Die in Somalia geborene Menschenrechtsaktivistin Ayaan Hirsi Ali, bekannt auch als eine der „fünf apokalyptischen Reiter“ des New Atheism, hat sich im Herbst letzten Jahres taufen lassen und ist katholisch geworden. In einer existenziellen Sinnkrise ist sie zu der Erkenntnis gelangt, dass alles, wofür sie sich eingesetzt hat: die Würde des Menschen, Gerechtigkeit, Freiheit, Wahrheit und Schönheit nichtig ist, wenn der Mensch lediglich das Produkt des blinden Zufalls in einem kalten, lieblosen Universum ist. Ihr langjähriger Mitstreiter, der Evolutionsbiologe und engagierte Atheist Richard Dawkins hat sie zum Rededuell in New York gefordert, das nun auch auf Youtube zugänglich ist. Ádám Szabados fasst zusammen.

Richard Dawkins, den die paulinische Wende seiner Freundin offensichtlich sehr aufgewühlt hat, wählt den Frontalangriff. Er nennt Jungfrauengeburt, Sühnetod und Auferstehung „religiösen Bullshit“, viel zu albern und unsinnig, als dass eine kluge Frau wie Ayaan ernstlich daran glauben könne. Sie kontert mit einem Eingeständnis: Auch sie hat lange die Strategie gefahren, den Glauben lächerlich zu machen. Nun aber hat sie entschieden, der Jesus-Story Glauben zu schenken, einschließlich Auferstehung. Obwohl Dawkins und Ali zwei unversöhnliche Positionen vertreten, ist ihre Auseinandersetzung von gegenseitiger Wertschätzung getragen. Sie betont, wie viel sie dem einstigen Mentor verdankt, und auch ihm spürte man die Verbundenheit ab, obwohl er keine Breitseite gegen ihren Glauben auslässt. Selten zeigt sich Dawkins so dünnhäutig wie in dem Moment, als er realisiert, dass das Bekenntnis der Freundin zum Christentum kein politisches Statement ist, sondern tiefe Glaubensüberzeugung.

Werte wurzeln im Fundament des Glaubens

Es ist nahezu surreal, wie einig sich die Kontrahenten in wesentlichen Fragen sind. Etwa darin, dass die Skripte unserer Zivilisation gegenwärtig von zwei gefährlichen, sich virusartig ausbreitenden Ideologien umgeschrieben werden: dem Wokeismus und dem Islamismus. Dawkins, der sich erst kürzlich als „Kulturchrist“ bezeichnet hat, gesteht, er stehe im Kulturkampf, der in Afrika und dem Nahen Osten tobt, auf der Seite des christlichen Abendlandes. Ali erinnert ihn daran, dass dieser Kampf schon längst auf dem Campus der westlichen Universitäten angekommen ist und dass Dawkins sich auch dort im christlichen Lager befindet, ob er will oder nicht. In einer nicht weniger surreal anmutenden Wendung der Debatte kommen sie überein, dass sie in der Tat beide christliche Werte vertreten. Dawkins würde zwar lieber vom „rationalen Humanismus“ reden, doch Ali besteht darauf, dass es ohne das Fundament des christlichen Glaubens keinen aufgeklärten Humanismus gäbe und folglich auch nicht die Welt, deren Werte sie beide leidenschaftlich verteidigen.

Sinn erwächst nicht aus dem Nichts

Uneins sind sie sich vor allem darin, ob der Atheismus mit seinen Attacken gegen den Glauben der Zivilisation geschadet hat. Ali stellt fest, dass an die Stelle des verdrängten Christentums nicht etwa die reine Vernunft getreten ist, sondern ein geistiges Vakuum, in das nun neue, irrationale Weltbilder drängen. Das war ihrer Ansicht nach unvermeidbar, denn der Materialismus ist nicht in der Lage, der menschlichen Existenz einen Sinn zu verleihen. Dawkins muss ihr beipflichten, hält das aber nicht für ein Problem. Ali hingegen ist entsetzt über das Versagen des Atheismus: Er hat die Welt, in die sie einst vor der Bedrohung durch den aggressiven Islamismus geflohen ist, nachhaltig zerstört.

Dawkins betont immer wieder, ihm gehe es um Wahrheit, um Wahrheit an sich und nicht darum, welchen Nutzen sie bringt. Er stellt Ali diesbezüglich zur Rede: Wie wahr, wie real ist das, was du glaubst – ungeachtet des kulturellen oder ethischen Profits, den der Glaube abwirft?!

Die alles entscheidende Frage: Was ist Wahrheit?

In diesem Punkt bin ich ganz bei Dawkins. Er hat Recht: Wenn in Wirklichkeit nichts einen Sinn ergibt, ist das eben die Wahrheit und alles andere ist Fiktion. Dann ist es nur konsequent, wenn wir uns der Sinnlosigkeit stellen – so wie sich Neo der Matrix stellt. Warum sollten wir eine offensichtliche Lüge leben?

Auch der Apostel Paulus folgt dieser radikalen Logik: Ist aber Christus nicht auferweckt worden, so ist unsre Verkündigung vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich. Wir würden dann auch als falsche Zeugen Gottes befunden, weil wir gegen Gott bezeugt hätten, er habe Christus auferweckt, den er nicht auferweckt hätte, wenn doch die Toten nicht auferstehen. Denn wenn die Toten nicht auferstehen, so ist Christus auch nicht auferstanden. Ist Christus aber nicht auferstanden, so ist euer Glaube nichtig, so seid ihr noch in euren Sünden; dann sind auch die, die in Christus entschlafen sind, verloren. Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen (1 Kor 15,14-19). Die gute Nachricht ist, dass Jesus von den Toten auferstanden ist. Wahrhaftig auferstanden.

Die Freiheit aus dem Rahmen zu treten

Ali kontert: Es gibt nachweislich Dinge, die sich nicht empirisch verifizieren lassen und dennoch real sind. Dawkins könne die Nichtexistenz Gottes gar nicht beweisen, sondern müsse daran glauben. Sie hingegen glaubt, dass Gott existiert. Und wenn es ihn gibt, dann stellt selbst die Auferstehung kein unlösbares Problem mehr dar. Wahrheit lasse sich nur in einem weltanschaulichen Rahmen begreifen, Glaube spielt in jedem Fall eine Rolle – das gilt auch für die Weltanschauung von Dawkins.

Genau darin liegt die dramatische Spannung dieser Debatte: Ayaan Hirsi Ali ist aus dem szientistischen Rahmen herausgetreten und konfrontiert nun Dawkins mit der Begrenztheit seiner eigenen Sicht auf die Welt – einer Sicht, die sie vormals geteilt hatte. Während Dawkins versucht, Ali wieder hinter die Stäbe seiner naturalistischen Weltanschauung zurückzuzwängen, redet sie mit ihm wie ein Vogel, der seinem Käfig entkommen ist. Dawkins grabscht von unten, sie zwitschert von oben zurück. Wie die Figuren in Cixin Lius Science-Fiction-Romanen versucht der verblüffte Dawkins die nächste Dimension zu deuten, die sich vor seinen Augen auftut. Es wäre doch fantastisch, wenn er sie auch begreifen könnte.

Ayaan Hirsi Ali jedenfalls ist angekommen.


Ádám Szabados PhD
ist Theologe, Pastor und Blogger in Ungarn. Er diskutiert zu aktuellen kulturellen apologetischen Themen aus reformierter Perspektive auf www.divinity.szabadosadam.hu . Dieser Eintrag wurde übersetzt.


Der Beitrag erschien zuerst bei  „Salzkorn„. Wir bedanken uns für die freundliche Erlaubnis zur Übernahme.


Beitragsbild: Ayaan Hirsi Ali   Quelle: Imago Images

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