Die Serie der Auslegung des Sonntagsevangeliums durch Dr. Martin Brüske geht weiter.

Eine große Gabe in einer kleinen Herde
Auslegung des Evangeliums vom 19. Sonntag im Jahreskreis C Lk 12, 32-48

Die kleine Herde hat eine große Gabe empfangen: Gottes Königtum. Aus der großen Gabe folgt große Verantwortung. Denn viel ist uns anvertraut. Loslösung ist verlangt. Das Herz am rechten Fleck im Himmel haben, dort, wo der wahre Schatz ist. In Wachsamkeit auf den Kommenden ausgerichtet bleiben. Aber der gütige Blick des Vaters nimmt die Furcht.

Klein, aber fein: Die Herde des königlichen Hirten

Allein gelassen in der Wolfswelt – „Ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe.“ – muss die kleine Herde vor Todesfurcht vergehen. Sie hat da keine realistische Überlebenschance. Ob sie klein oder groß ist, spielt bei dieser Frage – wie überleben in der Wolfswelt? – nur eine ziemlich sekundäre Rolle. Klein ist sie vielmehr, weil ihr königlicher Hirte senfkornklein mit ihr anfangen wollte. Aber der Hirte verwirklicht in ihr anfanghaft seine königliche Herrschaft, sein „Reich“, seine „Basileia“. Das ist die große Gabe mitten in der kleinen Herde.

Hirt und Herde sind tatsächlich seit uralten Zeiten im alten Orient und in Israel Bilder für den königlichen Herrscher und die seiner Sorge Anvertrauten. Hier ist es noch mehr: Das Wohlgefallen des Vaters hat die kleine Herde erwählt, sie ist wirklich nur durch sein Wohlgefallen, sie ruht in seinem Wohlgefallen, um seine königliche Herrschaft mitten unter den Menschen aufzurichten. Seine Herrschaft: Das ist die barmherzige Erwählung der Verlorenen zu neuer und endgültiger Gottesgemeinschaft. Weil sie aber im erwählenden, gütigen, liebevollen und zugleich allmächtigen Blick des Vaters ruht, muss die kleine Herde in der Wolfswelt keine Angst haben. Der königliche Hirte hält sie in seiner Hut: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde.“

Klein ist die Herde, senfkornklein, weil sie nicht überwältigen soll, sondern der Prozess ihres Wachstums – denn sie soll wachsen! – aus dem Zuspiel der Freiheit zur Liebe erfolgt. In der kleinen, schwachen, der Wolfswelt ausgesetzten Herde brennt ja verborgen die Glut und die Macht und die Heiligkeit der anbrechenden Herrschaft des königlichen Hirten. So ist die kleine Herde auf dem Weg durch die Zeit das wirksame Zeichen und das Werkzeug der verborgenen Gegenwart des königlichen Hirten und seiner Herrschaft. Das Zeichen, das den Raum des Glaubens öffnet, das Freiheit der Liebe zuspielt, den Pilgerweg der Hoffnung zeigt. Sakrament der Liebe Gottes, die so frei ergriffen werden kann. Dadurch entsteht etwas Paradoxes: Die kleine Herde soll gewaltig wachsen – und sie ist als weltweite Christenheit bis heute gewaltig gewachsen! Aber in gewisser Weise muss sie auch immer „kleine Herde“ bleiben – nämlich „klein“ im Sinne von „demütig“. Die Demut der „kleinen Herde“, die sich zurücknimmt und dient und liebt, gibt dem anderen Menschen den Raum, in Freiheit Glaube, Liebe und Hoffnung zu ergreifen. So – und nur so! – vermag die kleine Herde in der Vollmacht ihres königlichen Hirten die Wolfswelt zu verwandeln – und deshalb muss sie sich nicht fürchten. Um so größer ist jedoch ihre Verantwortung ob dieser großen Gabe in ihrer Mitte.

Erste Verantwortung: Das Herz an der richtigen Stelle haben

Am letzten Sonntag haben wir gesehen: Der Versuch der Selbstsicherung durch Besitz setzt aufs falsche Pferd und endet in der Sinnlosigkeit. Schon da war vom wirklichen Reichtum vor, in und mit Gott die Rede. Das wird hier jetzt weiter entfaltet. Zunächst heißt das negativ: Loslösung vom Besitz. Jesus fordert auf, ihn zu verkaufen. Nehmen wir den Gesamtbefund der Aussagen Jesu und des frühen Christentums, bedeutet das nicht einfach Zwang zur Besitzlosigkeit und völliger Eigentumsverzicht – obwohl solche Lebensformen, wie im Mönchtum oder bei Franziskus, die innere Haltung zum Besitz zeichenhaft verdeutlichen können. Aber alle Christenmenschen müssen sich davon lösen, das Leben und das gute Leben erhalten und sichern zu wollen durch „Habe und Besitz“. Das gilt – und zwar strikt – für alle. Unser Leben nimmt sonst eine Ausrichtung, in der der Krampf der Selbstsicherung im geistigen Tod endet! Sicheres Indiz für die richtige oder falsche Haltung zum Besitz ist, was ich damit tue: Die Loslösung vom Besitz befreit mich zur Möglichkeit einer neuen sozialen Praxis. Jesus bringt dies – ohne es darauf zu beschränken – für seine Lebenswelt im Stichwort Wohltun durch Almosen auf den Punkt. Losgelöst von der Fixierung auf die Selbstsicherung durch Besitz werde ich frei zur Gabe.

Die Loslösung vom Besitz, die mich freimacht zur Gabe und zum Geben, macht aber noch einen tieferen und letztlich entscheidenden Vorgang möglich. Jesus markiert ihn mit den Bildworten von „Schatz“ und „Herz“. „Denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz.“ „Herz“ (hebr. lev, der Lebkuchen kommt daher…, griech. kardia, lat. cor) ist für die Bibel das Personzentrum des Menschen, nicht allein Sitz der Gefühle, sondern auch von Wille und Vernunft. Der Zustand des Herzens ist für Jesus entscheidend, nicht im Sinne einer isolierten Innerlichkeit, sondern eines Zentrums, aus dem alles kommt. „Schatz“ aber ist das, was mir zu allerletzt wertvoll, teuer und kostbar ist. Schatz – das ist mein höchstes Gut, das, um was sich meine Existenz am Ende dreht. Deshalb gilt eben: „Denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz.“ Und nun fordert Jesus auf, diesen Schatz nicht dort zu platzieren, wo er grundsätzlich der Vergänglichkeit, im Bild: den Motten und den Dieben und jedweder Minderung ausgesetzt ist. Es gibt dagegen einen Schatz – und der hat eine ganz andere, göttliche Qualität – der nimmt nicht ab und der vergeht nicht. Es ist der im Himmel. Gemeint ist dabei nicht nur, wie oft etwas zu einfach gedeutet wurde: Ich tue gute Werke und verschaffe mir dadurch einen wachsenden „Schatz“ im Himmel, so sehr auch meine Praxis der Barmherzigkeit damit zu tun hat. Wir bleiben ja dennoch unnütze Knechte, die nichts vorzuweisen haben! Sondern es geht – wie angedeutet – um die Grundausrichtung meiner Existenz: Wo ist das, woran ich – mit Luther zu sprechen – mein Herz hänge, eben, was mir zuletzt teuer ist. Und das sollte der Schatz im Himmel sein, sprich: Gott selbst, der sich gibt, ist dieser Schatz, dem ich in meiner Bereitschaft zu einer Praxis des Gebens, zu einer Praxis der Barmherzigkeit entspreche.

Zweite Verantwortung: Wachsamkeit!

Wie bewahre ich diese „himmlische“ Grundausrichtung meiner Existenz? Dass Schatz und Herz ihren himmlischen Ort behalten? Indem ich mich in der Wachsamkeit dem Kommenden entgegenstrecke. Indem ich die Aufmerksamkeit für die Zeichen des Kommenden bewahre. Indem ich in der Bereitschaft bleibe, gegürtet und mit brennender Lampe sofort öffnen zu können, wenn er anklopft. Denn Gott, der in Jesus gekommen ist, bleibt in ihm der Kommende – jetzt, hier und heute – bis er am Ende offenbar wiederkommen wird. Denn auch jetzt schon will er immer wieder zu uns kommen – und klopft an. Öffnen müssen wir ihm. Er will es so. So müssen wir wach, aufmerksam und bereit bleiben. Das können wir in der Alltäglichkeit einer Welt, die beständig unsere Aufmerksamkeit bindet und binden will, nur durch die sammelnde Kraft des Heiligen Geistes und eine geistliche Praxis und Übung der Stille, der Schriftlesung und des Gebets, die dem Wirken des Geistes in uns Raum geben will. Aber Jesus ist tatsächlich immer zu uns unterwegs in die verborgene – oft auch uns selbst verborgene – Gegenwart des Herzens. Aber wir müssen ihm öffnen.

Das verborgene Kommen jetzt und heute und das offene Kommen, das Zeit und Geschichte beendet, hängen also zutiefst zusammen. Es ist ein Vorgang in verschiedenen Momenten seiner Verwirklichung. Und so ist uns die Haltung der Wachsamkeit, Aufmerksamkeit und Bereitschaft möglich. Sie ist nicht sinnlos und der bloße Rest einer „überholten“ „Naherwartung“ der ersten Christen. Sondern – weil sie dem jetzt kommenden Christus entspricht – hält sie Schatz und Herz dort, wo sie hingehören.

Der Herr bedient die unnützen Knechte

Wie gesagt: Der Herzschatz im Himmel sind nicht primär unsere Leistungen, die wir dem Herrn am Ende vorweisen und damit Ansprüche begründen können. Im besten Fall bringen wir gerade mal unsere Schuldigkeit hin. Tatsächlich sind wir bei (göttlichem) Licht betrachtet ziemlich nutzlose Zeitgenossen: „Wer unter euch hat einen Knecht, der pflügt oder das Vieh weidet, und sagt ihm, wenn der vom Feld heimkommt: Komm gleich her und setz dich zu Tisch? Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Bereite mir das Abendessen, schürze dich und diene mir, bis ich gegessen und getrunken habe; und danach sollst du essen und trinken? Dankt er etwa dem Knecht, dass er getan hat, was befohlen war? So auch ihr! Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.“ (Lk 17, 7-10). Das ist ziemlich provokativ, nicht? Es streicht jedwedes Anspruchs- und Leistungsdenken vor Gott glatt durch. Aber die Aussage Jesu in Lk 17 macht so die andere Aussage in unserem Evangelium erst möglich und sinnvoll: Der, der das Leistungs- und Anspruchsdenken vor Gott aufgegeben hat, der kann in einer geradezu ungeheuerlichen Weise das Kommen und Anklopfen Gottes in Jesus als liebenden Dienst, als frei geschenkte liebende Zuwendung erfahren. Gerade auf dem Hintergrund der Verse aus Lk 17 lassen einem diese Verse den Atem stocken und können zuinnerst berühren: „Selig die Knechte, die der Herr wach findet, wenn er kommt! Amen, ich sage euch: Er wird sich gürten, sie am Tisch Platz nehmen lassen und sie der Reihe nach bedienen.“ Diese Verse und die Verse aus Lk 17 bilden einen dialektischen Kontrapunkt ungeheurer Art. Aber genau so sind beide zutiefst wahr!

Der Hirte und die Verantwortung der Hirten – und aller Jünger

Und noch einmal geht es um Verantwortung! Petrus bittet den Herrn um eine Klärung: Spricht Jesus da zu allen oder besonders zu seinem engsten Schülerkreis? Seine Antwort macht klar: Das bislang Gesagte gilt für alle, die Jesus als Jüngerinnen und Jünger nachfolgen. Denn den engsten Kreis der Jünger, die Jesus bevollmächtigt und an seiner Sendung beteiligt, denen er damit eine Funktion gibt, die das Amt in der Kirche begründet, ruft er in eine besondere Verantwortung. Er ruft sie in einen Dienst. Wie einem „Verwalter“ auf einem Gutshof wird ihnen das übrige Gesinde anvertraut. Aber der Blick geht nicht etwa auf deren Arbeitsleistung. Sondern vielmehr auf ihre Versorgung mit dem Lebensnotwendigen! Der Dienst, der dem kirchlichen Amt anvertraut ist, ist also der Dienst der Versorgung mit dem, was zum Leben dient. Und dies zur rechten Zeit. Daran wird er gemessen. Das ist sein Kriterium. Das Handeln des kirchlichen Amtsträgers ist ein Vorschein des Dienstes, den Jesus übernimmt, wenn er zu den Wachenden kommt. 

Diese Verantwortung ist groß. Wenn der Amtsträger aus der eigenen Ausrichtung auf den kommenden Herrn herausfällt und er wiederum nur um sich selbst zu kreisen beginnt und dann sein „Dienst“ zur Perversion des Missbrauchs zerfällt, droht ihm härtestes Gericht. Das Kriterium dafür ist: Die so in den Dienst des Herrn gerufen sind, kennen seinen Willen. Das vergrößert ihre Verantwortung. Wer aber nie oder kaum die Chance hatte, den Willen des Herrn kennenzulernen: auch dieser Mensch wird sich verantworten müssen, aber viel größere Nachsicht erfahren. 

Das Maß der Gabe ist das Maß der Verantwortung. Der kleinen Herde ist eine große Gabe geschenkt, die sie verpflichtet. Wir sind Teil dieser Herde. Auch wir sind mit der Gabe der königlichen Herrschaft Gottes beschenkt. Deshalb: Verankern wir unser Herz in Gott. Seien wir wachsam und aufmerksam für den Kommenden. Lassen wir uns in die Pflicht nehmen und tragen Sorge um das Leben der Bedürftigen. Wir bleiben unnütze Knechte. Aber wenn wir unsere Schuldigkeit tun, unsere Verantwortung annehmen – dann beschenkt er uns mit seiner Gegenwart, bis er kommt in Herrlichkeit.

 


Dr. theol. Martin Brüske,
geb. 1964 im Rheinland, Studium der Theologie und Philosophie in Bonn, Jerusalem und München. Lange Lehrtätigkeit in Dogmatik und theologischer Propädeutik in Freiburg / Schweiz. Unterrichtet jetzt Ethik am TDS Aarau. Martin Brüske ist Mitherausgeber des Buches “Urworte des Evangeliums”.


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