Warum die Antwort von Bischof Bätzing auf die Kritik der weltweiten Bischöfe gar keine Antwort ist, sondern ein Ausweichmanöver
Eine Analyse von Dr. Martin Brüske
Am 11. April 2022 haben insgesamt 74 Kardinäle und Bischöfe aus den USA, Afrika, Kanada und Australien mit einem Schreiben Ihre Sorge über die Situation in Deutschland und die Entwicklungen und Beschlüsse des Synodalen Weges ausgedrückt und einen „Brüderlicher Brief an unsere Mitbrüder im Bischofsamt in Deutschland“ an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofkonferenz, Georg Bätzing, formuliert. Dieser antwortete nun seinerseits in einem Antwortschreiben, dokumentiert von der DBK unter diesem Link.
Die Initiative Neuer Anfang ordnet die Antwort von Bischof Bätzing ein und kommt zu dem Schluss: Die 74 Bischofs-Brüder hätten angesichts der Lage eine konkretere Antwort verdient als diesen leicht zu durchschauenden Beschwichtigungsversuch, der dem Ernst des Anliegens in keiner Weise gerecht wird. Eine Analyse.
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Bätzings Antwort ist leider nur ein ausweichender Beschwichtigungsversuch
Geradezu notorisch wird das Offensichtliche geleugnet. Auf die erhobenen Vorwürfe geht Bischof Bätzing allenfalls pauschal ein. Dem Antwortschreiben fehlt es nicht an aggressiven Zügen. Ein Beispiel: Der Vorwurf von Bischof Bätzing, die Unterzeichner würden die Dramatik der Missbrauchskrise in ihrem Schreiben ignorieren. Fakt ist: Die Kritik der Bischöfe aus aller Welt konnte sich schließlich nur mit Themen befassen, die auf dem Synodalen Weg tatsächlich behandelt wurden. Den konkreten Ursachen des Missbrauchs widmete sich jedoch bisher weder ein Entwurf noch ein Beschluss. Bischof Bätzing operiert erneut mit dem immer gleichen, Nebel erzeugenden Framing der „Missbrauchsaufklärung“, in dem alle weiteren inhaltlichen Schritte und Debatten des Synodalen Weges unterschiedslos legitimiert und jedwede Kritik als Verweigerung der Aufklärung von Missbrauch delegitimiert werden.
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Bereits zum dritten Mal werden besorgte Stellungnahmen von Bischofsbrüdern aus aller Welt kontinuierlich zurückgewiesen.
Bischof Bätzing und die Initiatoren des deutschen Synodalen Weges möchten nicht gestört werden in einem Projekt, dessen Ergebnisse offenbar feststehen. Frauen sollen Priester werden. Laien wollen an der Macht teilhaben. Homosexualität soll moraltheologisch normalisiert werden. Was das mit der ursprünglichen Intention, Missbrauch aufzuklären, zu tun hat, müssen sich die Bischöfe weltweit (so auch die Nordische Bischofskonferenz und der Vorsitzende der Polnischen Bischofskonferenz mit ihren vorherigen Schreiben) weiter fragen. Von Bischof Bätzing ist offenbar keine Antwort zu erwarten.
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Der Synodale Weg forciert bewusst die Gefahr eines Schismas
Bereits jetzt „verbindlich“ beschlossene Texte auf dem Synodalen Weg stehen im Widerspruch zur Heiligen Schrift und der kontinuierlichen Lehre der Kirche. Erfolgte oder geplante Abweichungen betreffen grundlegende Strukturen der Kirche (ihre sakramental-hierarchische Verfasstheit, Leitungs- und Lehrvollmacht des Bischofsamtes), Verfälschungen der kirchlichen Erkenntnislehre (Stichwort „Zeichen der Zeit“) und die Zerstörung der christlichen Anthropologie. Diese Abweichungen markieren den Ausstieg aus der Einheit mit der Universalkirche.
Im Folgenden einige vertiefende Erläuterungen zu den tatsächlichen Beschlüssen und Argumentationslinien auf dem Synodalen Weg, die die Besorgnis im Ausland auslöst, zu denen aber inhaltlich von Bischof Bätzing nicht Stellung genommen wurde:
A: Die offensichtliche Abweichung von der normativen Gestalt kirchlicher Lehre, die sowohl im Prozess des Synodalen Weges wie in den Dokumenten unmittelbar greifbar wird, besteht in zwei Punkten:
- Eine zweitausendjährige, in der Schrift begründete moralische Tradition, die humane Sexualität exklusiv der Ehe zwischen Mann und Frau vorbehält, wird in ihrem Kern über Bord geworfen. Untrennbar mit dieser Lehre verbunden ist eine ebenfalls in der Schrift begründete Anthropologie, die von der Komplementarität, Polarität und unaufhebbaren Andersheit zweier Geschlechter ausgeht. Dies wird explizit und eindeutig in den Dokumenten negiert. Die 74 Bischöfe benennen diesen Zusammenhang ausdrücklich. Bischof Bätzing geht darauf mit keinem Wort ein.
- Das Zweite Vatikanische Konzil entdeckte in der Tradition der frühen Kirche die volle, authentische Lehre vom Bischofsamt wieder. Die dogmatische Konstitution Lumen Gentium entfaltete diese Lehre höchstlehramtlich und verbindlich. Auch diese Lehre wird auf dem Synodalen Weg schwer beschädigt und nach wenigen Jahrzehnten im Kern wieder verabschiedet. Einer der führenden Theologen der Kirche, Walter Kardinal Kasper, der eine große Ekklesiologie vorgelegt hat, bestätigt das: Nach der „Lehre“ des Synodalen Weges mutiere der Bischof – de facto gelähmt durch Funktionärsmacht – zum „Frühstücksdirektor“. So kann ein verantwortliches Hirtenamt nicht ausgeübt werden! Macht und ihr möglicher Missbrauch werden hier nicht gebändigt, sondern lediglich verschoben. Schon sozialwissenschaftlich wird sichtbar, worum es in Wahrheit geht: um die Neuverteilung von Macht auf Funktionäre.B: Direkt verfälschend ist Bätzings Bezugnahme auf den „Orientierungstext“, der die Arbeit des Synodalen Weges kriteriologisch abstützen soll. Tatsächlich stellt dieser Text unter Benutzung traditionellen Vokabulars und traditioneller Formeln einen tiefgreifenden Umbau der verbindlichen Grundlagen theologischer Urteilsbildung dar, wie sie zuletzt in der dogmatischen Konstitution Dei Verbum formuliert wurden, der sog. „theologischen Erkenntnislehre“.
- Die Nr. 10 des Orientierungstextes trennt im Gegensatz zum Konzil (DV 10) Schrift, Tradition und Lehramt voneinander.
- Weiterhin werden im Orientierungstext der „Glaubenssinn der Gläubigen“ – dieser in einer undurchsichtigen Weise, die letztlich auf eine Art demoskopische Erhebung zielt – und die „Zeichen der Zeit“ dem Lehramt in der Reihenfolge vorgeordnet und im weiteren Kontext zu eigentlichen Erkenntnisquellen.
- Das Lehramt erhält als Gegenüber – losgelöst von Schrift und Tradition – die Theologie. Seine Befähigung zur verbindlichen Entscheidung kommt praktisch nicht mehr vor. Bätzing bringt in seinem Antwort-Brief (entgegen dem verbindlich beschlossenen Orientierungstext!) die Erkenntnisquellen wieder in die traditionelle Reihenfolge: Schrift, Tradition und Lehramt werden bei ihm einander zugeordnet, und für die „Zeichen der Zeit“ benutzt er die Formel aus Gaudium et Spes. Auch dies erfolgt wieder gegen den wahren Wortlaut des Orientierungstextes, der – wie gesagt – vom Synodalen Weg verbindlich beschlossen wurde. So wird im Antwortbrief bewusst ein falscher und beschwichtigender Eindruck erweckt.
- Dieser halb offensichtliche, halb subkutane Umbau der theologischen Erkenntnislehre im Orientierungstext geschah nicht etwa durch Ungenauigkeit oder durch Unfähigkeit, sondern in voller Absicht. Man muss hier in allem Freimut sagen: Das ist Ausdruck intellektueller Unredlichkeit!
Der theologiegeschichtlich letzte Vorgang, der in einem schicksalhaften Moment eine eindeutige Entscheidung für das Evangelium erforderte, war die „Barmer Erklärung“ der Bekennenden Kirche. Um das Evangelium nicht zu verraten, mussten sich damals im Jahr 1934 mutige Theologen einem Zeitgeist entgegenstellen, der zur ideologischen Vereinnahmung der evangelischen Kirche und ihrer faktischen Auslöschung geführt hätte.
C: Bischof Bätzing und mit ihm auch andere Protagonisten des Synodalen Weges operieren immer wieder mit einem Framing, das einen Nebel erzeugen soll, in dem alle Schritte des Synodalen Weges unterscheidungslos legitimiert und jedwede Kritik delegitimiert wird. So auch in seinem Brief. Es ist der Nebel des Zusammenhangs von systemischen Missbrauchsursachen und dem Projekt des Synodalen Wegs. In diesem Nebel sind alle, die den Synodalen Weg substanziell zu kritisieren wagen, automatisch gegen die Beseitigung der „systemischen Ursachen des Missbrauchs“. Das ist nichts weiter als ein rhetorischer Trick! Löst sich der Nebel auf, bleibt nichts davon übrig.
- Wer die Literatur zum Thema kennt, der weiß, dass es nur ein einziges Mittel gibt, Missbrauch nachhaltig zu minimieren: intensiv etablierte und dauerhaft evaluierte Präventionsmaßnahmen, die eine Kultur schaffen, in denen Kinder, Jugendliche und abhängige Erwachsene so wenig wie möglich Situationen ausgesetzt sind, die für potenzielle Täter Gelegenheitsstrukturen schaffen.
- Dieses zentrale Thema ist durch die falsche Weise wie auf dem Synodalen Weg über „systemische Ursachen“ – die es wohlgemerkt gibt! – geredet wurde, überdeckt worden.
- Wenn dazu noch in der Zeit und im Zusammenhang des Synodalen Weges die Präventionsbeauftragten der deutschen Bistümer ein Papier vorlegen, das im Rahmen von Prävention die sogenannte „Sexualpädagogik der Vielfalt“ und Michel Foucault aus ideologischen Gründen zum maßgeblichen Bezugspunkt macht (und damit wahrhaftig den Bock zum Gärtner), dann ist das Anlass größter Beunruhigung.
- Die MHG-Studie, auf die man sich immer wieder beruft, als hätte sie axiomatischen Charakter, kommt bei der Ursachenerforschung über Vagheiten nicht hinaus. Dies war auch nicht ihr zentraler Auftrag. Statt sozialwissenschaftlich, psychiatrisch-forensisch, pädagogisch usw. diese Frage über jene Vagheiten hinaus intensiv zu vertiefen, wird die MHG-Studie zum dogmatisch gesetzten Instrument, das die Reformagenda des Synodalen Weges durch stetig wiederholtes aber nie seriös überprüftes Behaupten und Beteuern legitimieren soll. Jede seriöse Diskussion wird überdeckt – und so verhindert. Wissenschaftlich ist die MHG-Studie vielfach kritisiert worden. Diese Kritik wird vom SW systematisch verdrängt.
- „Systemische Ursachen“ zu beseitigen heißt beim Synodalen Weg nichts anderes, als eine seit Jahrzehnten bekannte liberale Reformagenda umzusetzen. Sie betrifft die Integrität der ethischen und anthropologischen Verkündigung der Kirche ebenso wie ihre episkopal-sakramentale Struktur. Der Zusammenhang zwischen diesen Punkten und dem Missbrauch ist jedoch nicht einmal ansatzweise wissenschaftlich belegt. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall, wie die internationale Studienlage wiederum eindeutig klärt. Ganz unterschiedliche Kirchentypen, strukturell und in der Mentalität sehr unterschiedlich (z.B. die amerikanischen „episcopals“ mit bischöflich-sakramentaler Struktur, theologisch und ethisch aber so liberal, wie sich der Synodale Weg das wünscht und die amerikanischen „southern baptists“ theologisch und ethisch konservativ, aber ohne bischöflich-sakramentale Struktur) haben jeweils mit ungefähr einem gleich hohen Anteil an Missbrauchsgeschehen zu kämpfen – genauso wie die EKD.
- Was folgt daraus mit hoher Wahrscheinlichkeit? Die Grundannahmen des Synodalen Weges sind schlicht unhaltbar, sie sind nichts weiter als ideologische Rechtfertigungen für Interessen dritter Art.
- Aus der internationalen Studienlage ist eine einzige signifikante statistische Korrelation sichtbar, die „katholisch spezifisch“ ist und auf einen kausalen Zusammenhang hinweist, der zu klären wäre: die Zusammensetzung der Opfergruppe (deutlich überwiegend männlich, früh- bis nachpubertär). Dazu käme die Tätertypologie insbesondere der schweren Fälle (Täter, die sich ihrer sexuellen Präferenz sehr bewusst sind, sich ihren Opfern per grooming über längere Zeit nähern usw.). Der Synodale Weg scheut die Auseinandersetzung mit diesen Tatsachen wie der Teufel das Weihwasser.
- Versuche, diese spezifische Frage nach der katholischen Besonderheit in Sachen Missbrauch in den Diskurs einzubringen, werden machtförmig niedergebügelt, wie es gut dokumentiert ist. Das ist absolut verantwortungslos und zeigt erneut die ideologische Stoßrichtung des ganzen Unternehmens!D: Wenn deutsche Bischöfe beteuern, dass natürlich kein Schisma drohe, man selbstverständlich in der weltweiten Communio eingebunden sei usw., steht das im Widerspruch zu ihrem sonstigen Handeln. Die bischöflichen Protagonisten wissen sehr genau, was sie tun.
- Sie wissen, welch lehrmäßiges Gewicht die genannten Punkte haben.
- Sie wissen, dass die Vorstellung, die ethisch-anthropologischen Fragen seien nicht „de fide definita“ und deshalb beliebig manipulierbar, in keiner seriösen theologischen Erkenntnislehre darstellbar sind.
- Sie wissen, dass sie, als sie diese Punkte beschlossen haben, die Communio der weltweiten Glaubensgemeinschaft der Kirche, schwer und tief verletzt haben, so schwer, dass die Situation jetzt schon in einem dogmatischen Sinn schismatisch ist und auf ein kirchenrechtlich feststellbares Schisma zutreibt. Aber sie sind zugleich Getriebene, die aus der von ihnen selbst geschaffenen und deshalb zu verantwortenden Situation nicht mehr herausfinden.
- Schwerer aber wiegt: So wie sie sich verhalten und so wie sie reden, wenn sie nicht Einheit beteuern, sondern zur Sache sprechen, ist ihnen die Anpassung an den Druck derer, denen sie sich gebeugt haben, offensichtlich längst wichtiger als die Einheit mit ihren Mitbrüdern weltweit und dem Bischof von Rom. Und dies ist der eigentliche Bruch der Communio im Herzen, von dem jedes Schisma ausgeht.E: Geradezu grotesk ist es, wenn Bischof Bätzing den so reichen Brief von Papst Franziskus vom 29. Juni 2019 auf einen einzigen, schmalen Ausschnitt reduziert. Angesichts des zwar freundlichen, aber ebenso eindringlich-mahnenden Tons dieses Schreibens – die Punkte sind allbekannt und ebenso, dass sie der Synodale Weg in keiner Weise ernstgenommen und umgesetzt hat – kommt das einer Manipulation gleich.
An anderer Stelle unterstellt Bätzing in einer grob verzerrenden Weise, Kritiker des Synodalen Weges wollten keine Reform. Es gäbe kein „weiter so“. In der Tat! Aber wer will ein „weiter so“? Mindestens für den Neuen Anfang trifft dies in keiner Weise zu. Im Gegenteil!
Unsere Vorstellungen von Erneuerung der Kirche sind radikal und präzise. Sie würden die eigentliche systemische Ursache von Vertuschung im Kern bekämpfen: die Selbstreferentialität des sozialen Systems Kirche, die nach der berühmten Rede von Kardinal Bergoglio im Vorkonklave 2013 die Kirche krank macht. Der Synodale Weg dagegen verstärkt die Selbstreferentialität in allen seinen Vorhaben, weil er die Realität der Sendung als tiefste Strukturlogik der Kirche auch nicht ansatzweise begriffen hat.
Der Synodale Weg ist selbst zutiefst strukturkonservativ. Er will mit allen Mitteln die Sozialgestalt der hochinstitutionalisierten Betreuungskirche erhalten und kulturell und gesellschaftlich – im Grunde verzweifelt – noch einmal legitimieren. Dafür ist er bereit, die Integrität von Ethos und Lehre zu opfern.
Der Theologe Thomas Söding träumt von der Erneuerung der Volkskirche, Bischof Bätzing und viele seiner Kollegen haben mittlerweile vielfach ihre Marginalisierungsängste zu Protokoll gegeben. Aber die Erneuerung der Volkskirche ist sozialwissenschaftlich eine Absurdität und die Angst besonders geistlich betrachtet (und auch in jeder anderen Hinsicht) ein sehr schlechter Ratgeber.
Weil man sozialwissenschaftlich seine Hausaufgaben nicht gemacht hat, droht man nun die theologische Identität der Kirche zu zerstören. Umgekehrt würde ein Schuh daraus: Kirche aus der missionarischen Jüngerschaft (vgl. EG 119ff.) erneuern, daher auf Wegen zu einer geistlichen und menschlichen Selbständigkeit – der besten Prävention übrigens gegen Missbrauch jedweder Art. Gefragt wäre, um eine neue Sozialgestalt von Kirche geistlich zu ringen, wie es das geschichtlich bei allen großen Erneuerungen vom Evangelium her gegeben hat, um so gerade die dogmatische, ethische und sakramentale Identität mit dem Ursprung zu erhalten. Denn ohne sie verliert die Kirche den Anschluss an die Quelle ihres Lebens und damit an jede wirkliche Erneuerung.
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von Dr. theol. Martin Brüske
Der Autor ist 1964 im Rheinland geboren, lebt in Fribourg/Schweiz und unterrichtet Ethik am TDS Aarau.
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(Foto: (c)Adobe STOCK)