Der folgende Beitrag von Martin Brüske ist lang und theologisch. Genau deshalb ist er nötig. Die Diskussion nach Singapur ist unsäglich, weil von Ahnungslosigkeit bestimmt. Dieser Buchbeitrag von 2002 schafft Abhilfe. Er diskutiert nicht die Äußerungen des Papstes, sondern den Sachstand der dogmatischen und der lehramtlichen Diskussion.

Vorbemerkung: Der hier leicht bearbeitete Buchbeitrag fand sich ursprünglich in einem Sammelband, der den Gottesglauben in Judentum, Christentum und Islam beleuchtete. Der Autor hatte den Auftrag, die Beiträge in den übergreifenden Zusammenhang einer theologischen Deutung der Welt der Religionen aus katholischer Sicht zu stellen. Deshalb setzt er mit einer kurzen Reflexion auf die Abrahams-Religionen und ihr spezielles Verhältnis ein. Der damals populären „pluralistischen Religionstheologie“, die mit dem katholischen Glauben unvereinbar ist, stellt er eine Alternative entgegen, die die Position von „Redemptoris missio“ und „Dominus Jesus“ in den größeren Zusammenhang einordnet.

Das besondere Verhältnis der Abrahams-Religionen und die Theologie der Religionen aus katholischer Sicht

Die Frage nach dem Verhältnis von Judentum, Christentum und Islam bedarf aus christlicher Sicht einer besonderen Reflexion, die den Rahmen einer allgemeinen christlichen Theologie der Religionen sprengt. Dies hat – wiederum aus christlicher Perspektive – damit zu tun, dass das Christentum in je besonderer Weise mit Judentum und Islam verbunden ist. Für das Judentum ist dies evident. Aber es gilt dies genauso für den Islam. In der schwierigen Geschichte der Beziehungen zwischen Christentum und Islam gibt es etwa ein charakteristisches christliches Missverständnis des Islam, das die christliche Sicht auf den Islam über lange Zeit bestimmt hat: Der Islam sei in seinem Kern nichts anderes als eine christliche Häresie. Aber gerade dieses Missverständnis zeigt eben auch das Besondere der Beziehung, selbst noch (oder gerade) in der Weise der Fehlwahrnehmung. Dabei lässt sich nicht einmal die Besonderheit der Beziehungen zwischen den abrahamitischen Religionen in ein gemeinsames Schema pressen. Die Abrahams-Religionen bilden auch in ihren Beziehungen untereinander ein unableitbar individuelles Gefüge, ohne dass sie sich in ein abstraktes Gattungsschema einfügen lassen. Die Beziehungen müssen deshalb jeweils historisch wie theologisch eigens erkundet werden. Ihre Wahrnehmung aber ist jeweils notwendig perspektivisch. Sie stellt sich aus der Sicht der jeweiligen Religion je anders dar.

Dieser Beitrag möchte hingegen nicht den Versuch machen, dem Geflecht dieser Beziehungen nachzugehen, so spannend dies wäre. Vielmehr stellt er das Gespräch der abrahamitischen Religionen in den Zusammenhang einer christlichen Theologie der Religionen, wie sie sich von einem katholischen Standpunkt aus darstellt. Denn ein Eindruck soll hier von vornherein vermieden werden: nämlich der, dass eine Theologie der Religionen gleichsam einen Überstandpunkt jenseits der konkreten Religionen einnimmt. Wenn ein christlicher, katholischer Theologe über die Theologie der Religionen schreibt, dann tut er dies notwendigerweise von einem christlichen und katholischen Standpunkt aus. Dies betrachtet er auch keineswegs als Nachteil, denn normalerweise wird er sich mit seinem Standpunkt schlicht und ergreifend identifizieren. Die Theologie der Religionen, die hier getrieben werden soll, ist also ein Stück christlicher Selbstverständigung im Raum und im Rahmen des christlichen Glaubens. Sie ist also primär ein Stück dogmatischer Theologie (ohne bestreiten zu wollen, dass man die Theologie der Religionen auch mit stärker fundamentaltheologischem Akzent betreiben kann). Das aber heißt weiter, dass sie nicht einfach a priori und gleichsam im luftleeren Raum ansetzen kann. Als Selbstverständigung des christlichen Glaubens über seine Stellungnahme zu den Religionen ist sie verwiesen auf diesen Glauben selbst. Er bindet sie. Will sie christliche Theologie sein, dann muss sie die Bereitschaft haben, Interessen und Bedürfnisse des Zeitgeistes und der Weltlage (die durchaus legitim sein können!) an dieser Vorgegebenheit des Glaubens messen zu lassen, um sie gegebenenfalls zu bestätigen, zu verwerfen oder zu reinigen. So soll im folgenden Beitrag ein solcher Umriss einer Selbstverständigung des christlichen Glaubens über die Welt der Religionen skizziert werden. Er hat so den Charakter einer theologischen Besinnung, will also nicht im engeren Sinne an der Diskussion um die Theologie der Religionen teilnehmen und verzichtet dementsprechend auch auf den gelehrten Apparat. Das heißt weiterhin auch, dass er nicht direkt zum Streit um die pluralistische Religionstheologie Stellung nimmt, obwohl die Position des Verfassers zu diesem Thema indirekt sehr klar werden wird.

Jesu Verkündigung der Königsherrschaft Gottes stellt die religionstheologische Grundfrage

Im Mittelpunkt der Verkündigung Jesu stand das Anlangen von Gottes Herrschaft in der Mitte unserer Wirklichkeit. Gottes kommende Herrschaft trifft dabei auf eine von sich aus verlorene Welt. Die Gerichtsverfallenheit Israels (und damit erst recht der Völker) hatte Johannes der Täufer in unüberbietbar radikaler Weise angesagt, verbunden mit einem Zeitindex, in dem alle apokalyptische Naherwartung zur Nächsterwartung von Gottes Gerichtshandeln gesteigert war. Die prophetische Verlorenheits- und Gerichtsansage Johannes des Täufers hat Jesus von Nazareth als die „anthropologische Prämisse“ (Helmut Merklein) seiner eigenen Verkündigung bejaht und übernommen. „Anthropologische Prämisse“: Das heißt in unserem Zusammenhang, der Täufer verkündet in prophetischer Ermächtigung den Ist-Zustand Israels vor Gott (und die Völker sind im Steigerungsschluss in seinem apokalyptischen Horizont immer hinzuzunehmen; bei Jesus wird dieser universale Horizont im Umkehrschluss der heilsamen Völkerwallfahrt dann thematisch; bei Paulus schließlich als Verlorenheitszusammenhang explizit). Aber die Mitte der Verkündigung Jesu ist nun nicht die einfache Wiederholung dieser prophetischen Verlorenheitsansage. Denn sie ist dann eben doch nur die Prämisse seiner Verkündigung. Die Botschaft vom Anbruch der Gottesherrschaft sagt vielmehr: Auf einen Zustand der Wirklichkeit des Menschen, der von sich aus eigentlich nichts anderes als Gottes Gericht erwarten lässt und auch wirklich verdient, antwortet Gott mit einem Akt letztlich unableitbarer und völlig unbegreiflicher Barmherzigkeit. Indem Gott seine Herrschaft aufrichtet, bringt er seine liebende Barmherzigkeit in unüberbietbarer und endgültiger Weise zur Geltung. Gottesherrschaft heißt: Gottes vergebende und neuschaffende Liebe herrscht als die Mitte der Wirklichkeit und lässt sich aus ihr nicht mehr vertreiben, nicht durch die Sünde, nicht durch Hölle, Tod und Teufel. In dieser Herrschaft von Gottes Barmherzigkeit wird er selbst als Liebe die Mitte der Wirklichkeit und ruft die Menschen in eine unüberbietbare Nähe und Gemeinschaft. „Gott herrscht“ heißt also zunächst einmal: Gott handelt. Die Herrschaft Gottes ist in der Verkündigung Jesu primär nicht Zustand, sondern Handlungsereignis, in dem Gott selbst seine Herrschaft zur Geltung bringt, sie als Herrschaft seiner barmherzigen Liebe durchsetzt. Sie ist bereits in Gang gekommenes, dynamisches und eschatologisches Geschehen. Entscheidend ist nun, dass die Aufrichtung von Gottes Herrschaft als ein konkretes und unüberbietbares Handeln Gottes, als Ereignis in dieser Welt nicht ohne Ort und Zeit ist. Jesus von Nazareth hat nun genau dies für sich beansprucht, dass er Gottes Herrschaft nicht nur ankündigt, sondern dass genau in seinem Handeln Gottes Handeln unmittelbar da ist, dass in seinem Handeln Gottes Handeln nach den Menschen greift. In Jesu Handeln verwirklicht sich der Anbruch der Gottesherrschaft, in ihm gewinnt Gottes Barmherzigkeit Raum in der Welt: „Wenn ich mit dem Finger Gottes die Dämonen austreibe, ist Gottes Herrschaft doch schon zu euch gekommen.“ (Lk 11, 20; ein Logion, das die Forschung der letzten Jahrzehnte immer wieder beschäftigt hat und das bei genauer Analyse eine im Grunde ungeheuerliche Aussage macht). Das aber heißt dann auch, dass die Entscheidung letztlich jedes Menschen über Heil und Unheil vor seiner Person fällt: „Ich sage euch: Wer sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem wird sich auch der Menschensohn vor den Engeln Gottes bekennen. Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, der wird auch vor den Engeln Gottes verleugnet werden.“ (Lk 12,8f.). Das heißt nichts anderes, als dass dem Verhalten des Menschen zu Jesus sein Schicksal im Gericht entspricht. Im Verhältnis zu Jesus von Nazareth entscheidet sich das eschatologische Schicksal des Menschen; dies ist der Anspruch seiner Botschaft. Damit aber sind wir bei der Betrachtung der Botschaft Jesu, so wie wir sie historisch greifen können, bereits zu einer grundlegenden Problemstellung gelangt, die einer der Hauptachsen einer christlichen Theologie der Religionen ist: Wie verhalten sich die ungeheure Konzentration und Konkretion des eschatologischen Heilshandelns Gottes in und durch Jesus Christus zu der Intensität und Universalität eines Heilswillens, wie er wiederum gerade in Jesus Christus sichtbar wird. Eine christliche Theologie der Religionen kann also von der Frage nach der eschatologischen und universalen Bedeutung Jesu ebenso wenig absehen, wie sie davon absehen kann wie dieses Heil angesichts der Intensität des göttlichen Heilswillens alle Menschen erreicht.

Die Frage nach der Heilsmöglichkeit aller Menschen als primäre Frage

Ein später neutestamentlicher Text hat dieses spannungsvolle Gefüge von Aussagen, letztlich aus sachlogischer Notwendigkeit, unmittelbar zusammengestellt (1 Tim 2,4 – 6): „Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen. Denn: Einer ist Gott, einer auch Mittler zwischen Gott und den Menschen: der Mensch Christus Jesus, der sich als Lösegeld hingegeben hat für alle, ein Zeugnis zur vorherbestimmten Zeit.“ Hier also ist universale Bedeutung und historische Kontingenz auf engstem Raum zusammengeführt: der Mensch (!) Jesus Christus ist der einzige Mittler – hingegeben als Lösegeld für alle. In diesem spannungsvollen Gefüge ist die theologische Aufgabe einer christlichen Theologie der Religionen vorgezeichnet. Unterläuft sie diese Spannung, indem sie entweder die Universalität des Heils vom Fleisch des Menschensohns loslöst oder aber die Universalität des Heilshandelns Gottes entleert, dann verlässt sie die Struktur des Christusereignisses und damit die verbindliche Norm, auf dem sie als christliche Theologie allererst möglich wird und die wir eben bis zur Mitte des Selbstzeugnisses Jesu zurückverfolgen können. Allerdings ist die Frage nach der Heilsmöglichkeit aller Menschen – obgleich die für die Selbstverständigung des christlichen Glaubens dringlichste und auch historisch primäre – für sich genommen noch eine Vorfrage zu einer eigentlichen Theologie der Religionen. Man kann sie behandeln – und so ist sie z.B. in der neuzeitlichen katholischen Dogmatik über Jahrhunderte hinweg behandelt worden – fast ohne jede Stellungnahme gegenüber der Welt der anderen Religionen, ja man kann sie positiv beantworten, ohne zu einem wirklich positiven Urteil über andere Religionen zu gelangen.

Die verheerenden Auswirkungen einer falschen Antwort – und die katholische Position

Dennoch ist diese „Vorfeldfrage“ natürlich mit einer expliziten Theologie der Religionen schließlich doch untrennbar verbunden, ja es ist sogar so, dass ein guter Teil der Attraktivität der pluralistischen Religionstheologie (zu der hier ansonsten, wie angekündigt, nicht weiter ausdrücklich Stellung bezogen werden soll) letztlich mit der Vorstellung zusammenhängt, die man sich davon macht, wie das traditionelle Christentum diese Frage beantwortet hat. Beispielsweise schildert der evangelische Theologe Reinhard Kirste in der deutschen Neuausgabe von John Hicks „God has many names“ die Reaktionen auf die erste deutsche Ausgabe von 1985 wie folgt: „‚Endlich‘, sagten viele, ‚endlich bringt hier jemand das zum Ausdruck, was uns über viele Jahre bedrückt hat, was wir in unserem bisherigen christlichen Glauben als eine immense Last empfanden, nämlich dass wir Christinnen und Christen das Heil nur für uns beanspruchten und die anderen einfach der Hölle überließen.'“

Diese Aussage hinterlässt Erstaunen und Ratlosigkeit. Der Verfasser dieses Beitrags wagt nicht die theologiegeschichtliche Entwicklung im Raum des Protestantismus zu beurteilen, bezweifelt aber von dem her, was er kennt, auch hier, dass die Aussage über die „vor Hick“ herrschende Vorstellung so undifferenziert richtig sein kann. Für den Raum der katholischen Theologie ist sie explizit – und mit allem Nachdruck sei dies festgehalten – falsch – und nicht etwa erst seit dem Konzil und Karl Rahner. Es sollte übrigens jedem aufmerksamen Leser von Rahners Schriften zum „anonymen Christen“ auffallen, dass Rahner sich nicht nur einmal auf die Selbstverständlichkeit einer kirchlichen Tradition durch die Jahrhunderte beruft. Jeder Blick in eine traditionelle katholische Dogmatik bestätigt Rahners Aussage sofort (wie wir gleich genauer sehen werden). Da aber auch katholische Theologen unablässig Aussagen machen, derart, dass die Heilsmöglichkeit aller Menschen entweder erst durch das Konzil wirklich deutlich ausgesagt worden sei oder bestenfalls kurz vorher (manche haben inzwischen allerdings sogar die einschlägigen Aussagen – ausgerechnet – Pius IX. entdeckt[1]) steht man auch hier staunend vor einem Problem, das der Theologiehistoriker nicht mehr zu lösen vermag, sondern nur noch dem Mentalitätshistoriker und dem Wissenssoziologen überlassen kann. – Aber jenseits aller Ironie: Es ist offensichtlich, dass es die traditionelle Verkündigung – aus was für Gründen auch immer – nicht geschafft hat, die klare und eindeutige Position der Dogmatik zu vermitteln. Dies aber wiegt schwer. Denn viele Verwerfungen der heutigen Diskussion hängen auch im katholischen Raum damit zusammen, dass man sich von einer vorgeblichen Position meint loskämpfen zu müssen, die keinesfalls einfach die Position der Kirche noch die des größten Teils der katholischen Theologie war. Dies aber wirkt sich deshalb so verheerend aus, weil die „unablösbare Vorfrage“ doch sofort auf das christologische Zentrum des Problems zurückverweist – wie wir ja oben bereits gesehen haben. Damit ist aber sofort das nervöse Zentrum einer Theologie der Religionen erreicht, die dann nicht mehr nur die Frage beinhaltet, wie die christologische Mitte des christlichen Glaubens sich mit der Heilsmöglichkeit aller Menschen vermittelt, sondern eben auch, welches Licht von dieser Mitte aus nun ausdrücklich auf die Welt der Religionen fällt. Wer aber meint die eschatologische Bedeutung Christi mit der Heillosigkeit der vor- und außerchristlichen Menschheit identifizieren zu müssen, der wird aus einem verstehbaren Reflex heraus auch bald die Bereitschaft haben, diese universale und absolute Bedeutung Jesu zu relativieren.

Es ist also nicht ohne Bedeutung, zunächst einen Blick auf diese „Vorfrage“, die doch so intensiv mit dem eigentlichen Zentrum einer christlichen Theologie der Religionen verknüpft ist, zu werfen. Dies aber sollte dann auch tunlichst die historische Perspektive miteinschließen. Denn wie wir gesehen haben, hängt einfach viel davon ab für den Zugang zur Theologie der Religionen, wie man sich die traditionelle Stellungnahme zur Frage nach der Heilsmöglichkeit aller Menschen vorstellt. Offensichtlich können bestimmte Zugänge bei einem historisch falschen Urteil von vornherein verbaut sein. Zudem ist festzuhalten, dass hier bis in Kreise seriöser Theologen falsche Vorstellungen zu finden sind, die nach historischer Aufklärung verlangen.

Die Sorge der Kirche um das Heil aller Menschen

Die Frage nach der Heilsmöglichkeit aller Menschen ergibt sich für jeden Theologen, ja für jeden denkenden Gläubigen nicht außerhalb und jenseits des Kerns des christlichen Glaubens. Vielmehr ergibt sie sich – wie bereits von unseren neutestamentlichen Befunden her angedeutet – aus der Logik dieses Kern selbst. In Jesus Christus begegnet uns die unüberbietbar konkret gewordene Liebe Gottes, die bereit ist bis zum Kreuz zu gehen und die eigene Verwerfung so zu übernehmen, dass angesichts dieser Verwerfung die Möglichkeit des Heils geöffnet bleibt für jeden, der bereit ist sich von Gottes Barmherzigkeit ergreifen zu lassen. Christliche Existenz besteht nach dem Zeugnis des Neuen Testaments nun wesentlich darin, dieser grenzenlos intensiven göttlichen Barmherzigkeit immer mehr zu entsprechen. Damit ist aber eine wichtige Vertiefung gegenüber dem weiter oben bereits Entfalteten erreicht. Die Frage nach dem Zusammenspiel der Universalität des Heilswillens Gottes mit der historischen Kontingenz der Person Jesu stellt sich nicht bloß als objektives theologisches Problem, sondern sie stellt sich als Grundfrage einer christlichen Existenz, die sich gegenüber der Radikalität der göttlichen Liebe zu öffnen bereit ist und bereit ist diese Liebe wirklich zu realisieren und zur eigenen Existenzform werden zu lassen.

Historisch akut wird diese Frage immer dann, wenn das Christentum in einer Umwelt lebt, die weitgehend nichtchristlich ist oder wenn ihm die Weite und Länge der vor- und nichtchristlichen Räume und Zeiten bewusst wird. Dies war zum Beispiel am Anfang seiner Geschichte der Fall, wenn ein christlicher Schriftsteller wie Justin mit seiner Theorie der „Samen des Wortes“ (logoi spermatikoi) auf die Frage nach dem Heil der Ahnen antwortete. Aber die Literatur der alten Kirche kennt über Justin hinaus eine ganze Fülle von Äußerungen und Texten, die zur Frage nach der Heilsmöglichkeit der Nichtchristen bejahend Stellung beziehen – von Klemens von Rom bis hin zur Schrift „De vocatione gentium“ (Über die Berufung der Völker) aus dem 5. Jhdt.

Aber findet sich hier nicht auch jenes ursprünglich von Cyprian stammende Dictum, dass „außerhalb der Kirche kein Heil“ sei? In der Tat, so ist es. Aber dieses Wort enthält eine hermeneutische Falle, denn sein Sinn ist keineswegs so klar, wie es im ersten Augenblick scheinen mag; es ist vielmehr hochgradig interpretationsbedürftig. Es ist an dieser Stelle nicht möglich, den ursprünglichen Sinn und die Wirkungs- und Auslegungsgeschichte dieser cyprianischen Sentenz im Einzelnen zu verfolgen. Aber eine hermeneutische Anweisung und ein Beispiel im Streit der Interpretationen seien doch vermerkt.

Grundsätzlich nämlich muss die Heilsnotwendigkeit der Kirche von der Heilsnotwendigkeit Jesu Christi her verstanden werden. Sie steht in keiner Weise in sich: Dort wo Christus heilswirksam da ist und angenommen wird, dort ist auch Kirche oder zumindest eine positive Verbindung mit der Kirche. Zum anderen aber gilt, dass ganz schlicht die Aufgabe des Theologen darin besteht, von der gerade angedeuteten Beziehung der Heilsnotwendigkeit der Kirche zum Heil in Christus her, das „außerhalb der Kirche kein Heil“ auszugleichen mit der im Neuen Testament verbindlich vorgegebenen Aussage vom universalen Heilswillen Gottes. Denn dieser Heilswille ist ja keine schwache Kundgebung einer bloßen Willensintention Gottes, sondern muss als wirksamer Wille gedacht werden; eine Wirksamkeit, die ihre Grenze lediglich an der von Gott geachteten Freiheit des Menschen findet, die selber ein Element seines Heilsplans ist. Von hierher ist zu sagen, dass der universale Heilswille Gottes nur dann nicht unterlaufen ist, wenn er als ein Ringen Gottes um die freie Zustimmung jedes Menschen gedacht wird. Zumindest eine katholische Interpretation der Prädestinationslehre verunmöglicht eine solche Sicht keineswegs (was hier allerdings nicht gezeigt werden kann). Dass diese Kontrapunktik von allgemeinem Heilswillen Gottes mit der Heilsnotwendigkeit der Kirche (als heilsvermittelnder Instanz aus ihrem christologischen Grund heraus) aber nicht etwa eine theologische Konstruktion in später Zeit ist, sieht man deutlich daran, dass im 17. Jhdt. eine heilsexklusive Interpretation des „außerhalb der Kirche kein Heil“ ausdrücklich verurteilt worden ist, denn Klemens XI. verwarf den jansenistischen Satz: „Außerhalb der Kirche wird keine Gnade gewährt“ (DH 2429).  Dem entspricht es, wenn sein Vorgänger Alexander VIII. den ebenfalls jansenistischen Satz als irrtümlich zensurierte: „Heiden, Juden Häretiker und andere Derartige empfangen überhaupt keinen Einfluss von Jesus Christus; und insofern kann man daraus zurecht folgern, dass in ihnen der Wille bloß und wehrlos und ohne jede zureichende Gnade ist“ (DH 2305).

Diese kritischen Stellungnahmen des kirchlichen Lehramts in der Barockzeit zu Aussagen, die die Heilsmöglichkeit aller Menschen von vornherein ausgeschlossen hätten, stehen nun nicht isoliert, sondern sie haben einen klaren theologiegeschichtlichen Kontext. Die oben (aus Raumgründen allzu knapp) angedeuteten altkirchlichen Vorgaben finden in der Theologie der Neuzeit eine anfängliche Systematisierung. Auch dieser theologiehistorische Vorgang hat wiederum einen klar erkennbaren historischen Kontext: das Zeitalter der Entdeckungen. Dem christlichen Europa wird in denkbar intensivster Weise die zeitliche Dauer und geographische Weite der außerchristlichen, vom Evangelium unberührten Welt bewusst. Dies lässt die Frage nach der Heilsmöglichkeit aller Menschen wieder neu aktuell werden – und für den ganz überwiegenden Teil der katholischen Theologen ist es keine Möglichkeit, diese Frage angesichts der klaren neutestamentlichen Aussage vom allgemeinen Heilswillen Gottes mit einer kaltschnäuzig heilsexklusivistischen Position zu beantworten. Man kann als Ergebnis dieses theologiegeschichtlichen Reflexionsschubs formulieren, dass sich als positiver consensus theologorum (der technische Ausdruck für die weitgehende Übereinstimmung der Theologen in einer Sachfrage) der neuzeitlichen katholischen Dogmatik die Bejahung der Heilsmöglichkeit aller Menschen herausbildet und dass diese Position ab dem 19. Jhdt. auch lehramtlich positiv ausgesagt wird (die Aussagen aus der Barockzeit waren ja nur negative Zensuren über heilslexklusivistische Positionen).

Auch die lehramtlichen Aussagen haben – dies sei wenigstens kurz erwähnt – ein altkirchliches Vorspiel. Im Unterwerfungsschreiben des Priesters Lucidus an die Synode von Arles (473) finden sich Sätze, die ein hohes sachliches Gewicht haben, weil sie genau die Struktur der ausschließlichen Heilsvermittlung durch Christus mit der Universalität seiner Wirksamkeit verbinden. Dahinter steht eine Geschichtstheologie, die alles menschliche Geschehen letztlich seine Mitte in Jesus Christus finden lässt. Eine solche – schließlich kosmisch weite – Schau der Heilsökonomie steht auch hinter einigen jüngeren Dokumenten des kirchlichen Lehramts, wie noch zu zeigen sein wird. Dort wird sie dann trinitätstheologisch vertieft.

Im Unterwerfungsschreiben des Lucidus gibt es eine negative und eine positive Aussage (DH 336 und 341); beide seien hier zitiert: „Deshalb verurteile ich entsprechend den jüngsten Erlassen der Synode zur Verkündigung mit euch jene Auffassung, (…), die besagt, von Adam bis zu Christus sei niemand von den Heidenvölkern durch die erste Gnade Gottes, das heißt, durch das Gesetz der Natur, im Hinblick auf die Ankunft Christi gerettet worden, weil sie im Stammvater den freien Willen gänzlich verloren hätten. (…) Ich behaupte auch, dass durch die Ordnung und Reihe der Zeitalter hindurch die einen durch das Gesetz der Gnade, andere durch das Gesetz des Mose, wieder andere durch das Gesetz der Natur, das Gott in die Herzen aller geschrieben hat, in der Hoffnung auf die Ankunft Christi gerettet wurden, dass jedoch seit Anbeginn der Welt niemand von der ursprünglichen Schuldverkettung gelöst wurde außer durch die Vermittlung des heiligen Blutes.“

Die Heilsmöglichkeit aller Menschen in der traditionellen Dogmatik am Beispiel des Lehrbuchs von Pohle

Kehren wir aber nach diesem kurzen Blick auf die lehramtlichen Vorspiele der auch von den Päpsten seit dem 19. Jhdt. ausdrücklich gelehrten Heilsmöglichkeit aller Menschen zu den Modellen der neuzeitlichen Dogmatik zurück, diese Heilsmöglichkeit zu beschreiben. Die Schwierigkeit im Umgang mit diesen Modellen besteht nun darin, dass sie zwar in der Tat erste Systematisierungen der Lehre von der Heilsmöglichkeit aller Menschen darstellen, aber es auch innerhalb einer Dogmatik bei Systematisierungen im Plural bleibt, mithin die sich abzeichnenden Theorieelemente kaum einmal zu einer einheitlichen Schau zusammengeführt werden. Man muss also in den verschiedensten Traktaten suchen, in einzelnen Traktaten etwa auch an verschiedenen Stellen, wenn man fündig werden will.

Drei solcher Theorieelemente seien hier angeführt:

  • die theologischen Konsequenzen der Lehre von der Wirksamkeit des allgemeinen Heilswillens Gottes in der Gnadenlehre als grundlegendste Aussage;
  • die Entwicklung der Lehre vom „impliziten Taufvotum“ im Tauftraktat;
  • die Lehre von den Natursakramenten in der allgemeinen Sakramentenlehre.

Als Modelldogmatik soll hier die Dogmatik von Joseph Pohle zugrunde gelegt werden, ein weitverbreitetes, in vielen Auflagen und Überarbeitungen gedrucktes Standardlehrbuch.

Die strenge Allgemeinheit des Heilswillens Gottes und seiner Vermittlung in der Gnade

Im zweiten Hauptkapitel seiner Gnadenlehre behandelt Pohle die Eigenschaften der wirklichen Gnade. Er unterscheidet dabei Notwendigkeit, Unverdienbarkeit und Allgemeinheit (universalitas). Diese universalitas ist es, die uns hier interessiert. Denn sie wird von Pohle als schlechthinnige Allgemeinheit interpretiert: „Obschon Gott seine Gnade in freiester Willkür den Menschen spendet, so hat er kraft seines universalen Heilswillens dennoch beschlossen, sie allen Menschen auszuteilen und keinen davon auszuschließen.“[2] (Hervorhebungen von Pohle; immer auch in den folgenden Zitaten.) Die ganze folgende Entfaltung, deren für uns wichtiges Ergebnis dann eben auch die Heilsmöglichkeit der außerchristlichen Menschheit ist, beleuchtet ausschließlich die Begründungen, Implikationen und Konsequenzen dieser grundlegenden Aussage.

Entsprechend diskutiert Pohle im ersten Artikel „Die Universalität des göttlichen Heilswillens überhaupt“[3]; dies aber in drei Sätzen.

  • „Gott will wahrhaft und aufrichtig das ewige Heil nicht nur der Auserwählten, sondern auch aller Gläubigen.“[4]
  • „Vom Umfang des göttlichen Heilswillens ist kein einziges Adamskind ausgeschlossen.“[5]
  • „Obgleich das Los der ungetauften Kinder mit der Universalität des Heilswillens theologisch schwer vereinbar ist, so darf dennoch dogmatisch nicht daran gezweifelt werden.“[6]

Zwischen dem ersten und dem zweiten Satz (die dann in einer zünftigen Dogmatik jeweils ausführlich diskutiert wurden) findet deutlich eine Universalisierung statt. Dies hat damit zu tun, dass der erste Satz Äußerungen des kirchlichen Lehramts zu entnehmen ist, die mit der höchsten Verbindlichkeit ausgesagt wurden, während für den zweiten Satz stärker der Theologe Joseph Pohle einsteht, obwohl er auch diesen in die Nähe der strengen Glaubensgewissheit rückt: Fidei proximum saltem (mindestens dem Glauben nahe, „beinahe Dogma“ könnte man umschreiben) lautet die Qualifikation. Das theologisch ungelöste Problem der ungetauft sterbenden Kinder bedeutet dann die Krise dieser von Pohle angenommenen höchstmöglichen Universalität eines durch die Gnade wirksamen universalen Heilswillens. Dies ist für uns insoweit von Interesse, als hier für die neuzeitliche Dogmatik die aporetische Stelle ihrer Theologie des allgemeinen Heilswillens Gottes auftaucht. In der Tat ist sie mit den den Theologen zur Verfügung stehenden Modellvorstellungen (Taufvotum, fides implicita – das meint einen Glaubensinhalt, der zwar nicht ausdrücklich bekannt wird, aber sozusagen in der Grundausrichtung der Person mitvollzogen wird) kaum lösbar. Denn diese setzen einen freien Akt voraus, einen echten Vollzug des Subjekts. Es ist also gerade der christliche Personalismus, der hier zur Ursache einer crux theologorum et theologiae, einer großen, scheinbaren unlösbaren Schwierigkeit, wurde. Umso interessanter ist es, wie Pohle dieser Schwierigkeit Herr wird. Denn sein erklärtes Aussageziel ist es ja, die höchste und wirksame Allgemeinheit des Heilswillens Gottes auch gegenüber dieser Schwierigkeit durchzuhalten. Pohle diskutiert alle damals zur Verfügung stehenden Lösungsmöglichkeiten – um dann alle als letztlich unzulänglich zu kritisieren, einschließlich der Theorie des Limbus, die ja nie mehr als ein Theologumenon, eine These der Theologie, gewesen ist. Auch der Limbus, als „Aufenthaltsort“ der ungetauft gestorbenen Kinder, hatte (auch bei Augustin selbst!) theologiegeschichtlich eine Tendenz auf permanente Milderung, bis schließlich eine Art „natürliche Seligkeit“ übrigblieb. Aber seit Caietan hat es in der gesamten Neuzeit immer wieder Versuche gegeben, diese Aporie aufzulösen und das übernatürliche Heil der ungetauft sterbenden Kinder dennoch theologisch zu denken. Diese Versuche und die theologiegeschichtliche Entwicklung der Limbustheorie zeigen das eminente Interesse der Theologen an der Auflösung dieser Aporie und nicht an ihrer Bewahrung, wie manchmal karikierend unterstellt wird. Keiner dieser Versuche hat sich durchsetzen können, obwohl einige von ihnen außerordentlich interessant sind. Pohle lehnt also auch diese Vorschläge alle ab, ja, man gewinnt den Eindruck als ob er die Aporie bewusst verschärft – um dann die unüberwindliche Positivität und Gewissheit der Wirklichkeit und Wirksamkeit des allgemeinen Heilswillens Gottes umso nachdrücklicher herauszustellen. Der Abschnitt endet: „Hat endlich ‚Christus sich als Erlösung hingegeben für alle‚, so können unmöglich Millionen von Kindern von den Wohltaten der Erlösung mir nichts dir nichts ausgeschlossen sein. Diese Antwort muss dem Theologen genügen.“[7] Der Theologe und Dogmatiker Joseph Pohle streicht hier die Segel – weil er weiß, dass das in der Gewissheit des Glaubens Geschenkte größer ist, als aller theologische Verstand. Das Ergebnis dieses ersten Artikels ist also die durch nichts eingegrenzte Universalität des in der Gnade wirksamen Heilswillens Gottes.

Unter Maßgabe dieser Vorbereitung kommt Pohle nun schon im zweiten Artikel („Der Heilswille als Wille zur Austeilung hinreichende Gnade an alle Erwachsenen im besonderen“[8]) zu dem für uns entscheidenden Punkt; als dritte These („Satz“) formuliert er nämlich:

  • „Auch den Heiden gewährt Gott die zum Heile notwendigen, hinreichenden Gnaden.“[9]

Diesen Satz charakterisiert er als theologisch sicher, als „propositio certa“: „Obschon kein formelles Dogma, so ist es dennoch eine sichere, weil der Kirchenlehre konforme Wahrheit, dass Gott keinen Heiden aus Mangel an Gnade zugrunde gehen lässt.“[10] Zur Begründung führt er unter anderem an: „Vom biblischen Standpunkt muss vor allem, wie bei den Kindern, die strenge Allgemeinheit des göttlichen Heilswillens ins Feld geführt werden, von dem die Heiden schon deshalb nicht ausgenommen werden können, weil sie die Majorität der Menschen bilden.“[11] Letztlich ist es also für Pohle die für ihn völlig gewisse Universalität des Heilswillens Gottes, die ihm als kaum noch diskutabel sicher erscheinen lässt, dass alles, was jemals Menschenantlitz getragen hat, von der heilstiftenden göttlichen Gnade berührt worden ist. Wie wird dann das Wirken dieser Gnade gedacht? Auf der Seite Gottes ist sie so zu denken, dass aufgrund des Heilswerkes Christi, das in Gott ja kein zufälliger Beschluss ist, sondern wirksame Selbstbestimmung seines Willens von Ewigkeit her im Hinblick auf seine Realisierung in der Zeit, Gottes Gnade universal wirksam ist. Das Gnadenangebot Gottes muss aber vom Menschen angenommen und beantwortet werden. Im Falle der ordentlichen Verkündigung ist diese Antwort der selbst wiederum durch die Gnade getragene Glaube. Aber wie geschieht dies, wenn einen Menschen die ordentliche Verkündigung nicht erreicht, sei es geographisch und / oder zeitlich, sei es durch schuldloses Unverständnis (z.B. durch entstellenden und unverständlichen Vortrag)? Die Antwort ist für Pohle zunächst einmal die Theorie der fides implicita. Derjenige der – nach Hebr 11,6 – an Gott und die sittliche Verantwortlichkeit des Menschen vor Gott glaubt und sich damit Gott als dem Herrn seines Lebens wirklich übereignet, der anerkennt damit auch – weil er sich nicht auf ein Konstrukt, sondern auf die Wirklichkeit Gottes bezieht, die er im Glauben ergreift – diese Wirklichkeit Gottes als heilschaffende Wirklichkeit, auch wenn er nicht weiß, dass diese Wirklichkeit letztlich den Namen Jesu Christi und dass die heilschaffende Gnade die Gnade Jesu Christi ist. Allerdings sieht Pohle auch hier deutlich die Grenzen einer Theorie, die dann doch auf einige explizite, kategoriale Glaubensinhalte zurückgreifen muss, um das Heil der Heiden zu sichern. Diese Grenzen aber sind – was Pohle noch nicht bewusst war – Grenzen der zugrundliegenden Anthropologie, die das im Theorem der fides implicita richtig Gesehene noch nicht zu seinem wirklichen Selbstverständnis führen konnte. Aber angesichts der für ihn sicheren Überzeugung vom „dass“ des Heils der Heiden, kann er sich wiederum beim „wie“ bescheiden: „Übrigens kann es nicht Sache der Theologen sein, dem Allgütigen die Mittel und Wege vorzuschreiben, wie er die Seele der Heiden mit seiner Gnade erreicht.“[12]

Fides implicita und implizites Tauf- und Kirchenvotum

Der Einleitungssatz dieses Abschnitts bei Pohle leitet aber bereits über zum zweiten Theorieelement, dem impliziten Taufvotum: „Leichteres Spiel haben die Vertreter der fides implicita, weil die soeben geschilderten Wunder als überflüssig in Wegfall geraten; denn der bloß ‚eingeschlossene‘ (Begierde-)Glaube oder die fides in voto ist von der äußeren Verkündigung ebenso unabhängig, wie die Begierdetaufe oder der baptismus in voto von Gebrauche natürlichen Wassers.“[13]

Die Aussagen über das implizite Taufvotum finden sich aber dann auch entsprechend nicht in der Gnadenlehre, sondern im Tauftraktat. Sie sind in der Tat den Aussagen über die fides implicita ganz analog. Deshalb brauchen sie auch nur knapp behandelt zu werden. Wichtig ist aber noch einmal, sich den äußeren und inneren Zusammenhang der beiden Aussagereihen klarzumachen, der in den Handbüchern, obwohl durchaus bewusst, wenig ausdrücklich wurde. Äußerlich gesehen kreisen beide um den Begriff der Heilsnotwendigkeit. Dies ist auch ihr Entstehungszusammenhang: Sowohl hinsichtlich Gnade und Glaube, als auch hinsichtlich ihrer sakramentalen Vermittlung ergab sich die Frage nach dem Heil der Nicht-Christen, weil zur via ordinaria der Heilsvermittlung sowohl der explizite Glaube (als selbst gnadengetragene Annahme des gnädigen Handelns Gottes) als auch dessen sakramentale Verleiblichung in der Taufe gehörte. So entstand an beiden Stellen der dogmatischen Reflexion, relativ zerstreut also, die Frage nach Möglichkeiten, wie sich die Heilsökonomie von Gnade, Glaube und Sakrament so denken ließ, dass auch die schuldlos von der christlichen Predigt nicht berührten Menschen nicht davon ausgeschlossen blieben. Dennoch sind aber die beiden disparaten Reflexionen untergründig doch miteinander verbunden. Dieser Zusammenhang führt unmittelbar zum Sinn des impliziten Taufvotums.

Für die traditionelle Dogmatik nämlich war die Heilsnotwendigkeit von Gnade und Glaube eine absolute Notwendigkeit (necessitas absoluta), die Heilsnotwendigkeit der Taufe lag auf einer anderen Ebene. Sie war eine Notwendigkeit des (Heils-)Mittels (necessitas medii). Dies bedeutet einfach, dass der Gnadenempfang im Glauben schlicht identisch ist mit der Teilhabe an Heil, Erlösung und Rechtfertigung: Gnade ist die Weise, wie sich Gott als Erlöser dem Subjekt zuwendet. Die Taufe hingegen ist Instanz der leibhaftigen Vermittlung des Heils, die ihren hohen Stellenwert – neben der positiven Begründung aus Schrift und Tradition – letztlich daraus empfängt, dass die Leiblichkeit des Menschen nicht nur eine anthropologische Basisdimension ist, sondern zugleich durch die Menschwerdung zentraler und wesentlicher Bestandteil der christlichen Heilsordnung und deshalb auch ihrer Vermittlung. Mithin: Aus der Wirksamkeit des universalen Heilswillens Gottes folgt – wie Pohle durchaus überzeugend gezeigt hat – die Reichweite der Gnade und der Möglichkeit diese Gnade personal anzueignen. Mit dieser personalen Aneignung ist aber – in der Annahme der im Christusereignis begründeten konkreten Heilszuwendung Gottes – die Ausrichtung auf die explizite und geschichtliche Heilsordnung der Inkarnation und der Sakramente implizit mitgegeben. Genau das meint das Theologumenon vom impliziten Taufvotum. Daraus ergibt sich sehr rasch eine weitere Konsequenz: Die sakramentale Heilsordnung hat ihren Ort in der Kirche. Das Taufvotum schließt wiederum ein Kirchenvotum, damit einen positiven Bezug zur Kirche ein, aus dem Taufvotum wird ein implizites Kirchenvotum. Diesen Weg ist konsequenterweise auch das kirchliche Lehramt gegangen und dies wiederum bereits vor dem Konzil (DH 3866 – 3873). Damit ist auf den Punkt gebracht, wie innerhalb der diskutierten Modelle neuzeitlicher Dogmatik die Heilsnotwendigkeit der Kirche („außerhalb der Kirche kein Heil“) mit der Wirksamkeit des universalen Heilswillens Gottes positiv vermittelt worden ist.

Der Ansatzpunkt einer ausdrücklichen Theologie der Religionen: Die Lehre von den Natursakramenten

In den bislang diskutierten Modellen fällt allerdings eines auf: Hier wird zunächst ausschließlich die für den Christen drängendste Frage gestellt, wie es mit der Heilsmöglichkeit all seiner Menschenschwestern und Menschenbrüder steht, die nie eine ernsthafte Chance gehabt haben, mit Glaube und Sakramenten der Kirche in wirklichen Kontakt zu kommen. Aber was ist mit den Religionen (nicht etwa nur der natürlichen Gottbezogenheit des Menschen in Form der sogenannten „natürlichen Religion“)? Bislang konnte die theologische Beschreibung der Wirksamkeit des universalen Heilswillens Gottes völlig davon abstrahieren, dass es eine konkrete Pluralität von weiteren Religionen auf dieser Welt gibt. Sind diese in der traditionellen Theologie mehr als die mehr oder weniger große erbsündliche Depravation der natürlich-geschöpflichen Gottbezogenheit des Menschen mit – je nach Theologe – Einschlüssen der sogenannten „Uroffenbarung“? Immerhin: Auch dies ist kein einfach nur negatives Urteil, was nicht vergessen werden sollte! Aber war es denkbar, dass auch die Riten und Institutionen anderer Religionen heilsmittlerische Funktion haben konnten? Hier gibt es wenig, aber doch auch nicht einfach gar nichts. Tatsächlich hat auch die traditionelle Theologie eine solche Aussage in sehr eingeschränktem Maße gewagt. Hier ist dann unser dritter Punkt, die Lehre von den sogenannten Natursakramenten in der allgemeinen Sakramentenlehre heranzuziehen. Natursakramente sind Sakramente der vorabrahamitischen (hier folgt dann die Einsetzung der Beschneidung als „ordentliches“ Heilmittel für den männlichen Teil des Gottesvolkes!) respektive der außerchristlichen Menschheit auch nach Abraham, also Riten die Gottes Gnadenwirksamkeit ergreift, um sie zu Heilsmitteln insbesondere im Hinblick auf die Kinder zu machen. Dies ist in seinen Einzelheiten nun nicht weiter für uns interessant. Aber es führt uns zu einer weiteren, sehr wichtigen Erkenntnis: Die traditionelle Dogmatik hat nicht nur über das Heil der außerchristlichen Menschheit intensiv reflektiert. Sie hat es ansatzweise und vorsichtig, aber doch grundsätzlich und prinzipiell für möglich gehalten, dass Riten anderer Religionen nicht völlig außerhalb der göttliche Heilsökonomie stehen, sondern Instanzen göttlicher Heilsvermittlung sein können.

Dies allerdings ist letztlich nur systematisch konsequent: Die bereits geschöpflich gegebene Gottoffenheit des personalen menschlichen Daseins ist der Ort auch des Gnadenwirkens Gottes, der Teilgabe an der Erlösung. Diese natürliche Gottoffenheit ist aber auch in der Sicht der traditionellen Dogmatik der harte Kern der natürlichen Religion, selbst noch in aller Gebrochenheit. Damit aber wird es schwer vorstellbar, dass Gottes universales Gnadenwirken an der Wirklichkeit der Religionen einfach vorbei geht, sofern sie überhaupt noch diesen Transzendenzbezug irgendwie widerspiegeln und nicht verstellen. Letzteres formuliert eine Mindestbedingung; es kann dies natürlich auch auf weiten Feldern in gelungener Weise geschehen. Ja, dies ist apriori ebenso wenig auszuschließen, wie die Möglichkeit der erbsündlichen Depravation auszuschließen ist. Denn wenn Gottes Gnadenwirken sie als Heilsinstrument ergreift, dann wirkt Gottes Gnade hier nicht lediglich äußerlich und okkasionell. Sondern es ist erwartbar, dass sie auf ihre außerordentlichen Heilsinstrumente positiv einwirkt. Sie werden damit u. U. selbst zu quasisakramentalen Heilsmitteln (ohne dass hier natürlich ein ex opere operato behauptet werden könnte). Einen solchen Weg vermochte die traditionelle Dogmatik noch nicht zu gehen. Aber in der Lehre von den Natursakramenten ist er als Möglichkeit wenigstens vorgezeichnet.

Was ist gerade aus diesem letzten Zusammenhang theologisch zu folgern? Wer die existentielle und bedrängende Frage nach der Heilsmöglichkeit der außerchristlichen Menschheit bei grundsätzlich bejahender Antwort nur konsequent genug weiterverfolgt, der stößt doch schließlich mit innerer Notwendigkeit auf das Problem der Religionen – aber er hat damit den christologischen Grund der Frage, der in der Einheit von eschatologischer Konkretion des Heils im Fleisch des Menschensohns mit der schlechthinnigen Unbegrenztheit der darin erscheinenden Barmherzigkeit besteht, um keinen Zentimeter verlassen, sondern er schreitet den darin vorgezeichneten Weg lediglich konsequent aus.

Die Leistung Karl Rahners

Genau darin aber – und damit erreichen wir den Schluss unseres Durchgangs – liegt die große Leistung der Theorie Karl Rahners, nämlich genau diesen Weg systematisch konsequent gegangen zu sein. Rahner selbst hat – wie oben erwähnt – immer wieder auf die kirchlichen und theologischen Vorgaben seiner Theorie des „anonymen Christen / anonymen Christentums“ aufmerksam gemacht. Sie ist in ihrem doktrinären Gehalt keineswegs neu oder auch nur ansatzweise ein Bruch mit der Tradition. Was aber ist dann ihre genaue Leistung? Man kann diese Leistung meines Erachtens in drei Punkten beschreiben:

  • Rahner bringt die disiecta membra, die verstreut in der Dogmatik zu findenden Elemente der neuzeitlichen dogmatischen Theoriebildung in einen kohärenten Zusammenhang, in eine einheitliche Theorie.
  • Er lotet die hier angelegten Möglichkeiten (s.o. z.B. im Bereich der Natursakramente und der fides implicita), die aber meist nicht weiterverfolgt wurden, in die Tiefe und Weite aus.
  • Dies gelingt ihm, indem er das eine wie das andere im Rahmen einer transzendentalphilosophisch gewendeten Metaphysik und Anthropologie tut, die ihm viel stärker als der traditionellen Dogmatik ermöglicht, das Wirken der göttlichen Gnade zum einen wirklich personal (und weniger sachhaft), zum anderen – mit dem ersten Punkt eng verbunden – als hintergründige und horizontverändernde Bestimmung und Dynamisierung des menschlich-personalen Selbstvollzugs auszulegen: etwas, von dem ich nicht unbedingt ein explizites Bewusstsein haben muss, das aber als (veränderter) Horizont und (neues) Licht dennoch alle meine kategorialen Einzelakte umformt und zu dem ich mich in jedem meiner Akte noch einmal bejahend oder verneinend verhalte, so dass ich darin Gottes Heilsangebot annehme oder zurückweise.

Im Rahmen eines solchen Ansatzes kann dann die in der traditionellen Lehre von den Natursakramenten bereits angelegte, aber nicht weiterverfolgte Möglichkeit systematisch zur Entfaltung gebracht werden und sie gewinnt zudem hohe Plausibilität. Es verdeutlicht sich, wie jeder explizite religiöse Akt, wie Riten und hl. Schriften anderer Religionen zum quasisakramentalen Instrument des Heilswirkens Gottes werden können, ja, wie das Gnadenwirken Gottes außerhalb des Raums der jüdisch-christlichen Offenbarung, aber einzig von ihrem eschatologischen Höhepunkt in Jesus Christus her, selbst ein (nicht das einzige!) Movens bei der kategorial-institutionellen Verleiblichung menschlicher Religiosität werden kann. Von hier aus ergibt sich dann notwendig eine Haltung des Respekts, der Hochachtung und Wertschätzung, der (kritischen!) Sympathie, ja schließlich eine Haltung der Hörsamkeit gegenüber der Möglichkeit fremdprophetischer Korrektur oder der Entdeckung von – individuell oder kollektiv – bislang unentdeckten oder verschütteten Dimensionen des eigenen Glaubens. Noch einmal sei es eindringlich festgehalten: Auch dies ist kein Verlassen der eschatologischen Bedeutung Jesu, sondern vielmehr ihre Konsequenz, das Ausschreiten der Konsequenzen der gerade darin und einzig hier erscheinenden und sich realisierenden absoluten Grenzenlosigkeit seiner Barmherzigkeit. Sehr wohl aber ist mit einer ebenfalls nur eschatologisch aufzuhebenden Differenz zwischen dem Anspruch Christi und der Realität des Christentums zu rechnen, das selbst ja wiederum nicht eine von den Folgen der Erbsünde freie Zone wäre; eschatologische Zuflucht gewähren hier vor dem Ende dieser Weltzeit nur die Inkorruptibilität von Dogma und Sakrament als Manifestationen der eschatologischen Qualität Christi in dieser Zeitlichkeit. Dies allerdings sollte dann wirklich kein Anlass zum Hochmut sein, zu einem wie auch immer gearteten religiösen Besitzstandsdenkens, sondern zur immer wieder zu erneuernden Bereitschaft zum demütigen Dienst, zur Dankbarkeit und zum Bewusstsein einer größeren Verantwortung, nach der wir im Gericht gefragt werden.

Nostra aetate und die theologische Würdigung der Welt der Religionen

Der Schritt, den das II. Vaticanum in der Theologie der Religionen gegangen ist, liegt also nicht primär in der Anerkennung der Heilsmöglichkeit aller Menschen. Hier hat es sowohl die theologische Tradition, wie die Aussagen des Lehramts seit Pius IX. bestätigt, bekräftigt und verdeutlicht. Viel fundamentaler ist für die Entwicklung der lehramtlichen Doktrin der Schritt zur positiven und respektvollen Wertung anderer Religionen, wie sie in Nostra Aetate und Ad Gentes vollzogen wurde: „Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist“ (Nostra Aetate Nr. 2). Von dorther fordert sie dann auf, in den interreligiösen Dialog einzutreten. Die christologische Mitte auch dieser Aufforderung bleibt auch hier ganz deutlich sichtbar. Was die Kirche in den anderen Religionen entdeckt, ist ein Strahl jener Wahrheit, die alle Menschen erleuchtet (vgl. ebd; eine Anspielung auf den Johannesprolog und dort von dem ewigen Wort ausgesagt, das in Christus Fleisch geworden ist.) Der Text greift dann nämlich diesen johanneischen Ansatz auf und fährt fort: „Unablässig aber verkündet sie Christus, der ist ‚der Weg, die Wahrheit und das Leben‘ (Joh 14,6), in dem die Menschen die Fülle des religiösen Lebens finden, in dem Gott alle mit sich versöhnt hat“ (ebd.). Insgesamt wird der positive Gehalt der Religionen vor allem in einem anthropologischen, allgemeinmenschlichen und damit schöpfungstheologischen Horizont reflektiert, von den existentiellen Grundfragen des Menschen her, auf den die Religionen Antwort zu geben versuchen und von der mit dem Menschsein gegebenen Wahrnehmungsfähigkeit für die „Geheimnisseite“ (Guardini) der Welt und der sich darin kundgebenden göttlichen Wirklichkeit. Zugrunde liegt hier also ein wahrnehmungstheoretischer Religionsbegriff, der Religion als eine Form symbolischer Wahrnehmung versteht: „Von den ältesten Zeiten bis zu unseren Tagen findet sich bei den Völkern eine gewisse Wahrnehmung jener verborgenen Macht, die dem Lauf der Welt und den Ereignissen des menschlichen Lebens gegenwärtig ist, und nicht selten findet sich auch die Anerkenntnis einer höchsten Gottheit oder sogar eines Vaters“ (dies ist der Eingangssatz von Nr. 2). Ohne Zweifel bietet dieser Ansatz eine unverzichtbare Basisperspektive, um das Phänomen der Religion als anthropologische Größe zu verstehen. Die alte „religio naturalis“ wird hier wahrnehmungstheoretisch vertieft und damit allererst als „eigene Region im Gemüte“ vor-metaphysischer Art freigelegt, eine Perspektive, die sich im europäischen Diskurs über Religion maßgeblich seit Schleiermacher findet. Allerdings nimmt Nostra Aetate noch nicht Stellung zu einer möglichen heilsmittlerisch-sakramentalen Funktion anderer Religionen und zu einer umfassenden heilsökonomischen Einbettung einer solchen Funktion. Eine solche Perspektive wurde erst durch Papst Johannes Paul II umfassend entfaltet.

„Redemptoris Missio“ und „Dominus Jesus“: Die kühne Idee einer Teilhabe am einzigen Mittleramt Christi

Die unselige Diskussion um Dominus Jesus (die in der Regel die religionstheologische von der innerchristlich-ökumenischen, ekklesiologischen Perspektive nur unzureichend unterschieden hat; allerdings muss sich die Glaubenskongregation diese heillose Vermischung selber zuschreiben, ohne die die wirklichen Fronten wesentlich klarer gewesen wären) hat zumeist völlig übersehen, dass der Text eine Position bekräftigte, an einer Stelle – in Form einer theologischen Aufgabenbeschreibung – sogar weiterführte, die über den religionstheologischen Ansatz des Konzils, ohne ihn irgendwie zu verlassen, sondern ganz in seiner Linie, wesentlich hinausging. Diese Position wird entfaltet in der großen Missionsenzyklika Johannes Paul II. „Redemptoris Missio“. Es ist gewiss programmatische Absicht, dass Johannes Paul eine wesentlich vertiefte Theologie der Religionen in den Zusammenhang einer Missionsenzyklika eingebaut hat, wie er auch den Dialog der Religionen als integralen (und verpflichtenden!) Teil der missionarischen Sendung der Kirche „ad gentes“ sieht. Diese missionarische Sendung wird dabei schon in den Anfangsworten, wiederum programmatisch, in ihren christologischen Grund zurückgeführt. Wer die „pluralistische Religionstheologie“ für keinen christlich vertretbaren Weg einer Theologie der Religionen hält, wird nach dem Studium dieser Enzyklika wohl zugeben müssen, dass der jetzige Papst eben diese Theologie der Religionen entschieden und mutig nach vorne getrieben hat. Hier zeigt sich eine klare Alternative zur pluralistischen Religionstheologie, die sich ganz und gar aus der Mitte des christlichen Glaubens heraus entfaltet. Es sind drei Punkte von großem Gewicht, die sich unmittelbar aus Redemptoris Missio (erster und zweiter Punkt) ergeben oder (Punkt drei) eine unmittelbare Konsequenz daraus darstellen, die in Dominus Jesus dann auch gezogen worden ist:

  • Die mögliche Teilhabe der Religionen an der einen und einzigen Mittlertätigkeit Christi.
  • Dir trinitarisch-heilsökonomische Vertiefung der Theologie der Religionen.
  • Die theologische Aufgabe der Reflexion auf die positive Funktion konkreter Religionen im göttlichen Heilsplan und in der Heilsgeschichte.

Das Gewicht der ersten Aussage kann gar nicht hoch genug gehängt werden. Für Johannes Paul können (nicht: müssen!) konkrete Religionen (resp. ihre Gründer, Institutionen, Riten. hl. Schriften…) faktisch heilsmittlerische Funktion haben, sie können auf dem Heilsweg eines Menschen oder Volkes eine quasisakramentale (quasi, weil es hier keine Garantie geben kann, kein ex opere operato) Stellung einnehmen, ja, Religionen können Heilswege sein – aber niemals unabhängig von der einen und einzigen Mittlerschaft Jesu Christi: „Die Menschen können demnach mit Gott nicht in Verbindung kommen, wenn es nicht durch Jesus Christus unter Mitwirkung des Geistes geschieht. (…) Andere Mittlertätigkeiten verschiedener Art und Ordnung, die an seiner Mittlerschaft teilhaben, werden nicht ausgeschlossen, aber sie haben doch nur Bedeutung und Wert allein in Verbindung mit der Mittlerschaft Christi und können nicht als gleichrangig und notwendiger Zusatz betrachtet werden.“ (Nr. 5). Dieser Satz ist deutlich erkennbar in der Abwehr einer Position geschrieben, die Heilsmittlerschaft loslösen will von der Person Christi. Umso erstaunlicher ist es, dass die Möglichkeit der Teilhabe an der Mittlertätigkeit Christ im Bereich der Religionen ausdrücklich ausgesagt und anerkannt wird. Diese partizipative Mittlerschaft wurde in Dominus Jesus wiederum ausdrücklich bestätigt (Nr. 14) und die Theologen zu vertiefter Reflexion aufgefordert. Wie aber ist sie grundsätzlich möglich?

Darauf antwortet „Redemptoris Missio“ mit einer entscheidenden Vertiefung der heilsökonomisch-trinitarischen Dimension der Theologie der Religionen. Von hierher nämlich wird die theologische Problemstellung, die uns in die Theologie der Religionen hineinführte, durchsichtig. Die Grundspannung zwischen der absoluten Konkretion der Selbstmitteilung Gottes in der Menschwerdung des Sohnes und der Universalität der Heilsbedeutung dieses Ereignisses vermittelt sich durch die universale, die gesamte Geschichte, ja den Kosmos insgesamt umgreifende Wirksamkeit der dritten göttlichen Person, des Hl. Geistes. Er dynamisiert und finalisiert die ganze Schöpfung, alle Geschichte, jeden der Menschenantlitz trägt, hin auf die Begegnung mit Gott im Antlitz Jesu Christi. In diesen Prozess – der sich deshalb unmöglich statisch beschreiben lässt – sind die Religionen miteinbezogen. Vom Geist heißt es in Nr. 28: „jedoch ist seine Gegenwart und sein Handeln allumfassend, ohne Begrenzung durch Raum und Zeit (…)Die Gegenwart und das Handeln des Geistes berühren nicht nur einzelne Menschen, sondern auch die Gesellschaft und die Geschichte, die Völker die Kulturen, die Religionen. Und nochmals: es ist der Geist, der die ‚Samen des Worte‘ aussät, die in den Riten und Kulturen da sind und der sie für ihr Heranreifen in Christus bereit macht.“; dann in Nr. 29: „So leitet uns der Geist, der ‚weht, wo er will (Joh 3,8), der ‚in der Welt wirkte, noch bevor Christus verherrlicht wurde‘, der ‚das Universum, alles umfassend, erfüllt und jede Stimme kennt (Weish 1,7), dazu an, unseren Blick zu erweitern, um so sein zu jeder Zeit und an jedem Ort vorhandenes Wirken in Betracht zu ziehen. (…) Was immer der Geist im Herzen der Menschen und in der Geschichte der Völker, in den Kulturen und Religionen bewirkt, hat die Vorbereitung der Verkündigung zum Ziel und geschieht in Bezug auf Christus, das durch das Wirken des Geistes fleischgewordene Wort, ‚um Ihn zu erwirken, den vollkommenen Menschen, das Heil aller und die Zusammenführung des Universums'“.

Wenn sich dann also das Wirken des Heiligen Geistes auch in stabileren geschichtlichen Formen wie Kulturen und Religionen artikuliert, dann ergibt sich als theologische Aufgabe der Zukunft von selbst ein theologisches Forschungsprogramm, nämlich die Frage nach dem spezifischen heilsgeschichtlichen Sinn konkreter Religionen (Dominus Jesus Nr.14). Damit aber sind wir ans Ende unserer Überlegungen gelangt.

Auch Religionen brauchen Erlösung

Religionen bleiben auch in einer solchen Schau komplexe Wirklichkeiten. Einfache Erklärungen scheitern an dieser Komplexität, sowohl an der unhintergehbaren Individualität ihrer geschichtlichen Erscheinung, als auch an ihrer – je anders gelagerten – Tiefenschichtung. Das Phänomen der Religion reicht von der im Menschen als Geschöpf angelegten Möglichkeit der Wahrnehmung des göttlichen Grundes der Welt, die sich auslegt als Antwort auf die elementaren Existenzfragen und Differenzerfahrungen des Menschen in Mythen, Riten, Institutionen, hl. Schriften bis hin zum Ort des Wirkens des Heiligen Geistes auf Christus hin, der alle diese vorgenannten Elemente zu Vehikeln seines Wirkens macht und sie gerade darin nicht instrumentalisiert, sondern vollendet. Dazwischen liegen all die Bemächtigungsversuche des Menschen, die letztlich in der Dynamik jenes Urtraumas wurzeln, das die Theologie „Erbsünde“ nennt und das sich in die Tiefen der menschlichen Existenz eingegraben hat. Auch positiv eingegraben: als Wissen um die verlorene Freundschaft mit Gott, die doch Verheißung des Anfangs bleibt. Auch dafür hatte die Theologie ein Wort: Uroffenbarung – und dieses Theologumenon ist nicht so mythisch-abgetan, wie manche glauben. Auch sie gehört zum komplexen Phänomen der Religion. Insofern das Christentum selbst Religion ist – Karl Barth hat dies sehr klar gesehen – unterscheidet es sich nicht von allen anderen Religionen, einschließlich der Möglichkeit des Verfalls. Es gibt – mit Bernhard Welte – nicht nur ein Wesen, sondern auch ein Unwesen der Religion, eine tiefe Ambivalenz, ja Mehrdeutigkeit alles Religiösen von dem auch das Christentum betroffen ist. Aber das Christentum ruht in seinem eigenen Selbstverständnis auf einem Ereignis, das die Kritik auch aller Religion beinhaltet, die subjektunmittelbar ist, und das im Glauben ergriffen wird: das Ereignis des alle Subjektunmittelbarkeit stets neu unterbrechenden, darin richtenden und gerade so rettenden Wortes, das in Jesus Christus Fleisch geworden ist und durch den Hl. Geist wirkt soweit der Kosmos ist, um die neue Schöpfung heraufzuführen in der Gottes Herrschaft sich vollendet. Man kann es nur noch einmal wiederholen: Dies kann niemals ein Besitzstand sein, auf den man andere mit Stolz oder gar Überheblichkeit verweist. Es ist selbst Verwiesenheit auf die immer größere Verheißung Gottes und auf den unausschöpfbaren Reichtum seiner Selbstmitteilung, allerdings Verwiesenheit auf eine Verheißung der unverbrüchlichen Treue Gottes, die die eschatologische Gotteswahrheit im Raum der Kirche gegenwärtig hält. So wandelt sie sich in die Verpflichtung zum Dienst an der Unterscheidung der Geister. Denn auch alle menschliche Religion bedarf der Erlösung.


[1] DH 2866
[2] Joseph Pohle, Lehrbuch der Dogmatik in sieben Büchern. Für akademische Vorlesungen und zum Selbstunterricht, 2.Bd., Paderborn, 5. Verb. Aufl. 1912, 453 (im Folgenden abgekürzt: Pohle).
[3] Pohle 444ff.
[4] Pohle 444.
[5] Pohle 446.
[6] Pohle 449.
[7] Pohle 453.
[8] Pohle 453ff.
[9] Pohle 460.
[10] Pohle 461.
[11] Ebd.
[12] Pohle 465.
[13] Pohle 464.


Dr. theol. Martin Brüske
Martin Brüske, Dr. theol., geb. 1964 im Rheinland, Studium der Theologie und Philosophie in Bonn, Jerusalem und München. Lange Lehrtätigkeit in Dogmatik und theologischer Propädeutik in Freiburg / Schweiz. Unterrichtet jetzt Ethik am TDS Aarau.


Beitragsbild: Christus und sein Freund, Louvre, Quelle: Wikipedia

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