Die Sache mit dem Engel und der Jungfrau
Außerirdisches, Überirdisches, Unterirdisches. Passt da was zusammen?, fragt sich Helmut Müller. Der überirdische Gott beginnt im Schoß einer Menschenfrau sein irdisches Dasein. E. T., der sympathische Außerirdische wird zum besten Disney-Film, den Walt Disney nie gedreht hat. So jedenfalls hat ein Leitmedium der Unterhaltungsindustrie ihn zum Superlativ erklärt. Die katholische Kirche feiert heute eine heilshistorische Superlative, nämlich das Hochfest Verkündigung des Herrn. Lässt sich diese so liturgisch gefeierte Superlative mit einer bloß filmischen und dazu noch fiktiven Idee in ein Verhältnis bringen? Ist das nicht unterirdisch superlativ?
Weder Aufprall noch Landung, sondern Einwohnung
Ich wage den Vergleich. Vielleicht wird der eine oder andere damit aus seinem dogmatischen Schlummer – wenn es davon noch viele gibt – geweckt, oder ein anderer beginnt überhaupt erst darüber nachzudenken, welche Wahrheit die Kirche mit diesem Hochfest für alle Zeiten festhalten will. Der Mensch gewordene Gott schlug auf der Erde weder ein wie ein Meteor aus dem All, noch ist er mit einem Raumschiff gelandet als ein netter Außerirdischer wie E. T. in der Nähe von Los Angeles. Nein, er hat sich wie wir alle „einnisten“ lassen in den Uterus einer Frau. Wie jeder und jede von uns hat er sich auch nach neun Monaten durch den engen Geburtskanal gequält, um das Licht dieser Welt erblicken zu können.
Gott verbringt sein irdisches Dasein an der Wüstengrenze des Imperium Romanum
Und es waren nach neun Monaten auch nicht die Lichter von Hollywood in Los Angeles, die er erblickte, sondern vermutlich Sternenlicht auf freiem Feld an der Wüstengrenze des Imperium Romanum. Dieselbe war damals bestens geeignet für Strafversetzungen römischer Patrizier. Wie das klingt? Gott wählt einen Ort für Strafversetzte aus, um Mensch zu werden? Klingt da nicht mit, um uns von Sünden, die wir (!) begangen haben, zu erlösen? Für diese Idee, so Mensch zu werden, ist der sich auf diese Weise irdisch verwurzelnde Gott nicht gelobt worden. Schon gar nicht wurde er dafür wie Steven Spielberg ausgezeichnet: Mit neun Oscars, darunter dem besten Originaldrehbuch; dazu noch mit zwei Golden Global Awards, und mit weiteren Preisen wurde er regelrecht überhäuft für sein Meisterwerk E. T. der Außerirdische.
Nominiert für beste Filmmusik? Der Engelchor auf dem Feld von Bethlehem
Nur der Oscar für die beste Filmmusik wäre auf dem Feld von Bethlehem getoppt worden: Es sangen nämlich bei der Geburt auf besagtem Feld Engelchöre beim Erblicken des Lichtes der Welt. Sie ließen erahnen, dass hier aus dem kleinen Bethlehemiten Großes hervorgehen würde. Es hat allerdings 30 Jahre gedauert, bis aus ihm der große Nazarener der Weltgeschichte geworden ist. Möglicherweise hatte er dazu nach Ansicht skeptischer Exegeten nur ein Jahr Zeit gehabt oder maximal drei Jahre. Die spannende Story seines Lebens spielte sich nämlich 30 Jahre in der o. g. Provinz am Rande der Wüste sicherlich nicht als „bestes Drehbuch“ ab. Vergleicht man andere antike Biographien mit der des Mannes aus Nazareth, kann man sie dann wenigstens als historisch gut gesichert bezeichnen.
Nach drei Jahren Crescendo ein Ende in Kakophonie
In den genannten letzten drei Jahren war er der Magnet für „Mühselige und Beladene“, damit allerdings auch in den Augen Einiger „gesichert linksextrem“. Ganz anders sah das die sadduzäische Tempelaristokratie. Von jüdischen Nationalisten gar nicht zu reden, die in ihm einen neuen König vermuteten. Das könnte vielleicht auch in die Kategorie gesichert rechtsextrem passen. Darauf folgte ein schlimmes Ende am Galgen der Antike, dem Kreuz. Da sahen ihn dann alle Genannten zu Recht hängen: Als enttäuschte Hoffnung, als schlimmen Häretiker oder zur Strecke gebrachten Aufrührer. Wenn es bloß ein Hollywood-Drehbuch gewesen wäre, hätte es dafür sicher die goldene Himbeere gegeben, weil die langweiligen 30 Jahre und die drei öffentlichen Jahre einfach als krachend gescheitert gelten mussten. Bis dahin hat sein Schicksal zunächst komplett alle seine Anhänger enttäuscht. Außer seiner Mutter, ein paar anderen Frauen und einem damals unbedarften Jüngling stand niemand unter seinem Kreuz. Denn keiner seiner Anhänger wagte sich darunter blicken zu lassen. Es scheint auch klug gewesen zu sein, denn die Anhänger, die sich nachher doch noch zu ihm bekannten, hat es dann bald das Leben gekostet.
Was in einem Mutterschoß irdisch begann…
Bis dahin. Was aber dann passierte, war kein orientalisches Märchen, auch nicht Science fiction, sondern eine 2000-jährige Wirkungsgeschichte legt nahe, dass es nach der Grablegung noch ein historisches Datum mit dem lebenden (!) Nazarener gegeben hat. Es wird nämlich von Zeugen, die für dieses Zeugnis in den Tod gingen, berichtet, dass er nicht im Grab geblieben ist. Deshalb kann heute die katholische Kirche den unscheinbaren Anfang der Ankunft des außer- oder besser überirdischen Gottes in irdischer Befindlichkeit feiern. Man möge es mir verzeihen, den Festtag in diese Verhältnisse gebracht und es mit der filmischen Ankunft eines preisgekrönten Hollywoodaußerirdischen so verfremdet zu haben. Aber die Tatsache, dass der in unzugänglichem Licht wohnende (1 Tim 6, 16) Gott unser irdisches Dasein mit uns geteilt und vom ersten Augenblick an auch unter der Bauchdecke einer Mutter unter uns gewohnt hat, verdient es heute gefeiert zu werden.
Im Nachhinein zeigt es sich, dass es mit den drei Tagen nach dem katastrophalen Ende die größte Geschichte der Menschheit geworden ist. Mit dem bedeutendsten „religiösen Drehbuch“ der Weltgeschichte mit dem Thema Gott, Götter oder Göttliches ist nicht bloß Mythisches erzählt oder verfilmt worden, dass Außerirdisches oder Überirdisches irdisch Fuß gefasst hat:
- Es ist nicht bloß von göttlichem Wandeln und Wirken in heiligen Hainen, Wässern, Tieren und Pflanzen die Rede.
- Es geht nicht bloß um überirdische Kräfte in irdischen Dingen, nicht um Vodoo-Zauber, Talisman oder sonstige Gegenstände und Praktiken.
- Es geht auch nicht um Gott oder Götter werdende Männer oder Frauen.
- Es ist nicht von einer wunderlichen Kopfgeburt wie Pallas Athene aus dem Haupte des Göttervaters Zeus die Rede.
…endet dort, wo alles überirdisch seinen Anfang nahm: im Vaterschoß Gottes
Nein, diese Geschichte hat ganz unspektakulär begonnen mit der Ankündigung eines Boten Gottes, dass eine junge Frau, weiterhin jungfräulich, ein Kind gebären soll. Was in dieser Weise in religiösen Mythen nicht einmal besonders originell begonnen hat, wird durch die Zusage der Jungfrau, dass die Ankündigung geschehen möge, geschichtlich wirklich: Der Mensch werden wollende Gott fragt nach dem Einverständnis mit diesem Geschehen die junge Nazarenerin. Dann beginnt die größte Geschichte der Menschheit wirklich zu werden mit dem Heranwachsen des Kindes im Mutterschoß der jungen Frau. Alles in allem ein wunderbarer Anfang, ein 30 Jahre langes unspektakuläres Heranwachsen, dann ein kurzzeitiges Crescendo. Und es würde in einer gewaltigen Kakophonie enden, wenn nicht schon im wunderbaren Anfang ein allmächtiger und allgütiger Gott wirkend tätig gewesen wäre, der aus einem typisch irdischen Ende aller Dinge noch einmal wirkmächtig einen neuen Anfang ohne Ende inszeniert hätte. Daraus wurde dann die größte Geschichte der Menschheit, die gar nicht mehr mit Oscars prämiert werden kann.
Diese auf Erden wundersam begonnene Geschichte im Mutterschoß einer Menschenfrau endet nämlich in der himmlischen Aufgehobenheit im Vaterschoß Gottes. Denn von da ist er gekommen: „Niemand hat Gott je gesehen; der Eingeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ruht, er hat Kunde gebracht. (Joh. 1,18)
Heute feiern wir den Beginn der größten Geschichte der Menschheit im Mutterschoß Mariens.
Dr. phil. Helmut Müller
Philosoph und Theologe, akademischer Direktor am Institut für Katholische Theologie der Universität Koblenz. Autor u.a. des Buches „Hineingenommen in die Liebe“, FE-Medien Verlag. Helmut Müller ist Mitautor des Buches „Urworte des Evangeliums“.
Beitragsbild: wikipedia