Die Serie der Auslegung des Sonntagsevangeliums durch Dr. Martin Brüske geht weiter.

Was ist wahres Leben?
Auslegung des Evangeliums vom 18. Sonntag im Kirchenjahr C Lk 12, 13-21

Jesus lässt sich nicht vor den Karren spannen. Den Versuch dazu weist er schroff ab. Er nimmt ihn zum Anlass zu warnen: Habgier, Selbstsicherung durch Besitz verspielt das wahre Leben und endet in der Sinnlosigkeit. Denn der Grund unseres Lebens liegt nicht in uns selbst. Nur in Gott ist am Ende wahres Leben. Er schenkt es. Wer in ihm ist, ist reich.

Jesus lässt sich nicht instrumentalisieren

Da ist ein Mann in der Menschenmenge um Jesus. Er ist also mindestens neugierig – und er nimmt die Wirkung wahr, die Jesus auf die Menschen ausübt. Dass sie sein Wort ernst nehmen, dass er Autorität besitzt. Zugleich kommt dieser Mann nicht von sich weg. Deshalb vermag er Jesu Predigt, der die Menschen auffordert sich von sich zu lösen, um in den Lebensraum der in ihm anbrechenden Königsherrschaft Gottes zu gelangen, nicht wirklich zu hören. Er steckt fest in einem Erbschaftskonflikt. Er ist ganz festgenagelt und fixiert auf die Frage, wie er zu dem Erbe kommt, von dem er meint, dass es ihm zusteht. So kreist er nur noch darum und darin um sich selbst. Wer so etwas schon einmal erlebt hat, wer schon erlebt hat, in welch bitteren Streit über Jahrzehnte und Generationen hinweg Familien über den Nachlass „ihrer Lieben“ geraten können, weiß, dass die Ausgangssituation unseres Evangeliums alles andere als ungewöhnlich ist…

Aus der Menge heraus redet der Mann, dessen älterer Bruder ihm möglicherweise seinen „Pflichtteil“ nach dem Erbrecht der Tora verweigert, Jesus als Gesetzeslehrer an. Er will in seiner Erbschaftssache Jesu Autorität in Anspruch nehmen: „Meister, sag meinem Bruder…“. Das erinnert an Marta, die auch ganz in Beschlag genommen war: „Herr, … meine Schwester … Sag ihr doch….“ Während Marta jedoch sanft korrigiert wird und Jesus sie einfach darauf aufmerksam macht, dass sie das eine Notwendige zu verpassen droht, erfolgt hier eine schroffe Zurückweisung: „Mensch, wer hat mich zum Richter oder Erbteiler bei euch eingesetzt?“ Das ist ähnlich schroff wie die Zurückweisung des Moses angesichts des Streits zweier Israeliten: „Er aber sprach: Wer hat dich zum Aufseher oder Richter über uns gesetzt?“ (Ex 2, 14). Nur in umgekehrter Richtung: Moses wird hart zurückgewiesen, als er sich in den Streit einmischen will. Jesus verweigert sich klar und deutlich, als er in den Erbstreit involviert werden soll: Jesus lässt sich nicht vor den Karren spannen, er weigert sich, sich instrumentalisieren zu lassen.

Die Gefährdung der Sendung Jesu 

Auch Marta drohte Jesus vor den Karren ihrer Sorgen zu spannen – trifft aber auf Güte und Sanftmut. Wieso ist Jesus hier so viel deutlicher? Zum einen: Bei Gefährdungen seiner Sendung ist Jesus von großer Klarheit. Er selbst ist seiner Sendung natürlich vollkommen sicher. Aber hier darf – um des Heiles der Menschen willen – keine Unklarheit entstehen und so ist völlige Konsequenz notwendig. Wenn Petrus die Notwendigkeit seiner Leidenshingabe – „Das darf niemals geschehen!“ – infrage stellt, reagiert Jesus ebenfalls mit äußerster Deutlichkeit. Das Insistieren des Petrus ist satanische Versuchung und der „Ort“ des Petrus ist in der Nachfolge des Gekreuzigten: „Satan, hinter mich!“ fährt er Petrus an. So sieht Jesus in dem Versuch, ihn in die Erbstreitigkeiten zwischen zwei Brüdern hineinzuziehen, offensichtlich eine Gefährdung seiner Sendung. Das Wirken und Predigen Jesu erfolgt aber ganz und gar aus seiner Sendung heraus. Sie ruft in Verkündigung und Tat in den Glauben. So muss sie völlig klar und unterscheidbar sein.

Habgier

Zum anderen: Der Bruder im Erbstreit war überdies darin fixiert und gefangen. Er hätte erkennen müssen, dass sich Jesus nicht für seinen Erbstreit instrumentalisieren lässt, wenn er mit wachem Ohr und wachem Herzen zugehört hätte. Er hätte dann begriffen, dass Jesu Botschaft von der königlichen Herrschaft des Vaters, die in Jesus präsent wird, jeden Streit um Besitz relativiert. Das hätte ihm neue Möglichkeiten des Handelns eröffnet. Aber die Fixierung auf den Besitz hat sein Herz gegenüber Jesu Wort taub sein lassen. Die deutliche Anrede „Mensch“ will diese Taubheit durchbrechen – und zugleich ist es nicht nur dieser Mensch, sondern tatsächlich der Mensch, der hier angesprochen ist.

So wird Jesus diese Szene zum Anlass, eine Aussage von fundamentalem und allgemeingültigem Gewicht zu machen: Jesus warnt vor der Gier des Besitzens, der Habsucht, in jeder Form. Denn es ist ein Irrtum, dass in der Vermehrung des Besitzes zum Überfluss, über das zum Leben nötige Maß hinaus, Leben ist. Habsucht, die Gier des Besitzens, versucht Leben, gutes Leben, endgültig durch Besitz zu sichern: die Selbsterhaltung und die Lust des Lebens, das Sein und das Wohlsein weit darüber hinaus. Und tatsächlich dienen ja die Güter des Lebens, die man besitzen kann, die hervorgebracht, erwirtschaftet oder erworben werden können, der Fristung des Lebens und seiner Güte.

„Der Vater weiß, dass ihr das alles braucht.“,

heißt es an anderer Stelle. Eigentum und auch die Mehrung von Wohlstand ist so an sich nicht schlecht.

Zum Problem werden Besitz und Wohlstandsmehrung dann, wenn sie nicht mehr dem Leben dienen, meinem und dem anderer Menschen, sondern mit dem Leben selbst und seiner Quelle verwechselt werden. Genau das geschieht in der Habgier: Menschen meinen, durch Besitz das gute Leben sichern zu können, weil sie den Besitz als Überfluss für die eigentliche Quelle des Lebens halten. Anhäufung von Besitz scheint die Lebensmöglichkeiten zu sichern, ja permanent zu vermehren. Aber diese Möglichkeiten des Lebens existieren in Wirklichkeit nur abstrakt und virtuell. Sie sind nicht das Leben selbst und schon gar nicht das wahre und gute Leben. Wir tragen den Grund unseres Lebens nicht in uns selbst, wir können ihn auch nicht erwerben und durch Besitz und Besitzvermehrung im Überfluss sichern. Dies nicht zu begreifen, ist Folge des Falls unserer Ureltern, die im erwachten Misstrauen gegen ihren Schöpfer nach der Frucht griffen, sie besitzen wollten, um sich gegenüber Gott zu sichern und zu emanzipieren. Seitdem ist unser Verhältnis zum Besitz in Unordnung und durch ungeordnete Gier nach vermeintlicher Lebenssicherung gekennzeichnet. Der Grund des Lebens liegt aber allein in Gott. Durch ihn und mit ihm und in ihm ist allein endgültiges Leben. Habgier dagegen ist tödlicher Irrtum. Denn Leben kommt nicht aus dem Überfluss des Besitzens. So sagt es Jesus in unserem Evangelium.

Das Gleichnis vom reichen Kornbauern oder die Rechnung ohne den Wirt

Jesus verdeutlicht seine Warnung in einer Beispielerzählung, die als Gleichnis vom reichen Kornbauern bekannt ist. In ihrer Knappheit ist sie wieder ein kleines literarisches Meisterwerk. Sie besteht aus einer denkbar kurzen Situationsangabe: Einer – ein Bauer – der schon reich ist, „droht“ durch eine gute Ernte noch reicher zu werden. Der größte Teil des Gleichnisses besteht nun aus einer Überlegung, einem Selbstgespräch, in dem unser reicher Bauer nachdenkt, wie er mit dem sich ankündigenden Überfluss umgehen soll. Dieses Selbstgespräch wird schließlich jäh, hart und knapp unterbrochen – mit starker Wirkung auf Hörer und Leser. Zum Schluss steht eine knappe Deutung des Gleichnisses.

Entscheidend für das Verständnis ist der Charakter dieses großbäuerlichen Selbstgespräches: Unser Bauer dreht sich ausschließlich um sich selbst. Weder Gott noch der Nächste kommen in seinen Überlegungen vor. Er dankt nicht für den Überfluss, der ihm geschenkt worden ist. Es scheint ihm völlig selbstverständlich zu sein, dass er im Wohlstand lebt und dass dieser sich jetzt zum Überfluss vermehrt. Seine Reaktion ist technisch-planerisch und ökonomisch-bewertend. Und in dieser Perspektive geht es dann einzig um sein eigenes Wohlergehen. Dass er seinen Wohlstand nutzen könnte, um auch anderen wohl zu tun, liegt völlig außerhalb seiner Perspektive, die Jesus wiederum in knappsten Wendungen meisterhaft charakterisiert.

So ist seine primäre Reaktion: Wo bringe ich den Überfluss unter? Denn die bisherigen Möglichkeiten reichen nicht aus. So muss geplant werden: Abriss und Neubau. Dabei geht es um Sammlung des Vorrats. Der scheint ihm nun ausreichend zur Sicherung des Wohlseins auf viele Jahre. Er kann sich zur Ruhe setzen, essen, trinken – sich daran freuen. Übrigens: Sich an der Ruhe und an den guten Dingen des Lebens zu freuen, dagegen hat die Bibel rein gar nichts (siehe Kohelet). Aber als Gesamtperspektive für den Sinn des Lebens? Jedenfalls unser Großbauer scheint es geschafft zu haben: Im Sammeln und Sichern eines Überflusses an Besitz scheint er das Leben, das gute Leben und sein Wohlsein gesichert zu haben.

Aber da macht ihm Gott mit harter, überführender Anrede, mit einer Feststellung und einer Frage einen Strich durch die Rechnung, die unser Großbauer ohne den göttlichen Wirt gemacht hatte. Deshalb ist er ein Narr, ein Tor, dem es an Weisheit mangelt. Die Anrede „Narr“ unterbricht hart die ganz auf sich selbst fixierte Überlegung des Großbauern. Dem entspricht das „Mensch“ im ersten Teil unseres Evangeliums. Aber hier wird es (beinahe?) schon zum Gericht. Denn es ist keine oder kaum noch Zeit, um umzukehren. Der Einbruch Gottes in die Sphäre der Selbstbespiegelung, der durch das „Narr“ markiert ist, das die Wahrheit des Großbauern hart und direkt aufdeckt, ist verbunden mit dem noch in der Nacht einbrechenden Tod, den als grundsätzliche Grenze des Lebens der Bauer ebenfalls nicht auf der Rechnung hatte. Darin potenziert sich seine Torheit noch einmal, sich auf seinen Besitz als Lebensquelle zu verlassen. Mit einer Frage deckt Gott dann die Sinnlosigkeit seines Lebensentwurfs ohne Gott und den Nächsten auf.

Der deutende Satz am Ende bringt alles noch einmal auf den Punkt: „Nur für sich selbst Schätze sammeln“ – das läuft auf sinnlose Leere hinaus, auf eine Leere, die im Tod endgültig wird; wahrhaft reich und voller Sinn dagegen ist das Leben mit dem Nächsten auf Gott hin. Denn in Gott allein ist Fülle und Reichtum wahren Lebens.


Dr. theol. Martin Brüske,
geb. 1964 im Rheinland, Studium der Theologie und Philosophie in Bonn, Jerusalem und München. Lange Lehrtätigkeit in Dogmatik und theologischer Propädeutik in Freiburg / Schweiz. Unterrichtet jetzt Ethik am TDS Aarau. Martin Brüske ist Mitherausgeber des Buches “Urworte des Evangeliums”.


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