In einem jungen, gewichtigen Dokument hat die Kirche zur Menschenwürde Stellung genommen: Dignitas infinita. Sie formuliert eine Position, die im grundlegenden und ausschließenden Gegensatz zu Frauke Brosius-Gersdorf steht. Sie macht das grundstürzende Gewicht der Frage klar. Hier finden Sie die Texte. Grundlage für ein zu erhoffendes Hirtenwort.
Vorbemerkung
Nachfolgend finden Sie die Texte aus der Erklärung Dignitas infinita, die für die in Deutschland ausgebrochene Debatte um die verfassungsrechtliche Position von Frauke Brosius-Gersdorf einschlägig sind. Diese Texte stehen dazu in einem grundlegenden und ausschließenden Gegensatz. Insbesondere in Nr. 24 wird dieser Gegensatz unmittelbar und direkt. Sie repräsentieren beste abendländische Tradition bis hin und einschließlich zu Immanuel Kant. Zugleich beanspruchen sie hinsichtlich ihrer Grundlagen philosophische Rationalität. Es handelt sich um eine theologische Erklärung des Dikasteriums für die Glaubenslehre. Eine solche Erklärung ist Teil des ordentlichen Lehramts der Päpste und somit in der Kirche verbindlich.
Die Texte
- Eine unendliche Würde (Dignitas infinita), die unveräußerlich in ihrem Wesen begründet ist, kommt jeder menschlichen Person zu, unabhängig von allen Umständen und in welchem Zustand oder in welcher Situation sie sich auch immer befinden mag. Dieser Grundsatz, der auch von der Vernunft allein voll erkannt werden kann, ist die Grundlage für den Vorrang der menschlichen Person und den Schutz ihrer Rechte. Die Kirche bekräftigt und bestätigt im Licht der Offenbarung in absoluter Art und Weise diese ontologische Würde der menschlichen Person, die nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen und in Christus Jesus erlöst wurde. Aus dieser Wahrheit leitet sie die Gründe für ihr Engagement für die Schwächeren und weniger Mächtigen ab, wobei sie stets auf dem „Primat der menschlichen Person und der Verteidigung ihrer Würde, unabhängig von allen Umständen“, besteht.
- Schließlich sei an dieser Stelle daran erinnert, dass die klassische Definition von Person als „unteilbare Substanz der vernünftigen Natur“ die Grundlage ihrer Würde deutlich macht. In der Tat genießt die Person als „unteilbare Substanz“ die ontologische Würde (d. h. auf der metaphysischen Ebene des Seins selbst): Sie ist ein Subjekt, das, nachdem es seine Existenz von Gott erhalten hat, „subsistiert“, d. h. seine Existenz selbstständig ausübt. Das Wort „vernünftig“ umfasst eigentlich alle Fähigkeiten des Menschen: sowohl die des Erkennens und Verstehens als auch die des Wollens, Liebens, Wählens und Begehrens. Der Begriff „vernünftig“ umfasst dann auch alle körperlichen Fähigkeiten, die mit den oben genannten eng verbunden sind. Der Ausdruck „Natur“ bezeichnet die dem Menschen eigenen Bedingungen, die die verschiedenen Unternehmungen und Erfahrungen ermöglichen: Die Natur ist das „Prinzip des Handelns“. Der Mensch erschafft seine Natur nicht, er besitzt sie als Geschenk und kann seine Fähigkeiten kultivieren, entwickeln und bereichern. Indem er von seiner Freiheit Gebrauch macht, um den Reichtum seiner eigenen Natur zu kultivieren, baut sich die menschliche Person im Laufe der Zeit auf. Selbst wenn sie aufgrund verschiedener Einschränkungen oder Bedingungen nicht in der Lage ist, diese Fähigkeiten zu nutzen, bleibt die Person immer als „unteilbare Substanz“ mit deren ganzer unveräußerlichen Würde erhalten. Dies ist z. B. bei einem ungeborenen Kind, bei einem bewusstlosen Menschen, bei einem alten Menschen im Todeskampf der Fall.
- Die Kirche verkündet die gleiche Würde aller Menschen, unabhängig von ihren Lebensumständen und ihren Eigenschaften. (…)
Unbedingte Achtung der Menschenwürde
- Zuallererst gibt es trotz des wachsenden Bewusstseins für die Frage der Menschenwürde immer noch viele Missverständnisse des Begriffs Würde, die seine Bedeutung verfälschen. Ei- nige schlagen vor, statt „Menschenwürde“ (und Rechte des Menschen) besser den Ausdruck „persönliche Würde“ (und Rechte „der Person“) zu verwenden, weil sie unter einer Person lediglich „ein vernunftbegabtes Wesen“ verstehen. Folglich leiten sie Würde und Rechte aus der Fähigkeit zu Erkenntnis und Freiheit ab, mit der nicht alle Menschen ausgestattet sind. Das ungeborene Kind hätte demnach keine persönliche Würde, ebenso wenig wie ein unselbstständig gewordener alter Mensch, oder jemand mit einer geistigen Behinderung.39 Die Kirche besteht im Gegenteil auf der Tatsache, dass die Würde jeder menschlichen Person, gerade weil ihr untrennbar verbunden, „jenseits aller Umstände“ bleibt und ihre Anerkennung in keiner Weise von der Beurteilung der Fähigkeit zu Erkenntnis und zu freiem Handeln einer Person abhängen kann. Andernfalls wäre die Würde nicht als solche dem Menschen innewohnend, unabhängig von seiner Konditionierung und daher einer bedingungslosen Achtung würdig. Nur durch die Anerkennung einer dem Menschen innewohnenden Würde, die niemals verloren gehen kann, ist es möglich, ihr eine unantastbare und sichere Grundlage zuzusichern. Ohne jeden ontologischen Bezug wäre die Anerkennung der Menschenwürde unterschiedlichen und willkürlichen Bewertungen ausgeliefert. Die einzige Bedingung, unter der von einer der Person an sich innewohnenden Würde gesprochen werden kann, ist also die Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung, weshalb „die Rechte der Person die Rechte des Menschen“ sind. 40
Abtreibung
- Die Kirche hört nicht auf, daran zu erinnern, dass „die Würde eines jeden Menschen einen intrinsischen Charakter [hat] und sie gilt von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod. Gera- de die Bejahung dieser Würde ist die unveräußerliche Voraussetzung für den Schutz der persönlichen und sozialen Existenz und zugleich die notwendige Bedingung für die Verwirklichung von Brüderlichkeit und sozialer Freundschaft unter allen Völkern der Erde.“88 Auf der Grundlage dieses unantastbaren Wertes des menschlichen Lebens hat sich das kirchliche Lehramt stets gegen die Abtreibung ausgesprochen. In diesem Zusam- menhang schreibt der heilige Johannes Paul II.: „Unter allen Verbrechen, die der Mensch gegen das Leben begehen kann, weist die Vornahme der Abtreibung Merkmale auf, die sie besonders schwerwiegend und verwerflich machen. […] Doch heute hat sich im Gewissen vieler die Wahrnehmung der Schwere des Vergehens nach und nach verdunkelt. Die Billigung der Abtreibung in Gesinnung, Gewohnheit und selbst im Gesetz ist ein beredtes Zeichen für eine sehr gefährliche Krise des sittlichen Bewusstseins, das immer weniger imstande ist, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, selbst dann, wenn das Grundrecht auf Leben auf dem Spiel steht. Angesichts einer so ernsten Situation bedarf es mehr denn je des Mutes, der Wahrheit ins Gesicht zu schauen und die Dinge beim Namen zu nennen, ohne bequemen Kompromissen oder der Versuchung zur Selbsttäuschung nachzugeben. In diesem Zusammenhang klingt der Tadel des Propheten kategorisch: ,Weh denen, die das Böse gut und das Gute böse nennen, die die Finsternis zum Licht und das Licht zur Finsternis machen‘ (Jes 5,20). Gerade in Bezug auf die Abtreibung ist die Verbreitung eines zweideutigen Sprachgebrauchs festzustellen, wie die Formulierung ,Unterbrechung der Schwangerschaft‘, die darauf abzielt, deren wirkliche Natur zu verbergen und ihre Schwere in der öffentlichen Meinung abzuschwächen. Vielleicht ist dieses sprachliche Phänomen selber Symptom für ein Unbehagen des Gewissens. Doch kein Wort vermag die Realität der Dinge zu ändern: die vorsätzliche Abtreibung ist, wie auch immer sie vorgenommen werden mag, die beabsichtigte und direkte Tötung eines menschlichen Geschöpfes in dem zwischen Empfängnis und Geburt liegenden Anfangsstadium seiner Existenz.“89 Ungeborene Kinder sind somit „die Schutzlosesten und Unschuldigsten von allen, denen man heute die Menschenwürde absprechen will, um mit ihnen machen zu können, was man will, indem man ihnen das Leben nimmt und Gesetzgebungen fördert, die erreichen, dass niemand das verbieten kann“90. Deshalb muss auch in unserer Zeit mit aller Kraft und Klarheit festgestellt werden, dass „diese Verteidigung des ungeborenen Lebens eng mit der Verteidigung jedes beliebigen Menschenrechtes verbunden [ist]. Sie setzt die Überzeugung voraus, dass ein menschliches Wesen immer etwas Heiliges und Unantastbares ist, in jeder Situation und jeder Phase seiner Entwicklung. Es trägt seine Daseinsberechtigung in sich selbst und ist nie ein Mittel, um andere Schwierigkeiten zu lösen. Wenn diese Überzeugung hinfällig wird, bleiben keine festen und dauerhaften Grundlagen für die Verteidigung der Menschenrechte; diese wären dann immer den zufälligen Nützlichkeiten der jeweiligen Machthaber unterworfen. Dieser Grund allein genügt, um den unantastbaren Wert eines jeden Menschenlebens anzuerkennen. Wenn wir es aber auch vom Glauben her betrachten, dann ,schreit jede Verletzung der Menschenwürde vor dem Angesicht Gottes nach Rache und ist Beleidigung des Schöpfers des Menschen‘.“ 91 Hierbei verdient das großzügige und mutige Engagement der heiligen Teresa von Kalkutta für die Verteidigung jeder empfangenen Person in Erinnerung gerufen zu werden.