Bis zu ihrem Ausstieg im Frühjahr 2023 war Dorothea Schmidt Mitglied des deutschen Synodalen Weges. Hier begründet sie, warum sie echte Synodalität liebt und warum sie in der Weltsynode eine einzigartige Chance für die Katholische Kirche sieht. Dorothea Schmidt erkennt darin ein enormes Potenzial für Wachstum, Erneuerung und einen von innen kommenden Aufschwung des kranken Riesen „Katholische Kirche“. Synodalität ist nichts, was Andere machen. Darum sind ihre (im Dialog mit Helmut Müller entstandenen) zehn Thesen zu Beginn eine Art Mitmach-Programm für alle, die den Glauben an die Communio der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche noch nicht verloren haben.

THESE 1

Lasst uns so lange aufeinander und auf den Geist Gottes hören und einander verstehen, bis wir in der Gewissheit des Glaubens Einmütigkeit gefunden haben – eine Einmütigkeit, die alle mitnimmt und keinen als Verlierer zurücklässt.

THESE 2

Lasst uns in vielfältigen Anstrengungen und an vielen Orten die Kunst der geistlichen Unterscheidung wieder lernen – und zwar im kontemplativen Gebet.

THESE 3

Lasst uns die Communio des Leibes Christi wiederfinden. Lasst uns, wo immer wir leben, zu welchen Diensten wir auch berufen sind, zur „Rekonziliation“ beitragen – zur Wiederversöhnung des entstellten Leibes der Kirche mit dem Haupt Christus. Denn nur der „ganze Christus“ ist das Zeugnis, das die Welt zu Gott heimführt.

THESE 4

Lasst uns aus der Erkenntnis leben, dass wir die Kirche nicht erfunden haben, sie auch heute nicht „machen“ können. Unsere Wege sind oft nicht Gottes Wege. Er steuert. Wir verstehen (oft nur schwer) im Heiligen Geist. In der weltweiten Communio von Schwestern und Brüdern in allen Teilen der Erde können wir neu erfahren, was es heißt, das von Gott getragene und geliebte Volk Gottes zu sein.

THESE 5

Lasst uns in der Erfahrung der Ablehnung, Verachtung und Verfolgung von Millionen Christen weltweit, erkennen, dass wir dann bei Christus sind, wenn wir aus gerechten Gründen und aus Treue zum Evangelium zum Stein des Anstoßes werden. Dass wir als Gläubige in der Welt, aber nicht von der Welt sind, wird zur Profilschärfung der Kirche beitragen.

THESE 6

Lasst uns die Vereinzelung aufgeben, das individualistische Christentum, die nationalen Alleingänge, das Sektiererische, die esoterischen Zirkel! Der gegenseitige Austausch in der Weite der universalen Kirche verhindert das notorische Kreisen um uns selbst und die eigenen Probleme und öffnet uns für die Belange aller Menschen in der Welt.

THESE 7

Lasst uns in Freude und Freiheit die Vielfalt einer Kirche entdecken, in den Akzentuierungen durch kulturell verschiedene Herausforderungen die Schönheit der einen, universalen Kirche ausmachen. Lasst uns zugleich verstehen, dass die größere Vielfalt der Ruf in eine noch größere Einheit bedeutet. Niemals dürfen das gemeinsame Bekenntnis und die Lehre der Kirche verletzt werden.

THESE 8

Lasst uns um den gemeinsamen Glauben nicht nur ringen. Lasst ihn uns auf neue Weise feiern – ausstrahlend von der Feier der Liturgie aus. Die Erfahrung, an vielen einsamen Orten und zugleich als weltweite Communio Eucharistie zu feiern, – das ist die unüberbietbare Manifestation unserer Zusammengehörigkeit in Christus. Wie der Herr uns vereint zu seiner Kirche und dem Leben jedes einzelnen Christen Nahrung zuführt, – das zeigt uns: Eucharistie- und Kirchengemeinschaft gehören zusammen.

THESE 9

Lasst uns das „Ich bin eine Mission“ (Evangelii Gaudium, 273) entdecken, damit die Erneuerung der Kirche nicht in Rom, sondern in unserem eigenen Leben beginnt, in der Liebe zu Jesus, der Ergriffenheit, der Begeisterung über die Botschaft Christi, der Freude, Christi Jünger sein zu dürfen. „Du brauchst nicht auf deinen Besitz oder dein Erscheinungsbild zu achten. Du kannst der sein, der du von Gott, deinem Schöpfer her bist, wenn du erkennst, dass du zu Großem berufen bist. Rufe den Heiligen Geist an und gehe mit Zuversicht auf das große Ziel zu: die Heiligkeit. Auf diese Weise wirst du keine Fotokopie sein. Du wirst ganz du selbst sein.“ (Papst Franziskus, Christus vivit, 107)

THESE 10 

Lasst uns aus der bewussten Entscheidung für Jesus leben, aus der Hingabe unseres Lebens an ihn. Lasst uns von Christen anderer Denominationen demütig lernen, die uns in der Liebe zum Herrn und in missionarischer Dynamik übertreffen. Nur, wenn wir nahe am Herzen Jesu leben, werden wir den verführerisch vorgetragenen Ideologien unserer Zeit widerstehen und das an ihnen integrieren können, was ihr tieferes Anliegen ist.

Ein großer Moment für die Weltkirche

Lasst uns noch einmal das Ganze des Glaubens betrachten, um zu verstehen was heute dran ist: In der Geschichte der Menschheit hat sich Gott den Menschen in seiner erbarmungsvollen Liebe immer wieder zugewendet, angefangen beim Volk Israel – jenem von Gott erwählten Volk, das immer wieder abtrünnig wurde, das Gott aber dennoch nie aufgegeben hat. Die barmherzige Liebe Gottes, von der Jesus im Neuen Testament spricht und die er lebt, zeigt sich schon im Alten Testament in seiner vollen Größe. Und sie zeigt sich auch heute. Die Weltsynode könnte ein Moment sein, in dem die Kirche ganz neu erfährt, wie Gott sich dem Menschen zuneigt.

Einladung zum Heilsweg der Liebe

So wie Gott damals seinen Heilsweg mit dem Volk Israel begonnen hat – mit ausgewählten Männern und Frauen, Stammvätern und Stammmüttern, Propheten und Prophetinnen, Ältesten und Priestern, die einen besonderen Kontakt zu ihm pflegten und von ihm dazu auserwählt wurden -, so lädt er uns durch den Papst auch heute ein, diesen Heilsweg in Seiner Liebe mitzugehen – so wie wir sind. Als Kirche: von Missbrauch und Unmoral entstellt, von Unglauben geschwächt, von Leitungsversagen betroffen. Aber auch als versuchte, verführbare Individuen, die wir nicht aufhören, variantenreich zu sündigen.

Gott will uns dabei in Jesus Christus in vielfältiger Weise in Wort und Tat berühren — und sich berühren lassen; in den Sakramenten, in denen er bereits auf jeden Einzelnen wartet, aber auch in unterschiedlichen Diensten und Beanspruchungen, zu denen er beruft und die sich in der Weltkirche in verschiedensten Ausprägungen zeigen.

Zu erkennen, dass wir keine Vielfalt konstruieren müssen, sondern sie bereits in den zahlreichen Berufungen gegeben ist, gehört zu den Chancen der Weltsynode. Gottes Liebe und Auserwählung – in welchen wie auch immer für jeden Einzelnen von Ewigkeit her zugedachten Diensten zu sehen und anzunehmen -, kann in eine die Kirche erneuernde Freude und Freiheit führen, wie nur Gott sie geben kann, der reine Liebe ist. Aber auch Souverän.

Die Unendlichkeit und Unfasslichkeit Seiner Liebe zeigt sich in der Inkarnation. Gott ist in Jesus Christus Mensch geworden, einer von uns, mit allen menschlichen Eigenarten außer der Sünde. Mehr noch: Er ist für uns in den Tod gegangen und ist auferstanden, um uns die Türen des Himmels zu öffnen.

Diesen Opfertod Christi sakramental als Weltkirche zu feiern in der Heiligen Messe, wo es mit Christus selbst im Sakrament der Eucharistie zu einer Vereinigung kommt, die man nur mit der Vereinigung im Ehesakrament vergleichen kann, – das ist eine besondere Erfahrung. Darin liegt das Potenzial, die Weltkirche in ihren vielfältigen Ausformungen als Einheit zu erfahren, sie tiefer zu begreifen als das Ferment einer vereinigten Menschheitsfamilie. So sagt es Lumen Gentium in einem seiner stärksten Texte:

„Dieses messianische Volk umfasst in der Wirklichkeit nicht alle Menschen und erscheint gar oft als kleine Herde, ist aber für das ganze Menschengeschlecht die unzerstörbare Keimzelle der Einheit, der Hoffnung und des Heils.“

Der Herr hat sich mit uns auf eine Communio eingelassen und sie durch Sakramente strukturiert im Weihesakrament in einem Leitungs- und Hirtenamt. In Tauf- und Firmsakrament hat er uns zu mündigen, freien Gliedern gemacht, zu seinen Freunden, die diese Communio gewinnend darstellen und überzeugend leben sollen. Wie Gott in sich liebende Gemeinschaft ist, soll es auch die Kirche sein.

Mitmach-Potenzial und missionarische Dynamik mit und durch den Heiligen Geist

Das ist eine gewaltige Herausforderung, denn diese Communio bestimmt mit der Schöpfungsordnung und der Heilsbotschaft des Evangeliums alle Entscheidungen innerhalb der Kirche. Dabei lässt unser Herr uns nicht allein; es ist seine Kirche, nicht unsere. Er ist bei uns bis zum Ende der Welt. Die Weltsynode ist eine wunderbare Gelegenheit zu erkennen, wie Gott seine Kirche durch die Gemeinschaft der Bischöfe und den Papst führt, der – ganz im Sinn des Zweiten Vatikanischen Konzils – endlich die missionarische Dynamik aller Getauften abrufen und die Laien tiefer in die Sendung der Kirche integrieren möchte.

Der Papst versteht die Synode als geistlichen Prozess, der unter Federführung des Heiligen Geistes stattfinden soll. Das übersteigt das Genre der Politik im Sinne eines öffentlichen Ringens um Mehrheiten, wie Bischof Franz-Josef Overbeck kürzlich noch die Weltsynode missverstand. Wenn wir uns auf den Geist Gottes einlassen und Ihm vertrauen, der uns befähigt, auf osmotische Weise Stärkendes aufzunehmen und Gefährdendes abzuwehren im lebendigen Austausch, in Wort und Tat. Dann werden wir als weltweite Communio gemeinsam mit den Bischöfen und dem Papst das beginnende Reich Gottes auf Erden aufbauen können. Insofern ist die Weltsynode ein Moment in der Kirchengeschichte, das wir mitprägen dürfen, positiv oder negativ. Es hängt nicht von ein paar Leuten in Rom ab; es hängt auch von uns ab.


Dorothea Schmidt
arbeitet als Journalistin und regelmäßige Kolumnistin für diverse katholische Medien (Tagespost, kath.net, u.a.). Sie ist Autorin des Buches „Pippi-Langstrumpf-Kirche“ (2021). Sie war Mitglied der Synodalversammlung des Synodalen Weges und verließ gemeinsam mit weiteren Frauen Anfang 2023 das Gremium als Protest gegen die Beschlüsse des Synodalen Weges, die sich immer weiter von der Weltkirche entfernen. Schmidt ist Mutter von zwei Kindern und lebt mit ihrer Familie in Süddeutschland.

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