Der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer will ein Ehepaar loben, das christliche Familien stärkt und unterstützt. Macht er sich damit zum Feind von Gender- und LGBTQI+-Anhängern? Eine Veröffentlichung im Eulemagazin versucht diesen Eindruck zu erwecken. Martin Grünewald ist dieser Frage nachgegangen.
Die Gaudiverderber
Der Beitrag von Philipp Greifenstein unter der Überschrift „Keine Gaudi im Bistum Hildesheim“, erschienen am 7. November auf der Plattform „Eulemagazin“, stellt den untauglichen Versuch dar, auf den Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer Druck auszuüben und zu einem gefügigen Verhalten zu zwingen. Gleichzeitig soll die katholische Initiative „Neuer Anfang“ als “rechtskatholische” Gruppe dargestellt werden. Der Artikel stellt deutlich vor Augen, wie kampagnenerfahrene Anhänger einer bestimmten Reformrichtung die Oberhoheit auch innerhalb der katholischen Kirche erlangen wollen. Im Ergebnis vertritt der Autor eine Meinung, die im Widerspruch zur Lehre der katholischen Kirche steht.
Zeitgeist versus Kirchenlehre
Philipp Greifenstein ist allerdings selbst nicht katholisch, was er jedoch nicht erwähnt. Das hat zur Konsequenz: Seine Argumentationsbasis ist primär zeitgeistorientiert. Weder die Heilige Schrift noch ein anderer Bestandteil der katholischen Glaubens- und Sittenlehre wird vom Autor zur Begründung herangezogen, im Gegenteil: Er setzt Anschauungen voraus, die mit der gültigen Lehre der Kirche und den jüngsten Äußerungen des Lehramtes kollidieren. Die Leser seines Beitrages werden über diese Hintergründe nicht aufgeklärt.
Kontaktschuld
Philipp Greifenstein hebt vielmehr hervor, dass sich die katholische Initiative „Neuer Anfang“ und ihre prominenten Vertreter „immer wieder mit Beiträgen zu Wort (melden), in denen sie gegen Gender-Ideologie, die Anerkennung von LGBTQI+ in der Kirche und den Synodalen Weg schimpfen“. Und: Die Initiative „Neuer Anfang“ sei „mit weiteren rechtskatholischen Unternehmungen, Verlagen und Vereinen zum Teil über Personalunion von Akteur:innen verbunden“.
Kritiker des Synodalen Weges in guter Gesellschaft
Dass der „Neue Anfang“ den deutschen „Reformkurs“ kritisiert, trifft zu, wenn damit Mehrheitsbeschlüsse des „Synodalen Weges“ gemeint sind, der von 2020 bis 2023 in Frankfurt zusammentraf. Nur steht der „Neue Anfang“ mit dieser Kritik nicht allein: Mehrere europäische Bischofskonferenzen und eine dreistellige Anzahl von Bischöfen und Kardinälen aus allen Teilen der Weltkirche taten dies ebenfalls; der Papst und der Vatikan intervenierten mehrfach: Vorhaben des deutschen Sonderweges wurden gestoppt! Das verschwieg Philipp Greifenstein in seiner Kritik am „Neuen Anfang“. Er erweckte den falschen Eindruck, diese Initiative vertrete eine Extremposition. Das Gegenteil ist der Fall: Weltkirchlich betrachtet geht der „Neue Anfang“ konform mit der ganz überwiegenden Sichtweise in der katholischen Kirche; extrem bis sektiererisch steht vielmehr die Sichtweise des Autors da.
Gender-Kritik aus diversen Lagern
Gegen die „Gender-Ideologie“ wendet sich ebenfalls nicht nur der „Neue Anfang“, sondern sowohl Papst Franziskus, die Fachleute der vatikanischen Kurie sowie viele katholische Theologen und Philosophen weltweit. So wendet sich die Erklärung „Dignitas infinita“ des vatikanischen Glaubens-Dikasteriums über die Würde des Menschen gegen jede Zurücksetzung sexueller Orientierungen. „Gleichzeitig hebt die Kirche entscheidende Kritikpunkte in der Gender-Theorie hervor“, heißt es in der Erklärung „Dignitas infinita“. Und weiter ist dort zu lesen: „Über sich selbst verfügen zu wollen, wie es die Gender-Theorie vorschreibt, bedeutet ungeachtet dieser grundlegenden Wahrheit des menschlichen Lebens als Gabe nichts anderes, als der uralten Versuchung des Menschen nachzugeben, sich selbst zu Gott zu machen und in Konkurrenz zu dem wahren Gott der Liebe zu treten, den uns das Evangelium offenbart. Ein zweiter Punkt der Gender-Theorie ist, dass sie versucht, den größtmöglichen Unterschied zwischen Lebewesen zu leugnen: den der Geschlechter.“ Nebenbei sei erwähnt, dass die Gender-Theorie auch gesellschaftlich sehr kontrovers diskutiert wird. Nach einer Umfrage von Infratest Dimap im Auftrag der „Welt am Sonntag“ befürworten nur 26 Prozent der Wahlberechtigten eine gendergerechte Sprache, 65 Prozent lehnen deren Verwendung in Medien und Öffentlichkeit aber ab.
Braune Keule – die Waffe der Wokeness
Der Vorwurf der „rechtskatholischen“ Verbindungen wird von Philipp Greifenstein zwar in den Raum gestellt, aber weder definiert noch begründet. Demnach wäre alles „rechts“, was nicht „links“ ist. Damit untermauert er die subtil-manipulative Darstellungsweise seines Textes, dem es offenbar nicht um Objektivität, sondern um Diffamierung unwillkommener Sichtweisen und Meinungen geht. Gleichzeitig versucht er den Eindruck zu erwecken, nur seine eigene Sichtweise sei zulässig.
Philipp Greifenstein widmet sich dann den Empfängern des angekündigten Preises, einem Ehepaar, dem er die Teilnahme an zwei öffentlichen Kongressen vorwirft, deren Veranstalter er den „extremen katholischen Rechten“ zuordnet. Das ist nichts anderes als „Kontaktschuld“ – also jene perfide Strategie des „Teile und herrsche“, die zur Machttechnik der Wokeness gehört. Auch an dieser Stelle gibt es lediglich eine Etikettierung; eine nähere Erläuterung oder Begründung fehlt erneut. Hält der Autor es für ausreichend, ihm selbst unwillkommene Positionen negativ zu „labeln“ und damit ins Unrecht zu setzen? Ist das das Niveau seiner Argumentation? Hält er seine Leser für derart unterkomplex? Nun, der Autor weist an anderer Stelle dieses Beitrages darauf hin, „dass der Anti-Gender-Diskurs ein Einstieg in weitere extrem rechte Ideologien der Ungleichwertigkeit sein kann“. Ist damit ausgesagt, dass große Teile unserer Bevölkerung, die Zweifel an der Gender-Theorie zeigen, „extrem rechts“ eingestellt sind?
Ehe und Familie als erklärter Gegner?
Der Eule-Autor hält bereits den Anlass der Preisverleihung, die Stärkung christlicher Familien, für unzulässig und unterstellt: „Hinter der Inszenierung und Romantisierung heiler und heteronormativer katholischer Ehen und Familien verbirgt sich häufig Gegnerschaft gegenüber der Gleichstellung von Frauen und von LGBTQI+, derzeit insbesondere die Ablehnung von Transsexualität.“ Ein Vorwurf, der doppelt abwegig ist: Nicht jeder, der die klassische Familie befürwortet, setzt automatisch andere Lebensformen herab. Und: Eine solche Sichtweise kommt vermutlich nur Menschen in den Sinn, die sich selbst zu entschlossenen Gegnern von Ehe und Familie entwickelt haben.
Bischof unter Druck
Nachdem nun die Initiative „Neuer Anfang“ und deren Preisträger als rechtsextrem gelabelt sind, versucht Philipp Greifenstein, Bischof Heiner Wilmer in die Enge zu treiben. Zitat: „Bischof Heiner Wilmer hingegen hat sich in den letzten Jahren den Ruf eines Reformers innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) erarbeitet. … Ein Entgegenkommen gegenüber AkteurInnen der katholischen Rechten passt zu diesem Image nicht.“ Ein neuer Versuch, sich des Instruments der Kontaktschuld zu bedienen und den Bischof einseitig unter Druck zu setzen. Er offenbart allerdings eine nahezu totalitäre Sichtweise des Autors: Demnach darf sich der Hildesheimer Bischof nur mit Vertretern einer bestimmten Reformidee umgeben; wer die katholischen Positionen vertritt, die mit der Weltkirche übereinstimmen, ist weder kontakt- noch diskursfähig für den Bischof! Die Drohung an Heiner Wilmer, sich dann ebenfalls der Diffamierung auszusetzen, ist eindeutig. Sie beinhaltet: Mit wem der Bischof im Bistum kommuniziert, entscheidet nicht er selbst, sondern die Anhänger einer bestimmten Reformidee bzw. deren publizistischen Unterstützer!
Der Eule-Artikel kann deshalb nicht als Beitrag einer sachlichen Debatte verstanden werden. Und wer darüber entscheidet, wie das Amt des Bischofs wahrgenommen wird, werden die Katholiken im Bistum Hildesheim und darüber hinaus aufmerksam beobachten!
Martin Grünewald
Der Journalist war 36 Jahre lang Chefredakteur des Kolpingblattes/Kolpingmagazins in Köln und schreibt heute für die internationale Nachrichtenagentur CNA. Weitere Infos unter: www.freundschaftmitgott.de
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