Die Serie der Auslegung des Sonntagsevangeliums durch Dr. Martin Brüske geht weiter.
Jesus, Spaltungsfürst?!
Auslegung des Evangeliums vom 20. Sonntag im Jahreskreis C Lk 12, 49-53
Der Jesus unseres Evangeliums ist kein milder Friedefürst. Politisch ganz unkorrekt sagt Jesus von sich, dass er spaltet. Und behauptet sogar: Dazu bin ich gekommen. Ein wilder, leidenschaftlicher Jesus: Brandstifter mit Lust am Feuer, der es mag, wenn es brennt. Wahrer Friede kommt erst durch die Todestaufe Jesu und die Entscheidung für ihn!
Wozu ist Jesus gekommen?
In unserem Evangelium umkreist Jesus seine Sendung in mehreren Anläufen und unter mehreren Aspekten. Jesus ist es offensichtlich wichtig, diese Aspekte zu unterscheiden. So wichtig, dass seine Rede hier provozierend und „politisch inkorrekt“ wird. Er will, dass wir diese Dinge klar sehen. Denn sie sind alles andere als harmlos, weil Jesus und seine Sendung nicht harmlos sind.
Jesus verdeutlicht das Ziel seiner Sendung: Feuer. Er verdeutlicht die Notwendigkeit, selbst mit einer „Taufe“ „getauft“ zu werden. Er verdeutlicht die gegenwärtige Wirkung seiner Sendung: „ab jetzt“ Spaltung. Feuer, Taufe, Spaltung, dieser Dreiklang, mit dem Jesus hier seine Sendung umschreibt, hat es offensichtlich in sich. Er provoziert und – obwohl doch der ganze sprachliche Gestus die Form der „klaren Ansage“ hat – ist er zugleich rätselhaft. Was meint „Feuer“? Was die geheimnisvolle „Taufe“? Und soll der Messias nicht endgültigen Frieden bringen? Wieso bringt Jesus dann Spaltung?
Feuer
„Jesus sprach: Wer mir nahe ist, ist dem Feuer nahe und wer fern ist von mir, ist fern vom Königreich.“ So heißt es in einem apokryphen Evangelium, dem Thomasevangelium, das manchmal wertvolles Gut enthält. Diese Aussage passt durchaus zum Jesus auch der kanonischen Evangelien. Das Feuer ist hier Bild der göttlichen Gegenwart: In Jesus brennt Gottes Gegenwart, denn in ihm gewinnt die königliche Herrschaft Gottes Raum. Wie gesagt: Das entspricht wirklich der Botschaft Jesu und der Evangelien (und insofern ist es ein schönes und tiefes Wort) – aber es entspricht nicht dem Bild in unserem Sonntagsevangelium! Jesus ist gekommen – also darin besteht seine Sendung – Feuer auf die Erde zu werfen (nicht in sich selbst zu bringen!) und von diesem Feuer wünscht er sich, will er, dass es schon entzündet wäre. Das verweist doch auf einen noch nicht verwirklichten, sondern erst zukünftigen Aspekt!
Eine weitere Möglichkeit: In der Sprache der Bibel ist „Feuer“ oft verbunden mit dem Gericht Gottes. Meint das Feuer hier also das Gericht? Das ist ja auch noch bei Johannes dem Täufer der Fall: Die Spreu wird im Feuer des Gerichts verbrannt! Und Jesus hat sich doch auf die Botschaft des Täufers außerordentlich positiv bezogen. Was aber würde das meinen, dass Jesus gekommen ist „Gerichtsfeuer“ auf die Erde zu werfen? Und was heißt es dann wiederum, dass das Brennen dieses Feuers von Jesus gewollt und gewünscht, aber eben noch nicht wirklich ist? Es fällt mir wirklich schwer, den tatsächlich gegebenen Zusammenhang von Feuer und Gericht in der Sprache der Bibel sinnvoll auf den Gebrauch dieses Bildworts in unserem Evangelium zu beziehen. So scheint mir auch diese Möglichkeit die Bildwelt unseres Evangeliums nicht wirklich zu treffen.
Gibt es noch eine Möglichkeit? Ja, denn so wie die Botschaft des Täufers Johannes in den Evangelien überliefert ist, steht das Feuer nicht nur in engem Zusammenhang mit dem in nächste Nähe gerückten Gericht, sondern auch mit einer anderen, von der Wassertaufe des Johannes unterschiedenen Taufe in Geist und Feuer. Dass zwei der zentralen Stichworte unseres Evangeliums in nächster Nähe zueinander auch bei Johannes in dieser Nähe auftauchen, fällt auf! Ich sag es einfach heraus: Mir scheint, dass Jesus bei diesem geheimnisvollen „Feuer“ tatsächlich den Heiligen Geist meint: Jesu Sendung hat ihr Ziel darin, als Erhöhter den Heiligen Geist auf die Erde zu werfen. Deshalb wünscht und will er so sehr, dass dieses Feuer doch schon brennen würde: Die Gabe des Geistes ist Abschluss und Erfüllung seiner eigenen Sendung. Und tatsächlich: Von oben und in der Gestalt von Feuer(zungen) senkt sich der Geist auf die Versammelten an Pfingsten herab! „Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle beieinander an einem Ort. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Sturm und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt und wie von Feuer, und setzten sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in anderen Sprachen, wie der Geist ihnen zu reden eingab.“ (Apg 2, 1-4). In dieser dritten Möglichkeit können die zuerst genannten gut integriert werden: Der Geist vermittelt und ist Gegenwart Gottes und scheidend-unterscheidend-aufdeckend bedeutet sein Wirken auch immer Gericht.
Taufe
Wenn wir im griechischen Neuen Testament die Wörter baptisma / baptizein lesen und die Sprache des Neuen Testaments etwas kennen, dann werden wir – fast ohne nachzudenken – mit Taufe / taufen übersetzen. Sehr schnell hat sich dieser in christlichen Kreisen fixe Gebrauch dieser griechischen Wörter herausgebildet. Aber gerade bei den ältesten Zeugnissen im christlichen Kontext müssen wir die weitere Bedeutung noch mithören. Mein Freund Thomas Schumacher, Professor für Neues Testament in Fribourg, pflegt das sehr anschaulich klarzumachen: Wenn wir von Schiffstaufe reden, dann benutzen wir das Wort analog zur christlichen Taufe und meinen die Namensgebung unter Zerschmetterung einer Flasche Champagner am Schiffsrumpf. Wenn man aber griechisch in der ursprünglichen Bedeutung sagt, „Das Schiff wurde getauft“, dann spricht man nicht von Namensgebung analog zur christlichen Taufe, sondern sagt, „Das Schiff ist untergegangen.“ Denn tatsächlich bedeutet „baptizein“ ursprünglich eben „eintauchen“, untertauchen“ und passiv (und tatsächlich besonders bezogen auf Schiffe) eben auch „untergehen“.
Was bedeutet es also, was hat Jesus im Blick, wenn er sagt: „Ich muss mit einer Taufe getauft werden und wie bin ich bedrängt, bis sie vollzogen ist.“? Anders als in der ersten Aussage, geht es hier nicht um eine aktive Handlung („Feuer auf die Erde zu werfen…“), sondern um ein bevorstehendes Geschehen, das Jesus widerfahren wird. Dieses Geschehen ersehnt er nicht, sondern es bedrängt ihn, bis es vollzogen ist. Eine geheimnisvolle Notwendigkeit, ein „Müssen“ bestimmt es. Machen wir uns weiter klar: Der ganze lukanische „Reisebericht“ des Weges nach Jerusalem steht ja, wie wir schon in mehreren Auslegungen gesehen haben, unter dem Vorzeichen und Vorschein seiner bevorstehenden Passion, die immer wieder mit diesem geheimnisvollen „muss“ verbunden ist. Dieses „muss“ nimmt Passion und Tod Jesu hinein in den Heilsplan des Vaters – und in der Bedrängnis, unter der Jesus im Blick auf diese „Taufe“ steht, scheint schon die Todesangst in Gethsemane auf.
So wie wir die beiden Aussagen in unserem Evangelium zusammen finden, beleuchten sie sich also gegenseitig: Jesu Sendung zielt auf die Gabe des Geistes als ein Feuer, das die Erde entzünden soll. Aber zuvor muss er untergetaucht werden in den Tod, der nach Auferweckung und Erhöhung diese Gabe erst möglich macht.
Spaltung
Und nun wird Jesus endgültig höchst provokativ und „politisch unkorrekt“ – und zwar nicht nur heute, sondern auch schon damals. Familie ist – und zwar gut biblisch begründbar! – im damaligen Judentum ein besonders hohes Gut. Familie lebt aber doch von ihrem Zusammenhalt! Und jetzt sagt Jesus: Er ist nicht gekommen Frieden zu bringen, sondern Spaltung – und er veranschaulicht dies an der Spaltung der Familie. Jesus, nicht Friedensfürst, sondern Spaltungsfürst? Eine größere Provokation an empfindlicherer Stelle ist kaum denkbar! Aber auch in den heutigen politisch-gesellschaftlichen Debatten ist der Vorwurf zu spalten oder ein Spalter zu sein nicht nur häufig zu hören, sondern es soll die Person, der das vorgeworfen wird, definitiv diskreditieren.
Und nun sagt Jesus von sich nicht etwa, dass Spaltung, Scheidung, Teilung, Entzweiung nicht etwa eine höchst bedauerliche, jedoch leider unvermeidliche Nebenfolge seiner Botschaft sei. Eigentlich gehe es ihm immer um Frieden. Sondern er sagt, wer meint, er bringe Frieden auf der Erde, der irrt, sondern Spaltung bringe er und eben bis mitten hinein in die Familie. Wie gesagt: Unkorrekter und provokativer geht es gar nicht mehr. Aber wie meint er das alles? Was will er deutlich machen, wenn es nicht um die pure Lust an der Provokation geht?
Denn und aber: Der Messias ist doch nach alttestamentlicher Verheißung Friedensfürst! „Denn ein Kind wurde uns geboren, / ein Sohn wurde uns geschenkt. Die Herrschaft wurde auf seine Schulter gelegt. / Man rief seinen Namen aus: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, / Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens. Die große Herrschaft / und der Frieden sind ohne Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, / es zu festigen und zu stützen durch Recht und Gerechtigkeit, / von jetzt an bis in Ewigkeit. Der Eifer des HERRN der Heerscharen / wird das vollbringen.“ (Jes 9, 5-6).
Und auch im Lukasevangelium ist unsere „Spaltungsstelle“ höchst programmatisch eingerahmt durch zwei messianische „Friedensstellen“: „Ehre sei Gott in der Höhe / und Friede auf Erden / den Menschen seines Wohlgefallens.“ (Lk 2, 14). „Friede auf Erden“! Beim messianischen Einzug in Jerusalem wird dieses Friedensmotiv aufgegriffen – aber in einem entscheidenden Detail abgewandelt: „Sie riefen: Gesegnet sei der König, der kommt im Namen des Herrn. Im Himmel Friede und Ehre in der Höhe!“ (Lk 19, 38). Hier wird, in dem Augenblick, in dem die Passion bevorsteht, der Friede nicht mehr auf Erden situiert, sondern hat seinen Ort im Himmel! „Friede auf Erden“, „im Himmel Friede“ – und dazwischen die Verneinung, Frieden auf der Erde zu bringen. Ich glaube, zwischen diesen Versen besteht ein ganz direkter Zusammenhang: Sie beleuchten sich gegenseitig! Wie können wir das deuten?
Ich denke, eine Fehldeutung wäre es, die schroffe Verneinung Jesu, dass er Friede auf Erden bringe und die Verlagerung des messianischen Friedens in den Himmel, einfachhin als Aufhebung des weihnachtlichen Lobgesangs der Engel zu deuten; etwa so, dass die Ablehnung, auf die Jesus von Anfang an stößt, diese Möglichkeit des messianischen Friedens endgültig verspielt hat. Nein, ich glaube die Verheißung des messianischen Friedens bleibt. Aber der Weg ihrer Verwirklichung wandelt sich. Allerdings war der Weg dieser Verwandlung von vornherein von Gottes Vorsehung und seinem Plan umgriffen.
Das angenommene Evangelium von Gottes Königsherrschaft, wie Jesus es verkündigt hat, hätte eine solche messianische Licht- und Liebeskraft entfaltet, dass die Völker sich aufgemacht hätten, um zum Zion zu pilgern. Es ist dies das alte Motiv von der Völkerwallfahrt nach Jerusalem (Jes 2) und damit war verbunden die Verwandlung von Schwertern und Lanzen zu Pflugscharen und Winzermessern. Dies ist die sozusagen dem Evangelium Jesu „natürlicherweise“ innewohnende Möglichkeit. Und die wäre ganz direkt „Friede auf Erden“ gewesen!
Weil dieses Evangelium von Gottes anbrechender Königsherrschaft auf – zuletzt tödliche – Ablehnung stieß, konnte sie sich so nicht und muss sie sich nun anders verwirklichen. Sie kann sich dann zuerst und entscheidend nur dadurch verwirklichen, dass Jesus seine Ablehnung sühnend auf sich selber nimmt und so die reale Möglichkeit des Heils verwirklicht und für alle, auch für die, die ihn töten, offen hält. Das ist das geheimnisvolle „muss“ der Taufe in den Tod!
So wird auch der messianische Frieden nun zuerst im Himmel verwirklicht. Aber dort wird er ergriffen von denen, die ihr Herz im Himmel verankert haben, weil ihr Schatz, ihr höchstes, liebstes Gut dort ist (Evangelium vom 19. Sonntag C). Das macht aber auch klar: Es gibt diesen Schatz des himmlischen Friedens nicht ohne Entscheidung. Ich muss wählen (aus, in und durch Gnade zur Freiheit befreit), wo mein Herz ist. Ich muss das Evangelium Jesu wählen und mich an ihn binden. Dann empfange ich himmlischen Frieden in ihm, himmlischer Friede, der sich irdisch auswirkt und auswirken soll. Die Notwendigkeit der Entscheidung bedeutet aber eben auch Scheidung, Teilung, Spaltung. Alles andere wäre fauler Friede und falsche Einheit in der Lüge, kein Friede in Liebe und Wahrheit. Denn kein fauler Friede wird halten. Er ist Schein und Illusion. Echter Friede ist in Gott. Er aber kann die ganze Welt im Feuer des Geistes verwandeln.
Dr. theol. Martin Brüske,
geb. 1964 im Rheinland, Studium der Theologie und Philosophie in Bonn, Jerusalem und München. Lange Lehrtätigkeit in Dogmatik und theologischer Propädeutik in Freiburg / Schweiz. Unterrichtet jetzt Ethik am TDS Aarau. Martin Brüske ist Mitherausgeber des Buches “Urworte des Evangeliums”.