Is mission impossible?
Was bedeutet der Tod von Charlie Kirk für uns Christen? Was für die junge Generation in Europa? Katharina Hauser spricht über ihre Wahrnehmung der Person Kirk, über Ängste in Bezug auf die eigene Mission und ermutigt schließlich zu Klarheit und Wahrheit.
Charlie Kirk ist tot. Dazu wurde ich kürzlich auf der Straße interviewt. Es wurde zum Anlass genommen, über Waffengewalt in den USA nachzudenken. Ich nehme es hier zum Anlass, über die Perspektive junger Menschen auf die heutige Welt nachzudenken. Müssen wir Angst haben, unsere Meinung zu sagen?
Umstritten, jedoch authentisch
Charlie Kirk war ein bekanntes Internetphänomen, in den USA sicher mehr als hier in Deutschland, in der jüngeren Generation sicher mehr als bei den Älteren, die ihn hierzulande wohl kaum bis gar nicht kannten. So gut wie jedem einigermaßen konservativ denkenden jungen Menschen ist Charlie Kirk auf SocialMedia schon einmal begegnet. Mir wurde er vor einigen Monaten in die Timeline gespült. Er hat über das Thema Abtreibung gesprochen und ich fand sowohl seine Argumentation als auch seinen Umgang mit dem Gesprächsgegenüber interessant. Da war jemand, der sich den schwierigen Situationen stellte, gezielt das Gespräch mit Andersdenkenden suchte, der seinem Gegenüber zuhörte, manchmal eher lieblos vor allem seinen Punkt machen wollte, jemand, der oft gute Argumente hatte, manchmal in meinen Augen auch nicht. Manches von ihm Gesagte war für mich sehr befremdlich, zum Beispiel, wenn es um Waffenbesitz oder die Todesstrafe ging. Seine Haltung zum Judentum habe ich nicht einordnen können. Seine Argumentation war mir oft zu “billig”, seine Exegese zu steinbruchartig.
Verkündigung im Relativismus-Traumland
Gleichzeitig stimme ich als junge Katholikin mit manchen Werten, die er verteidigte, überein, auch wenn nicht in allen Details und Argumenten. Zudem fand ich sein Format sehr interessant für diese heutige Welt, in der die Gräben immer tiefer werden. Wollte er das, was er als wahr erkannt hatte, an andere weitergeben? Bestimmt. Im Relativismus-Traumland ist das natürlich ein böses Vergehen. Über die eigene Meinung sprechen ist “Hass”, Mission ist Bevormundung, Evangelisierung ist Nicht-Respektieren der Freiheit des anderen. Man mag Kirk böse Absichten unterstellen a là „Er will die Leute ja eh nur für seine politischen Zwecke und für Trump gewinnen“. Man könnte aber auch zumindest würdigen, dass er sich dem Diskurs gestellt hat und sich nicht in seine eigene konservative Blase zurückgezogen hat, wo alle nur Beifall klatschen und ihm zujubeln. Man könnte aber auch sehen, wie er jungen Menschen Debattieren und Denken beibringen wollte, darüber hinaus Eigenverantwortung und ein geregeltes Leben. Es gibt unzählige Berichte von jungen Menschen, die sagen, dass er sie motiviert hat, mehr zu lesen, sich mehr zu bilden, zielstrebiger in die Zukunft zu schauen und ihr Leben in die Hand zu nehmen.
Und ebenso könnte man eine missionarische Motivation erkennen und sich einmal fragen, ob Mission wirklich des Teufels ist. Man liest und hört aktuell, dass ihm am Wichtigsten war, dass Menschen letztlich Jesus Christus als Wahrheit erkennen und in den Himmel kommen. Ich als Katholikin kann diesem Letztziel nur zustimmen. Klingt gefährlich für jemanden, der denkt, dass christlicher Glaube vor allem Einschränkung, Indoktrination, Kleinhalten meiner selbst und insgesamt ein Ammenmärchen ist. Wer aber “drin” ist, weiß, dass es genau um das Gegenteil geht: Um unendliche Freiheit, einen Frieden, den die Welt nicht geben kann, um ein wirkliches Finden zu mir selbst und noch dazu eine Liebe, die alles übersteigt. Mission ist nichts anderes als dem anderen zu wünschen, das Schönste, was man selbst erfahren hat, auch erleben zu können, weil es Weg, Wahrheit und Leben ist. Weil Jesus Christus im Leben wirklich alles verändert. Zum Positiven.
Kirks Wunsch, dass Menschen Christus finden, wird gerade real: es gibt sehr viele Postings im Netz, in welchen gefragt wird, wer durch Charlie Kirk irgendwie einen Schritt Richtung christlichem Glauben gemacht hat. Und darunter stehen hunderte bis tausende Nachrichten von Leuten, die jetzt zum ersten Mal einen Gottesdienst besucht oder zum ersten Mal gebetet haben. Junge Leute, die sich fragen, wie man eigentlich die Bibel liest, weil man sich jetzt eine gekauft hat. Menschen, die schreiben, wie sie jetzt ein neues Leben mit Christus beginnen wollen, weil Kirk ihnen ein Vorbild des Glaubens war. Kann mich das als Christ unbeeindruckt lassen?
Ein Zeuge im Ringen um die Meinungsfreiheit
Hat Charlie Kirk irgendjemanden gezwungen zu beten? Hat er jemandem gedroht, dass wenn er sein Leben nicht ändert, er ihm etwas antut? Konnte ich bisher nicht sehen. Ja, er war hart in seinen Worten, für unsere deutsche Ohren manchmal viel zu hart. Aber er hat seine Meinung gesagt, keine Gewalt angewandt, niemanden zu etwas genötigt oder gezwungen. Junge Menschen beschäftigt dieser Mord, weil für einige ein Vorbild gestorben ist. Ein Vorbild der Diskussion und des Austausches, was wir heute so dringend brauchen. Nur rund 40% der Deutschen (Stand 2023: – heute weniger?) denken, man kann noch frei seine politische Meinung äußern. In Amerika äußert sie einer, der gleichzeitig will, dass andere sie auch äußern, und wird erschossen. Es ist ein sehr schlechtes Zeichen für unsere westliche Zivilisation. Noch mehr, wenn Menschen den Tod “verständlich” finden, weil er in ihren Augen böse Meinungen hatte. Ich schaue mir oft Videos an von Menschen, die 180 Grad eine andere Meinung haben als ich. Die alles andere als christlich sind, radikal für Abtreibung, den kompletten Umsturz der Demokratie etc. Ich habe da besonders einen im Kopf, den ich sogar abonniert habe. Ich bin regelmäßig wirklich genervt von seinen Argumenten und Schlüssen. Ich halte Vieles, das er sagt, für falsch und sogar gefährlich. Wenn dieser junge Mann erschossen werden würde, wäre ich genauso schockiert. Das ist ja schließlich ein Mensch mit gleicher Würde wie jeder andere. Diese Würde können wir uns weder durch Leistung, noch durch Geburt, noch durch unsere Meinung verdienen. Seit wann rechtfertigt die Meinung eines Menschen auf irgendeine Art und Weise einen Mord? Selbst, wenn jemand Böses tut, zum Beispiel mordet, ist es moralisch nicht legitim, Gleiches mit Gleichem zu vergelten und ihn ebenso zu töten. Ich bete, dass der Mörder von Charlie Kirk nicht durch die Todesstrafe getötet wird.
„Denk doch nur einmal darüber nach, was sonst geschehen wäre: Das Morden hätte einfach nicht mehr aufgehört, ein Mord hätte den andern ergeben, ein Unrecht das andre gezeugt –, wenn man immerfort Gleiches nur mit Gleichem heimgezahlt hätte. Nein! Endlich einmal soll die Kette des Bösen abgerissen werden!“,
so schreibt Viktor Frankl über seine Erlebnisse im Konzentrationslager. “Gleiches mit Gleichem” findet seinen Gipfel in der Todesstrafe, aber beginnt damit, wie wir über andere und miteinander sprechen.
Beängstigend und zugleich ermutigend
Als junge Katholikin, die in manchem mit Charlie Kirk übereinstimmt, die ebenso evangelisierend denkt und an eine absolute Wahrheit glaubt, die Jesus Christus ist, ist dieser Tod und die Diskussion über ihn erschütternd, traurig und es macht mir auch ein wenig Angst. Doch Angst ist ein mieser Ratgeber. Sie verwirrt, macht unkreativ und hält uns klein. Charlie Kirks Tod sollte uns vielleicht eher anspornen, das Gespräch zu suchen. Auch wenn es schwieriger ist, Argumente auszutauschen statt Beleidigungen. Ein Ansporn, für die eigenen Werte einzustehen, auch wenn es etwas kostet. Das braucht Mut. Dieser strömt aus einem festen Fundament, das Christus ist. Ein gutes Rezept gegen Angst sind die Bibel und das Gebet. Christus ist bei uns – ob wir es spüren oder nicht. Lassen wir uns das in der Heiligen Schrift immer wieder sagen. Und üben wir uns in einem der geistlichen Werke der Barmherzigkeit: andere ertragen. Wir müssen heute vielleicht mehr denn je lernen, etwas auszuhalten – vor allem den anderen mit seiner Meinung, die mir nicht passt. Wir müssen nicht jede Ansicht teilen. Und vielleicht schaffen wir es nicht immer, total empathisch auf die Meinung des anderen zu reagieren, weil sie für uns völlig unverständlich oder unlogisch oder schlicht unwahr ist. Aber wir sollten uns mehr denn je dafür einsetzen, dass jeder seine Meinung sagen darf, dass wir Argumente austauschen anstatt Beleidigungen und miese Framings. Tun wir das in Klarheit, mit Mut und Liebe!
Katharina Hauser,
Jahrgang 1995, ist Theologin und als Referentin für Neuevangelisierung im Bistum Passau tätig. Katharina Hauser ist Mitautorin des Buches „Urworte des Evangeliums“.
Foto: Charlie Kirk /Imago Images