedenheit gekommen. Manches ist auch einfach Gewohnheit und Tradition. Manches ein zunächst ganz allgemeines religiöses Bedürfnis nach Schutz, Segen, Geborgenheit, Daseinsversicherung. Völlig legitim. Aber noch nicht wirklich bezogen auf das, was in Jesus von Gott her in Gang gekommen ist. 

Klarheit: Jüngerschaft und das höchste Gut

Und wieder einmal gilt: Ob es uns passt oder nicht, Jesus besteht auf Klarheit und Entscheidung! Er lässt die Unklarheit und Unentschiedenheit der ihn begleitenden Menge nicht stehen. Was er sagt, klingt auch wieder zunächst fürchterlich hart. Seine Sprache ist provozierend, aber so auch von größter Deutlichkeit: Wo die Einheitsübersetzung – sachlich richtig, aber etwas blasser – „gering achten“ hat, steht wörtlich „hassen“. Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern, ja das eigene Leben „hassen“? Was soll das? Hebt Jesus das vierte Gebot auf? Jesus, ein Familienfeind? Und ist Selbsthass nicht eine höchst pathologische Erscheinung? Also: Was meint Jesus damit? Was will er uns so eindringlich und provokativ nahebringen?

In der Tat besteht Jesus darauf, dass der Eintritt in die Jüngerschaft die Loslösung von allem anderen bedeutet, einschließlich des eigenen Lebens. Denn darum geht es: Angesichts der  ungeklärt und unentschieden mitlaufenden Menge formuliert Jesus überaus deutlich die Bedingungen der Jüngerschaft. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie Jesus das Mitlaufen der Menge eine gewisse Zeit geschehen lässt, um sich dann ruhig, aber unvermittelt umzudrehen und die Menschen in dieser Direktheit mit ihrer Unklarheit und Unentschiedenheit zu konfrontieren. Klar zu machen: Das ist Sache. Nur so könnt ihr meine Jüngerinnen und Jünger sein. Ohne das bleibt ihr außerhalb dieser Beziehung der Schülerschaft zu mir. 

Machen wir uns aber klar: Diese provozierende, ja harte Deutlichkeit ist motiviert in der Liebe und in der Sorge um unser Heil: Jeder Mensch muss irgendwann eine Entscheidung treffen, woran er zuallerletzt sein Herz hängt. Ob an den Gott, der in Jesus gekommen ist und kommt. Oder an irgendein anderes Gut – und mag es ein so hohes Gut wie zuletzt die Familie oder das eigene Leben sein. Nur die Entscheidung für Gott ist heilvoll, weil zuletzt nur er unserem Herz genügt. Wenn Jesus aber in typisch orientalisch-semitischer Sprache hier von „hassen“ spricht, meint das nicht die affektive Feindschaft gegenüber den natürlichen Gütern der Ehe, der Familie und des eigenen Lebens, sondern die Notwendigkeit, sie mit aller Entschiedenheit und Kraft an die nachgeordnete Stelle zu setzen, die ihnen gebührt, um Gott die erste Stelle einzuräumen, sich für ihn zu entscheiden und sich an ihn zu binden. An der richtigen Stelle werden die anderen Güter gerade bewahrt und nicht zerstört! An die Stelle Gottes gesetzt werden sie dagegen überlastet und drohen sich selbst zu zerstören. Wenn Jesus diese Entschiedenheit in der Ordnung der Güter, das rechte Vorziehen und Zurücksetzen, sehr semitisch und orientalisch mit „hassen“ ausdrückt, markiert er in paradoxer Weise gerade ihren hohen Rang. Güter niedrigeren Ranges brauchen diese Entschiedenheit nicht und könnten auch gar keinen Konflikt in unseren Herzen auslösen! 

Vom Mitläufer zum Nachfolger

Wer also, gerufen vom Evangelium Jesu, erkennt, dass durch ihn Gottes königliche Herrschaft zu uns kommt, wer ihn so zum Stern seines Herzens, zu seinem kostbarsten Schatz und höchsten Gut macht, der tritt ein in die Jüngerschaft, wird sein Schüler in der Schule des Evangeliums – der wird vom Mitläufer zum Nachfolger. Und sofort folgt auf die erste Zumutung, auch hohe und höchste Güter auf den zweiten Platz zu stellen, die zweite Zumutung – die allerdings auch die größte Verheißung enthält: Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu teilen sein Lebensschicksal, wenn sie ihm nachfolgen. Und Nachfolge ist eben von Jüngerschaft untrennbar, ist zentral und schlechterdings wesentlich: Keine Jüngerschaft ohne Nachfolge! 

Jesus weiß aber, worauf er zugeht! Und das, worauf er zugeht, ist allen Nachfolgerinnen und Nachfolgern zugemutet – und verheißen: Leiden, Kreuz, Tod, Auferstehung, Verherrlichung. Alle Nachfolge ist Kreuzesnachfolge. Dies aber im Licht österlicher Verheißung! Tatsächlich hat „sein Kreuz tragen“ einen sehr realen, damals allen bewussten Hintergrund: Der zur Hinrichtung am Kreuz Verurteilte trug auf dem Weg zur Hinrichtung den Querbalken, das Patibulum. Auch hier ist Jesus also wieder ungeheuer drastisch! Aber hineingenommen zu werden in das Lebensschicksal Jesu, in sein österliches Mysterium ist schlechterdings heilsentscheidend. Schon die Taufe (vgl. Röm 6) formt uns da hinein – und in einer Unendlichkeit individueller Wege der Nachfolge müssen Christinnen und Christen in ihrem Leben existentiell ratifizieren und realisieren, was ihnen in der Taufe grundlegend geschenkt ist: die Teilhabe am Paschamysterium Jesu. Wenn wir geistlich leben und uns ihm immer mehr öffnen, dann dürfen wir volles Vertrauen haben, dass Jesus uns dabei durch Brüche, Schwachheiten, Sünden und Irrwege hindurch, im Heiligen Geist und geborgen in der Vorsehung des Vaters, führt.

Exerzitien

Um diese Führung auf dem individuellen Weg geht es nun noch im zweiten Teil unseres Evangeliums. Jesu „Klärungsarbeit“ hat uns das Ziel verdeutlicht: Gott, der in Jesus kommt, um seine königliche Herrschaft aufzurichten, ist unser höchstes Gut. Realisiert wird das in der Nachfolge Jesu, des Gekreuzigten und Auferstandenen, an dessen Lebensweg und -schicksal wir so Anteil gewinnen. Nun ist das aber kein Schema F. Jesus klärt vielmehr die Grundbedingungen der Jüngerschaft. Und deshalb ist die notwendige Klärungsarbeit noch nicht beendet. Denn jetzt sind wir dran! Jesus lädt uns quasi zu Exerzitien ein, um unseren höchstpersönlichen Nachfolgeweg zu erwägen und zu klären. Wer Klarheit über das Ziel gewonnen hat, der kann jetzt nüchtern – jenseits von benebeltem Enthusiasmus und lähmender Angst, wohl aber mit Respekt, Freude und Gottesfurcht – strategisch die Mittel erwägen, die zum Ziel führen. Kann ich das, bin ich frei genug, mich auf den Weg der Nachfolge einzulassen? Welchen Weg der Nachfolge soll ich wählen? Wozu bin ich berufen?

Wir werden wohl alle zu dem Ergebnis kommen, dass – wie beim zweiten Teil des Doppelgleichnisses – unsere Armeen von uns aus zu schwach sind, um die Schlacht zu schlagen. Dass wir sie aber wagen können, wenn uns die Heere des himmlischen Königs zur Hilfe kommen. Vielleicht ist ja der himmlische König auch jener, der auf mich mit den stärkeren Armeen zukommt und mir eine verheerende Niederlage beizubringen droht, wenn ich nicht klugerweise mit ihm Frieden mache, um mich dann eben gerade mit ihm zu verbünden – indem ich rufe: „Herr, sei mir Sünder gnädig!“


Dr. theol. Martin Brüske,
geb. 1964 im Rheinland, Studium der Theologie und Philosophie in Bonn, Jerusalem und München. Lange Lehrtätigkeit in Dogmatik und theologischer Propädeutik in Freiburg / Schweiz. Unterrichtet jetzt Ethik am TDS Aarau. Martin Brüske ist Mitherausgeber des Buches “Urworte des Evangeliums”.


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