Ein Christentum, das allein liturgisch feiert, wird kraft- und belanglos wie das Salz, das von den Menschen zertreten wird. Die aktuellen Zahlen machen dies deutlich. Wie gelingt es heute der Kirche, die Wandlung nicht nur liturgisch zu feiern, sondern die Wirksamkeit der Gnade im Wandel des inneren Menschen lebendig zu halten? Die Wandlung jedes Einzelnen und der Gemeinden könnte das Leitbild für die Kirche der Gegenwart und Zukunft bilden, meint Martin Grünewald.

Am Abend vor seinem Leiden und Sterben versammelt Jesus seine Vertrauten um sich, um hervorzuheben und deutlich zu machen, worauf es ankommt: die Wandlung. Er setzt das Sakrament der Eucharistie ein, bei der – äußerlich unsichtbar, aber substanziell – das eucharistische Brot und der Wein in seinen eucharistischen Leib und in sein eucharistisches Blut verwandelt werden.

Gott wirkt MIT dem Menschen

Diese Wandlung bildet den Kern seiner Botschaft: So, wie Brot und Wein wirklich in Christus verwandelt werden, werden auch die Menschen – seine Jünger – in eine Wandlung gerufen: vom alten zum neuen Menschen. So wie die eucharistische Wandlung zwar der Mitwirkung des Menschen bedarf, aber hauptsächlich durch ein geschenkhaftes Wirken Gottes erfolgt, so geschieht es auch mit der Wandlung des Menschen. Ohne seine Mitwirkung kann die Gnade Gottes nicht entscheidend wirksam werden.

Biblische Beispiele von Wandlung

Paulus erlebt diese Wandlung am eindringlichsten und spürbarsten: Aus dem fanatischen Verfolger der ersten Christen wird ein glühender Anhänger des neuen Weges – ein im Innersten total gewandelter Mensch, der „Christus angezogen hat“. Er stürzt (auf dem Weg nach Damaskus) nicht nur äußerlich zu Boden, er kann tagelang nichts sehen und essen, er wird vor allem in seinem Innersten ergriffen und gewandelt. Diesen Prozess schildert nicht nur die Apostelgeschichte; er beschreibt ihn selbst in seinen zahlreichen Briefen.

Auch Petrus erlebt diese Verwandlung: Der total von seiner Loyalität überzeugte Jünger, der sich für fähig hält, sein Leben einzusetzen, wird ein kleinlauter Feigling, der Jesus dreimal verleugnet und an seinem Versagen beinahe zerbricht. Die persönliche Begegnung mit dem Auferstandenen am See von Tiberias dürfte die Besiegelung seiner tiefen Wandlung gewesen sein, bei der er dreimal versichert, dass er Jesus mehr als die anderen liebt und daraufhin den Auftrag erhält, seine Schafe zu weiden.

Verwandlung in neue Menschen und ein neues Volk

Die äußerlich unsichtbare, aber substanzielle Wandlung dürften alle Apostel erfahren haben, die Jesus drei Jahre lang begleiteten und deren Stümperhaftigkeit und Unbeholfenheit in den Evangelien immer wieder zum Ausdruck kommt. Erst nach der Auferstehung Jesu gehen ihnen – wie den Emmaus-Jüngern – die Augen auf. Nun sind sie in ihrem Innersten tief ergriffen und überzeugt, so dass nicht einmal die stärksten Bedrohungen und Verfolgungen sie von ihrer neu gewonnenen Überzeugung abbringen können, im Gegenteil: Sie widerstehen dem Druck des Hohen Rates und wollen Gott mehr gehorchen als den Menschen.

Das Neue Testament ist voll von Zeugnissen über die Wandlung der Menschen, die sich verwandeln lassen. Die eucharistische Wandlung bildet das Wesen der jungen Kirche. Hier vollzieht sich zeichenhaft, was Gott bewirken will: Er verwandelt die Menschen und bildet ein neues Volk.

Von der eucharistischen Wandlung zur Wandlung des Menschen

Die Wandlung des Menschen vom alten Adam hin zu Christus folgt aber keinem Automatismus. Das Neue Testament schildert vielmehr, wie stark dieser Weg angegriffen wird. In den Briefen an die frühen Gemeinden wird ständig das Ringen darum deutlich, ebenso in der Kirchengeschichte bis in die heutigen Tage.

Deshalb bleibt der Blick auf die Gegenwart unvermeidlich: Wie gelingt es heute der Kirche, die Wandlung nicht nur liturgisch zu feiern, sondern die Wirksamkeit der Gnade im Wandel des inneren Menschen lebendig zu halten? Ein Christentum, das nicht zugleich den liturgischen Wandel feiert und den Wandel im Innersten des Menschen lebendig hält, wird kraft- und belanglos wie das Salz, das von den Menschen zertreten wird.

Die traurige Realität und die Mahnung der Päpste

Die aktuellen, von der Deutschen Bischofskonferenz veröffentlichten Zahlen machen die Aktualität deutlich: Mehr als 90 Prozent der Katholiken beteiligen sich nicht regelmäßig am Leben der Gemeinde; nicht einmal ein Drittel der Katholiken stimmt hierzulande der entscheidenden Aussage zu: „Ich glaube, dass es einen Gott gibt, der sich in Jesus Christus zu erkennen gegeben hat.“ (DBK 22.05.2024)

Mehrere Päpste haben die Katholiken in Deutschland gemahnt und darauf hingewiesen. Bereits Papst Johannes Paul II. schrieb am 22. Februar 2001, dem Fest der Kathedra Petri, in einem Brief an die deutschen Kardinäle: „Dankbar stelle ich fest, dass die Kirche in Ihrem Land eine solide organisatorische Struktur besitzt und durch eine Vielzahl von Einrichtungen im öffentlichen Leben präsent ist. Zugleich ist nicht zu übersehen, dass sich immer mehr Menschen vom aktiven Glaubensleben zurückziehen oder nur noch Teile des Evangeliums und der kirchlichen Lehre annehmen. Der fortschreitende Prozess der Säkularisierung und der damit verbundene Glaubensschwund droht die Kirche von innen her auszuhöhlen …“ Er bat deshalb darum, dass „der katholische Glaube in seiner Fülle und Schönheit mit neuem Elan verkündet wird. Ein besonderes Augenmerk ist dabei auf die theologischen Ausbildungsstätten und die Priesterseminare zu richten“.

Die Mahnungen von Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI., füllen Bände. Und der Brief von Papst Franziskus „An das pilgernde Volk Gottes in Deutschland“ vom 29. Juni 2019 stellt „schmerzlich die zunehmende Erosion und den Verfall des Glaubens fest“. Er enthält die „Einladung, sich dem zu stellen, was in uns und in unseren Gemeinden abgestorben ist, was der Evangelisierung und der Heimsuchung durch den Herrn bedarf. Das aber verlangt Mut, denn, wessen wir bedürfen, ist viel mehr als ein struktureller, organisatorischer oder funktionaler Wandel.“

„Ein wahrer Wandlungsprozess … verlangt eine pastorale Bekehrung. Wir werden aufgefordert, eine Haltung einzunehmen, die darauf abzielt, das Evangelium zu leben und transparent zu machen…“

„Evangelisierung ist ein Weg der Jüngerschaft in Antwort auf die Liebe zu Dem, der uns zuerst geliebt hat.“ Und er mahnt: „Die anstehenden Herausforderungen, die verschiedenen Themen und Fragestellungen können nicht ignoriert oder verschleiert werden; man muss sich ihnen stellen.“

Schlüssel und Chance für die Kirche

In der Wandlung liegt also der Schlüssel – für den Einzelnen und für die Gemeinde. Es wäre hilfreich, diesen Gedanken stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Ja, er könnte das Leitbild für die Kirche der Gegenwart und Zukunft bilden: Auf die Wandlung kommt es an!


Martin Grünewald
Der Journalist war 36 Jahre lang Chefredakteur des Kolpingblattes/Kolpingmagazins in Köln und schreibt heute für die internationale Nachrichtenagentur CNA. Weitere Infos unter: www.freundschaftmitgott.de


Foto: unsplash / Suzanne D. Williams

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