Großangriff auf eine ganze Gruppe von Kirchenerneuerern oder schlicht Neid? Der Theologe Thomas Halagan hat einen Beitrag über „Abgründe eines kirchlich-populistischen Erfolgmodells“ geschrieben, indem er beispielhaft Johannes Hartl vom Gebetshaus Augsburg niederschreibt. Eine Replik von Bernhard Meuser auf Halagans Text:
Soziologen unterläuft gelegentlich ein Bestseller. So widerfuhr es 1966 auch Helmut Schoeck (1922-1993) mit seinem Buch „Der Neid. Eine Theorie der Gesellschaft“. Das Werk erlebte zahlreiche Auflagen, wurde mehrfach überarbeitet und in zehn Sprachen übersetzt. Schoeck hielt das Phänomen „Neid“ für einen grundlegenden, Gesellschaften und Gemeinschaften strukturierenden Faktor. Neidisch, so Schoeck, sei der Mensch, „der es nicht ertragen kann, daß ein anderer etwas ist, kann, hat, gilt, das er selbst entbehrt, und der deshalb einen Lustgewinn darin findet, es beim anderen zerstört zu sehen, ohne es selber dadurch zu bekommen“.
Sollte Halagan Schoeck gelesen haben, hat die Lektüre keine Spuren bei ihm hinterlassen. Sein Beitrag „Abgründe eines kirchlich-populistischen Erfolgsmodells“, in dem er an Johannes Hartl und dem Augsburger Gebetshaus kein gutes Haar lässt, liest sich jedenfalls so, als könnte es Halagan nicht ertragen, dass Hartl etwas ist (ein theologischer „Kopf“), etwas hat (weltweiten Erfolg und viel Zustimmung gerade bei jüngeren Menschen), etwas gilt (als Autor, Leader und Sprecher), das Halagan nicht ist/hat/gilt. Wir wollen hoffen, dass er sich nicht auch noch einen Lustgewinn dadurch verspricht, das, was er selbst nicht bekommt, „beim anderen zerstört zu sehen.“
Ein politisch motivierter Tritt in die Hacken
Man könnte das Ganze nun herunterspielen und für eine missgünstige Attacke auf die Person Johannes Hartl halten, würde Halagan nicht den Esel meinen, wenn er den Sack schlägt. Getroffen (und kirchenstrategisch ausgegrenzt) werden soll eine ganze, weit verästelte, christenreiche Bewegung. Dass „feinschwarz“ dem scheelen Blick auf die „charismatische“ Szene der Kirchenerneuerung auch noch ein publizistisches Forum gibt, auf dass man es nur ja bei allen Entscheidern und in allen Ordinariaten der Republik lese, macht Halagans unbeholfenen Tritt in die Hacken einer repräsentativen Figur erst politisch interessant. Wer ist gemeint über Hartl hinaus? Die Gebetshaus-Bewegung? Die Lobpreis-Bewegung? Loretto und die Home-Bases? Die charismatische Erneuerung? Dialogische Katechese? Einzelne und Gruppen mit Heilungscharisma? Die 24/7-Bewegung? Kontemplative Klöster? Nightfever? Die Theologie-des-Leibes-Bewegung? Missionarisch tickende Gemeinschaften wie die Passionisten? Emmanuel und Rejoice? Das Regnum Christi? Alpha? Divine Renovation? Jugend für Kirche? Die christlich motivierten Lebensschützer? Alpha? … Man könnte Seiten füllen, um nur ja keine Initiative zu vergessen. Die meisten dieser Initiativen meiden bewusst die kirchenpolitische Auseinandersetzung, weil sie gerade Wichtigeres zu tun haben. Sie sollten nur wissen, dass es strukturell einflussreiche Kirchenkräfte gibt, die daran arbeiten, dass sie alle eines Tages nicht mehr dazugehören. Zur Kirche.
Statt die tödlichen Polarisierungen einmal hinter sich zu lassen, die mit dem Synodalen Weg in die Kirche Einzug hielten, statt sich zu besinnen auf die missionarische Sendung der Kirche, darf da ein liberal tickender Hardliner neues Öl ins Feuer gießen. Einmal mehr betreibt jemand die Marginalisierung, ja die soziale Exkommunikation der „anderen Seite“. Man muss sie nur als unterkomplex, rechtspopulistisch, wissenschaftsfeindlich, irr- & antirational, mithin als gefährlich diffamieren. Halagan liefert damit zur Unzeit eine Kriegserklärung; er fällt zurück in das „Einer muss sterben.“ Halagan betritt dabei die Bühne mit dem gleichen altruistischen Gestus, den schon Magnus Striet, Ursula Nothelle-Wildfeuer und andere an den Tag legten, als sie 2018 eine so überaus besorgte Breitseite gegen „Mission Manifest“ und die MEHR-Konferenz abfeuerten. Mit dem panisch zusammengestrickten Büchlein „Einfach nur Jesus?“ stellte man eine immer größer werdende Gruppe von Christen unter Sektenverdacht. Schon damals war mit dem Krückstock zu fühlen, um was es den Kritikern in Wahrheit ging: Um ihre eigene Angst. Angst um ihre Deutungshoheit. Angst um die Bastionen struktureller Kirchenmacht. Angst um den Lehrstuhl. Welcher passionierte junge Christ, der sein Leben auf die Karte „Jesus“ setzt, sucht schon Kochrezepte für rationalistische Wassersuppe, um später Wasserträger in Gemeinde oder Schule zu sein? „Einfach nur Jesus?“ löste freilich bei den Attackierten eher Heiterkeit als Betroffenheit aus.
Das dunkle Raunen einer neuen Inquisition
Thomas Halagans Beitrag trägt in der Sache nichts Neues vor; wir haben es mit einem zweiten Aufguss aller schon 2018 vorgetragenen Argumente zu tun. Im dunkel raunenden, etwas holprigen O-Ton Halagan: „Diese Zusammenkunft zwischen vorgegebener Wissenschaftlichkeit der Inhalte und einer anti-rationalistischen religiösen Praxis birgt ernstzunehmende Einfallstore für die Kommunikation (nicht nur) populistischer Inhalte.“ Subliminale Botschaften? Worin sie bestehen könnten, wird nicht präzise ausgeführt und mehr nebulösen Ahnungen überlassen: Es könnte sich um „rechte“ Botschaften handeln. Nun entzieht sich Hartl keineswegs dem Diskurs; er liebt die Widerrede und den Dialog; er hat keine völkische Schlagseite und ist auch kein Parteigänger der AfD. Aber es fehlt ihm – so Halagan – ein bestimmtes Siegel der Rechtgläubigkeit: Es werde „gezielt der Eindruck vermittelt, dass das angebotene Wissen keiner weiteren Prüfung durch das Individuum bedürfe.“ Nun ist von Johannes Hartl zwar bekannt, dass er starken, aber nicht blinden Glauben einfordert. Seine Zuhörer haben auch nicht den Eindruck, sich einer Gehirnwäsche zu unterziehen.
Der kaum verhohlene Vernichtungswille, der sich hinter Halagans Attacke verbirgt, treibt nun eine ganz besondere Blüte. Dass er die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Erneuerungsbewegungen einfordert, kann man nur begrüßen, ja nachdrücklich unterstreichen. Aber dass da plötzlich jemand von seiner Statur nach dem „Amt“, ja nach der Inquisition ruft, gibt zu denken. Bätzing soll´s verbieten. Nach „peinlicher Befragung“ in Freiburg? Thomas Halagan: „Bewegungen, die derartige Logiken hervorbringen, können und dürfen nach meinem Dafürhalten wissenschaftlich und amtstheologisch nicht weiter unbeachtet bleiben. Ihr liegt eine toxische Religiosität zugrunde, die letztlich einen Nährboden für spirituellen Missbrauch bereitet.“
Nach meinem Dafürhalten dürfen „Halagan & friends“ wissenschaftlich und amtstheologisch nicht unbeachtet bleiben. Es könnte sich bei ihnen ein toxischer Begriff von Glauben und Kirche festsetzen, der den Nährboden für spirituellen Missbrauch bildet und Menschen, die einen jesuanischen Anspruch auf missionarische Ansprache haben, vom Heil fernhält.
Vom theologischen Elend einer doppelten Ausgrenzung
Bei Thomas Halagan ereignet sich gleich eine doppelte, nämlich eine religionssoziologische und eine theologische Ausgrenzung. Religionssoziologisch vom Platz genommen werden Christen, die sich im Hören auf das Wort Gottes einer neuen missionarischen Dynamik verschrieben haben. Ausgegrenzt wird aber auch eine fundamentale Kategorie kirchlicher Praxis, nämlich „Verkündigung“. Zumindest wird bei Halagan durchgängig der Verdacht der Simplifizierung, der Vereindeutigung des Komplexen genährt. Halagan mahnt „theologische Arbeit“ an, „die sich mit den spezifischen Aspekten befasst, die die Verkündigungsarbeit des Gebetshauses in Augsburg prägt.“ Er möchte „eine Deutung anbieten, warum die Kombination aus charismatischer Theologie und theologischem Populismus im Falle Hartls so erfolgreich ist.“
Wahr ist: Im Gebetshaus spielt der Heilige Geist eine zentrale Rolle. Und es wird leidenschaftlich verkündigt. „Nur wer selbst brennt,“ sagt Augustinus, „kann Feuer in anderen entfachen.“ Aber gerade dieses Feuer, diese ungefilterte, distanzlose, vorkantianische Rede von den präsentischen Wundern des Glaubens macht die Sache verdächtig. In den Augen von Magnus Striet (dem Thomas Halagan hinterherredet) ist das „Religionspopulismus“. Würde heute jemand sagen, was Jesus dem (um sein totes Kind) trauernden Synagogenvorsteher Jairus sagte:
„Sei ohne Furcht; glaube nur!“ (Mk 5,36),
– er wäre ein Fundamentalist. Das „Glaube nur!“ heutiger Verkündiger wäre für Striet der gestische Versuch, „eine durchsichtige Religionswelt gegen eine immer komplexere und undurchschaubarere Welt außen zu errichten“. Der Religionsskeptizismus, der sich in solchen Aussagen meldet, richtet sich nicht gegen einen bestimmten Verkündigungstypus, wie er im Gebetshaus vermeintlich praktiziert wird, sondern gegen Verkündigung überhaupt. Wie soll Erlösung proklamiert (also öffentlich ausgerufen) werden, wenn Gott nur ein „Gerücht“ (Magnus Striet) ist? Man kann im Grunde nicht mehr verkündigen, allenfalls an der ausgestreckten Hand von aufgeklärten „Religionsintellektuellen“ die säkulare Wirklichkeit bedenken.
Nun mahnt aber Papst Franziskus in Evangelii Gaudium:
„Gewinnen wir den Eifer zurück, mehren wir ihn und mit ihm »die innige und tröstliche Freude der Verkündigung des Evangeliums, selbst wenn wir unter Tränen säen sollten […] Die Welt von heute, die sowohl in Angst wie in Hoffnung auf der Suche ist, möge die Frohbotschaft nicht aus dem Munde trauriger und mutlos gemachter Verkünder hören, die keine Geduld haben und ängstlich sind, sondern von Dienern des Evangeliums, deren Leben voller Glut erstrahlt, die als erste die Freude Christi in sich aufgenommen haben.“
Von älteren Religionspopulisten
Halagan stößt sich an einem Typus glutvoller christlicher Rede, dem man überall in den Erneuerungsbewegungen (und nicht nur im Gebetshaus) begegnet. In meisterlicher Form kann man ihn bei Augustinus von Hippo (354-430) studieren, etwa in seinen ´Confessiones´: Dort besteht die elementare Mitteilung der rettenden Botschaft in einer Mischung von biographischem Zeugnis und theologischem Argument. Diese Art verkündigender Rede basiert wiederum auf 1 Petr 3,15:
„Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt.“
Zum Wesen des Glaubenszeugnisses gehört, dass es wahr ist und dass es geglaubt wird aufgrund der Glaubwürdigkeit des Zeugen. Glaube, sagt Newman, ist „Zustimmung zu dem, was ein Mensch sagt, nicht einfach als Mensch betrachtet, sondern als Träger einer Botschaft, zu der er als Bote, als Prophet, als Gesandter Gottes beauftragt ist.“ Wahre Zeugen des Glaubens reden nicht haltlos und ins Blaue hinein, sondern in diachroner und synchroner Kontinuität der anderen apostolischen Zeugen, zudem in Hinsicht auf die Vernünftigkeit des Glaubens, ohne dabei Offenbarung in Vernunft aufzulösen. So macht es übrigens auch Johannes Hartl, dem man Vernunftfeindlichkeit schlecht unterstellen kann; bei ihm findet sich sowohl der intensive Schriftbezug, wie zunehmend eine kritische Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Philosophie.
Niemand hat fundamentalistischer verkündigt als Paulus:
„Wenn du mit deinem Mund bekennst: Herr ist Jesus – und in deinem Herzen glaubst: Gott hat ihn von den Toten auferweckt, so wirst du gerettet werden.“ (Röm 10,10)
Eine Erstverkündigung, die aus drei Worten besteht! Das gilt noch immer, muss immer noch zuerst gesagt werden, auch wenn alle Turmbauten der Theologie nur aus der Steinesammlung dieses Drei-Worte-Bekenntnisses gebaut sind. Und keiner war, wie Helmut Müller einmal feststellte, ein größerer „Religionspopulist“ als „Jesus von Nazareth, der mit unbedingtem Wahrheitsanspruch in eine schon damals komplexe Gesellschaft geboren wurde. Eine Menge Volk – wie es heißt: Mühselige und Beladene, Arme, Kranke, Lahme, Blinde, Aussätzige, Besessene und vom Leben Gebeutelte – zogen hinter ihm her. Allen war gemeinsam, dass sie die schon damals komplexe Gesellschaft auf ihr Gebrechen hin schrumpften, Komplexität reduzierten und ´einfach´ nur glaubten und Heilung erhofften. Der Nazarener unterstützte diese einfachen, unreflektierten Haltungen dadurch, dass er sie bestätigte mit: ´Dein Glaube hat dir geholfen´.“
„Johannes Hartl“, meint Thomas Halagan, „spielt mit Bravour das Spiel des Theologie-Populisten und ist damit im deutschsprachigen Raum mittlerweile sehr erfolgreich.“ Betrachtet man das vergiftete Kompliment im Kontext der schier endlosen Kette großer und erfolgreicher Verkündiger von Paulus an – um nur einige zu nennen: Chrysostomus, Ambrosius, Augustinus, Dominikus, Antonius von Padua … – so befindet sich Hartl in guter Gesellschaft. Sie alle verstanden es, das Abgründige, Unfassbare, sie selbst unendlich Übersteigende elementar herunterzubrechen und glaubwürdig zu proklamieren.
Von solchen Leuten kann die Kirche nicht genug haben.
Bernhard Meuser
Jahrgang 1953, ist Theologe, Publizist und renommierter Autor zahlreicher Bestseller (u.a. „Christ sein für Einsteiger“, „Beten, eine Sehnsucht“, „Sternstunden“). Er war Initiator und Mitautor des 2011 erschienenen Jugendkatechismus „Youcat“. In seinem Buch „Freie Liebe – Über neue Sexualmoral“ (Fontis Verlag 2020), formuliert er Ecksteine für eine wirklich erneuerte Sexualmoral.
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