Jetzt wollen sie es wissen. Der Fall Kohlberger wird durch das ZdK zur großen Affäre hochgejazzt und zum Anlass, unverhohlen die Machfrage zu stellen. Denn die Vollversammlung stellt den deutschen Bischöfen unverblümt ein Ultimatum. Die in Anfragen gekleideten Forderungen im Sinne des Zentralkomitees zu beantworten, würde für die deutschen Bischöfe unmittelbar Selbstaufgabe und Unterwerfung, mittelfristig den Bruch mit Rom bedeuten. Eine Analyse von Martin Brüske in zwei Teilen. Hier Teil I: Der Hintergrund

Was bisher geschah….

Jedenfalls war es ein bemerkenswerter Vorgang. Entweder aktivistische Großtat im Sinne woker Cancelculture – oder, nach der bisherigen Moral des alten Europa: ein ethisch mehr als problematischer, nämlich verleumderischer Anschlag auf die Integrität eines Menschen. Eine junge Frau, Viola Kohlberger, gremienerfahren, mit den rhetorischen Strategien der neuen woken Kultur aus der Jugendverbandsarbeit bestens vertraut, greift den Kölner Kardinal überscharf (vorsichtig gesagt) in der Debatte an. Der geht in der Pause auf sie zu, vermutlich verletzt und erregt. Er will sich erklären, sicher auch rechtfertigen. Er sucht das Gespräch. Daraus wird ein Akt von angeblichem Machtmissbrauch. Das Wort „safe space“ – aus den einschlägigen Debatten wohlbekannt – fällt später. Damit sollte ganz offensichtlich ein bestimmter Zusammenhang evoziert werden.

Ein massiver Vorwurf, der nicht erhärtet werden konnte

Indes: Viola Kohlberger kann ihren Vorwurf an den Kölner Kardinal, sie machtmissbräuchlich bedrängt zu haben, zu keinem Zeitpunkt objektivieren und substantiieren. Ihr Vorwurf greift letztlich ins Leere. Am Ende sind zu wenige bereit, auf den Zug, den sie ins Rollen gebracht hat, aufzuspringen und mitzufahren. Wahrscheinlich hatte Frau Kohlberger sich verschätzt: Dort, wo die woke Kultur konsequent durchgedrungen ist, zählen objektive Fakten nicht mehr, sondern nur der subjektive Eindruck derer, die sich „unwohl“, „bedrängt“, „getriggert“, „verletzt“ oder „diskriminiert“ fühlen. Das scheint im kirchlichen Milieu jedenfalls noch nicht überall und vollständig der Fall zu sein… Dennoch: Am Ende des Tages wurde der nicht erhärtbare Vorwurf, in der eigenen Integrität verletzt worden zu sein, zum Versuch, die Integrität eines anderen Menschen sehr real zu verletzen.

Nomination als Provokation

Man kann es sich lebhaft vorstellen: Viele Bischofskollegen von Kardinal Woelki werden sich gut gemerkt haben, was ihnen gegebenenfalls blüht, wenn sich diese woke Kultur auch kirchlich auf ganzer Linie durchsetzt: Dass sie jederzeit selbst an der Stelle von Kardinal Woelki stehen können, wenn sie nicht genau „auf Linie“ sind. Insofern war die Nomination von Viola Kohlberger zur Bundeskuratin der DPSG eine heftige Provokation. Geschah sie naiv? Weil man glaubte, die Bischöfe ohnehin bereits „im Sack“ zu haben? Oder war es ein bewusster Test, um festzustellen, wie weit man hier gehen kann, ob man sie wirklich schon im Griff hat? Das muss offen bleiben, obwohl es schwer vorstellbar ist, dass man hier völlig unschuldig das Bewusstsein hatte, eine in der Jugendverbandsarbeit „bewährte“ und „unproblematische“ Kandidatin zu präsentieren.

Nicht ohne Ironie…

Es kam, wie es kommen musste: In geheimer Abstimmung scheiterte die Nomination. Das ist kein sehr schöner Zug in dem ganzen Vorgang. Ein wenig mehr Mut wäre schon angesagt gewesen, offen zu erklären, wieso man diese Kandidatin nicht akzeptabel findet. Es weiß ja ohnehin jeder. Aber der Vorgang ist auch nicht ohne Ironie. Die Angst vor dem neuen Pranger gehört genau zu der Unkultur, die Frau Kohlberger initiieren wollte und „geheime Abstimmung“ ist genau ein Schutzmechanismus für die weniger Mutigen. Denn eine Abstimmung sollte auch dann frei sein, wenn nicht alle Abstimmenden Helden sind. Und dieses elementare Recht ist bekanntlich den Bischöfen an entscheidender Stelle und satzungswidrig auf dem Synodalen Weg an entscheidender Stelle verweigert worden …

Ein hochsymbolischer Vorgang

„So weit, so gut oder schlecht“ (je nach Sichtweise), könnte man denken. Aber die Debatte in den synodal bewegten Kreisen der Jugendverbandsarbeit, aber auch von Hose bis Pfeffer kam wochenlang nicht zur Ruhe und fand auch kein Ende in der Stellungnahme der zunächst allein betroffenen DPSG. Und in der Tat: Obwohl institutionell genau hier und nur hier angesiedelt, greift der Vorgang psychologisch und politisch weit über ein unangenehmes Geplänkel zwischen einem Jugendverband und dem ständigen Rat der DBK hinaus. Er ist symbolisch in hohem Maße aufgeladen. Viola Kohlberger war durch ihr Auftreten gegen Kardinal Woelki zur Repräsentantin jenes neuen (pseudo-)demokratischen“, woken Stils geworden, in der insbesondere die Jugendverbände – besonders aggressiv und zeitgeistaffin etwa BDKJ-Chef Gregor Podschun – die Zukunft der Kirche sehen. Nebenbei: Wie oberflächlich und dumm diese Anbiederung an ein zeitgeistiges Ideologiekonglomerat ist, wie wenig – zu ihren Gunsten: hoffentlich – die ideenpolitischen Zusammenhänge durchschaut werden, zeigt die mangelnde Einsicht darin, dass der schreiende, unerträgliche akademische Antisemitismus, der überdies erklärter Feind der klassischen liberalen Demokratie ist, ja der erklärtermaßen die Grundlagen der westlichen Zivilisation zerstören will und der gerade so verstörend und erschreckend an deutschen Universitäten sichtbar wurde, der selben „woken“ Kultur entstammt, die Kohlberger, Podschun und Co. gerne in der Kirche etabliert sehen wollen.

Die Nomination wird zum Testfall

Es war wohl weniger Einsicht in die Diskurse und ideenpolitische Zusammenhänge, die bei den Bischöfen des ständigen Rats zur Ablehnung führte, sondern ein nicht ganz untypischer klerikaler Instinkt zum Selbstschutz. Aber das sei, wie es will: Objektiv war – gewollt oder ungewollt – die Nomination Viola Kohlbergers zur Bundeskuratin der DPSG zum Testfall geworden, ihre Ablehnung zum Eklat und zu einem ersten Akt bischöflicher Selbstbehauptung nach einer langen Strecke williger bischöflicher Unterwerfung oder zähneknirschender Anpassung. Das konnte nicht ohne Folgen bleiben.

(Fortsetzung folgt. . .)


Dr. theol. Martin Brüske
Martin Brüske, Dr. theol., geb. 1964 im Rheinland, Studium der Theologie und Philosophie in Bonn, Jerusalem und München. Lange Lehrtätigkeit in Dogmatik und theologischer Propädeutik in Freiburg / Schweiz. Unterrichtet jetzt Ethik am TDS Aarau.


Foto: imago, bearbeitet

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