Argumente zum Priestertum
Die Forderungen und Debatten auf dem Synodalen Weg stellen Priestertum aber auch Bischofsamt in Frage. Wir geben Antworten zu Kirchesein heute, Berufung, Priestersein, Zölibat, Männern und Frauen und die Unterscheidung von Amt und Macht, Laien und Klerikern.
Der Dienst der Kirche an der Welt ist Laien und Priestern gemeinsam und ohne Unterschied in den Zielen und der Würde anvertraut. Trotzdem sollten Laien tun, was nur Laien tun können, und Priester den Dienst leisten, wozu sie durch die Kirche berufen, und durch die Weihe befähigt wurden.
Der Mangel an Berufungen zum Priesteramt ist eine echte Not in der Kirche und ebenso eine Herausforderung für die Laien, die all jene Aufgaben übernehmen müssen, wozu man die priesterliche Berufung nicht unbedingt benötigt. Das Konzil spricht von einer „wahre(n) Gleichheit in der allen Gläubigen gemeinsamen Würde und Tätigkeit zum Aufbau des Leibes Christi“.
Es erinnert zugleich aber daran, dass nach dem Willen Christi „Lehrer, Ausspender der Geheimnisse und Hirten für die anderen“ bestellt werden sollen. Mit der Handauflegung in der Weihe wird dem Priester die apostolische Vollmacht erteilt, „in persona Christi“ als Haupt und Hirte zu handeln. Er ist der von der Kirche bestellte Verkündiger des Wortes Gottes, der Spender der Sakramente und in Stellvertretung des Herrn der „Hirte(n) und Bischof eurer Seelen“ (1 Petr 2,25).
Der Synodale Weg verdunkelte diese spezifische Berufung des Priesters, indem er den Priester theologisch und strategisch marginalisiert und systematisch versucht, theologisch qualifizierte Laien ohne Weihe funktional in Priesterersatz-Positionen hineinzuheben. Wir halten das theologisch für unausgewogen und für durchsichtigen Lobbyismus und wenden uns sowohl gegen die Laikalisierung des Priesters wie auch gegen eine Klerikalisierung von Laien.
Wir geben Antworten
Zahlreiche Experten, darunter Theologieprofessoren, Bischöfe und andere Fachleute haben sich an der Erstellung dieser Argumentationshilfe beteiligt, um die häufigsten Fragen, Behauptungen, Begriffe und Argumente in diesem Themenkomplex zu erklären und sie fundiert zu beantworten. Diese Argumentesammlung nimmt vor allem die diskutierten Fragen und Forderungen des Forum 2 des Synodalen Weges: „Priesterliche Existenz heute“ in den Blick. Dabei wird teilweise auf direkte Textstellen und Zitate aus den Synodalpapieren oder auch andere exemplarische Statements einzelner Akteure zu diesem Themenkomplex zurückgegriffen.
Die Themenpalette reicht von der Frage, wie sich eine Gemeinde strukturiert, die Unterscheidung der Aufgaben von Laien und Priestern, der Männlichkeit von Priestern und was die Lehre dazu sagt bis hin zu Fragen nach Berufung zum Priestertum, dem Zölibat oder auch Gewaltenteilung innerhalb der Kirche.
So finden Sie die Themen
Wir haben die Themen inhaltlich sortiert. Über die Stichwortliste unten gelangen Sie mit einem Klick jeweils direkt zum entsprechenden Abschnitt. Jedes Thema beinhaltet eine Behauptung/Forderung aus den Papieren und Debatten des Synodalen Weges und danach eine kurze und eine ausführliche Antwort unsererseits darauf. Natürlich können Sie das Dokument hier unter dem Link aber auch komplett als PDF herunterladen, lesen und gerne auch verteilen.
Die Themenliste
1. Kirche heute – Müssen wir nicht weg von einer Versorgungskirche und hin zu gemeinsamem Kirchesein?
2. Braucht eine engagierte Gemeinde heute überhaupt noch Priester?
3. Communio-Charakter – Wenn wir gemeinsam Kirche sind, wieso ist der Priester dann etwas „Besseres“? Ist er das wirklich?
4. Brauchen wir überhaupt verschiedene Dienste und Ämter in der Kirche?
5. Was ist die Aufgabe der Kirche? Und was ist die spezifische Aufgabe des Priesters?
6. Ein Zwei-Klassen-Christentum braucht doch keiner!
7. Was ist das Wesen des Priesteramtes?
8. Voraussetzung – Was braucht man als Voraussetzung, um Priester zu sein?
9. Idealisierung – Lässt ein so hohes Ideal des Priesters nicht verzweifeln?
10. Berufung – Wie gelingen Berufungsunterscheidung und die (geistliche) Begleitung dorthin?
11. Ideal – Müssen wir nicht den Klerikalismus eindämmen?
12. Weltdistanz oder weltfremd? – Müssen Geweihte total weltabgewandt sein?
13. Sollten Priester nicht lieber demokratisch gewählt werden?
14. Männerzone – „Priesterliche Lebensform“ nur für Männer oder auch für Frauen?
15. Männerzone – Entscheidet wirklich ein Y-Chromosom, wer Priester sein darf?
16. Männerzone – Frauen können doch genauso in persona christi handeln!
17. Männerzone – Können nicht auch Frauen und insgesamt Laien predigen?
18. Männerzone – Wäre es für die Ökumene hilfreich, wenn wir auch Priesterinnen hätten?
19. Lehre – Wie offen kann über das Frauenpriestertum geredet werden?
20. Lehre – Fordern die Zeichen der Zeit nicht eine Entwicklung der Lehre?
21. Zölibat – Muss ein Priester zölibatär leben?
22. Zölibat – Führt das nicht automatisch zu vielen psychischen Problemen und Unglück?
23. Zölibat – Wird ein Priester nicht total einsam?
24. Zölibat – Führt sexuelle Enthaltsamkeit zu Missbrauch?
25. Leitungsamt – Sind Priester automatisch gute Leiter?
26. Leitung – Ein Seelsorger ist doch durch zu viel Leitungsverantwortung maßlos überfordert!
27. Gewaltenteilung – Sollte die Macht des Priesters nicht aufgeteilt werden?
Kirchesein heute – Müssen wir nicht weg von einer Versorgungskirche und hin zu einem gemeinsamen Kirchesein?
Behauptung
„Auch in Hinsicht auf die Lebensform des Priesters besteht auf dem Synodalen Weg … die Chance, weg von einer versorgenden hin zu einer sorgenden Kirche“ zu gelangen, „auch existentiell zu wachsen und den Wandel hin zum ‚Gemeinsam-Kirche-Sein’ in säkularer Welt weiter zu vollziehen.“ (Grundtext, Forum II)
Erwiderung
Das ist einerseits richtig. Alle Getauften sind dazu berufen, eine sich um das Heil der Welt sorgende Kirche zu sein. Insofern ist es ein wirklicher Fortschritt, wenn diese grundlegende Berufung zum allgemeinen Priestertum neu entdeckt, vor allem endlich auch umgesetzt wird.
In den Begriffen ‚versorgte Kirche‘ und ‚sorgende Kirche‘ schwingt allerdings der Vorwurf mit, dass die Getauften im Allgemeinen Priestertum vor allem deshalb nicht ihrer Berufung nachkommen, weil sie nur auf die versorgende Hierarchie warten, oder weil sie gar von der „versorgenden Hierarchie“ daran gehindert würden, ihr Potential zu entfalten. Der Eindruck entsteht, erst das Wegfallen dieser Versorgung werde die wahre Berufung der Laien freisetzen.
Damit würde man das grundlegende Bezogensein, miteinander und aufeinander, von Allgemeinem Priestertum und Weihepriestertum verkennen. Die gesamte kirchliche Hierarchie – vom Papst über den Bischof bis hin zum geweihten Priester – hat ihre einzige Existenzberechtigung im Dienst an allen Getauften, damit diese ihrer spezifischen Aufgabe nachkommen können: der Heiligung der Welt. Würde das Weihepriestertum wegfallen, so könnte der Priester die Gläubigen nicht mehr sakramental beschenken und befähigen. Die Getauften würden in ihrer ureigensten Berufung gefährdet – nicht etwa gefördert werden.
Es ist die Aufgabe des Priesters, die Getauften an ihre Berufung zu erinnern, sie dafür zu gewinnen, zu stärken und immer wieder neu zu ermutigen. Er nimmt diese Aufgabe auch durch den Dienst der Leitung (im Sinne von ‚Anleitung‘) und Verkündigung wahr, vor allem aber durch die Spendung der Sakramente.
Erst eine mit diesem göttlichen Support versorgte Kirche kann zu einer kraftvoll sorgenden Kirche werden. Es gibt also unterschiedliche Dienste: Der Priester dient den Getauften, damit diese der Welt dienen können. In dieser integralen Perspektive, wird die Kirche „rund“ – und es gelingt das ‚Gemeinsam-Kirche-Sein‘, das die Weihestufen der Kirche im Kontext mit allen Getauften begreift und begrüßt.
Braucht eine engagierte Gemeinde heute noch Priester?
Behauptung
„Die Zeit der Priester ist vorbei. Die Gemeindebildung muss freigegeben werden. Dann können sich überall engagierte Jesusgruppen bilden.“ (Pastoralreferentin Jutta Lehnert, Bistum Trier)
Erwiderung
Gegen „engagierte Jesusgruppen“ ist nichts zu einzuwenden. Sie sind sogar zu fördern. Bischof oder Priester können sie allerdings nicht ersetzen, genauso wenig wie Taufe, Eucharistie oder Heilige Schrift ersetzbar sind.
Wie könnte die Zeit des sakramentalen Amtes „vorbei“ sein, da Christus es seiner Kirche bleibend eingestiftet hat? Immerhin gibt es ja auch weltweit nach 2.000 Jahren über 400.000 Priester. Immer wieder hat es in der Geschichte auch priesterlose Gemeinden gegeben, die den Glauben nicht neu entworfen, sondern treu bewahrt haben; wie z.B. in Japan 250 Jahre lang.
Wenn „engagierte Jesusgruppen“ den Weg Jesu tatsächlich gehen wollen, müssen sie allerdings seinen Stiftungswillen ernst nehmen und damit die Bindung der Christus-Gemeinde an die apostolische Grundlage und Vollmacht bejahen.
Die Gemeinde lebt vom Wort Gottes und vom Sakrament. Sie hat die Eucharistie als ihren Mittelpunkt, das heißt den Herrn selbst. Wo das geistliche Amt und daher der Bischof oder Priester fehlt, fehlt die Eucharistie und damit die Herzmitte des katholischen Glaubens. „Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden“ (Lk 10,2 par).
Ein Neubau nach anderen Konzepten gleicht dem „Haus, das auf Sand gebaut ist“ (vgl. Mt 7, 24-27). Er endet als Fehlkonstruktion und stürzt ein.
Communio-Charakter – Wenn wir gemeinsam Kirche sind, wieso ist der Priester dann etwas „Besseres“? Ist er das wirklich?
Behauptung
Jeder Getaufte hat eine priesterliche Berufung, der die Gestaltung seines Lebens entsprechen muss – sonst ist er kein Zeuge Christi. Für den zum Priestertum Geweihten gibt es eine vertiefte Herausforderung. Da der geweihte Priester für die Gläubigen den dienenden Christus repräsentiert, muss seine Lebensform Christus-förmig sein. Er kann nicht jenseits des Amtes noch Privatmann sein. Mit der sakramentalen Übertragung des priesterlichen Amtes ist der Priester existentiell in den Dienst an die Getauften genommen und muss seine Lebensform diesem Dienst unterordnen.
Erläuterung
Der Priester vermittelt den priesterlichen Dienst Jesu am Volk Gottes. Er muss sich also an zwei Wirklichkeiten immer neu ausrichten: Zum einen darf er sich nicht zum Herrscher über das Volk machen; sondern er ist radikal zum Dienen verpflichtet. Permanent muss er historischen, gesellschaftlichen und kulturellen Überhöhungen widerstehen bzw. sich von ihnen freimachen.
Auf der anderen Seite ist er radikal seinem Auftrag verpflichtet, er darf dem Christus-Dienst weder etwas hinzufügen noch entziehen. In seiner priesterlichen Berufung schuldet der Geweihte dem Volk Gottes also nicht medizinische, psychologische oder therapeutische Dienste. Da sein Amt aber eine dreifache Dimension hat – Amt der Leitung, der Heiligung und der Verkündigung – darf er dem Volk Gottes aber auch nicht einzelne Aspekte entziehen.
Zugleich ist der Priester auch Getaufter und Teil des Volkes Gottes. Er ist selbst erlösungsbedürftig. Auch der Priester ist ein Sünder, der der Vergebung bedarf und beichten muss. Auch er bedarf der Belehrung, der Verkündigung (auch durch Laien) und der Heiligung durch Gebet und Sakramente. Auch wenn der Priester in Ausübung seines Weiheauftrages den Getauften gegenüber Christus repräsentiert, ist er zugleich als Christ immer auch auf den Dienst der Gemeinde angewiesen.
Nehmen wir beispielsweise die Rolle des Priesters bei der Predigt: Weder ist der Priester grundsätzlich besser informiert, noch ist der andere Christ immer der Dumme. Vielmehr ruft der Priester, der lehrt, die Menschen dazu auf, sich in die Rolle der Hörenden zu begeben. So lernt der dem Priester Zuhörende seine Haltung Gott gegenüber. Der Priester übernimmt diesen Dienst, in der Gefahr, die Rolle des Hörenden zu verlernen. Deshalb bedarf es der umso größeren Heiligkeit des Priesters, damit er sich durch diesen Dienst nicht überhebt. Er muss ins Gebet gehen mit dem Wort Gottes, die Schrift betrachten und leben, was er verstanden hat. Der Priester soll also nicht deswegen heilig sein, damit er die Rolle des Lehrenden einnehmen darf – er sollte es sein, weil er seltener die Rolle des Hörenden einnimmt und weil er in der Rolle des Lehrenden größeren Versuchungen ausgesetzt ist. Den Priester zu dieser Heiligkeit zu ermutigen, damit er nicht verloren geht, und ihn zu bestärken, ist auch eine Aufgabe der Gemeinde. Augustinus schreibt: „Für Euch bin ich Bischof, mit Euch bin ich Christ. Das eine bedeutet die Gefahr, das andere die Gnade.“
Brauchen wir überhaupt verschiedene Dienste und Ämter in der Kirche?
Behauptung
Paulus vergleicht die Kirche mit einem Leib (1 Kor 12). Ein guter Mediziner fragt allerdings nicht danach, ob die Organe im menschlichen Leib seiner Meinung nach benötigt werden oder wie er sie besser anordnen oder umgestalten würde. Ein guter Arzt entdeckt vielmehr das vorhandene Zusammenspiel, fördert es und bleibt offen für unerkannte und überraschende Wirkungsweisen in der Natur.
Erläuterung
Der Leib der Kirche wird von uns nicht konstruiert, sondern ist uns vorgegeben. Das überaus reiche Zusammenspiel der verschiedenen Organe in der Kirche, die Gaben, Befähigungen, Charismen und Initiativen aller Glieder des Volkes ist von uns nicht gemacht, sondern eine Gabe Gottes. Das Volk Gottes ist letztlich das Wirken des Geistes, eine fortgesetzte Inkarnation durch die Zeit hindurch, der in seiner Kirche fortlebende Christus. Wir können nur immer wieder staunen über den Ideenreichtum, der sich im Laufe der Geschichte des Volkes Gottes in allen Gliedern der Kirche offenbart.
Es wäre vermessen, Dienste und Ämter wie an einem Reißbrett für Robotik nach ihrer Funktion einzurichten oder zu entsorgen. Selbst in der Medizin werden immer wieder neue Zusammenhänge erkannt und essentielle Wirkweisen bislang unterschätzter Bestandteile entdeckt. Sowohl in der Entstehung von Diensten als auch in der Ausgestaltung der Ämter findet sich in der Geschichte der Kirche eine überraschend große Bandbreite von Reaktionen auf Veränderungen in der Gesellschaft. Zumeist besteht die Reaktion aber nicht in einer Anpassung an die Gesellschaft, sondern in einem Wachstum gerade dessen, woran es der jeweiligen Kultur mangelt.
In Zeiten der Übersättigung der Gesellschaft entstand in der Kirche die Armutsbewegung; in Zeiten der Welteroberung zur Ausbeutung die missionarische Bewegung, die die Personenrechte aller Menschen zu bewahren suchte; in Zeiten der Industrialisierung entstand die christliche Arbeiterbewegung; als Gegenpol zur Ausbeutung der Entwicklungsländer fanden sich Seelsorger in den Slums, bei den Bewohnern von Müllkippen und den Unterdrückten ein.
Als Kirche haben wir die Aufgabe, die Dienste zu stärken, die in der Kirche entstehen, um die Gotteskindschaft aller Menschen zu bewahren. Es ist die Aufgabe des ganzen Volkes Gottes, die sakramentalen Ämter von allem Ballast frei zu halten, der sie daran hindert, ganz Dienstamt zu sein – ein Dienst, der ganz auf die lebendige Beziehung zu Christus ausgerichtet ist. Ein Denken in den Kategorien funktionaler Mechanik, als könne oder müsse die Kirche Ämter nach erforderlichen Funktionen designen, ist der Kirche fremd.
Was ist die Aufgabe der Kirche? Und was ist dabei die spezifische Aufgabe des Priesters?
Behauptung
Die Kirche hat die Sendung, das Erlöserwirken Christi weiter zu vermitteln für alle Menschen, das bedeutet, alle mit Gott zu versöhnen; sie ist das Sakrament der Versöhnung in der gesamten Menschheit. Christus hat die endgültige Versöhnung der Menschheit mit dem Vater bewirkt, indem er mit dem einzigartigen Opfer seiner Lebenshingabe in das Allerheiligste des Himmels eingetreten ist, vor das Angesicht des Vaters. Der Vater hat dieses Opfer angenommen und bestätigt in der Auferstehung. Das Priestertum in der Kirche, sowohl das besondere Priestertum als auch das allgemeine Priestertum verwirklicht die Sendung der Kirche auf verschiedene Weise.
Erläuterung
Der geweihte Priester wird von der Kirche berufen, den Hohepriester Christus sakramental zu vertreten, besonders im Opfer der hl. Messe bei der Wandlung der eucharistischen Gaben in Leib und Blut Christi. Es gibt nur einen Hohepriester, wie es nur einen König, einen Mittler zwischen Gott und den Menschen gibt. Sein Stellvertreter soll nicht so an seine Stelle treten, dass er übernimmt, was nur der Hohepriester Christus tun kann; sondern er soll Christi Wirken an seiner Kirche vermitteln: Denn „derselbe bringt das Opfer jetzt dar durch den Dienst der Priester, der sich einst am Kreuz selbst dargebracht hat“. (Sacrosanctum Concilium, 7)
Darum sind Worte wie „Vollmacht“ und „Christusrepräsentanz“ zumindest erklärungsbedürftig und müssen vom Stellvertretungsgedanken her interpretiert werden. Stellvertretung kann hier nicht bedeuten, dass der Priester das tut, was nur Christus tun kann, sondern dass er in der Weihe die potestas sacra, die Fähigkeit erhält, sakramental das priesterliche Tun Christi zu vermitteln.
Von Christi einzigartigem Priestertum spricht der Hebräerbrief; Christus hat den Kult des Alten Testamentes erfüllt, dessen Mitte die Feier des Versöhnungstages ist. Christus hat seinen Aposteln geboten, sein Gedächtnis zu feiern, das darin besteht, diesen seinen Weg zum Vater für alle Glaubenden zu erschließen.
Der geweihte Priester feiert im Auftrag der Kirche das Gedächtnis des Heilsweges Christi, in dem die Glaubenden, die in der Taufe vom Heiligen Geist in den Leib Christi eingegliedert worden sind, sich zur lebendigen Opfergabe in Christus machen lassen. Dafür werden die Priester geweiht: sie dedizieren sich selbst, d.h. sie geben sich als Weihegabe hin, und sie werden konsekriert, d.h. für eine bestimmten Aufgabe ausgesondert, zu ministri sacri geheiligt und befähigt. Richtig verstanden bedeutet „Konsekration“ genau das Wesentliche, das in der Eucharistie geschieht. Der Priester bekommt dabei keine „Macht“, sondern er erhält die heilige Befähigung (sacra postestas, Lumen Gentium, 10), das Gedächtnis Christi zu feiern; und „Gedenken“ der göttlichen Taten bedeutet, dass sie verkündet sowie gegenwärtig gesetzt werden und wirksam sind, weil Gottes Wort schöpferisch ist.
Verkündet wird in der Eucharistie die Lebenshingabe Christi an den Vater, das ein für alle mal auf Golgatha dargebrachte Opfer, mit dem der erhöhte Christus zur rechten des Vaters steht, und das durch den Dienst der Priester in der Eucharistiefeier Gegenwart wird. Die Glaubenden, auch der Priester, bringen ihr Leben dar, indem sie sich hineinnehmen lassen in das gegenwärtige Opfer Christi, und werden mit ihm hingegeben zum Heil der Welt. Christi Blut, d.h. sein Leben, wird das Leben derer, die glaubend die Eucharistie feiern, ihr Leben wird zum Leben Christi und damit zum Gegengift gegen alles Tote und Unreine der Sünde.
Der Priester wird berufen und geweiht, damit die Gläubigen sich zur „heiligen Priesterschaft“ aufbauen lassen können, „um durch Jesus Christus geistige Opfer darzubringen“ (1 Petr 2,5). Priestertum ist immer Mittlerdienst, Gottes bzw. Christi Wirken wird zu den Menschen vermittelt, und den Menschen wird vermittelt, dass sie Gott wirklich begegnen und ihm dienen können.
Wichtigste Voraussetzung auf Seiten des Menschen, der als Priester in Dienst genommen werden soll, sind Gehorsam und Selbstlosigkeit. Er muss als Christi Stellvertreter in seinem Sinn denken und handeln lernen und stets seine Person hinter ihm zurückstellen, vor allem in seinen Worten. Gerade dort, wo er sakramental-objektiv Christus darstellt, sollte das Persönliche an ihm zurücktreten.
Jeder Priester ist zuerst ein Jünger Christi und lebt in seiner Nachfolge. Augustinus sagt: „Für euch bin ich Bischof, mit euch bin ich Christ“. Ein Priester und Bischof braucht als Christi Jünger auch selbst einen Priester, der ihm das Wort des Herrn erschließt, der ihm die Sündenvergebung zuspricht und ihm die Versöhnung mit Gott vermittelt. Ein Priester kann nur die richtige Vorstellung von seinem Dienst haben, wenn er sich selbst als jemand erfährt, der das Sakrament der Versöhnung empfängt.
Ein Zwei-Klassen-Christentum braucht doch keiner!
Behauptung
Durch die Weihe kann nicht „ein neuer, ontologisch definierter Standesunterschied zwischen Laien und Klerikern begründet werden. Wird Gal 3,27f wirklich ernst genommen, bedeutet dies unweigerlich das Ende eines ‚Zwei-Klassen-Christentums’ samt der darin implizierten Gefahr eines klerikalen Machtmissbrauchs.“ (Marlies Gielen, Theologin)
Erwiderung
Es hat gewiss ungeeignete, hochmütige, ihr Amt missbrauchende oder missverstehende Kleriker gegeben; aber theologisch hat es noch nie ein Zwei-Klassen-Christentum gegeben, weil biblisch keine Begründungen für Standesunterschiede vorliegen. Es gibt nur Christen, die alle eine verschiedene Berufung haben, um in der Kirche die notwendigen verschiedenen Dienste zu versehen. Eine „Weihe“ bedeutet ein In-Dienst-Genommen-Werden, der Geweihte soll durch seine Person sakramental Christi Wirken ermöglichen. Es verändert niemanden in seinem Sein, sondern prägt das Sein dessen, der die Weihe empfängt und gibt ihm die notwendige Gnade für seinen Dienst.
Jeder Christ ist durch seine Berufung geprägt. Die Berufung zum priesterlichen Dienst ist dem Geweihten geschenkt und wird niemals zurückgenommen. Das ist ein Zeichen dafür, dass Gottes Wort nicht widerrufen wird; Gott bleibt treu, auch wenn der Mensch untreu ist. Gottes Gnade und Erwählung ist keine Bevorzugung, sondern eine Aufgabe, eine Verantwortung für die Gott Rechenschaft fordert. Kein Christ kann sich seine besondere Aufgabe und Berufung aussuchen, ebenso wenig wie sein Kreuz. Gott hat eine Geschichte mit jedem Menschen. Jedem seiner Diener teilt er die Aufgabe zu, die dieser mit Gottes Hilfe erfüllen kann und verlangt Rechenschaft für das Vermögen, das er ihm dafür austeilt, wie aus den Gleichnissen Jesu zu entnehmen ist (vgl. Mt 25, 14-30).
Die Weihe zum Priester verleiht keine Macht im menschlichen Sinn. Im Neuen Testament begegnet das Wort „Macht/Vollmacht“ (exousía) vor allem in den Aussagen über Christus, der göttliche Macht hat, die sich darin zeigt, dass er böse Geister austreiben, Sünden vergeben, mit göttlicher Autorität reden und lehren, der Natur gebieten und über sein Leben verfügen kann.
Göttliche Macht, die Macht Christi, wird von Christus seinen Jüngern gegeben, die ihn vertreten; – es ist Macht über das Böse, nicht über andere Menschen. Menschlicher Macht begegnet Christus nicht mit seiner Macht, sondern lässt über sich verfügen, was er auch seinen Jüngern gebietet. Teuflischer Macht leistet er Widerstand und bezwingt sie; diese Macht verleiht er auch seinen Jüngern; Schlangen und Skorpione können ihnen nichts anhaben (vgl. Lk 10,19).
Aus alledem wird klar, dass in der Kirche nur die göttliche Macht Christi am Platz ist, menschliche Macht lediglich nötig ist, weil die Kirche als Gesellschaft eine Ordnung braucht, es Autorität und Leitung in ihr geben muss. Diese Machtausübung sollte wie alle menschliche Macht als Dienst und zum Wohl der anderen ausgeübt werden und einer Kontrolle unterliegen, damit sie nicht missbraucht wird.
Dass kirchlicher Machtmissbrauch ein No-Go in der Kirche ist, wird durch Papst Franziskus immer wieder gebrandmarkt: „Mit Worten sagen wir, dass wir Gott und den anderen dienen wollen, aber tatsächlich dienen wir unserem Ego, und wir beugen uns unserem Verlangen, gesehen zu werden, Anerkennungen, Dank zu erhalten… Vergessen wir nicht, dass der wahre Dienst unentgeltlich und bedingungslos ist, weder Berechnung noch Ansprüche kennt. Außerdem vergisst der wahre Dienst gewöhnlich die Dinge, die er gemacht hat, um den anderen zu dienen. Es passiert manchmal, ihr alle habt diese Erfahrung, dass man sich bei euch bedankt [und ihr sagt]: „Wofür?“ – „Für das, was Sie getan haben…“ – „Aber was habe ich denn getan?“… Und dann erinnert man sich daran. Es ist ein Dienst, Punkt. (In einer Ansprache am 16.9.2021)
Was ist das Wesen des Priesteramtes?
These
Wesen, Sinn und Auftrag des Priestertums ist in seinem Ursprung begründet: Christus ist der wahre Hohepriester des Neuen Bundes. Christus hat den Aposteln Anteil an seiner Sendung gegeben. Im Bischofs- und Priesteramt wird dieser Auftrag in die Zeit der Kirche hinein fortgesetzt. Der Auftrag ist: Heiligung, Verkündigung und Leitung des Gottesvolkes. Die „Zielgruppe“ des priesterlichen Dienstes ist das Volk Gottes; seine „Funktion“ besteht in der „Auferbauung der Kirche.“ (Presbyterium Ordinis)
Erläuterung
„Eine wirklich überzeugende Rezeption der Theologie von Lumen Gentium ist nicht durchgängig wahrnehmbar.“ (Grundtext Forum II, 6) Diese Diagnose des Synodalforums fordert dazu heraus, das Thema mithilfe biblischer Belege und des II. Vatikanischen Konzils darzulegen, um eine notwendige minimale Klarheit über Wesen und Amt des sakramentalen Priestertums zu erhalten.
1) Christus ist der Hohepriester des Neuen Bundes.
Die gemeinsame Basis für das sakramentale Priestertum aufgrund der Weihe und für das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen (vgl. 1 Petr 2,4-10) legt das letzte Konzil (vgl. LG 10) durch den Bezug auf Christus als den Hohepriester (vgl. Hebr 5,1-5) dar. Christus wird als Priester des Neuen Bundes dargestellt, weil er zum einen der Mittler zu Gott und zum anderen die Gabe bzw. das Opfer des Neuen Bundes ist (vgl. LG 3). Das II. Vatikanische Konzil konzipiert damit eine spezifisch eucharistische Ekklesiologie. Es gibt folglich in der Kirche nur ein einziges Priesteramt: das Priesteramt Christi.
Für das Verständnis des sakramentalen Priestertums in der Kirche ist die Einsetzung und Aussendung der zwölf Apostel entscheidend. Jesus Christus hat die zwölf Apostel eingesetzt und ihnen Anteil an seiner Vollmacht (vgl. LG 19) gegeben und diese mit dem Verkündigungsauftrag (vgl. Mt 28,16; Mk 16,15; Lk 25-45-48; Joh 20,21-23) und dem Auftrag zur Feier des Gedächtnisses seines Todes (vgl. Mk 14,17-27) verbunden. Das sakramentale Priestertum wird seit biblischer Zeit vom Willen Christi her verstanden. Diese theologische Fundierung schließt eine rein soziologische Betrachtung aus, auch wenn soziologische Aspekte sicherlich hilfreich für das Verständnis sein können. Die Soziologie kann jedoch nicht die Theologie ersetzen. Somit besteht das sakramentale Priesteramt in der Ausübung des einen Priesteramts Christi in seiner Vollmacht gegenüber dem Volk Gottes und allen Menschen. Das gemeinsame Priesteramt besteht in der Heiligung des eigenen und sozialen Lebens durch das stetige Ähnlichwerden mit Jesus Christus.
2) Das sakramentale Priestertum der Kirche
Im Grundtext des Synodalforums II(7) heißt es: „Jede und jeder Getaufte repräsentiert Christus, den einzigen ‚Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks‘ (Hebr 5,10), der seine Kirche zu einem Reich von „Priestern vor Gott, seinem Vater“ gemacht hat (Offb 1,6). ‚Die ganze Gemeinschaft der Gläubigen ist als solche priesterlich‘. Davon zu unterscheiden ist die Christusrepräsentanz des Priesters in der Spendung der ihm vorbehaltenen Sakramente und besonders innerhalb der Eucharistiefeier. In ihr tritt die Person des Priesters hinter der Christusgestalt zurück, auf die er verweist. Der Priester dient hier Christus und dem Volk Gottes, indem er sich selbst zurücknimmt.“
Das Synodalforum benennt eine Unterscheidung von sakramentalem Priestertum und gemeinsamem Priestertum. Die unglückliche Formulierung, dass manche Sakramente den Priestern vorbehalten seien, verrät jedoch durch die negative Perspektive die fehlende theologische Durchdringung des Themas. Es wird die Sichtweise provoziert, als wolle oder solle das sakramentale Priestertum mehr sein als das allgemeine Priestertum. Damit erreicht das Synodalforum II nicht das Niveau von Lumen Gentium (vgl. bes. LG 10).
Der sakramentale Dienst der Bischöfe und Priester geht auf die Anteilgabe der Vollmacht durch Christus an seine Apostel zurück. Jesus selbst hat seiner Gemeinde diese Dienste geschenkt, damit seine Vollmacht weiterwirke. Das sakramentale Priesteramt ist deshalb nicht Hinderungs-, sondern Ermöglichungsgrund eines sakramentalen Lebens. Sehr früh setzte sich deshalb in der Kirche die theologische Einsicht durch, dass diese Weitergabe der Vollmacht Christi selbst ein Sakrament sei. Mit Lumen Gentium 1 können wir das Sakrament als „Zeichen und Werkzeug“ näher beschreiben. Die durch die Priesterweihe zu ministri sacri gewandelten Männer sind Zeichen für die bleibende und wirkmächtige Gegenwart Christi in seiner Kirche. Deshalb spricht der Priester bei den sakramentalen Handlungen auch im Namen Jesu. In seinem amtlichen Tun verweist er auf die Lebenshingabe Christi, den Vergebungswillen Gottes, seinen Beistand für die Schwachen u. v. m.
Der Priester ist Werkzeug, insofern durch ihn im sakramentalen Handeln die Gnade Christi wirkmächtig und objektiv (ex opere operato) aktualisiert wird. Dies kann er nicht aus persönlicher Vollmacht oder Vollkommenheit, sondern durch die in der Weihe vermittelte Befähigung (postestas sacra). So weist er gerade in seinem amtlichen Handeln über sich selbst hinaus und auf Christus hin, der sich der geweihten Priester bedient, um selbst sein Volk zu heiligen und zu leiten.
3) Miteinander und Gegenüber des Priesters zur Gemeinde
Der Priester tritt in seiner amtlich-sakramentalen Rolle der Gemeinde gegenüber. Die Heilige Schrift beschreibt diese Haltung indirekt durch Bilder wie „Hirte“ oder „Bräutigam“, die alle ein Gegenüber voraussetzen. Dieses Gegenüber Christi zu seiner Kirche bringt sein bleibendes Voraus zur Kirche zum Ausdruck. Er hat einen bleibenden theologischen Primat.
Für den Priester ist dieses Gegenübertreten zur Gemeinde biographisch gesehen jedoch sekundär. Er wird nicht in das Priestertum hineingeboren, sondern geweiht. Er muss erst als Christ leben und glauben, bevor er Priester werden kann. Auch wenn das Gegenüber Christi zu seiner Kirche einen Primat hat, kann der Priester in seinem sakramentalen Wirken dies biographisch immer nur sekundär vollziehen. Das Bewusstsein dieses Umstandes gibt zu bedenken, dass der Priester den Primat Christi darstellt und vollzieht, jedoch keinen seiner eigenen Person entstammenden Primat gegenüber der Gemeinde hat.
Dass das Gegenüber für den Priester selbst in seiner Biographie als Christ sekundär ist, schlägt sich auch darin nieder, dass er selbst der Gnade Christi bedarf und wie jeder andere Christ aus dem Empfang der Sakramente leben soll. Die Theologie kennt keine Gleichsetzung von Weihe und Heiligkeit; wohl aber den Anspruch, dass die Priester im persönlichen Leben dem entsprechen, was sie objektiv-sakramental darstellen und vollziehen. Der Priester kann somit den Primat Christi immer nur sakramental darstellen und nie privat – aufgrund eigener Verdienste oder Heiligkeit – herstellen. Diesen privaten Primat kann kein Christ gegenüber der Gemeinde ausüben. Damit keine unangebrachten Formen des Gegenübers in der Kirche etabliert werden, ist darauf zu achten, dass dieses Gegenüber zur Kirche stets sakramental grundgelegt sein muss. Keine Qualifikation und kein theologischer Abschluss können daher die Weihe ersetzen.
4) Der Auftrag bezieht sich auf die Heiligung, Verkündigung und Leitung des Gottesvolkes.
Das II. Vatikanische Konzil fächert den Dienst der Bischöfe und Priester in LG 20 in die bekannte Trias von Verkündigung, Heiligung und Leitung auf. Diese Unterscheidung führt zu einer genaueren Differenzierung des bisher Gesagten. Denn das sakramentale Wirken ex opere operato kommt dem priesterlichen Handeln allein im Vollzug der Sakramente (Heiligungsdienst) zu und nicht im Bereich der Verkündigung oder der Leitung. Deshalb genügt es nicht, den priesterlichen Dienst nur anhand jener Sakramente zu beschreiben, die nur Priester spenden können. In der Verkündigung und Leitung durch Bischöfe und Priester ist zwar kein objektives Wirken Christi (ex opere operato) durch den Vollzug gewährleistet. Beide sind jedoch sinngemäß mit diesem Bereich des Amtes verbunden. Wenn man mit dem II. Vatikanischen Konzil die Feier der Eucharistie als Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens erkennt (vgl. LG 11), dann ist klar, dass die Eucharistie auch die prägende Norm für die anderen Dimensionen des priesterlichen Amtes sein soll, auch wenn bei diesen die Persönlichkeit, die Eignung und die Kompetenzen der jeweiligen Bischöfe und Priester eine stärkere Rolle spielen.
Zur Heiligung des Gottesvolkes gehört innerlich die Verkündigung. Schon bei Christus sind die Zeichen seiner wirkmächtigen Heilskraft stets mit der Verkündigung verbunden. Deshalb ist es naheliegend, den Verkündigungsdienst – gerade bei der Feier der Eucharistie – an den Vorsitz der Feier zu binden. Auch die Leitung der Kirche ist durch ihre eucharistische Grundstruktur vorgegeben. Entscheidend ist, dass diese Logik nur dann gilt, wenn das Gottesvolk im Blick ist, insofern es Gottesvolk ist. Eine Übertragung dieser Vollmacht zur Leitung im politischen Bereich wäre eine Perversion dieser Logik. Die Kirche schließt es daher folgerichtig aus, dass ein kirchlicher Amtsträger zugleich politischer Amtsträger ist. Damit ist aus dem sakramentalen Denken heraus die Macht von Bischöfen und Priestern eingeschränkt. Dass Heiligung, Verkündigung und Leitung zusammengehören, hält das letzte Konzil mit Blick auf den eucharistischen Charakter der Kirche fest: „Die christliche Gemeinde wird aber nur auferbaut, wenn sie Wurzel und Angelpunkt in der Feier der Eucharistie hat; von ihr muss darum alle Erziehung zum Geist der Gemeinschaft ihren Anfang nehmen. Diese Feier ist aber nur dann aufrichtig und vollständig, wenn sie sowohl zu den verschiedenen Werken der Nächstenliebe und zu gegenseitiger Hilfe wie auch zu missionarischer Tat und zu den vielfältigen Formen christlichen Zeugnisses führt.“ (PO 6)
5) Konkurrenz der Berufungen?
Im Grundtext heißt es: „Er soll seinen Dienst gemeinschaftsstiftend, motivierend für andere ausüben, nicht in Konkurrenz zu den anderen Getauften. Sein Dienst besteht darin, jede und jeden Getauften zu befähigen, selbst das eigene Kirche-Sein leben zu können. Er kann diesen Dienst nur sinnvoll und fruchtbar ausüben, wenn er sich als Diener in das Gottesvolk einfügt.“ (Grundtext Forum II,5)
Der Grundtext betont immer wieder, dass das Gegenüber kein Gegeneinander sein soll. Nun ist dies eine Frage der Beziehung – und noch mehr: der gelingenden Beziehung. Eine Beziehung beruht stets auf Gegenseitigkeit. Der Grundtext arbeitet sich freilich ausschließlich an möglichen Fehlformen des priesterlichen Dienstes ab. Dabei ist der Konjunktiv der vorherrschende Modus. Leider wird nicht deutlich, wann ein Priester in Konkurrenz zu den anderen Getauften seinen Dienst ausübt. Wenn er die Lesung in der hl. Messe selbst liest? Wenn der Pfarrgemeinderat nur dazu da ist, dem Pfarrer zu zuhören? Je abstrakter die Formulierungen sind, desto mehr bedienen sie negative Klischees über die Priester. Das sollte nicht im Sinn des Forums sein. Wenn eine Konkurrenz der Berufungen ausgeschlossen werden soll, dann muss sich das Forum auch zur Situation aus der anderen Perspektive verhalten. Wenn Wort-Gottes-Feiern mit Kommunionausteilung streng nach der Struktur der Eucharistiefeier vollzogen werden, sodass nur noch Theologen den Unterschied erkennen; wenn bei der Sakramentenvorbereitung neben der Beichte bei einem Priester ein Versöhnungsgespräch bei einer Seelsorgerin angeboten wird, sodass die Jugendlichen den Unterschied nicht erkennen können; wenn im Krankenhaus kein Priester zu einem Sterbenden gerufen wird, sondern ein Laie einen Krankensegen mit der Spendung von wohlriechendem Öl verbindet, dann findet Konkurrenz zum priesterlichen Dienst statt. Wenn in der Kirche selbst priesterliches Handeln imitiert bzw. parallel zu priesterlichen Aufgaben „Laien-Sakramente“ etabliert werden, dann besteht Konkurrenz und Unklarheit.
Deshalb kann das Anliegen des Forums nur gewahrt werden, wenn klar ist, was den priesterlichen Dienst umfasst und dies in zweifacher Richtung geschützt wird. Die Priester sollen ihre Kompetenzen aufgrund der geistlichen Vollmacht gegenüber dem Gottesvolk nicht überschreiten und auf der anderen Seite sollen Laien nicht die Aufgaben der Priester so einschränken, dass diese nur noch zur Wandlung da sind. Die negative Bestimmung des priesterlichen Dienstes über die den Priestern vorbehaltenen Sakramente droht nämlich zu einem Rückfall in ein reines Kultpriestertum zu werden, wie es vor dem Konzil von Trient in der Kirche vorherrschend war.
Voraussetzungen – Was braucht man, um Priester zu sein?
These
Erklärte Bereitschaft, intellektuelle Eignung und theologische Qualifikation für das Amt sind nicht das erste Kriterium einer Berufung; diese steht in einem größeren Zusammenhang, der sich aus dem Charakter des Priesteramtes ergibt. So ist es nicht möglich, dass jemand Kompetenzen vorweist und dadurch Anspruch auf das Priesteramt erhebt, es gar für sein theologisches Recht hält und fordert, geweiht zu werden. Der Ruf Christi, der durch die Kirche bestätigt wird, geht der Eignung und dem Wollen logisch wie faktisch immer voraus.
Erläuterung
Es können grob drei Kompetenzbereiche umrissen werden. Weitere Aspekte müssen im fortschreitenden pastoralen Dienst entwickelt werden (z. B. Hinführung zur Leitung einer Pfarrei/eines Pfarrverbandes).
• Personale Kompetenzen: Selbststeuerung; Konfliktfähigkeit; Belastbarkeit; Äußeres Auftreten
• Soziale Kompetenzen: Kommunikation; Beziehungsfähigkeit; Führen und Leiten; Amt und Person; Loyalität gegenüber der Kirche; Ressourcenmanagement; Gruppen begleiten
• Geistlich-Theologische Kompetenzen: Sprache (deutsch); Didaktik; Verkündigung (Homiletik, Katechese); Theologie; Geistliches Leben; Ästhetisches Gestalten
Die emotionale Reifung eines Kandidaten erfolgt besonders durch die geistliche Begleitung und das gezielte zur Sprache bringen von persönlichen Themen (z.B. Biographie oder Sexualität) auch gegenüber dem Forum externum. Dazu gehört im Besonderen auch die Frage nach Nähe und Distanz. Die Wahrnehmung eigener und fremder Emotionalität muss immer wieder geschärft und reflektiert werden. Es gibt keine explizite Methode zur emotionalen Reifung, da es sich um eine Metafrage der gesamten Ausbildung handelt. Deshalb muss sie an verschiedenen Stellen immer wieder ins Wort gefasst werden. So zeigt sich emotionale Reife dort, wo jemand bei Meinungsverschiedenheiten die Differenzen nicht persönlich nimmt oder in Stresssituationen nicht in rein impulsives Verhalten verfällt. Wenn jemand sich ständig persönlich angegriffen fühlt, deutet dies auf eine massive emotionale Unreife hin. Ein Umstand, der leider durch unsere Gesellschaft gegenwärtig gutgeheißen wird.
Im Bereich der Sexualität bzw. des Bedürfnisses nach körperlicher Nähe muss sich jeder Kandidat zunächst einmal seine Bedürfnisse verdeutlichen und diese auch im richtigen Rahmen (forum internum) besprechen können. Eine Reifung wird dort deutlich, wo über Sexualität gesprochen werden kann, ohne dass der Kandidat obszön oder verklemmt agiert. Das stetige Wechselspiel von Erfahrung und Reflexion mit dem Forum externum und internum ist der beste Weg diese emotionale Reifung anzustoßen und zu beobachten.
Idealisierung – Lässt ein so hohes Ideal des Priesters nicht verzweifeln?
Behauptung
„Die hochgradige Idealisierung des Priesteramtes verursacht vielfache Konflikte, weil sich die individuelle Lebensrealität meist anders entwickelt, als es die überhöhten Ideale vorgesehen haben: Überforderung, Vereinsamung, Depressionen, Konflikte mit der Lebensform, Glaubens- und Lebenszweifel können die Folge sein.“ (GV Klaus Pfeffer, Essen)
Erwiderung
Eine hochgradige Idealisierung des Priesteramtes verursacht keine Konflikte – das tut vielmehr eine Idealisierung und Überhöhung der Person des Priesters. Wer nicht zwischen Amt und Person unterscheidet, überfordert den Menschen und verstellt damit immer den gesunden Blick auf die Wirklichkeit.
Die Idealisierung des Priesteramtes kann gar nicht hoch genug angesetzt werden. Das bewahrt die Träger des priesterlichen Dienstamtes davor, das Amt als Vorwand für selbstherrliche Machtausübung zu missbrauchen.
Von der hohen Würde des Amtes ist aber auf jeden Fall die Person zu unterscheiden – und hier liegt tatsächlich eine große Versuchung. Deshalb muss der Bischof im Hochgebet sich als „unwürdigen Diener“ bezeichnen und der Priester im Exsultet von seiner Berufung „ohne Verdienst, aus reiner Gnade“ sprechen. Alle theologischen Verwirrungen, klerikalistischen Missverständnisse und Missbräuche sind darauf zurückzuführen, dass unzulässigerweise von der hohen Würde des Amtes auf eine ebensolche Würde der Person geschlossen wurde. Zu glauben, die Person des Priesters dürfe nicht kritisiert werden, weil er das Amt des Priesters innehat, ist genauso töricht wie die Vermutung, Weihwasser könne keine Viren enthalten.
Dass dem Weiheamt ein Ideal innewohnt, an das die Person des Priesters niemals heranreicht, kann nur dann als Überforderung und Quelle von Depressionen ausgemacht werden, wenn vergessen wird, dass die Würde des Amtes allein von Christus ausgeht und reines Geschenk ist – und nicht etwa eine Leistung der Person. Keine noch so große menschliche, psychologische, soziale oder pastorale Qualifikation gewährt ein Recht auf die Übertragung des Priesteramtes. Sonst wäre der Pfarrer von Ars ein schlechter Priester gewesen.
Es ist daher ein nicht scharf genug zu verurteilender Irrglaube, jedem, der eine vermeintlich hinreichende Qualifikation zum Priesteramt hat oder in sich verspürt, habe auch ein Recht auf die Priesterweihe. Wer die unverdiente Gnade des Priesteramtes in eine menschlich verdienbare Anerkennung Gottes, verliehen durch die Kirche, auflöst, läuft Gefahr, Überforderung, Vereinsamung, Depressionen, Konflikte mit der Lebensform, Glaubens- und Lebenszweifel zu verursachen. Keine Person kann auf Dauer ernsthaft glauben, der Christus-Dienst für die Gemeinde könne die eigene Leistung sein. An diesem Irrglauben würde letztlich jeder Priester angesichts seiner eigenen Sündhaftigkeit zerbrechen. Regelmäßige Beichte, die damit verbundene ständige Umkehr und die Einübung in die Tugend der Demut bleiben unverzichtbar.
Bei der Unterscheidung von Amt und Person gibt es mindestens drei Stolperfallen, die eine Verwischung der Grenzen Vorschub leisten können: (1) Natürlich ist es angemessen, dem Träger des Priesteramtes einen gewissen Respekt zu erweisen – als Zeichen des Dankes, sich für dieses Amt in Dienst nehmen zu lassen. Trotz dieser sicherlich angebrachten Anerkennung gebührt der Dank für jede sakramentale Gnade allein Christus, dem Spender aller Gnaden. (2) Wenn der Priester das Amt der Leitung der Gemeinde oder als Lehrer des Glauben ausübt, gebührt ihm ein angemessener Gehorsam. Aber nicht, weil er als Person seine eigenen Ansichten verkündet, sondern weil er in Übereinstimmung mit der Lehre der Kirche Christus, den Lehrer, zur Geltung bringt. (3) Im Menschen gibt es nicht nur eine Versuchung zur Macht, sondern auch die Neigung, Verantwortung abzuschieben. Vielen Priestern wird daher auch gegen ihren Willen Ehre erwiesen, um unliebsame Verantwortung, die eigentlich Laien obliegt, Amtsträgern zu überlassen.
Berufung – Wie gelingen Berufungsunterscheidung und (geistliche) Begleitung auf dem Weg zum Priesteramt?
These
Die Berufungsentscheidung hat eine doppelte Dimension. Nicht nur der Kandidat muss entscheiden, ob er Priester werden soll und will – auch die Kirche muss entscheiden, ob sie einen Kandidaten als Priester annimmt.
Erläuterung
1) Berufungsentscheidung des Kandidaten
Damit eine Berufungsentscheidung gelingen kann, muss das „Ziel“ der Entscheidung klar sein. Wenn sich heute ein junger Mann aufmacht, um Priester zu werden, darf er von der Kirche verlangen, dass sie klar kommuniziert, was ein Priester ist und auf welche Lebensform er sich verpflichten soll. Darüber hinaus bedarf der Kandidat einer Ausbildung, die zunächst auf den Aspekt der Persönlichkeitsbildung, dann auf die Reifung im christlichen Glauben und als drittes auf die spezifische Frage der Eignung für das priesterliche Amt eingeht. Der Kandidat muss im Rahmen dieses Prozesses für sich klären, ob das Priesteramt in einer Diözese oder im Orden der sinnvolle und angemessene Weg für ihn ist.
• Sinnvoll: Hier steht das sehr Persönliche des Kandidaten im Vordergrund; seine Biographie, seine Gottesbeziehung, seine Prägung, seine Wünsche und Sehnsüchte. Dazu wird dem Kandidaten ein Spiritual im Forum internum (= innerer Bereich, in dem es Schweigepflicht gibt) zur Verfügung gestellt, der mit ihm diese Themen immer wieder ins Wort bringt und dem Kandidaten somit hilft diese Themen greifbar zu machen. Kommt der Kandidat zu der Überzeugung, dass es zu seinem Glauben, seinem Leben und seiner Prägung passt, Priester zu werden, kann er davon ausgehen, dass ein positiver Ruf Gottes vorliegt.
• Angemessen: Dieses Kriterium zielt mehr auf die theologische Einsicht. Der Kandidat benötigt auch ein theologisches Verständnis des kirchlichen Amtes, das aus Christologie, Pneumatologie, Ekklesiologie und Sakramentenlehre erwächst. Da er ein kirchliches Amt zu übernehmen wünscht, ist nicht er der Maßstab des Amtes. Er muss nicht nur wissen, was die kirchliche Lehre und Praxis ist, es bedarf auch einer theologischen Zustimmung des Kandidaten, um nicht in ständigem Widerstreit zwischen persönlichen und amtlichen Vorgaben zu leben.
Dieser Entscheidung geht ein Prozess voraus, der bei der Priesterausbildung auf mehrere Jahre angelegt ist. Diese Zeit muss sich der Kandidat auch selbst nehmen, um zu erfahren, ob dies sein Weg ist. Auch die Veränderung der äußeren Umstände (Freijahr) kann eine große Hilfe sein, um zu sehen, ob eine Berufung vorliegt.
Quelle und bleibender Grund dieses ganzen Unterscheidungsprozesses ist ein lebendiges geistliches Leben, das sich aus dem persönlichen Gebet, dem Stundengebet und der Feier der Sakramente – besonders der Eucharistie – speist.
2) Geistliche Begleitung
Für die geistliche Begleitung gibt es zwei strukturelle Vorgaben. Der Spiritual des Priesterseminars begleitet den Kandidaten im Forum internum und ist gleichzeitig als Dozent für Spiritualität tätig. Daneben kann sich jeder Seminarist einen eigenen geistlichen Begleiter wählen. Dies muss nicht zwingend ein Priester sein. Für das Gelingen dieser geistlichen Begleitung gibt es einige fundamentale Voraussetzungen.
• Die geistlichen Begleiter brauchen Erfahrung und bestenfalls auch eine eigene Ausbildung und regelmäßigen Austausch mit anderen geistlichen Begleitern.
• Da sie mit den Kandidaten im sehr persönlichen Bereich arbeiten, ist eine regelmäßige Supervision angeraten.
• Der Begleiter soll nicht nur nette Gespräche mit dem Kandidaten führen, sondern braucht fundamentale Kenntnisse im Bereich der geistlichen Begleitung.
• Geistliche Begleitung lebt von der Regelmäßigkeit. Sie darf nicht nur wahrgenommen werden, wenn einem gerade danach ist und sie ist auch kein Instrument zur reinen Krisenbewältigung.
• Die regelmäßige Versprachlichung der eigenen Gedanken, der eigenen Fragen und auch Unsicherheiten hilft den Kandidaten zu einer größeren Gewissheit für ihre Berufungsentscheidung zu gelangen.
• Die geistliche Begleitung gehört zum Forum internum. Der Kandidat kann sich hier ganz öffnen und der Begleiter ist zu Stillschweigen verpflichtet. Dies schafft den Vertrauensraum, um die ganz persönlichen Dinge ins Wort fassen zu können. An dieser Stelle findet keine Bewertung durch die Kirche statt, auch werden Erkenntnisse aus dem Forum internum nicht an die Ausbildungsverantwortlichen weitergereicht.
3) Entscheidung der Kirche
Die Entscheidung zur Weihezulassung liegt beim Diözesanbischof. Er wird in der Regel einen Regens für diese Aufgabe berufen. Im Folgenden sollen nur einige fundamentale Aspekte für diesen Dienst und die Entscheidung der Kirche genannt werden.
• Vier-Augen-Prinzip: Der Regens muss von einem Subregens o. Ä. unterstützt werden. Das verhindert persönliche Einseitigkeit soweit es möglich ist.
• Kenntnis des Kandidaten: Der Regens muss den Kandidaten regelmäßig erleben und kennen, um zu einem Urteil zu gelangen.
• Regelmäßige Gespräche: Es müssen Themen der Entwicklung, die Frage der Berufung und der Ausbildung regelmäßig besprochen werden, um auch dem Kandidaten Klarheit auf seinem Weg zu geben und die Erwartungen der Kirche klar zu kommunizieren.
• Praktika/weitere Meinungen: In verschiedenen Praktika werden die Kandidaten eingesetzt. Der Regens holt sich von den verschiedenen Anleitern und Anleiterinnen Rückmeldung über den Kandidaten und versucht so ein möglichst klares Bild zu gewinnen.
• Zölibat: Das Thema ist nicht nur für das Forum internum bestimmt, sondern muss unter theologischen und psychologischen Gesichtspunkten auch vom Forum externum (= öffentlicher Bereich) gesetzt werden. Sprachfähigkeit bei der Berufung richtet sich nicht nur auf das Forum internum (Differenzierte Sichtbarkeit).
• Ausbildungskanon: Der Regens braucht ein Ausbildungsprogramm, das die drei Bereiche – menschliche, christliche, priesterliche – Reife abdeckt.
• Psychologie: Eine psychologische Beratung kann bei Bedarf erfolgen und soll von der Kirche gewährleistet werden. Eine psychotherapeutische Begleitung eines Kandidaten als allgemeine Vorgabe ist sinnlos, da jede Therapie einer Diagnose bedarf. Diese kann jedoch wissenschaftlich nicht als „Allgemein-Diagnose“ gegeben werden.
• Bewertung von Ausbildungswilligkeit und -fähigkeit
• Zeit: Eine solches Urteil zu einer Bewertung braucht eine gute Kenntnis des Kandidaten über einen längeren Zeitraum
• Gebet: Auch die Verantwortlichen müssen ihren Dienst als geistliche Aufgabe begreifen, da sie versuchen zu erkennen, ob Christus jemanden zum Priesteramt beruft. Daher müssen alle Verantwortlichen in der Priesterausbildung über eine lebendige Gottesbeziehung verfügen.
Müssen wir nicht den Klerikalismus eindämmen?
Behauptung
„Der Klerikalismus startet historisch in der Spätantike als kirchlicher Herrschaftsanspruch über die Gesellschaft, wurde mit der Konfessionalisierung und Verkirchlichung des Christentums in der Neuzeit zu einem Führungsanspruch über das Leben der Laien, und wird heute, nach dem Ende kirchlicher Sanktionsmacht, wo es nichts mehr zu beherrschen gibt, zu einer mehr oder weniger fatalen Identitätstechnik von Priestern.“ (Der Pastoraltheologe Rainer Bucher)
Erwiderung
Nicht nur in der Spätantike, auch im Mittelalter und in der frühen Neuzeit entstammte der Klerus der Schicht der Gebildeten. Die Kirche und vor allem die Klöster nahmen viele Aufgaben in der Entwicklung der Gesellschaft und der Kultur wahr. In jedem Dienst von Menschen an Menschen gibt es jedoch die Versuchung, dass der Dienende zum Herrscher wird. Die Unterscheidung von Gott und Kaiser, schon von den Propheten verkündet und von Jesus angemahnt, ist aber lebendig geblieben. Sie ist biblisch begründet. Ein Herrschaftsanspruch der Kirche über die Gesellschaft gehört nicht zur DNA der Kirche. Sie hat das Evangelium zu verkünden und in der Gesellschaft zu bezeugen, dabei aber immer auch für die Freiheit der Verkündigung einzutreten. Die Identität des Priesters ist das Sakrament der Priesterweihe, das ihn in den Dienst Christi nimmt, um zu geben und zu tun, was er aus sich heraus nicht geben oder tun könnte. Seine Aufgabe, die Gemeinde der Gläubigen zu leiten, stammt nicht aus Eigenem oder aus einem Vertrag mit der Gemeinde, sondern ist sakramentale Teilhabe an der Vollmacht Christi.
Der Begriff „Klerikalismus“ hat eine doppelte Bedeutung. Im Hinblick auf die Gesellschaft und die Kultur wird unter „Klerikalismus“ ein System verstanden, in dem Klerikern eine dominante Rolle zukommt.
Im Hinblick auf das Leben innerhalb der Kirche wird unter „Klerikalismus“ ein Umgangsstil verstanden, in dem der Klerus die Laien bevormundet; und auf der anderen Seite Laien den Priester auf ein unangemessenes Podest erheben und unkritische Fügsamkeit oder Passivität an den Tag legen.
In der ersten Bedeutung des Begriffs wird der Kirche vorgehalten, die Religion zu politischen Zwecken zu missbrauchen. Diese Form von „Klerikalismus“ ist nicht auf den christlichen Kulturkreis beschränkt. Sie ist vor allem in islamischen Ländern verbreitet. So sind in der islamischen Republik Iran Parlament und Regierung einem muslimisch-geistlichen Wächterrat unterstellt, der alle Parlamentsbeschlüsse auf ihre Übereinstimmung mit dem Islam überprüft und bei der Auswahl der Kandidaten für politische Ämter das letzte Wort hat.
Zum christlichen Kulturkreis gehört dagegen die Trennung von Religion und Politik, auch wenn es immer wieder Verstöße gegen diese Trennung gab. Die Verstöße konnten von Seiten der Politik wie auch von Seiten der Kirche kommen, sei es, dass weltliche Herrscher die Bischöfe ernennen wollten, sei es, dass Päpste, wie Bonifatius VIII. mit seiner Bulle „Unam Sanctam“ 1302, den Anspruch erhoben, weltliche Herrscher absetzen zu können. Das Kirchenrecht verbietet Klerikern, Abgeordnetenmandate oder andere politische Ämter anzunehmen. Seltene Ausnahmen in politischen Umbrüchen müssen vom Papst genehmigt werden. Die Erinnerung an naturrechtliche Normen für die Verfassungsordnung eines Staates ist dagegen kein Klerikalismus, sondern Teil des kirchlichen Verkündigungsauftrages. Politiker, die die Religion aus dem öffentlichen Leben verdrängen und in den Raum des Privaten einschließen wollen, sind dann oft mit dem Klerikalismus-Vorwurf zur Hand.
In der zweiten Bedeutung des Begriffs, dem „Klerikalismus“ nach innen, wird dem die Laien bevormundenden Klerus entgegengehalten, dass er keine Sonderstellung beanspruchen darf, dass vielmehr alle Gläubigen durch Taufe und Firmung an den Diensten Christi, dem Dienst des Lehrens, des Heiligens und des Leitens teilhaben. Das II. Vatikanische Konzil hat diesen Auftrag für alle Christen in der dogmatischen Konstitution über die Kirche „Lumen Gentium“ (Ziffern 30 bis 38) und im Dekret über das Laienapostolat „Apostolicam actuositatem“ unterstrichen. In der Leitung der Kirche ist diese Teilhabe oft institutionalisiert in Beratungsgremien wie Pfarrgemeinderäten oder Diözesanräten. Sie haben jedoch nichts zu tun mit einer „Gewalten- oder Machtteilung“ innerhalb der Kirche, auch nichts mit dem eigenverantwortlichen Weltdienst der Laien, sondern wollen dazu beitragen, dass die Laien in der Pastoral Kleriker beraten und somit nicht nur Objekte, sondern Subjekte sind. In der Regel praktizieren Priester und Laien in diesen Räten einen Umgang „auf Augenhöhe“ miteinander.
Der Umgang von Laien und Priestern miteinander auf Augenhöhe, wie er auch in vielen geistlichen Gemeinschaften des 20. und 21. Jahrhunderts zu beobachten ist, bedeutet aber nicht, dass die Gemeinde keinen Priester braucht, der sich durch das Sakrament der Priesterweihe ganz in den Dienst Christi nehmen lässt, um zu geben und zu tun, was er aus sich heraus nicht geben oder tun könnte. Auf der Priesterweihe beruht seine Vollmacht, die Gemeinde zu leiten. Das II. Vatikanische Konzil unterstrich, „dass es in der Kirche keine Leitungsvollmacht geben kann, die nicht auf der Weihevollmacht aufruht“ (Christoph Ohly).
Fehlformen im Umgang von Priestern und Laien miteinander kann es geben, wenn die Priester den mit der Weihe erteilten Auftrag als Herrschaftsauftrag missverstehen oder wenn sie ihren Auftrag vergessen, sich nur noch als geistliche Begleiter der Gemeinde verstehen und sich nicht nur in der Kleidung, sondern auch im Lebensstil den Laien anpassen. Fehlformen kann es aber auch von Seiten der Laien geben, wenn sie für ihre Entscheidungen in der Wahrnehmung ihres Weltauftrages eine klerikale Billigung verlangen, in kontroversen Debatten mit anderen Laien die Priester drängen, für ihre Position Partei zu ergreifen oder selbst den Altarraum erobern und wie Kleriker agieren wollen. „Es ist entscheidend, sich daran zu erinnern, dass das Volk Gottes darauf hofft, Hirten nach dem Vorbild Jesu zu finden – und nicht Kleriker mit Standesdünkel…Hirten, die mitfühlen können und Chancen erkennen; mutige Menschen, die fähig sind, bei den Verwundeten stehenzubleiben und ihnen die Hand zu reichen; kontemplative Menschen, die in ihrer Nähe zu den Menschen angesichts der Wunden in dieser Welt die Kraft der Auferstehung verkünden“. Der Priester verfehlt den mit der Weihe verbundenen Auftrag, wenn er vergisst, „dass das priesterliche Leben den anderen geschuldet ist – dem Herrn und den von ihm anvertrauten Menschen. Dieses Vergessen ist die Wurzel des Klerikalismus“ (Papst Franziskus, „Freude und Hoffnung in der pastoralen Sendung“, Ansprache beim Symposion „Auf dem Weg zu einer grundlegenden Theologie des Priestertums“ am 17.2.2022, in: Osservatore Romano, deutsch, vom 25.2.2022, S.10).
Weltdistanz und weltfremd? – Müssen Geweihte total weltabgewandt sein?
These
Die Lebensform der Geweihten und des priesterlichen Volkes Gottes steht nicht nur in Spannung zur säkularen Kultur, sondern auch in einem existenziellen Spannungsfeld – nämlich in der Spannung zwischen individuellem Vermögen und persönlichen Defiziten. Eine adäquate Lebensform zu finden, ist eine lebenslange Aufgabe aller Christen, die niemals als endgültig und perfekt gelöst betrachtet werden darf. Vielmehr ist das gerade der menschliche und geistliche „Kampf“, den Paulus schon kennt. In diesen Kampf zu gehen – in alltäglichem Bemühen – ist notwendig und segensreich für das ganze Volk Gottes.
Erläuterung
Da der Dienst des Geweihten und der des priesterlichen Volkes eine unterschiedliche Ausprägung haben, wird ihr Leben sicherlich eine unterschiedliche Gestalt haben. Der Dienst des gesamten priesterlichen Volkes – den wir als Teilhabe am Allgemeinen Priestertum bezeichnen – ist ein Dienst an der säkularen Welt, in den endlosen Manifestationen von Kultur, Wirtschaft und Politik. Hier „Reich Gottes“ zu implantieren, ist eine einzigartige kreative Herausforderung für den Weltchristen. Es wäre absurd, würde er den Dienst in einem Leben ausüben, das allem Weltlichen entrückt ist. Der Weltchrist zeichnet sich durch Kenntnis der säkularen Welt aus, und er sucht den Kontakt zu ihr. Dennoch wäre der christliche Dienst des Getauften an der Welt zum Scheitern verurteilt, würde sein Leben 1:1 in der säkularen Kultur aufgehen. Auch der Weltchrist braucht eine heilsame Distanz zu dem, was alle tun, weil es alle tun.
Dagegen ist der Geweihte zuerst zum Dienst am Volk Gottes und dessen Teilhabe am Allgemeinem Priestertum verpflichtet und nur mittelbar zum Dienst an der säkularen Welt. Sein Dienst richtet sich daher vor allem darauf, dass die Getauften im Dienst an der Welt nicht selbst vollkommen verweltlicht werden und sich dem gerade aktuellen common sense der Gesellschaft anpassen, sondern ihre heilsame Distanz bewahren und sich um Heiligkeit bemühen. Deshalb liegt es in der Natur des Dienstes des Geweihten, dass seine Lebensform eine größere Distanz zur säkularen Welt hat als die Lebensform der Getauften.
Dieses Zusammenspiel von Nähe und Distanz kennen wir aus verschiedenen Bereichen: Ein Arzt, der keine Nähe zum Patienten sucht, kann ihn nicht diagnostizieren; wenn er aber die Distanz zum Patienten verliert, vermag er ihn nicht mehr zu therapieren. Ein Lehrer, der über die Köpfe der Schüler hinweg doziert, erreicht sie nicht mehr; betrachtet er sich dagegen als ein Schüler unter anderen, hat er nichts mehr zu sagen. Ein Politiker, der nichts von den Bedürfnissen der Bürger weiß, wird nicht gewählt; ein Politiker, der seine Politik nur an den Umfragewerten ausrichtet, verliert das Wohl der Bürger aus den Augen.
Sollten Priester nicht besser demokratisch gewählt werden?
Behauptung
„Da müsste man schauen: Wer ist denn da im Umfeld einer Gemeinde, der das kann? Und dann müsste man sich ein Verfahren überlegen, einen Findungsausschuss einsetzen, der Personen sucht und anspricht. Vielleicht eine demokratische Form, etwa im Pfarrgemeinderat oder wo auch immer, wo dann über diese Vorschläge auch abgestimmt wird. Das wäre sicher notwendig. Ja, das wäre auch ein Stück Demokratisierung der Kirche.“ (Thomas Ruster, Theologe)
Erwiderung
Auch wenn eine stärkere Beteiligung des Gottesvolkes bei der Auswahl und Prüfung von Priesterberufungen im Prinzip eine gute und richtige Idee ist, kann doch allein eine Ortsgemeinde ohne den Bischof, Priester weder berufen noch weihen noch einsetzen.
In der Kirchengeschichte hat es verschiedene Formen zur Auswahl und Ausbildung der Kandidaten für das geistliche Amt gegeben. Der sensus fidelium, der Glaubenssinn der Gläubigen hat dabei immer eine Rolle gespielt. Die Berufungsgeschichten der Heiligen Martin und Ambrosius zeigen zum Beispiel die Wichtigkeit der Stimme des Volkes und auch heute werden das Volk und die Verantwortlichen vor der Priesterweihe zum Kandidaten befragt, wenn auch nicht in ausreichender Weise.
Die Auswahl der Kandidaten für das geistliche Amt kann nicht allein bei den Gemeinden liegen. Schon rein praktisch muss gesagt sein, dass die Auswahl, Ausbildung und Überprüfung der geistlich-menschlichen Reifung der Kandidaten ein Prozess ist, mit dem sogar viele Diözesen überfordert sind. Grundsätzlich überlegt: Ein Amt, das vollständig auf der Gemeindeebene angesiedelt ist, wäre auch auf die Gemeinde beschränkt. Die Einheit der Gemeinden untereinander, mit dem Bischof und der Universalkirche, könnte durch dieses Amt nicht mehr gewährleistet werden. Das ist deutlich bei kirchlichen Gemeinschaften insbesondere im evangelikalen Spektrum zu sehen, die eine solche Praxis kennen und sehr häufig von Splitterung zu Splitterung gehen, wobei sich die, die weggehen, einen neuen Pastor wählen.
Dass hingegen Gemeinden aktiv Berufungspastoral betreiben und junge Männer aus ihrem Umfeld ansprechen und ermutigen, eine Berufung zum Priestertum mit der Kirche zu prüfen, wäre wirklich notwendig. Gleichzeitig wäre eine Reform der Priesterausbildung wünschenswert, die Rückmeldungen der Gemeinden stärker wahr- und ernstnimmt. Berufung ist ein Gnadengeschehen. Es entwickelt sich, wo geglaubt, gehofft und geliebt wird. Das neutestamentliche Apostelamt und Priestertum erschließt sich nur von Christus, von seiner Sendung und seinem Erlösungswillen her. „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (Joh 20,21). „Leben und Dienst des Priesters sind Weiterführung des Lebens und Tuns Christi selbst“ (Johannes Paul II., Pastores dabo vobis, 18).
Eine Demokratisierung der Kirche, oder wie hier angesprochen der Gemeindeleitung, ist nicht mit der recht verstandenen Synodalität der Kirche zu vereinbaren. Die kreative Spannung zwischen dem Glaubensinn der Gläubigen, der gemeinsamen Unterscheidung und der Autorität des geistlichen Amtes der Leitung und der Einheit, ist für die Synodalität wesentlich und darf nicht in eine demokratische Struktur aufgelöst werden. Denn obwohl Demokratie als Staatsform unübertroffen ist, kann die Kirche selbst niemals demokratisch organisiert sein, denn in ihr geht nicht alle Gewalt vom Volke aus. Sie wird nicht durch das Volk und für das Volk regiert, sondern von Gott für die Erfüllung des Gottesreiches.
Der Ruf nach Teilhabe der Gläubigen in der Leitung der Kirche auf den verschiedenen Ebenen muss synodal verstanden werden. Ein immer wieder zitiertes Modell für die Einbeziehung aller Gläubigen in die Gemeindeleitung ist das der Equipen aus dem Erzbistum Poitiers in Frankreich. Entstanden aus dem Bedürfnis nach Evangelisierung und nicht aus einem demokratischen Machtdiskurs, entspricht es in seiner Ausgewogenheit der Synodalität der Kirche. Der Priester wird nicht von der Gemeinde gerufen oder eingesetzt, dies obliegt dem Bischof, die Basisgemeinde wählt auf Zeit eine Doppelspitze für Pastoral und Ökonomie, diese ruft Verantwortliche für Evangelisierung, Gebet und Caritas in den Dienst. Ein Priester begleitet dann mehrere dieser Equipen und übt so sein Amt des Leitens, Lehren und Heiligens aus.
Männerzone – „Priesterliche Lebensform“ nur für Männer oder auch für Frauen?
These
Die ‚priesterliche Lebensform‘ betrifft unterschiedslos Männer wie Frauen; denn erstens ist diese Lebensform an den evangelischen Räten ausgerichtet und zweitens sind alle Getauften zur Teilnahme am Allgemeinen Priestertum berufen. Beim Weihepriestertum, zu dem Christus nur Männer beruft, handelt es sich aber nicht um eine besondere Lebensform, sondern um den Auftrag zu einem besonderen Dienst, mit dem die ehelose Lebensform Christi verbunden ist.
Erläuterung
Eine „Lebensform“ ist die frei gewählte Form, die ein Mensch seinem Leben gibt, die Art und Weise, wie er sein Leben gestaltet. Das entscheidet sich etwa an den Zielen, an denen er sich orientiert oder an den Aufgaben, die er sich setzt. In dieser Hinsicht darf es keine Vorgaben geben, die Unterschiede zwischen Männern und Frauen machen. Ein Leben nach den evangelischen Räten (Gehorsam, Armut und Ehelosigkeit) steht allen Gliedern der Kirche gleichermaßen offen – ja, es wird ihnen empfohlen. Genauso kann der hingebungsvolle Dienst an der Gemeinde die Form meines Lebens sein.
Wenn in diesem Zusammenhang allerdings das ‚Priestertum der Frau‘ genannt wird – und wenn es auch nur in Klammern geschieht -, so stellt das einen Kategorienfehler dar. Dann ist nämlich nicht mehr von der „Lebensform“ die Rede, sondern von einem „Amt“ – dem Priesteramt. Darunter versteht man primär einen Dienst, der sich gerade nicht aus selbstgewählten Zielen, Aufgaben oder Lebensweisen herleitet. Der Priester ist Priester kraft Berufung und sakramentaler Befähigung. Diesem Amt muss auch eine bestimmte Form des Lebens entsprechen. Aber: Der Kittel macht nicht den Arzt, und die priesterliche Lebensform macht nicht den Priester. Priester wird man im Sakrament der Priesterweihe.
Männerzone – Entscheidet wirklich ein Y-Chromosom, wer Priester sein darf?
Frage
„Kann man zum Beispiel an einem Y-Chromosom den Zugang zum Priesteramt festmachen, indem man das mit dem Willen Jesu begründet?“ (Bischof Franz-Josef Overbeck)
Erwiderung
Wenn Bischof Overbeck das Mann- und Frausein lediglich auf das Vorhandensein (oder Fehlen) von Genmaterial reduziert, erscheint eine Zuordnung von männlichen und weiblichen Identitäten immer absurd. Tatsächlich ist aber diese Reduktion des Menschen auf eine /genetische Manifestation/ absurd: Der Mensch ist auch als Mann und Frau viel mehr als nur seine Erbsubstanz.
Tatsächlich ist der Mensch als Mann und Frau mehr als die Summe seiner Gene. Selbst die Genetik erkennt, dass zur Ausprägung der Geschlechter nicht nur das X- und Y-Chromosom, sondern ein komplexes Zusammenspiel zahlreicher weiterer Faktoren nötig ist (s. „Adams Apfel und Evas Erbe“ von Prof. Dr. Axel Meyer). Die geschlechtliche Ausprägung wirkt sich nicht nur auf körperliche, sondern darüber hinaus auch auf charakterliche, geistige und soziale Dimensionen der Person aus. Dabei gibt es nicht etwa exklusiv weibliche und männliche Eigenschaften, sondern die Eigenschaften und die Ausstattung einer Person erhält durch das Geschlecht eine jeweils andere Ausrichtung – besonders deutlich im Beziehungsgeschehen zwischen den Geschlechtern.
Da die sakramentale Übertragung des Weihepriestertums keine neuen personalen Eigenschaften verleiht, sondern die vorhandene Ausgestaltung der Person in das Beziehungsgeschehen zwischen Gott und Mensch hineinnimmt, ist gerade die Geschlechtlichkeit erster Anknüpfungspunkt für die Weihevollmacht. Der Priester vermittelt kraft des Priestertums Jesu Christi in dem Beziehungsgeschehen zwischen Gott und Mensch – in beide Richtungen. Er befähigt die Getauften zur Teilhabe am Allgemeinen Priestertum, das selbst wieder der Vermittlung dient: Verwirklichung von Beziehungen und Beziehungsgeschehen in der Heiligung der Welt.
Jesus wird sich kaum in seiner Predigt auf das Vorhandensein bestimmter Chromosomen bezogen haben, aber sehr wohl auf das Mann- und Frausein der Menschen (Mt 19,4f; Lk 16,18; Mk 10,2.6; auch: 1 Kor 7,3; 1 Kor 11,3ff; Eph 5,23). Dies wird besonders deutlich, wenn Jesus in Fortsetzung der jüdischen Traditionen vom Gottesbund als Ehebund spricht und sich selbst mit dem Bräutigam identifiziert, der seine Braut heiligen, heimführen, ehelichen und im himmlischen Hochzeitsmahl feiern will. Jesus hat also sehr wohl die Geschlechtlichkeit im Blick gehabt; sowohl seine eigene, die der Apostel und der zum sakramentalem Dienst Berufenen. Denn gerade weil die Erlösung in der Gottesbeziehung wirklich wird, hat die Geschlechtlichkeit der Menschen heilsgeschichtliche Bedeutung.
Männerzone – Frauen können doch genauso in persona christi handeln!
Behauptung
„Getauften Frauen aufgrund ihres biologischen Geschlechts a priori absprechen zu wollen, ‚in persona Christi’ handeln zu können und zu dürfen, ist mit der Tauftradition, die der Apostel Paulus in Gal 3,27f zitiert, unvereinbar.“ (Marlies Gielen, Theologin)
Erwiderung
Kein Mensch kann ‚in persona Christi’ handeln, wenn er nicht dazu berufen und geweiht wird. Es gibt kein Recht auf Weihe, das zuerkannt oder abgesprochen werden kann, sondern sie wird aufgrund einer bestätigten Berufung Gottes vorgenommen. Gott beruft frei nach seinem Willen. Aber ‚im Namen Christi‘ soll jeder Christ handeln: „Wer ein solches Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf; und wer mich aufnimmt, der nimmt nicht nur mich auf, sondern auch den, der mich gesandt hat.“ (Mk 9,37) Die Tauftheologie des Galaterbriefs als Legitimationsversuch für die Frauenweihe heranzuziehen, zeigt, dass „Allgemeines“ und „Besonderes Priestertum“ verwechselt werden.
Zunächst einmal ist der Begriff „biologisches Geschlecht“ abzuweisen, da er über das Biologische hinaus die Existenz weiterer bloß sozialer Geschlechter suggeriert. Die Rede vom Geschlecht als (u.U. wählbarem) sozialem Konstrukt („Gender“) ist Inhalt von Gender-Theorien, die als Ideologien verstanden werden können, zumal sie der christlichen Anthropologie widersprechen.
Dass Frauen nicht „in persona Christi“ handeln können, ist nicht in erster Linie auf ihr Geschlecht zurückzuführen, sondern darauf, dass sie nicht geweiht sind. Auch die Mehrheit der Männer kann nicht „in persona Christi“ handeln, weil sie nicht geweiht werden. Zudem ist der Legitimationsversuch mithilfe des Galaterbriefs fehl am Platz. Gal 3,27f. steht im Kontext einer Tauftheologie, die vom Handeln „in persona Christi“ des Geweihten deutlich zu unterscheiden ist. Vielmehr geht es dort darum, dass alle Getauften in einen (mystischen) Leib hineingeboren sind und eine Einheit bilden.
Es gibt im Gottesvolk deshalb nicht mehr die gesellschaftlichen Privilegien der Männer vor den Frauen, der Juden vor den Heiden. Alle sind in ihrer Würde und Berufung als Getaufte gleich. Alle sind Glieder des einen Leibes geworden, ohne ihre eigene Identität aufzugeben. Das ist etwas Bahnbrechendes, aber auch ein Problem gerade für die radikalen Judenchristen, mit denen sich Paulus im Kontext des Briefes auseinandersetzt. Sie meinen, als Judenchristen einen soteriologischen Vorteil gegenüber den Heidenchristen zu haben.
Ausgehend von dieser Tauftheologie lässt sich keine Legitimation zum Weihepriestertum ableiten, das ein ganz anderes Sakrament zum Gegenstand hat. Zwischen dem Taufpriestertum und dem Weihepriestertum besteht ein wesenhafter Unterschied, wie schon das 2. Vaticanum herausgestellt hat (LG 10): „Der Amtspriester nämlich bildet kraft seiner heiligen Gewalt (potestate sacra), die er innehat, das priesterliche Volk heran und leitet es; er vollzieht in der Person Christi das eucharistische Opfer und bringt es im Namen des ganzen Volkes Gott dar; die Gläubigen hingegen wirken kraft ihres königlichen Priestertums an der eucharistischen Darbringung mit (17) und üben ihr Priestertum aus im Empfang der Sakramente, im Gebet, in der Danksagung, im Zeugnis eines heiligen Lebens, durch Selbstverleugnung und tätige Liebe.“
Sie sind einander zugeordnet, können jedoch nicht gleichgesetzt werden. Dies zeigt sich auch in der terminologischen Unterscheidung: Als Getaufte sind wir zu einem königlichen Priestertum neugeboren, was im Griechischen durch den Begriff hierateuma ausgedrückt wird. Das Weihepriestertum vermeidet dieses Begriffsfeld, das auch im jüdischen und paganen Kultbereich geläufig ist. Stattdessen werden die geweihten Priester presbyteroi genannt, um herauszustellen: Sie üben ihr Priestertum nicht aus sich selbst heraus aus, sondern in persona Christi. Das heißt, dass Christus das Subjekt priesterlichen Handelns ist. Er ist der eine wahre Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks (Hebr 7,17; Ps 110,4).
Es muss auch klargestellt werden: Es ist nicht menschliche Willkür, ungeeigneten Weihekandidaten ein Recht auf Priesterweihe abzusprechen. Es gibt kein solches Recht. Die Berufung zum Priestertum ist ein Geschenk, das Gott frei nach seinem Willen verleiht. Die Kirche handelt nicht aus sich; sie kann nur prüfen, ob eine Berufung authentisch ist oder nicht.
Die Berufung zum Priestertum kann also weder von Männern noch Frauen einfach eingefordert werden. Wer geweiht werden darf und wer nicht, entscheidet nicht der Mensch, sondern Christus, der im Abendmahlssaal das Weihesakrament zusammen mit dem Sakrament der Eucharistie gestiftet hat. Dort versammelt er ausnahmsweise nur den Zwölferkreis, obwohl er sonst immer wieder die Frauen einbezieht, vor allem seine Mutter.
Männerzone – Können nicht auch Frauen und insgesamt Laien predigen?
Behauptung
„Es ist… niemandem zu vermitteln, dass die Kirche Lai*innen – darunter Frauen wie Teresa von Ávila und Katharina von Siena – in den Rang von Kirchenlehrer*innen erhebt, diese Personen aber nach geltendem Recht keine Homilie halten dürften.“ (Monika Altenbeck, kfd-Bundesverband e.V., Mai 2020)
Erwiderung
Der Rückgang des kirchlichen Lebens hat dazu geführt, dass die kirchlichen Vollzüge fast nur noch auf den Kirchenraum beschränkt wurden. Innerhalb der heiligen Messe ist die Predigt dem Priester vorbehalten – aber die viel wichtigere Predigt auf den Straßen, Plätzen, auf der Arbeit und in der Schule, in der Familie und den Medien obliegt zuallererst den Laien.
Es ist ein Grundfehler, die Pflichten des Priesters in der Feier der Eucharistie und der Spendung der Sakramente deshalb als Beschneidung der Rechte der Laien zu deuten, weil man die eigene Berufung der Laien außerhalb der Eucharistiefeier aus dem Blick verloren hat. Deshalb – und weil zu Zeiten von Theresa von Avila und Katharina von Siena das kirchliche Leben noch sehr viel reicher und die Berufung der Laien präsenter war – haben diese beiden großen Heiligen die Predigtpflicht des Priesters in der Eucharistie nicht kritisiert; ihrer Ernennung zu Kirchenlehrerinnen hat das keinen Abbruch getan.
Christus ist „gegenwärtig im Opfer der Messe sowohl in der Person dessen, der den priesterlichen Dienst vollzieht – denn ‚derselbe bringt das Opfer jetzt dar durch den Dienst der Priester, der sich einst am Kreuz selbst dargebracht hat‘“ (SC, Zweites Vatikanisches Konzil). Der Priester steht in der Messe aber auch für Christus den Lehrer vor der Gemeinde, der „selbst spricht, wenn die heiligen Schriften in der Kirche gelesen werden.“ (ebd.) Deshalb soll auch die Auslegung des Evangeliums und die Darlegung des Glaubens in der Messe beim Priester liegen. In der Eucharistiefeier findet sich das gläubige Volk in die Rolle der Hörenden ein, während der Priester seinen Dienst als lehrender Christus versieht. Außerhalb der Eucharistiefeier sind nun die Getauften berufen, ihre Christusförmigkeit darin zu verwirklichen, indem sie selbst zu Lehrern füreinander (in den Familien, im Alltag und für die Welt) werden.
Nun besteht das Argument, das Monika Altenbeck vorgebracht hat, darin, dass diese Wirklichkeit ‚niemanden zu vermitteln‘ sei. Meine Erfahrung dagegen ist, dass die soeben vorgebrachte Erläuterung sehr wohl verstanden und akzeptiert wird; ein mangelndes Verständnis scheint also weniger durch die Unmöglichkeit der Vermittlung, sondern eher am mangelnden Willen zur Vermittlung auszubleiben.
Männerzone – Wäre es für die Ökumene hilfreich, wenn wir auch Priesterinnen hätten?
Behauptung
„Wenn wir die ökumenische Einheit suchen, müssen wir uns daran orientieren, dass in der evangelischen Kirche Frauen Pastorinnen und Bischöfinnen werden können.“ (Synodaler Weg)
Erwiderung
In der Tat ist die Öffnung des Weiheamtes für die Frauen in vielen (nicht allen!) evangelischen Kirchen – „die“ evangelische Kirche gibt es nicht – eines der größten Hindernisse für die Ökumene. Dennoch darf echte Ökumene nicht danach streben, noch bestehende Hindernisse durch Kompromisse auf der Basis von heute gesellschaftlich plausiblen Maßstäben aus dem Weg zu räumen, sondern muss die Einheit im Willen Christi für seine Kirche suchen.
Seit den 1950er Jahren wurden in den landeskirchlich organisierten lutherischen und reformierten Kirchen die Ordination von Frauen ins Pfarr- und Bischofsamt eingeführt. Es gibt allerdings nach wie vor streng bekenntnisgebundene Zusammenschlüsse von Reformationskirchen, z.B. die Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche (SELK), und evangelikale Kirchen, z.B. der Bund Evangelisch-freikirchlicher Gemeinden (FeG), die diesen Schritt nicht vollzogen haben. Die Frauenordination ist in den evangelischen Kirchen selbst ein Grund der Spaltung.
Wenn heute die Frauenordination gerade in Deutschland als Selbstverständlichkeit in den evangelischen Landeskirchen dargestellt wird, muss darauf hingewiesen werden, dass Martin Luther sie klar abgelehnt hat. (Vgl. Martin Luther, Von den Konziliis und Kirchen [1539], WA 50, 633) Dafür werden heute oft zeitgeschichtliche Gründe angeführt: Auch sonst hätten Frauen zur Zeit Luthers in Gesellschaft und Politik nichts Wesentliches zu sagen gehabt.
Luther selbst argumentierte allerdings biblisch und schöpfungstheologisch. (Vgl. Sven Grosse, Ich glaube an die eine Kirche, Paderborn 2015, 156-159.) Er verknüpft die Schöpfungs- mit der Erlösungsordnung. In der Schöpfungsordnung ist die Frau dem Mann als „Hilfe“ zugeordnet, die ihm „ebenbürtig“ ist (vgl. Gen 2,18-23). Hier wird sowohl die gleiche Würde wie auch eine Unterschiedlichkeit in der mit dem Geschlecht einhergehenden Berufung angedeutet. Die Erlösungsordnung baut darauf auf und verortet die Mann-Frau-Beziehung in der Analogie Christi mit der Kirche (vgl. Eph 5,22-33; 1 Kor 11,3). Es gibt eine gegenseitige Unterordnung in der Liebe, gleichzeitig ist der Mann „das Haupt der Frau wie auch Christus das Haupt der Kirche ist“ (Eph 5,21) – also auch hier eine Unterschiedlichkeit in der Gleichheit der Liebeshingabe.
Im kirchlichen Amt, in dem Christus sich durch Menschen vertreten lässt, um sein Amt als König, Priester und Prophet für die Kirche wahrzunehmen, sind beide Ordnungen real miteinander verknüpft. Christi „Haupt“-Sein wird wesentlich dadurch dargestellt und realisiert, dass ihn Männer im kirchlichen Amt vertreten. Wenn umgekehrt Frauen dieses Amt nicht in Anspruch nehmen, zeigen sie dadurch die Liebe empfangende Hinordnung auf Christus, zu der die ganze Kirche gerufen ist. Christus lebt sein „Haupt“-Sein im Lehr-, Leitungs- und Heiligungsdienst so, dass er sich für seine Kirche hingibt. Dies darzustellen und nachzuahmen ist ebenso Berufung des männlichen kirchlichen Amtsträgers.
Es war der Anspruch der Reformatoren, die kirchliche Lehre von „menschengemachten“ Traditionen zu reinigen, welche der ursprünglichen biblischen Botschaft nicht entsprachen. Dabei schreckten sie auch vor radikalen Änderungen der kirchlichen Ordnung nicht zurück und schafften bspw. die Zölibatspflicht für Weltpriester ab. Wenn die Frauenordination nicht eingeführt wurde, dann deshalb, weil man die Ordination nur von Männern als biblisch begründet und dem Willen Jesu Christi entsprechend erachtete.
Die faktische Entscheidung der meisten evangelischen Kirchen, Frauen zum kirchlichen Amt zu ordinieren, war also keine Errungenschaft der Reformatoren, sondern eine Entwicklung, durch die sich die EKD-Kirchen unter dem Einfluss säkularen Denkens von ihren biblisch-reformatorischen Wurzeln getrennt haben. Diese Entwicklung gilt es zu hinterfragen anstatt sie unkritisch zum Ausgangspunkt heutiger Ökumene zu machen.
Echte Ökumene geschieht durch gemeinsame Einsicht in die besser und voller erkannte Wahrheit, die sich im Zeugnis der Schrift durch das Wirken des Heiligen Geistes offenbart.
Wie so oft, so wird auch in dieser speziellen Frage unter Ökumene nur das Streben nach Einheit mit den (oder einem Teil der) evangelischen Christen gedacht, während die Christen in den Kirchen der Orthodoxie nicht in den Blick geraten. Für diese Kirchen wäre die Frauenordination ein weiterer Trennungsgrund, wenn nicht sogar das Ende des ökumenischen Dialogs.
Lehre – Wie offen kann über das Frauenpriestertum geredet werden?
Behauptung
„Nicht der Zugang von Frauen zu den kirchlichen Diensten und Ämtern ist begründungspflichtig, sondern deren Ausschluss.“ (Forum III, Grundtext) „Die Diskussion darüber, ob Gott eine unveränderliche Anweisung gegeben habe, wie oder durch wen Gott durch das kirchliche Amt bezeugt werden soll, kann und muss offenbleiben.“ (Osnabrücker Thesen ZdK, 2017)
Erwiderung
(1) Jeder irgendwie geartete Ausschluss von gesellschaftlichen Privilegien oder eine ungleiche Verteilung von bedeutsamen Ressourcen wäre tatsächlich begründungspflichtig. Wer als Geber aber etwas aus freien Stücken schenkt, muss sich dafür nicht rechtfertigen. – Gott beruft Menschen in einen besonderen Dienst – und darin ist er frei: „Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will?“ (Mt 20,15). So versteht man: Kein Mensch hat ein Recht auf den Dienst, Christus zu repräsentieren. Und man muss wissen: Für keinen zum Priester Berufenen ist damit ein persönlicher Vorteil in Hinblick auf Heil und Erlösung verbunden; eher sogar eine Gefahr.
(2) Die Diskussion darüber, wer zur Priesterweihe zugelassen wird, ist abgeschlossen; gerade weil es keine biblische Begründung zur Weihe von Frauen gibt, ist die Entscheidung des Lehramtes (von 1994 und 1995) in dieser Hinsicht endgültig.
Zu (2): Kirchliche Lehre ist nicht eine Stimme unter verschiedenen theologischen Meinungen; sie steht und fällt also nicht mit der Tagesaktualität theologischer Schulen. Vielmehr ist es die Aufgabe des Lehramtes, die Plausibilität theologischer Aussagen, ihre Herleitungen und Zusammenhänge zu beurteilen. Das Lehramt zieht aber nicht nur menschliche Schlussfolgerungen aus vorhandenen Argumenten, sondern fügt durch seine Entscheidung ein weiteres, gewichtiges Argument hinzu. Das Urteil von Johannes Paul II. (1994) und die Bekräftigung der Glaubenskongregation (1995) ist also nicht auf deren theologische Begründung hin zu hinterfragen (und damit eventuell zu relativeren oder zu revidieren), sondern durch diese Entscheidung ist die theologische Begründung des Frauenpriestertums fortan anders einzuschätzen.
Zu (1): Gott hat sich nicht als logisches System theologischer Begriffe offenbart. Er ist den Menschen in Jesus Christus nahe gekommen, aber nicht auf den Begriff gebracht worden. Die Offenbarung Gottes besteht nicht darin, den Menschen bislang verborgene Argumente oder Argumentationsstrategien zu eröffnen, die dann von der Theologie nach eigenem Gutdünken und logischem Erwägen angewandt werden. Da der Mensch in seiner Gottebenbildlichkeit gefallen ist und zu einem echten Priestertum der Vermittlung zwischen Gott und Mensch nicht mehr in der Lage war, sandte Gott seinen eigenen Sohn als einzigen und wahren Hohepriester, der Gott und Mensch versöhnte (Hebr 2, 17).
Dass Christus wiederum in freiem Entschluss Menschen zu Werkzeugen erwählt, die dem Neuen Volk Gottes das ewige und königliche Priestertum Christi vermitteln, ist Bestandteil der Offenbarung. Zu dieser Offenbarung bezüglich der Weitergabe des sakramentalen Priesteramtes gehört auch das Geschlecht der Weihekandidaten – so entschied das Lehramt der Kirche und fügte der theologischen Diskussion um diese Frage (z.B. in der katholischen Anthropologie über den Sinn der Zweigeschlechtlichkeit) ein letztes und entscheidendes Argument hinzu: Es ist unserem Zugriff entzogen, diese Entscheidung oder deren Ausgestaltung nach rein menschlichen Maßstäben zu beurteilen oder gar zu ändern, und dabei muss es folglich bleiben.
Fordern die Zeichen der Zeit nicht eine Entwicklung der Lehre?
Behauptung
„Die konkrete Ausgestaltung und das priesterliche (sacerdotale) Verständnis des hierarchisch gegliederten, dreistufigen Weiheamtes, wie wir es heute in der Katholischen Kirche vorfinden, hat sich historisch entwickelt.“ Deshalb „hat das Lehramt der Katholischen Kirche nicht nur die Vollmacht, sondern auch die Pflicht, dieses geschichtlich gewachsene Amt angesichts der Zeichen der Zeit im Vertrauen auf den göttlichen Geist so weiter zu entwickeln, dass es seinem Auftrag gerecht werden kann.“ (Marlies Gielen, Theologin)
Erwiderung
Die Glaubenslehre der Kirche entwickelt sich aus sich selbst heraus als immer tieferes und umfassenderes Verstehen ihres Ursprungs in Christus, der Weg, Wahrheit und Leben der Christen ist. Die Kirche hat die Aufgabe, diese Entwicklung zu erkennen und zu begleiten, aber sie hat keinerlei Berechtigung, eigenmächtige Veränderungen vorzunehmen. Eine authentische Lehrentwicklung, die stattgefunden hat, ist nicht die Anpassung der Lehre, sondern ihre Vertiefung und Entfaltung. Der Heilige Geist, dessen Wirken sich die Entwicklung der Glaubenslehre verdankt, widerspricht sich nicht selbst, sondern garantiert die Authentizität des Lehramts, das in Treue zum überlieferten Glauben seine genuine Entwicklung von Verfälschungen unterscheidet und gegen sie verteidigt. Authentische Lehrentwicklungen können daher von der Kirche nicht rückgängig gemacht oder korrigiert werden. Der Hinweis auf eine „Entwicklung“ der Lehre genügt daher nicht, ihre Veränderbarkeit zu begründen.
Eindrücklich hat dies der Heilige Vinzenz von Lérins im fünften Jahrhundert formuliert: „Unsere Vorfahren haben vor Zeiten auf dem Saatfelde der Kirche die Samen des Glaubensweizens ausgestreut. Es wäre nun sehr unrecht und unpassend, wenn wir, ihre Nachkommen, statt der echten Wahrheit des Getreides den untergeschobenen Irrtum des Unkrautes einsammelten. Im Gegenteil, es wäre das Richtige und Entsprechende, dass wir, da Anfang und Ende sich nicht widersprechen dürfen, von dem Wachstum der Weizenunterweisung auch die Frucht des Weizendogmas ernten, so dass, wenn sich etwas von jenem uranfänglichen Samen im Laufe der Zeit entwickelt, dasselbe jetzt grünt und zur Reife gelangt, an der Eigentümlichkeit des Keimes sich aber nichts ändert; Aussehen, Gestalt und Bestimmtheit mögen neu werden, das Wesen der Arten aber muss dasselbe bleiben. […] Denn wenn einmal eine solche Willkür gottlosen Betruges zugelassen würde, so würde, ich sage es mit Schrecken, die größte Gefahr der Zerstörung und Vernichtung der Religion die Folge sein. Denn wird einmal auch nur ein kleiner Teil der katholischen Glaubenslehre aufgegeben, so wird auch ein anderer und dann wieder ein anderer und zuletzt einer nach dem anderen wie gewohnheits- und rechtmäßig aufgegeben werden. Wenn aber die einzelnen Teile verworfen werden, was anders wird dann die letzte Folge sein, als dass das Ganze zugleich verworfen wird?“
Zölibat – Muss ein Priester zölibatär leben?
These
Der Zölibat ist in erster Linie ein Charisma, eine übernatürliche Gabe, die nur einigen, zu dieser Lebensform Berufenen zuteilwird. Der Zölibat ist nicht nur eine Art „Gedächtnisstütze“ für das priesterliche Volk, das an seine himmlische Berufung erinnert werden soll, sondern auch eine geistliche Hilfestellung für den Priester, der dadurch tiefer mit seinem Herrn verbunden und ihm angeglichen wird. Angesichts der Kontinuität in der gesamten Kirchengeschichte zeigt sein Bestehen das immense kerygmatische Potenzial und setzt das Anstoß erregende prophetische Signal Christi und seiner Apostel in der Zeit der Kirche fort.
Erläuterung
Der Zölibat provoziert das Augenrollen der informierten Zeitgenossen: Im Hintergrund stehen zwar auch inzwischen überholte psychologische Annahmen, wonach Triebverzicht psychisch eigentlich nicht möglich sei. Aber schließlich sind es nicht wenige Amtsträger, die entweder am Zölibat scheitern oder unter der Lebensform stöhnen, sie entweder nie für sich angenommen haben, sie auf die lange Strecke als Belastung oder als unmenschliche Herausforderung empfinden oder schlicht unter Einsamkeit leiden. Außerdem kann ein Priester offensichtlich auch nicht zölibatär leben. In den unierten Ostkirchen gibt es verheiratete Priester, und auch in der Katholischen Kirche hierzulande gibt es Ausnahmeregelungen, etwa bei der Konversion evangelischer Pastoren, die zur Weihe zugelassen werden und natürlich ihre Familie mitbringen. In der Alten Kirche war dies sogar die normale priesterliche Lebensform – allerdings verbunden mit der Entscheidung zur Enthaltsamkeit (continentia), die von allen Verheirateten verlangt wurde.
Die zölibatäre Lebensform ist hilfreich für den Dienst des Priesters, wenn sie bewusst angenommen wurde von einem Menschen, der für sie geeignet ist. Fest steht: Es ist die Lebensform Jesu; sie ist hochgradig angemessen für den, der Christus sakramental darstellt; sie ist ein „verrücktes“ eschatologisches Zeichen, das der revolutionären Neuheit Christi entspricht; sie ist anstößig und lässt die fugenlose Einbürgerung des Christlichen in die Routinen und Wohlfühlmodi der Allgemeinheit nicht zu.
Damit steht der Zölibat so quer zum aktuellen common sense unserer Gesellschaft wie die Ehe von Mann und Frau. Daran erinnert Chesterton, wenn er feststellt, der Priester verzichte auf 1000 Frauen, der Ehemann auf 999. Zeitweiser oder dauerhafter Triebverzicht gehört zur Normalität des Christlichen – und ist möglich. Ein Verheirateter, um nur ein Beispiel zu nennen, dessen Ehepartner nicht mehr in der Lage ist, sich ihm körperlich hinzugeben, erwirbt nicht das Recht zu außerehelichen Beziehungen und auch nicht dazu, sich Befriedigung technisch zu verschaffen, weil „man das ja braucht“.
Wichtig ist das „Warum“ des Triebverzichts. Notwendiger Weise muss das „Liebe“ sein. Aus Liebe zu einem Menschen, aus Liebe zu Gott, ja selbst aus Liebe zu einem großen Dienst (etwa in der Politik) kann man das Bedürfnis nach Sex zurückstellen, besser gesagt: integrieren in eine starke Beziehung. Was für alle gilt, steht im Buch Genesis. „Es ist nicht gut für den Menschen, dass er allein ist“ (Gen 2,18). Auch ein Priester braucht Freundschaft, braucht Menschen, bei denen er geborgen ist, die ihn annehmen und durch schwere Zeiten tragen.
Insofern ist das Christuszeichen „Zölibat“ auch eine Anforderung an das gesamte Volk Gottes. Dieses Zeichen kann nur aufblühen, wenn die Hermetik des einsamen Priesters durchbrochen wird von Freundschaft und Nähe. Priester, deren zölibatäre Lebensweise leuchtet, sprechen immer wieder davon, dass sie ohne tägliche betende Vereinigung mit dem Herrn, nicht imstande wären, den Zölibat integer zu leben. Diese spirituelle Voraussetzung erklärt auch, wie der zölibatäre Priester zum Antizeichen werden kann – dort nämlich, wo er das, was er nicht in eine Jesusbeziehung einbinden kann, durch Herrschsucht, Alkohol, Essen, Reisen etc. zu kompensieren versucht.
Zölibat – Führt das nicht automatisch zu vielen psychischen Problemen und Unglück?
Behauptung
„Ich kenne Priester, die sind in ihrer Einsamkeit verkümmert. Sie sind Priester geblieben, aber als unglückliche Menschen. Ich kenne Priester, die einen bestimmten Bereich abspalten und etwas heimlich leben, wozu sie nicht öffentlich stehen wollen… Ich erlebe, dass das ein sehr breites Spektrum ist, und denke, dass tatsächlich die Berufung zum Priestertum und die Berufung zum Zölibat zwei sauber zu unterscheidende Sachen sind.“ (Pfr. Meinolf Winzeler)
Erwiderung
So, wie es Priester gibt, die in ihrer Berufung verkümmern und psychische Auffälligkeiten entwickeln, so auch Eheleute, die in ihrer Ehe unglücklich werden, eine Einsamkeit zu zweit entwickeln und psychische Probleme bekommen. Es kann aber auch das Umfeld Auslöser von Problemen sein (der Arbeitsplatz, die Schule, das Milieu, etc.). Der Schluss ‚Berufung zum Priestertum und Berufung zum Zölibat sind zu unterscheiden‘ ergibt sich nicht aus dieser Erkenntnis, sondern aus der Geschichte. Die Kirche hat immer Priesteramtskandidaten aus denen erwählt, die auch eine Berufung zum Zölibat verspürten bzw. zur Enthaltsamkeit. Sie hat freilich auch Kandidaten geweiht, denen sie die Weihe besser verweigert hätte.
Aus Einzelschicksalen auf eine ganze Personengruppe zu schließen, ist selten logisch korrekt und führt oft zu Vorurteilen, z.B. zu dem, dass zölibatär lebende Priester einsam werden; vor allem, wenn daraus eine Kausalität konstruiert wird: ‚Priester sind einsam, weil sie zölibatär leben‘.
Nun führt es hier nicht weiter, Einzelschicksale von einsamen Priestern mit Gegenbeispielen zu kontrastieren, in denen glückliche Priesterberufung und deren erfülltes Leben dargestellt wird. Vielmehr muss der unterstellte Mechanismus ‚Zölibat führt zur Einsamkeit‘ betrachtet werden. Warum werden Menschen einsam? – Sicherlich nicht allein aufgrund ihres Ledigenstatus; vielmehr spielen zahlreiche Faktoren eine Rolle (Beziehungsfähigkeit, Resilienz, sozialer Support, Wohnsituation, familiäre Einbindung, gesellschaftliche Akzeptanz, psychische und physische Gesundheit, Alter).
Der Aufforderung, die Berufung zum Priestertum von der Berufung zum Zölibat zu unterscheiden, ist allerdings zuzustimmen. Die Berufung zur Ehelosigkeit ist keineswegs an die Berufung zum Priesteramt gekoppelt: Zahlreiche zölibatär lebende Christen in Männer- und Frauenklöstern, als Einsiedler, in sozialen Berufen, als Missionare, Katecheten oder in der räumlichen Nähe zu Familien, die sie unterstützen, finden auch ohne das Priesteramt eine Erfüllung in ihrer Ehelosigkeit. In diesen Fällen ist die bewusst gewählte Ehelosigkeit einem Ziel zugeordnet: Dem Dienst an den Menschen, der Hingabe an Gott, der Widmung einer Berufung.
Gerade, weil die Berufung zur Ehelosigkeit eine reelle Option für weitaus mehr Menschen ist, als allgemein angenommen wird, sollte die Kirche helfen, diesen Menschen ein Ziel anzubieten mit dem sie die Ehelosigkeit leben können – wie dies im Falle des Priesters der Christus-Dienst für die Gemeinde ist. In diesem Fall wird die offene Berufung zum Zölibat in eine besonders ausgerichtete Berufung zum priesterlichen Amt eingegossen.
Das kirchliche Leitungsamt trägt allerdings auch Verantwortung dafür, dass Priester nicht einsam gemacht werden, indem sie wie reisende Eremiten in anonymen pastoralen Großverbänden agieren und nicht wirklich eingebunden sind in eine menschliche und geistliche Gemeinschaft.
Zölibat – Wird ein Priester nicht total einsam?
Statement
„Der Zölibat, verbunden mit dem Leben einer Klostergemeinschaft, vermag große Kräfte freizusetzen; verbunden mit dem ‚Modell alleinstehender Mann‘, führt er immer wieder zu fruchtloser Vereinsamung oder/und hilfloser Arbeitshetze. Eine spirituelle Quelle in der Seelsorge setzt er selten frei. Nicht von ungefähr haben viele von uns diese klerikale Lebensform um des Berufes willen angenommen, aber nicht gewählt.“ (2017, Offener Brief Kölner Priester des Weihejahrganges 1967)
Erwiderung
Der Priester ist ein Mensch wie jeder andere, Einsamkeit tut ihm nicht gut, wie niemandem sonst. Einsamkeit ist daher kein anstrebenswertes Ideal, und auch wenn sie aus dem menschlichen Leben nicht gänzlich ausgemerzt werden kann, sollen wir dagegen ankämpfen. Im Evangelium verspricht der Herr denen das ewige Leben, die die leidvolle Vereinsamung der Nächsten gelindert haben (vgl. Mt 25,31-40). Im Alten Testament heißt es: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.” (Gen 2,18) Die Erschaffung der Frau als Gefährtin des Mannes, die zu ihm passt, galt lange als einzige theologische Lösung des Problems. Doch schon vor Johannes, dem Täufer und ‚einsamen‘ Rufer in der Wüste, gab es neue Antworten im Judentum. Beim ebenfalls unverheirateten Jesus von Nazareth wird es offenbar: Das Reich der Himmel, das Reich Gottes ist in ihm nahe. Es lohnt sich, dafür ehelos und enthaltsam zu leben. Dazu muss man aber nicht einsam werden.
Auf der einen Seite ist Einsamkeit unausweichlich: Jeder Mensch ist ein individuelles Subjekt und erlebt Momente, die ihm kein bloßer Mensch abnehmen kann: nicht etwa nur das eigene Sterben oder einen tief empfundenen Schmerz. Anderes kann dazu führen, dass wir uns einsam fühlen. Erstens: wenn wir niemandem haben, mit dem wir unsere Erfahrungen teilen können. Als Menschen erfassen wir täglich tausende Eindrücke, welche durch die persönliche Verarbeitung zu unseren Erfahrungen werden; wenn es uns aus Mangel an Interesse nicht möglich ist, sie zu teilen, kann der Eindruck entstehen, dass wir einzig auf uns angewiesen sind. Zweitens: der Mangel an Verständnis. Jeder Mensch ist ein Original, was einerseits sehr bereichernd sein kann und anderseits dazu führt, dass wir das gegenseitige Verständnis nicht voraussetzen können, sondern fördern müssen; Abwehrmechanismen gegenüber Fremden werden hingegen wahre Begegnung verhindern.
Weitere Wege zur Einsamkeit sind: nicht mit Respekt behandelt werden, ausgelacht werden, ohne Empathie be- und verurteilt werden. Eine Person kann viele Menschen um sich haben und dennoch Einsamkeit erfahren und anderseits muss sich jemand, der wenige Menschen um sich hat, nicht notwendigerweise einsam fühlen.
Das Phänomen der Einsamkeit ist in unserer Zeit sehr verbreitet und man sollte, soweit es nur geht, persönlich und strukturell an diesem Thema arbeiten. Wir sehen die Einsamkeit bei den alten Menschen, auch unter den Eheleuten, die nicht mehr in der Lage sind, miteinander respektvoll umzugehen, und auch unter den Jugendlichen trotz einer Unmenge digitaler „Freundschaften“. Es ist nicht gut, dass der Mensch einsam ist; die Einsamkeit kann tiefgehende psychische und auch somatische Schäden verursachen. Ein Beleg für die Aktualität dieses Themas, das unsere Aufmerksamkeit und unser Handeln erfordert, ist die Einrichtung eines „Ministeriums für Einsamkeit“ im Jahr 2018 in Großbritannien.
Die Priester werden von all dem nicht verschont, und zusätzlich scheint es noch einen spezifischen, dem Priestertum eigenen Weg in die Einsamkeit zu geben: etwa ein anhaltender Mangel an Trost aus den geistlichen Übungen oder eine tiefe Glaubenskrise, wo es dem Priester so vorkommt, als wäre er auch von dem getrennt, in dessen Dienst er steht. Weniger gravierende, aber doch schmerzvolle Erfahrungen sind die Empfindung der Frustration aus der pastoralen Arbeit, die viele Gründe haben kann, wie die Gleichgültigkeit der Menschen oder die eigene Unfähigkeit zeitgerecht und zielsicher zu agieren. Der Priester steht als sündiger Mensch unter Beobachtung von vielen und es scheint, dass manche eine Freude daran finden, wenn sie Fehler von Priestern in alle vier Winde verbreiten können. All das kann bei Priestern die Empfindung der Einsamkeit verstärken, ihn geradezu vereinsamen.
Gehen wir nun noch einen Schritt weiter. Es wird keinen großen Widerspruch hervorrufen, wenn ich sage, dass die Geborgenheit und ein von Liebe erfülltes Zuhause zu den wichtigen Quellen des menschlichen Glücks zählen. Zwingt aber das kirchliche Gesetz die Kleriker nicht zu einem Leben in Einsamkeit? Sie müssen ja zölibatär leben, und dadurch wird ihnen der Zugang zu diesem Glück versperrt.
Erstmal will ich präzisieren, dass der Kanon 277 des Kirchenrechts nicht zu einem Leben der Einsamkeit, sondern der Enthaltsamkeit verpflichtet; im gleichen Atemzug füge ich hinzu, dass die Enthaltsamkeit zur Erfahrung der Einsamkeit führen kann, aber nicht muss. Dass dem nicht so sei, dafür müssen gewisse Voraussetzungen gegeben sein.
Erstens, die Entscheidung für die Enthaltsamkeit muss frei und bewusst getroffen werden. Es wäre ein Gräuel, jemandem die Pflicht aufzuerlegen, zölibatär zu leben, und das geschieht in der Kirche, Gott sei Dank, nicht. Es stimmt, dass in der lateinischen Kirche das Priesteramt mit der Verpflichtung zur Enthaltsamkeit verknüpft ist, aber niemand ist verpflichtet, Priester zu werden. Auf dem Weg der Vorbereitung muss das Thema Zölibat explizit behandelt werden und die notwendige Begleitung angeboten werden, damit die Priesteramtskandidaten eine freie, bewusste und richtig motivierte, das heißt von guten Gründen ausgehende, Entscheidung für den Zölibat um des Himmelsreiches willen treffen können.
Eine zweite Voraussetzung sehe ich in der psycho-sexuellen Reife der Menschen, die sich für den Weg der Enthaltsamkeit entscheiden; denn wenn man zölibatär lebt, braucht man die Fähigkeit, sich selbst „aushalten“ zu können und die eigene Sexualität in allen ihren Dimensionen in den angestrebten Lebensplan zu integrieren.
Drittens braucht es die Fähigkeit, die eigene menschliche und priesterliche Einsamkeit zu mildern. Hierzu gibt es kein allgemein gültiges Rezept, aber ein paar Beispiele von Beziehungen und Umständen, die zur rechten Zeit und in richtiger Dosierung der Vereinsamung der Priester entgegenwirken können. In Rahmen des Möglichen gehört dazu die Beziehung zur eigenen Familie, eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten und gute, tiefe Freundschaften. Die Menschen, denen er als Priester dient, soll er gernhaben und die passende Nähe (und Distanz) suchen und anbieten.
Zum Schluss stellt sich die Frage, warum es so kompliziert sein muss? Priester sollten doch heiraten und dann kann man sich die Begleitung, den Austausch und die Suche nach Erfüllung sparen, denn sie bekämen all das aus der eigenen Ehe und Familie. Wenn es keinen positiven Grund für den Zölibat gäbe, wäre er ja nicht notwendig. An dieser Stelle gilt es also, den eigentlichen Grund des Zölibats und dem daraus – aus menschlicher Sicht anscheinend – folgenden Alleinsein zu unterstreichen: Es geht um das Himmelreich. Jesus war ehelos und – angesichts des Unverständnisses der ihn umgebenden Menschen – sicher auch oft einsam. Aber das bedeutet nicht, dass ihm die entscheidende Erfüllung des Menschseins gefehlt hat. Sein Reich, das er den Menschen auf Erden nahegebracht hat, ist nicht von dieser Welt; und die Beziehung, die sein Menschsein ganz erfüllt, ist auch nicht von dieser Welt. Priester und Ordensleute dürfen im Voraus das suchen und erfahren, wozu alle gerufen sind, nämlich, dass Gott unsere Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit stillt und dadurch unsere Einsamkeit definitiv überwindet (vgl. Lk 20, 35).
Das „Modell eines alleinstehenden Mannes“ hat seit der Erschaffung der Welt ausgedient, es galt nie als attraktiv. Das Leben eines ehelos und enthaltsam lebenden Priesters kann jedoch sehr erfüllend sein und entsprechend attraktiv. Erfüllung wird jedoch nicht mitgeliefert, wenn jemand Verpflichtung zur Enthaltsamkeit auf sich nimmt; sie kommt vielmehr von einem gotterfüllten Lebensstil.
Zölibat – Führt sexuelle Enthaltsamkeit zu Missbrauch?
Behauptung
„Die Missbrauchs-Studien zeigen doch, dass die Priester die sexuelle Enthaltsamkeit nicht aushalten. Und dann vergreifen sie sich an den Menschen, an die sie am einfachsten herankommen, und das sind die Kinder und Jugendlichen.“ (O-Ton in einem Leserbrief)
Erwiderung
Es ist richtig, dass eine große Anzahl der Priester die sexuelle Enthaltsamkeit nicht leicht aushält. Es ist aber auch jedem Priester, der viel Beichte hört, bekannt, dass Eheleute ihres Ehepartners manchmal ebenfalls die abwesenheits-, krankheitsbedingte oder aus anderen Gründen faktisch geforderte sexuelle Enthaltsamkeit nicht leben, sondern untreu werden. Außerdem geschehen – das ist das einmütige Ergebnis aller Studien – etwa 85 Prozent der sexuellen Missbräuche an Kindern und Jugendlichen in der Familie. Sie gehen also von Menschen aus, die keine sexuelle Enthaltsamkeit versprochen haben. Die Missbräuche geschehen folglich nicht aufgrund sexueller Enthaltsamkeit, sondern – dies zeigen alle entsprechenden Untersuchungen auf – wegen fehlender reifer Auseinandersetzungen mit der eigenen Sexualität und/oder schwerer seelischer Belastungen.
Seriöse Untersuchungen belegen tatsächlich, dass eine hohe Zahl der Priester den Zölibat (sexuelle Enthaltsamkeit) nicht durchgängig lebt. Die Ursachen sind sehr unterschiedlich und vielfältig: die Abnahme eines priesterlichen Idealismus im Verlaufe eines stressreichen Arbeitslebens, die fehlende Geborgenheit und Nähe im priesterlichen Alltag eines Einzelkämpfers, die mangelnde Auseinandersetzung/Reife mit der eigenen Sexualität, die hohe Arbeitsbelastung, die nicht emotional ausgeglichen/verarbeitet werden kann, und manches mehr.
Ein ähnliches Bild zeigt sich aber auch in christlichen Ehen, die sich noch bei der Trauung überzeugt lebenslange Treue versprochen haben. Auch hier kommt es, anders als es beim Eheversprechen intendiert wurde, häufig zum Bruch der sexuellen Treue gegenüber dem anderen Partner. Auch bei Unverheirateten ist die sexuelle Enthaltsamkeit bzw. Aktivität ein von Sehnsüchten und vielfältigen Problemen durchzogenes Minenfeld. Dies alles ist Seelsorgern und Psychologen bekannt und prägt ihr helfendes Handeln.
Probleme mit der Sexualität hängen folglich primär nicht vom eigenen Stand ab, ob nun in der Ehe, im Priesterleben, als Unverheirate/r, ehemals Verheiratete/r oder Verwitwete/r. Die Sexualität selbst ist vielmehr ein Problem und eine Herausforderung, die man psychodynamisch nie endgültig und vollständig gelöst hat.
Es ist daher nicht erstaunlich, dass die bekannteste Missbrauchsstudie in Deutschland festgestellt hat, dass nicht das Zölibat „eo ipso Ursache für sexuellen Missbrauch von Minderjährigen“ (MHG, 24.09.2018, S. 11) ist. Unter Voraussetzung einer emotional und sexuell reifen Persönlichkeitsentwicklung kommt die Studie zu dem Ergebnis: „Eine reife und freiwillig gewählte zölibatäre Lebensform ist möglich.“ (MHG, S. 13).
Dies aber legen auch die Ergebnisse der weltweiten Untersuchungen nahe, die übereinstimmend herausgefunden haben, dass um 85 Prozent des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen in den Familien geschieht, demnach von Menschen, die nicht sexuelle Enthaltsamkeit versprochen haben. Die restlichen 15 Prozent teilen sich die pädagogischen, schulischen, kirchlichen und sportlichen Institutionen. Es bleibt für diese vier Bereiche nur je ein geringfügig einstelliger prozentueller Anteil am Missbrauchsfällen übrig. Der kirchliche Bereich ist hiervon nur einer und selbst in ihm hat nur ein Teil der Täter die zölibatäre Lebensform versprochen. Eine Entschuldigung für die sexuellen Verbrechen kann ihre relative Seltenheit natürlich nicht sein.
Daher käme man, würde man um des sexuellen Missbrauchs willen den Zölibat abschaffen, vom Regen in die Traufe. So zeigt der größte Missbrauchsbericht in Frankreich (Okt. 2021) auf, dass der Anteil der Priester am sexuellen Missbrauch Minderjähriger 3,9 Prozent, der Anteil zuzüglich der (ohne Kirchensteuereinnahmen eher wenigen) weiteren kirchlich Beauftragten bereits 6 Prozent beträgt. Zudem hat der Autor dieses Textes selber als Beichtvater und Seelsorger vieler Menschen die Erfahrung gemacht, dass die Probleme mit der eigenen Sexualität vor allem bei Unverheirateten (Sehnsucht), aber auch bei Verheirateten (Zusammenleben/eheliche Treue) eher größer sind als bei Priestern (Zölibat).
Vom Glauben aus betrachtet ist die Sexualität ein Geschenk Gottes, das dynamisch auf vielfältige Weise auf die seelischen Zustände eines Menschen reagiert. Der Christ, ob Priester oder Laie, wird folglich umsichtig auf sein emotionales Erleben und seine sexuelle Sehnsucht achtgeben, sich mit ihr reif auseinandersetzen und sie immer wieder betend vor Gott tragen, um auch mit seiner Sexualität dem Willen des liebenden Gottes zu entsprechen.
Leitungsamt – Sind Priester automatisch gute Leiter?
These
Konflikte in Gemeinden, die mit dem unangemessenen Leitungsstil eines bestimmten Priesters bzw. mit seiner Überforderung in einer bestimmten Situation zu tun haben, sind genauso real wie falsche Erwartungen an Priester oder auch Macht- und Profilierungsprobleme von Gemeindemitgliedern.
Niemand hat eine ‚natürliche Leitungsgabe‘ für alle Situationen, weil ‚Leitung‘ sehr unterschiedlich geschehen kann und muss. Dementsprechend gibt es nicht nur ‚eine‘ natürliche Leitungsgabe, sondern verschiedene Leitungsstile, die zum Ziel führen können. Jeder muss lernen, seine natürlichen Gaben realistisch einzuschätzen, damit er bei Überforderung nicht herrisch reagiert, sondern eingesteht, Hilfe nötig zu haben.
Erläuterung
Welcher Leitungsstil an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit zu Recht oder zu Unrecht erwartet wird, kann genauso wenig allgemein festgestellt werden, wie die Frage, ob ein konkreter Priester diese Erwartungen erfüllen kann. Außerdem wird niemand allen unterschiedlichen (z.T. gerechtfertigten) Erwartungen gerecht werden können, die unterschiedliche Gruppierungen in einer großen Gemeinde hegen.
Versuche zur ‚Professionalisierung‘ des Priesterberufs sind nur solange hilfreich, solange sie nicht die Realität aus dem Blick verlieren: Die priesterliche Berufung ist nicht die eines Managers, sondern eines Vaters. Wie der Vater in einer Familie nicht alles können und alles bestimmen muss, so muss das auch der Priester als Gemeindeleiter nicht.
Die Verantwortlichen für Personalführung können viele Konflikte vermeiden, wenn sie Priester dort einsetzen, wo sie eine Chance haben mit ihren persönlichen Fähigkeiten und Charakterzügen zurecht zu kommen. Priester, die persönlich völlig unfähig wären, Leitung in irgendeiner Art an irgendeinem Ort zu übernehmen, und die dazu auch nicht durch Schulung befähigt werden könnten, sollten nicht mit Leitungsaufgaben betreut werden, wo Leitung erforderlich wäre.
Weihevollmacht und Leitungsvollmacht sind nicht identisch, aber auch nicht zu trennen. Nicht jeder Priester muss eine Leitungsaufgabe innehaben. Aber jede Leitungsaufgabe, die kirchliches Leben als Ganzes (Bistum, Pfarrei) zum Inhalt hat, muss von einem Priester wahrgenommen werden.
1) Das Erbe des II. Vatikanischen Konzils
Beim II. Vatikanischen Konzil rückte dieses Thema lehramtlich wieder in den Fokus. In Lumen Gentium wird der gesamte Dienst der geweihten Amtsträger unter sakramentalen Vorzeichen gesehen und die frühere scharfe Differenzierung zwischen der potestas ordinis (Weihebefugnis) und der potestas iurisdictionis (Leitungsbefugnis) wird hinfällig. Nach der Unterteilung der dreifachen Dimension des kirchlich-sakramentalen Amtes in den Verkündigungsdienst, den Hirtendienst und den Heiligungsdienst erscheint die Jurisdiktion als Teilaspekt der einen sakramentalen Sendung der geweihten Amtsträger. Zudem revidierte die Konstitution eine verengte Sichtweise auf das kirchliche Amt, welche nur das sakramentale Wirken – besonders die Darbringung des Messopfers – im Blick hatte.
Die erweiterte Perspektive einer eucharistischen Ekklesiologie (vgl. LG 3) fügt das gesamte Wirken um die Mitte der Eucharistie, sperrt es aber nicht in dieser Mitte ein. Die Eucharistie als Höhepunkt und Quelle (vgl. LG 11) des kirchlichen Lebens wird dabei in den ganzen Kontext des pastoralen Wirkens eingebunden. Die veränderte theologische Gewichtung in Lumen Gentium lässt somit zu, von einer heiligen Vollmacht zu sprechen, die nicht mehr nur primär aus der potestas sacramentalis und ihr nachgeordnet in der potestas iurisdictionis besteht, sondern das kirchliche Dienstamt in seiner Einheit denkt.
Diese neu gewonnene Einheit zwischen Weihe und Jurisdiktion löst – bzw. regelt – nicht nur einen 400-jährigen Streit zwischen Theologen, sondern strahlt in die gesamte Ekklesiologie des II. Vatikanischen Konzils aus und führt so zu Folgefragen. Es geht dabei u. a. um die genaue Form dieser Einheit von Weihe und Jurisdiktion.
Der Leitungsdienst gehört nach Lumen Gentium zu einer der Aufgliederungen des sakramentalen Amtes. Hier verhält es sich gewissermaßen anders herum als beim Heiligungsdienst. Beim Leitungsdienst geschieht das Wirken durch die Fähigkeiten und Kompetenzen der Amtsträger. Zwar handelt es sich auch um einen Teil des sakramentalen Amtes, aber hier stehen die Kompetenzen der Amtsträger mehr im Vordergrund als im Heiligungsdienst. Das Wirken Christi bedient sich hier nicht in erster Linie einem einfachen Handeln, das ritualisiert ist, sondern der Fähigkeiten des Amtsträgers. Daher rücken diese Fähigkeiten und Kompetenzen sehr viel stärker in den Fokus kirchlichen Handelns. Demzufolge wird im Bereich der Jurisdiktion zwar eine Bindung an Gesetz und Wort Christi vorausgesetzt, diese Bindung wird aber nicht mehr als Vermittlung wie bei einem Sakrament wahrgenommen, weil das eigene aktive Handeln mithilfe der eigenen Fähigkeiten in den Vordergrund tritt.
Es kann deshalb nicht mehr so eindeutig gesagt werden, ob eine Wirkung Christi vorliegt. Bei den Sakramenten und dem gesamten Heiligungsdienst wird dies durch den rituellen Vollzug gemäß der kirchlichen Norm und folglich in kirchlicher Communio vorausgesetzt. Das Sakrament kommt ex opere operato zu Stande. Das Handeln im Bereich der Leitung kennt eine solche Gleichsetzung des Handelns eines Amtsträgers mit dem Wirken Christi nicht; dennoch gehört der Leitungsdienst zentral zum sakramentalen Amt in der Kirche.
Mit Leitung ist mindestens immer der Vorsteherdienst in einer Einheit der Kirche gemeint, die die gesamte Sendung der Kirche institutionell gewährleisten soll. Diese Einheiten sind mindestens Diözesen und Pfarreien.
2) Teilhabe von Laien am Leitungsamt
Eine erste Folgefrage eröffnet sich beim Verhältnis zwischen dem Priesteramt und dem gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen. In LG 10 lesen wir: „Das gemeinsame Priestertum der Gläubigen aber und das Priestertum des Dienstes, das heißt das hierarchische Priestertum, unterscheiden sich zwar dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach.“ Das Sakrament der Weihe setzt also einen wesentlichen Unterschied zwischen geweihten und nicht geweihten Christen.
In Bezug auf die Jurisdiktion finden wir eine solch scharfe Trennung nicht. In den Anmerkungen zu LG 28,1 erläutert die zuständige Kommission eine genauere Darstellung der Verbindung von Weiheamt und Jurisdiktion beim Presbyter/Priester: Im Priesteramt findet sich „eine Einheit zwischen der Weihevollmacht bzw. der Heiligungsvollmacht und der Leitungsvollmacht, beide lassen Trennungen und Abstufungen je nach den Notwendigkeiten von Zeit und Ort zu.“ In Kombination mit can. 129 §1+2 des Kanonischen Rechts ergibt sich eine wichtige Differenzierung. Die Leitungsgewalt, die es aufgrund göttlicher Einsetzung in der Kirche gibt, kann von denen übernommen werden, die die heiligen Weihen empfangen haben. Damit wird zunächst einmal eine Gleichsetzung von Weihe und Jurisdiktion ausgeschlossen, da beide nicht in exklusiver Weise einander zugeordnet werden. §2 verweist darauf, dass Laien an der Ausübung der Leitungsgewalt „nach Maßgabe des Rechts mitwirken“ können.
Kombiniert man nun die Gedanken, dass Weihe und Jurisdiktion zusammengehören und dass es zwischen dem gemeinsamen Priestertum und dem Amtspriestertum einen wesentlichen Unterschied gibt mit dem Gedanken, dass Laien an der Ausübung der Leitungsgewalt teilhaben können, zeigt sich der Unterschied zwischen Priestern und Laien im Bereich der Jurisdiktion nicht als ein wesentlicher Unterschied – im Gegensatz zum Unterschied im Hinblick auf sakramentale Vollzüge.
Diese theologische Einsicht wirkt sich in Praxis und Rechtsordnung der Kirche noch weiter aus. So sind die sakramentalen Vollmachten, die durch die Weihe verliehen werden, nicht delegierbar. Vollmachten aus der Leitungsgewalt sind dagegen teilweise delegierbar. Als Beispiel darf hier die Übertragung richterlicher Gewalt an Laien gelten. In allen Ortskirchen, die unter einem Mangel an Priestern leiden, stellt sich somit die Frage, in welchem Maß Jurisdiktion an Laien delegiert werden kann, ohne die grundsätzliche Zuordnung von Weihe und Jurisdiktion zu lösen. Die Verbindung der beiden gehört zum wesentlichen theologischen Erbe des II. Vatikanischen Konzils und sollte – bzw. darf – nicht aufgehoben werden. Da beide nicht in eins fallen, ist ihr Verhältnis zu bestimmen. Somit kann auch klarwerden, welche Gestaltungsräume die Ortskirchen haben, um die Auswirkungen des Priestermangels in gewissem Umfang abfedern zu können.
3) Keine Deckungsgleichheit von Weihe und Leitung bei Priestern
Deckungsgleichheit von Weihe und Leitung war und ist bei Priestern nicht notwendig gegeben (Z. Bsp.: Kapläne; Kooperatoren; Pfarrvikare). Die Übertragung von faktischer Leitungsvollmacht an Laien bzw. Gremien („Teams“) trennt beide Vollmachten jedoch de facto voneinander, auch wenn de jure dieser Schritt nicht vollzogen werden kann. Auch dies steht gegen das II. Vatikanische Konzil.
4) Weltliche Logik in der Leitung
Bei der Jurisdiktion ist eine weitere Unterscheidung wichtig. Die Unterscheidung zwischen geistlicher Jurisdiktion und Verwaltungsaufgaben, die aus einer säkularen Logik heraus entstehen und zu bearbeiten sind. So gehören zu den Aufgaben eines (Diözesan-)Bischofs in Deutschland auch Fragen des staatlichen Rechts, der IT, der Immobilienverwaltung etc. Es darf bei diesen Bereichen nicht um eine falsche Sakramentalisierung und Spiritualisierung gehen. Diese Aufgaben gehören zum nicht-geistlichen Bereich der Verwaltung. Obwohl sie dem geistlichen Zweck der Kirche dienen, folgen sie einer nicht-theologischen Logik. Somit sind derartige Aufgaben der Leitung nach ihrer eigenen Logik zu organisieren und auszuführen. Diese Aufgaben sind im Ganzen delegierbar.
Das weltlich-zeitbedingte Element der Kirche ist diesem geistlichen Zweck zugeordnet, den Menschen zu helfen, ihre göttliche Berufung zu entdecken und zu leben. Das heißt aber auch, dass die Logik dieser weltlichen Dinge in ihrer Eigenheit zu beachten ist. Es darf keine falsche Spiritualisierung oder Theologisierung z. B. der Finanzverwaltung einer Ortskirche geben, auch wenn diese natürlich dem geistlichen Zweck der Kirche zu dienen hat. Es gibt also Bereiche der kirchlichen Leitung, die einer säkularen Logik zu folgen haben. Die Finanzverwaltung einer Ortskirche muss nicht unbedingt von einem Priester geleitet werden, nur, weil es sich um kirchliche Gelder handelt. In diesen Aufgabenkreisen der Kirche herrschen die Eigengesetzlichkeiten der jeweiligen Bereiche, sodass hier nicht die Weihe die Befähigung dazu verleiht, sondern die erworbene Kompetenz in diesem Bereich verbunden mit der Zielsetzung dieser Aufgabe. Das Handeln eines Verwalters muss durch die eigene Person und die eigenen Fähigkeiten gedeckt sein.
Leitung – Wird ein Seelsorger durch zu viel Leitungsverantwortung nicht maßlos überfordert?
Behauptung
„Priester (wollen) in der überwiegenden Mehrzahl überhaupt nicht führen… Sie wollen Seelsorge, aber sie wollen nicht führen.“ (Benedikt Jürgens, Leadership Experte)
Erwiderung
Priester sollen gar nicht unspezifisch führen. Sie haben zwar das Hirten-Amt der Leitung mit der Weihe übertragen bekommen, aber das Volk Gottes ist keine geistlose Schafherde. Die Getauften und Gefirmten, die teilhaben am Allgemeinen Priestertum, müssen ihren eigenen Sinn für ihre leitenden Aufgaben bei der Heiligung der Welt entwickeln. Das priesterliche Amt der Leitung beschränkt sich auf die Ordnung in der Gemeinde, die sakramentale Unterstützung des Volkes Gottes und der Bewahrung der Einheit der Kirche, sowie die Evangelisierung der Mitbürger vor Ort, die die Frohe Botschaft noch nicht kennen.
Zur verhängnisvollen Überschätzung des Leitungsamtes des Priesters gehört es, ihm in jeder Hinsicht eine Führungsrolle abzuverlangen. Ebenso wäre es eine Selbstüberhöhung des Priesters, wenn er glaubt, die Aufgabe der Laien bei der Heiligung der Welt regulieren zu müssen.
Einer Selbstüberschätzung des Priesters wird vor allem dadurch Vorschub geleistet, wenn die sakramentale Dimension seines Amtes verloren geht. Genauso wird das Leitungsamt des Priesters unzulässig überhöht, wenn dem Priester eine zu weit gefasste Vorbildfunktion für die unterschiedlichen Formen der Berufungen zur Teilhabe am Allgemeinen Priestertum zugemutet wird.
Die Getauften und Gefirmten im Volk Gottes haben eine eigene Berufung zum Dienst in der Familie und an der Welt. Dazu haben sie auch eigene Fähigkeiten, Erkenntnisse und geistliche Gaben. Die sollte der Priester (an)erkennen und unterstützen, ohne inkompetent hineinzureden; ihre Verantwortung können die Glieder des Volkes aber auch nicht an die Geweihten abtreten. Deshalb sollte der Priester hier auch keine Führung übernehmen, die letztlich der eigenständigen Berufung der Laien abträglich ist.
Das Leitungsamt des Priesters ist nicht, eine willenlose Herde Schafe auf die Weide zu führen, sondern den Christen geistlich zu helfen, selbst zu Hirten füreinander und für die Welt zu werden. Dazu gehört, das Volk Gottes in Einheit mit der Weltkirche zu bewahren, Spaltungen innerhalb der christlichen Gemeinde zu verhindern oder zu heilen.
Vielleicht hilft das Bild des Fußballspiels: Wenn der Priester dazu geeignet ist, könnte er die Rolle des Trainers ausfüllen, der seine Mannschaft aufstellt, dirigiert und zu bestimmten Leistungen anhält. Wenn er dazu nicht geeignet ist, wäre das eine Überforderung im klerikalistischen Sinne – und eine Degradierung des Charismas und der Kompetenz eines Getauften, der dazu geeignet und ausgebildet ist. Vielleicht umfasst das Amt des Priesters dann eher die Leitung, die der Schiedsrichter ausübt, der dafür sorgt, dass die Regeln eingehalten, keine Fouls zugelassen werden oder das Spiel wegen Meinungsverschiedenheiten undurchführbar wird. Es gibt auch noch den Präsidenten des Vereins, der dafür sorgen soll, dass alle Beteiligten das (und nur das) tun, was ihre Aufgabe ist.
Wenn Benedikt Jürgens meint, dass Priester nicht wie ein Trainer führen wollen (oder auch können), ist das also unter bestimmten Umständen eine gute Nachricht. Ein Priester sollte nur so viel Leitung ausüben, wie es die Wahrung der Charismen der Getauften, die Ordnung der Liturgie und der Gemeinde und die Einheit mit der Kirche erfordert. Dazu ist es wichtig, delegieren zu können und einiges an Multiplikatoren weiterzugeben.
Gewaltenteilung – Sollte die Macht des Priesters nicht aufgeteilt werden?
Behauptung
„Es gibt diese drei Vollmachten, diese drei Kompetenzen, die ein Amtsträger hat, der Bischof wie auch der Priester. Diese drei Vollmachten zu lehren, zu leiten und zu heiligen. Und die kann man auch auf verschiedene Personen verteilen. Dann käme ebenso eine ´Balance of Power´ zustande, also ein Gleichgewicht der Kräfte.“ (Thomas Ruster, Theologe)
Erwiderung
„Die Bischöfe empfangen durch die Bischofsweihe selbst mit dem Dienst des Heiligens auch die Dienste des Lehrens und des Leitens, die sie aber ihrer Natur nach nur in der hierarchischen Gemeinschaft mit dem Haupt und den Gliedern des Kollegiums ausüben können.“ (CIC 375 §2)
„Der Pfarrer ist der eigene Hirte der ihm übertragenen Pfarrei; er nimmt die Seelsorge für die ihm anvertraute Gemeinschaft unter der Autorität des Diözesanbischofs wahr, zu dessen Teilhabe am Amt Christi er berufen ist, um für diese Gemeinschaft die Dienste des Lehrens, des Heiligens und des Leitens auszuüben, wobei auch andere Priester oder Diakone mitwirken sowie Laien nach Maßgabe des Rechts mithelfen.“ (CIC 519) Die den Bischöfen bzw. Priestern übertragenen Dienste (lat. munera) sind nicht teilbar.
Die in der Behauptung als „Vollmachten“ bzw. „Kompetenzen“ bezeichneten Aufgaben der Bischöfe bzw. leitenden Pfarrer, nennt das Kirchenrecht bewusst „Dienste“ (munera – Dienstämter), die durch Bevollmächtigung übertragen werden (objektiv) und kompetent ausgeübt werden sollen (subjektiv). Diese Dienste gehen auf die Person Jesu zurück, der sie als ersten den Aposteln übertragen hat. Von diesen wurden sie durch die apostolische Sukzession ihren Nachfolgern und so bis heute den Bischöfen und ihren Repräsentanten in den Pfarreien übertragen.
So wie sie in der Person Jesu nicht getrennt waren, können sie es auch nicht in seinen Stellvertretern sein. Dem unvollkommenen Gebrauch oder sogar Missbrauch einzelner Dienstämter wurde schon durch den Herrn selbst dadurch gewehrt, dass er ihre Empfänger auf eine einmütige Gemeinschaft untereinander einschwor und besonders im Hohepriesterlichen Gebet (Joh 17) um die Einheit der Jünger vor seinem Tod gebetet hat.
Die so eingesetzte und von ihrem Gründer verfasste hierarchische Struktur der Kirche kann also nur durch ein vertieftes Bemühen um Einheit und Einmütigkeit ihrer Hirten lebendig erhalten und vor schuldhaftem Versagen bewahrt werden. Alle pädagogischen, soziologischen und besonders für die Priesterausbildung erarbeiteten Erkenntnisse und Leitlinien sind konsequenter als bisher anzuwenden und – das dürfte bisher nur sehr unvollkommen praktiziert worden sein – zu evaluieren!
Eine Aufteilung der Dienste im Sinne der Gewaltenteilung in politischen Systemen (‚balance of power‘) stellt nur scheinbar eine Lösung dar, was unschwer an den defizitär bleibenden Zuständen jedes politischen Systems abgelesen werden kann.
Die Kirche hat auch hier zuallererst in der Treue zum Auftrag ihres Herrn zu handeln und zu entscheiden, und es bleibt immer neu eine Herausforderung, durch tieferes Verständnis seiner Lehre, demütige Übernahme seines Leitungsauftrags und durch die Heiligung des Lebens im treuen Vollzug der von ihm eingesetzten Sakramente, besonders bei der Feier der Eucharistie, begangene Fehler, Unrecht und Schuld zu bekennen, zu bereuen und soweit als möglich wiedergutzumachen, noch mehr aber zukünftige Verfehlungen so gering wie möglich zu halten.