Die Kirche kann nur in der Rückbesinnung auf das Kreuz, dem „Urwort der Erlösung“, erneuert werden. Darüber sprach Abt Maximilian Heim OCist von Stift Heiligenkreuz, Nähe Wien, anlässlich der Buchpräsentation „Urworte des Evangeliums“ am 1. Februar 2025 an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie. Dabei betonte er besonders die Bedeutung der Sakramente.

Das Kreuz als Urwort der Erlösung

 „Erneuert euren Geist und Sinn!“ (Eph 4,23),

schreibt der Apostel Paulus an die Gemeinde von Ephesus. Die Gläubigen sollen als neue Menschen leben, die durch Christi gekreuzigte Liebe umgestaltet worden sind. Deshalb kann die Kirche nur in der Rückbesinnung auf das Kreuz, das „Urwort der Erlösung“, erneuert werden.

Vor mehr als 30 Jahren war ich Kaplan in Bochum-Stiepel und wunderte mich über den Wahlspruch des damaligen neuen zweiten Bischofs von Essen, Hubert Luthe:

„Ut non evacuetur crux“ – „Damit das Kreuz nicht evakuiert werde“.

Von Jahr zu Jahr ging mir immer mehr auf, wie prophetisch dieser Wahlspruch ist, weil sowohl in der Gesellschaft wie in der Kirche und hier insbesondere in ihrer Liturgie das Kreuz nicht mehr den Stellenwert bekam, der ihm vom Evangelium Jesu Christi her gebührt. Unser Maßstab ist das Evangelium. Schauen wir auf den Apostel Paulus, auf seine Bekehrung vor Damaskus. Hier erfuhr der Verfolger der Christen existentiell Jesus Christus als den gekreuzigten und auferstandenen Herrn: „Wer bist du, Herr? Dieser sagte: Ich bin Jesus, den du verfolgst.“ (Apg 9,5)
Als Bekehrter schreibt Paulus später an die Galater: „Wer euch aber ein anderes Evangelium verkündigt, als wir euch verkündigt haben, der sei verflucht, auch wenn wir selbst es wären oder ein Engel vom Himmel.“ (Gal 1,8) Es ist das Evangelium von der Liebe Gottes, die im Kreuz Jesu Christi ihren tiefsten Ausdruck gefunden hat.

„Eine Weltzuwendung der Kirche, die ihre Abwendung vom Kreuz darstellen würde, könnte nicht zu einer Erneuerung der Kirche, sondern nur zu ihrem Ende führen. Der Sinn der Weltzuwendung der Kirche kann nicht sein, den Skandal des Kreuzes aufzuheben, sondern allein der, ihn in seiner ganzen Blöße wieder zugänglich zu machen.“[1]

Dies sind Worte von Joseph Ratzinger, die er in seinem spektakulären Vortrag auf dem Bamberger Katholikentag 1966 formulierte.

Christus selbst hat durch seinen Kreuzestod die barmherzige Liebe Gottes in diese Welt hineingebracht und den größten Verwandlungsakt der Liebe perpetuiert, der das Angesicht dieser Welt verändern kann: Schuld wird in Gnade verwandelt, Spaltung in Versöhnung, Hass in Liebe, Tod in Leben. Ist deshalb nicht das Kreuz das Urwort unserer Erlösung schlechthin? So ist die Kirche als sacramentum mundi berufen, dieses Evangelium vom Kreuz zu allen Zeiten mutig der Welt zu verkünden.

Kirche als sacramentum mundi, Zeichen und Werkzeug des Heils für die Welt

Um diesen Glauben zu erneuern, müssen wir uns wieder daran erinnern, dass die Kirche das entscheidende Liebesangebot Gottes an die Menschen ist. Sie selbst ist berufen, sacramentum mundi, Zeichen und Werkzeug des Heils für die Welt zu sein, indem sie das Evangelium verkündet, die Christusbegegnung in den Sakramenten ermöglicht und in den Armen und Verachteten Christus selbst erkennt und ihnen beisteht.

Vielleicht begreifen wir so das strahlende Lächeln der hl. Mutter Teresa von Kalkutta, die trotz ihrer inneren Dunkelheit das Licht Christi ausstrahlte. Oder wie es Manuel Schlögl ausdrückt: „‘Ein Licht in dunkelster Nacht‘, ‚mitten im Sturm und dennoch im Frieden‘, ‚ein Lächeln unter Tränen‘.[2]

Ist nicht die Dunkelheit und Verzweiflung vieler Zeitgenossen deshalb so groß, weil ihnen in all dem Schweren des alltäglichen Lebens, ja in den Katastrophen des Lebens der letzte Sinn verlorengegangen ist? Wir irdisch verhafteten Menschen haben verlernt, das Zeitliche in seiner Vorläufigkeit zu sehen. Werden wir nicht dadurch zu nimmersatten Ausbeutern des irdischen Lebens, weil wir die Sehnsucht nach dem Ewigen, nach dem Vollendeten im Irdischen erfüllt haben wollen?

Wie also können wir die Kirche erneuern? Hier möchte ich den kleinen Dialog einfügen, den auch Benedikt XVI. in seiner viel diskutierten Freiburger Rede zitiert hat: Die heilige Mutter Teresa wurde einmal von einem Reporter gefragt, was sich ihrer Meinung nach als erstes in der Kirche ändern müsse. Die weise Ordensfrau antwortete: Sie und ich!

Es geht darum, die Türen weit für Christus aufzureißen, und das beginnt beim eigenen Herzen und setzt sich fort in all den Lebenszellen der Kirche, gerade auch dort, wo die Sünde – auch innerhalb der Kirche – mächtig wurde (vgl. Röm 5,20). Der Missbrauchsskandal ist  sicherlich die tiefste moralische Wunde und Zäsur der vergangenen Jahrzehnte und darf nicht vertuscht oder verschleiert werden.

Hier gilt der Weckruf des Evangeliums „Tut Buße und glaubt an das Evangelium! (Mk 1,15) μετανοεῖτε καὶ πιστεύετε ἐν τῷ εὐαγγελίῳ.

Sünde muss wieder „Sünde“ genannt werden und als Sünde bekannt werden, damit wahrhaftige Bekehrung möglich wird. Wird hingegen Schuld nur „systemisch“ begründet, kann dies dazu führen, dass die persönliche Verantwortung verdrängt oder geleugnet wird.

Gerät nicht häufig das entscheidende evangelische Urwort die „Metánoia“, die „Bekehrung“, in Vergessenheit, wenn ich Kirche nur in Ämtern, Strukturen und Machtverteilung denke? Die persönliche Antwort auf den Ruf Christi zur Kreuzesnachfolge bildet den Kern zur Erneuerung der Kirche. Dann werden die Fragen von Amt und Macht ganz sekundär, denn es leuchtet die marianische Dimension auf, die von uns täglich unser Fiat und unser Adsum fordert.

Papst Franziskus schreibt „An das pilgernde Volk Gottes“ in Deutschland:

„Es handelt sich im Kern um einen sýnodos, einen gemeinsamen Weg unter der Führung des Heiligen Geistes. Das aber bedeutet, sich gemeinsam auf den Weg zu begeben mit der ganzen Kirche unter dem Licht des Heiligen Geistes, unter seiner Führung und seinem Aufrütteln, um das Hinhören zu lernen und den immer neuen Horizont zu erkennen, den er uns schenken möchte.“[3]

Dieser Dreiklang von Evangelisierung, Heilung und Dienst an der Welt ist eine bleibende Sendung, um die Kirche und die Welt aus der Kraft des Heiligen Geistes stetig zu erneuern. Nur im Hören auf den Heiligen Geist, in der Zugewandtheit zu Christus wie im Aufeinander-Verwiesen-Sein können wir in dieser Zeit eine „synodale Kirche“ werden, wie Papst Franziskus es uns einmahnt.[4]

Wegmarken zur Orientierung und Rastplätze zur Stärkung

Auf diesem Pilgerweg des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe brauchen wir Wegmarken zur Orientierung und Rastplätze zur Stärkung. So können wir angeldhaft erfahren, was uns verheißen ist: die ewige Gemeinschaft mit Gott und eine Communio im Geist und in der Wahrheit auch untereinander. Der Dreiklang von Evangelisierung (Wort Gottes), Heilung (Sakramente) und Dienst an der Welt (Caritas) ist die bleibende Sendung, um die Kirche und die Welt aus der Kraft des Heiligen Geistes zu erneuern.

Orientierung durch das Wort Gottes

Um die Heilige Schrift als performatives, d.h. durchformendes und nicht nur informierendes Wort zu erfahren, kann uns der hl. Bonaventura helfen. Für ihn ist zwar das aufgezeichnete Offenbarungswort der Schrift endgültig, jedoch werden durch die Rezeption der Kirche jeweils neue Tiefen freigesetzt. Darin ist der Heilige Geist zu jeder Zeit am Werk und zeigt der Kirche, wie sie dieses Wort immer wieder neu verkünden kann. So ist die „Offenbarung Jesu Christi … nicht ein auf die Erde gefallener Meteor, der nun als Gesteinsmasse irgendwo herumliegt, wovon man Gesteinsproben nehmen und im Labor analysieren“[5] könne. Offenbarung hat vielmehr als Gotteswort an den Menschen immer einen aktuellen Anspruch. Denn das Wort Gottes ist lebendig und kraftvoll, ja schärfer als jedes zweischneidige Schwert, wie es der Hebräerbrief (4,12) ausdrückt. Nun können wir besser verstehen, warum es in den alten Klöstern für die Lectio divina, das sogenannte Armarium, wörtlich übersetzt: die Waffenkammer, gab. Darin waren keine Schwerter und Speere, sondern es barg die mittelalterliche Bibliothek der Handschriften mit den Büchern der Heiligen Schrift und der Kirchenväter.

Das Frei-Sein für die Lesung hat tatsächlich etwas damit zu tun, ob ich mich vom Wort Gottes selber erfassen lasse, durchdringen lasse, damit es nicht nur Wissen vermittelt, d. h. informativ ist, sondern Weisheit und so performativ mein Leben prägt. Ganz in diesem Sinne hat die Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium den Tisch des Wortes in der Liturgie reicher gedeckt als vor dem 2. Vatikanischen Konzil.[6] Auf diese Weise bleibt das Evangelium nicht nur gelesenes Wort, sondern es wird zum Kerygma, zum verkündeten Wort des Lebens, das in der jeweiligen Situation des Einzelnen, der Gemeinden, der Kirche… die Stimme Gottes offenbaren kann. Denken wir zum Beispiel an den hl. Antonius, den Einsiedler, an den hl. Franziskus, … für die ein Wort Jesu plötzlich lebensbestimmend wurde.

Immer ist es die Aufforderung, zum Herrn umzukehren, weil ER sich jedem von uns persönlich zuwendet. In dieser Aktualität wird das Ur-Kerygma des Evangeliums, nämlich die Metánoia, die Bekehrung, Realität:

„Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,15)

Dieser Aufruf zur Bekehrung ist der Angelpunkt unseres Glaubens im Alten wie im Neuen Testament. Sehnen wir uns nicht alle in unserer Unvollkommenheit nach einer „rettenden Ver-änderung“, die uns aus dem Allgemeinen/Alltäglichen herausnimmt in die liebende Gegenwart des Herrn? Wenn wir als Kirche den Aufruf zur Bekehrung verstummen lassen, wie können wir dann verstehen, was der greise Simeon über das Jesuskind prophezeite: Er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird. Aber er wird Viele aufrichten und ihnen den Weg zum wahren Leben zeigen. (vgl. Lk 2,34)[7]

Stärkung durch die Sakramente

Da wir auf unserem Weg das Murren und das Zögern kennen, wie auch die Erfahrung von Umwegen und Sackgassen, ja von falschen Pfaden, die uns von Gott wegführen, hat uns Gott neben den Wegmarken immer wieder auch Stationen geschenkt, an denen wir ihm ganz sicher begegnen können als den barmherzigen Vater, der uns durch den Dienst der Kirche, insbesondere durch die Priester, hilft, zur barmherzigen Liebe Gottes zurückzufinden.

Sakrament der Versöhnung

Im Alten Europa ist durch den Priestermangel wie auch durch die fehlende Akzeptanz der Beichte an vielen Orten der Kirche das erste Ostergeschenk des Auferstanden in Vergessenheit geraten. Jesus hauchte die Jünger an, indem er sagte:

„Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert.“ (Joh 20,22f)

Wenn wir uns fragen, warum die Kirche gerade in Europa so verängstigt am Boden liegt, dann auch deshalb, weil wir die Realität der Barmherzigkeit Gottes, die uns in der Beichte geschenkt wird, nicht wahrnehmen und weil wir einander oft nicht mehr vergeben, sondern uns in unser ich-verschränktes Dasein einhausen.

Wenn in Deutschland ähnlich wie in Österreich und in anderen europäischen Ländern nur noch 5 Prozent die Sonntagsmesse besuchen, so empfängt, wie wir wissen, nur ein verschwindender Bruchteil von ihnen regelmäßig die Beichte.

Am Palmsonntag 2022 sagte Papst Franziskus:

„Ich träume wirklich von einem wachsenden Bewusstsein und einer echten Reue von uns allen, … weil wir uns von Denkweisen vereinnahmen ließen, die spalten, die Hunger verursachen, die isolieren, die verurteilen.“

Die Beichte ist also „das Sakrament, das uns aufrichtet, das uns nicht weinend auf dem harten Boden liegen lässt, wenn wir stürzen“[8]

Gott sei Dank scheint es einen Neuaufbruch zu geben, der v.a. durch die Weltjugendtage gekommen ist und nicht zuletzt durch Medjugorje. Dieser von Rom positiv geprüfte Gnadenort lässt viele Menschen, alt und jung, die Beichte als einen Rastplatz der zärtlichen Liebe des Herzens Jesu – wie es Papst Franziskus in seiner Herz-Jesu-Enzyklika formulierte, wieder neu entdecken, um seine barmherzige Liebe zu empfangen. Keiner ist ausgeschlossen, wer diese Erfahrung machen will, sondern er ist eingeladen, das Sakrament der Versöhnung zu empfangen, damit Friede werde im eigenen Herzen, in den Familien, in der Gesellschaft, ja auf der ganzen Welt.

Sakrament der Firmung

Wenn wir von der Beichte zur Firmung gehen, so wissen wir oft nicht, wie wir dieses Sakrament heute neu den Jugendlichen vermitteln können. Wie können wir Jugendlichen die Begegnung mit Gott in den Sakramenten wieder erfahrbar machen?

Der hl. Bernhard und mit ihm zusammen die monastische Theologie haben einen großen Wert auf die Erfahrung gelegt: „Für Bernhard ist der Glaube selbst mit einer inneren Gewissheit ausgestattet, die auf das Zeugnis der Schrift und die Lehre der Kirchenväter gegründet ist. Zudem wird der Glaube durch das Zeugnis der Heiligen und durch die Inspiration des Heiligen Geistes in der Seele der einzelnen Gläubigen gestärkt.“[9]

Papst Franziskus schlägt vor,

„sich bei der Vorbereitung auf das Sakrament [der Firmung] von [den] Laien helfen zu lassen, die eine persönliche Begegnung mit Christus hatten und eine echte Erfahrung des Heiligen Geistes gemacht haben.“[10]

Wonach sich junge Menschen in der Tat sehnen, ist die Erfahrung des Mysteriums, des Geheimnisvollen, ja dessen, was unsere sichtbare Welt übersteigt und uns teilnehmen lässt an einer Kraft, die von Gott kommt. Die Participatio actuosa an den Sakramenten ermöglicht uns das bewusste Wahrnehmen, dass nicht wir primär die Handelnden sind, sondern Christus selber, der in den Sakramenten wirkt durch den Dienst der Kirche, insbesondere der geweihten Priester.

Sakrament der Eucharistie

Damit sind wir bei der Heiligsten Eucharistie, als Ursprung, Quelle und Höhepunkt[11] der kirchlichen communio angelangt. Sie ist wirklich ein Rastplatz der Seele. Wenn sie Quelle und Höhepunkt (LG 11) ist, dann kann sie durch nichts ersetzt werden. Die Nivellierung der Eucharistiefeier hat den Grundwasserspiegel des Glaubens sinken lassen und hängt meines Erachtens damit zusammen, dass zwei ihrer wichtigsten Wesenszüge, nämlich die Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers Jesu Christi (vgl. Sacrosanctum Concilium 2) und der Charakter der Anbetung (vgl. Sacrosanctum Concilium 33), heute oft nicht mehr bedacht werden. Ist aber nicht das Kreuzesopfer ein Urwort unserer Erlösung schlechthin? Die Hl. Messe beginnt mit dem Kreuz und endet mit dem Kreuz des Segens. Aber warum wird das Kreuz immer mehr aus unserem Blickfeld genommen und an die Seite gestellt? Kardinal Ratzinger hat sehr früh gefordert, das Kreuz wieder in der Mitte des Altares aufzustellen, weil es der Orientierungspunkt schlechthin ist.

Warum scheuen wir uns, vom Opfer zu sprechen? Wenn wir die Hl. Messe als Einladung Jesu verstehen, an seinem Tod und seiner Auferstehung mit unserem eigenen Leben teilzunehmen, dann können wir auch das Schwere in unserem Leben, unser eigenes Kreuz von ihm verwandeln lassen. Die Paschafeier des Herrn wird ja in jeder Heiligen Messe gegenwärtig. Beim Weltjugendtag hier in Köln sagte Papst Benedikt XVI. vor 20 Jahren:

„Indem [Jesus] Brot zu seinem Leib und Wein zu seinem Blut macht und austeilt, nimmt er seinen Tod vorweg, nimmt er ihn von innen her an und verwandelt ihn in eine Tat der Liebe. Was von außen her brutale Gewalt ist – die Kreuzigung –, wird von innen her ein Akt der Liebe, die sich selber schenkt, ganz und gar. Dies ist die eigentliche Wandlung, die im Abendmahlssaal geschah und die dazu bestimmt war, einen Prozess der Verwandlungen in Gang zu bringen, dessen letztes Ziel die Verwandlung der Welt dahin ist, dass Gott alles in allem sei (vgl. 1 Kor 15,28).“[12]

In dieser Communio lernen wir von und mit Christus den Vater anzubeten im Heiligen Geiste, indem wir ihm unser eigenes Leben ganz übergeben. Diese Ganzhingabe hat ihre schönste Verwirklichung gefunden in der Gottesmutter Maria, die unter dem Kreuz Jesu mit ihm ihr Fiat wiederholt hat, das sie am Anfang ihrer Berufung Gott bedingungslos schenkte. So wird die Hl. Messe für uns zu einem Akt der täglichen Hingabe und der Anbetung, aus der wir Seine Liebe schöpfen, um sie in unsere Welt hineinzutragen.

„Anbetung wird“ – um Papst Benedikt zu zitieren – „Vereinigung. Gott ist nicht mehr bloß uns gegenüber der ganz Andere. Er ist in uns selbst und wir in ihm. Seine Dynamik durchdringt uns und will von uns auf die anderen und auf die Welt im Ganzen übergreifen, dass seine Liebe wirklich das beherrschende Maß der Welt werde.“

In den beiden Worten, dem griechischen „proskynesis“ und lateinischen „adoratio“, die im Deutschen mit Anbetung übersetzt werden, wird deutlich, was darunter zu verstehen ist:

Proskynesis als Unterwerfung bedeutet für uns, dass nicht wir das Maß setzen, sondern dass wir unser Leben unter das Maß der Wahrheit stellen. Und Adoratio als Anbetung heißt im Letzten, eins werden mit dem Geliebten.[13]

So wird die Eucharistie zugleich eine Vorwegnahme des Reiches Gottes, wo der, der uns alle zum Hochzeitsmahl des Lammes einlädt, selbst der Bräutigam ist, und die Kirche die Braut des Lammes.

Aber nicht nur die Erquickung der eigenen Seele geschieht in der Communio, sondern es gilt auch das Wort des hl. Augustinus:

„Empfangt, was ihr seid: Leib Christi.“[14]

In dieser Communio mit dem Herrn erfahren wir seine Gemeinschaft im Leiden und im Opfer wie auch in der Freude, und erhalten schon jetzt Anteil am Brot der Engel (2 Mos 16, Ps 78,25) und am Kelch des Heiles (Ps 116,13), den der Herr uns einst beim Gastmahl des ewigen Lebens reichen wird.

Diese Communio ist zugleich die tiefste Wir-Erfahrung, die uns auf diesem gemeinsamen Weg der Nachfolge geschenkt ist. Der Herr selbst ist wie bei den Jüngern von Emmaus derjenige, der uns seine Gemeinschaft schenkt, der unsere Herzen öffnet für sein Wort, für ihn selbst und füreinander, und der uns so in den Dialog mit seinem Vater im Himmel hineinnimmt.

Christusbegegnung in den weiteren Sakramenten

Auch die anderen Sakramente vermitteln uns die Fürsorge, Liebe und Vorsorge Gottes. ER selber beruft Priester, die für diesen Dienst aus ihrem Privaten herausgenommen werden, um ganz für Christus und seine Kirche ihr Leben einzusetzen. Berufung wird hier zur Gnade für andere, kann aber auch zum Gericht werden, wenn wir dieser Gnade nicht entsprechen.

Die Krankensalbung ist ein Sakrament, das uns Priestern anvertraut ist, um den Menschen in den Stunden ihrer schweren Erkrankung und ihres Sterbens nahe zu sein. Wir Priester dürfen uns dieser Hirtenaufgabe nicht entziehen.

Eines der Sakramente, das heute in größter Bedrängnis ist, ist das Ehesakrament, das sich Mann und Frau gegenseitig spenden. Dass in diesem Sakrament die unverbrüchliche Treue Gottes symbolisiert wird, ist vielen nicht mehr bewusst. Und dass die Ehe auch der Ort des Lebens ist, an dem das Leben entsteht, haben viele vergessen. Der hl. Papst Paul VI. war wirklich ein Prophet, als er gegen eine Mehrheit daran festhielt, dass in der Ehe die gegenseitige Liebe und Hingabe der Ehepartner nicht von der Offenheit für neues Leben künstlich getrennt werden darf. Zugleich stärkte er die Ehegatten, ihre Verantwortung füreinander und für die Kinder wahrzunehmen.

Haben wir im letzten Abschnitt die Aufgabe der Kirche behandelt, die Gläubigen durch die Feier der Sakramente und durch ihre Liturgie zu heiligen – das munus sanctificandi, so müssen wir streiflichtartig ihre Caritas näher betrachten, die zum Hirtenamt der Kirche gehört, zum munus regendi.

Caritas als Konkretisierung des Evangeliums

Wer sich Gott zuwendet, wendet sich auch seinem Nächsten zu, vor allem auch denjenigen, die in unserer Gesellschaft verachtet und am Rand sind, die Armen, Kranken und Ausgegrenzten, wie es uns Papst Franziskus lehrt. Denn die Gottesliebe hat in der Nächstenliebe ihren Ernstfall (vergleiche Maximilian Kolbe als Märtyrer der Nächstenliebe).– Caritas in veritate.  So ist dieser Dienst in der und für die Welt ein ganz zentraler Aspekt für die Kirche, den sie von Anfang an ausgeübt hat, denn Gottes- und Nächstenliebe dürfen nicht voneinander getrennt werden. Jesus Christus hat uns aufgetragen zu allen Völkern zu gehen und alle Menschen zu seinen Jüngern zu machen. Auf diese Weise wird die Kirche, wie es Lumen gentium sagt, zum Sakrament der Einheit mit Gott und der Menschen untereinander und nimmt teil an der „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute“ (Gaudium et spes 1). Auf diese Weise wird auch die Einheit der Christen untereinander gefördert. Im Geist der Liebe und der Freundschaft können im ökumenischen Miteinander gemeinsame Projekte der Caritas für das Gemeinwohl eingerichtet werden.

Zeugen der Hoffnung

Dieses Zeugnis der Liebe haben vor allem die Märtyrer der Kirche gegeben, die dadurch Vorboten seines Reiches der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens sind.

Papst Franziskus ruft uns besonders in diesem Heiligen Jahr auf, Zeugen der Hoffnung zu sein. Sagen wir Ja zum Urwort unserer Erlösung, zum Kreuz Jesu Christi: O Crux, ave spes unica, o Kreuz – Du unsere einzige Hoffnung, sei gegrüßt, denn Du schenkst der Welt den wahren Frieden:

„Dieses Opfer unserer Versöhnung bringe der ganzen Welt Frieden und Heil.“[15]

Ich möchte enden mit einem prophetischen Wort, das Joseph Ratzinger vor 55 Jahren gesagt hat:

„Die Zukunft der Kirche kann und wird auch heute nur aus der Kraft derer kommen, die tiefe Wurzeln haben und aus der reinen Fülle ihres Glaubens leben. Sie wird nicht von denen kommen, die nur Rezepte machen … [sich] dem jeweiligen Augenblick anpassen. … nur andere kritisieren, aber sich selbst als unfehlbaren Maßstab annehmen … die nur den bequemen Weg wählen. Die der Passion des Glaubens ausweichen und alles das für falsch und überholt, für Tyrannei und Gesetzlichkeit erklären, was den Menschen fordert, ihm weh tut, ihn nötigt, sich selbst preiszugeben. Sagen wir es positiv: Die Zukunft der Kirche wird auch dieses Mal, wie immer, von den Heiligen neu geprägt werden. Von Menschen also, die mehr wahrnehmen als die Phrasen, die gerade modern sind. Von Menschen, die deshalb mehr sehen können als andere, weil ihr Leben weitere Räume umfasst.“[16]

Es sind jene, die ihr Ja zum Urwort unserer Erlösung, zum Kreuz geben, nämlich die Heiligen, vor allem die Märtyrer, die auch heute wahre Brückenbauer sind, um im ökumenischen Geist die Grundlagen unseres Glaubens als Urworte neu entdecken lassen. Sie alle lebten aus dem Geist Jesu, der gesagt hat:

„Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“ (Joh 15,13).


[1] JRGS 7, Der Katholizismus nach dem Konzil, 1003–1025, 1020f.
[2] Urworte, 108.
[3] Franziskus, Brief: An das pilgernde Volk Gottes, 3.
[4] Papst Franziskus, Schlusswort des Papstes an die Synode, 26. Oktober 2024.
[5] Joseph Kardinal Ratzinger, in: FAZ Nr. 57 (08.03.2000) 52.
[6] Vgl. SC 51.
[7] Vgl. JRGS 9,1, Heil und Geschichte, 539f. (Ratzinger – Karl Rahner)
[8] Franziskus, Predigt am Sonntag der Göttlichen Barmherzigkeit, 11. April 2021.
[9] Benedikt XVI., Generalaudienz am 4. November 2009, in: https://www.vatican.va/content/benedict-xvi/de/audiences/2009/documents/hf_ben-xvi_aud_20091104.html
[10] Franziskus, Generalaudienz, 30.10.2024.
[11] Vgl. Sacrosanctum Concilium 10.
[12] Vgl. Benedikt XVI., Intra eucharisticam celebrationem in planitie loci vulgo Marienfeld, in: AAS 97 (2005: 9) 888.
[13] Vgl. Ansprache von Papst Benedikt XVI. bei der Heiligen Messe auf dem Marienfeld.
[14] Hl. Augustinus.
[15] 3. Hochgebet.
[16]   Joseph Ratzinger, Glaube und Zukunft, München 1970, 120f.


Beitragsfoto: Abt Maximilian Heim OCist; Fotograf: Thomas Esser

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