Über das Bedeutungsspiel einer „olympischen“ Inszenierung

Verhöhnung der Eucharistie mittels einer queeren Neuinszenierung von Leonardos Abendmahl? Oder die bunte Feier von Inklusion und Toleranz? Was wirklich in Paris geschah, analysiert kurz und knapp Martin Brüske.

Die Apologie der Veranstalter lautet nun ganz einfach: Es war ein ganz anderes Bild. Verwechslung. Irrtum (bei den Betroffenen wohlgemerkt). Niemand hat die Absicht … Nicht Leonardos Abendmahl, sondern ein Gelage der Olympier. Inklusiv, befreiend, bunt und tolerant, neu interpretiert und inszeniert. Nun, der zweite Teil der Behauptung stimmt ja. Der erste kunstgeschichtliche Bezugspunkt mag wirklich dieses Bild mit dem Sujet „Das Fest der Götter“ gewesen sein.

Leonardos Präsenz

Nur ein Blinder kann aber übersehen, dass dieses Bild einen kompositorischen Rückbezug auf Leonardos Abendmahl enthält: Wer, nachdem Leonardo sein Abendmahl an die Wand des Refektoriums der Mailänder Dominikaner gemalt hat, in zentraler Symmetrie mit betonter Mitte eine querstehende Tafel malt oder 2024 in Paris inszeniert, ruft diese Assoziation auf – zwingend, ob er will oder nicht. Eine Bildfindung von derartiger Kraft schafft eine ikonische Wirklichkeit, die immer präsent ist, wenn diese Struktur im Raum der Anschauung erscheint. Und ein erfahrener Theatermensch, der gelernt hat mit den Bildern und Bedeutungen zu spielen, hat selbstverständlich genau das gewollt. Er weiß, dass hier zuerst der ikonische Rückbezug auf Leonardo wahrgenommen wird und nicht ein nur Kennern bekanntes Bild in Dijon. Natürlich und garantiert! Was sonst? Die apologetischen Ausweichmanöver sind eher lachhaft …

Bedeutungsspiel

Worin aber besteht dann das Spiel der Bedeutungen? Lesen wir mal ganz französisch-poststrukturalistisch-semiotisch, mit ein wenig Assmann untermischt. Die Zeichenwelt, die hier inszeniert wurde, rief im kulturellen Gedächtnis zwingend Leonardos Abendmahl wach. Diese Bedeutungsebene wurde überlagert durch ein Bacchanal. Ein Bacchanal „befreiter“ sexueller Identitäten. Das ist ein Akt der Dekonstruktion eines identitätsstiftenden Bedeutungsträgers der bisherigen Kultur und ein Akt der Okkupation. Dekonstruiert wird ein Zentralsymbol einer angeblich repressiven christlichen Kultur zugunsten der „neuen Sinnstiftung“ durch eine neue befreite, nicht mehr heteronormative Kultur. Und genau das passt bestens zur gesamten Inszenierung der Eröffnungsfeier, die der Menge mehr solcher Elemente in ihrer Zeichenwelt enthielt, nicht nur John Lennons religionskritische Hymne „Imagine“. Man sollte Christenmenschen dann nicht auch noch für blöd halten, wenn man schon meint, sie unter dem Vorzeichen der Emanzipation demütigen zu sollen. Aber vielleicht gehört auch diese Form der Verachtung gerade dazu.

Okkupation im Kulturkrieg

Und genau das alles ging mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit im Vater der Inszenierung – dem „Autor“, den es poststrukturalistisch natürlich eigentlich gar nicht mehr gibt – vor, als er das Bild „Le festin des Dieux“ von Jan Harmensz. van BIJLERT im Musée Magnin in Dijon mit seinem Bezug zu Leonardo sah. Da braucht es keine Unterstellungen, nur etwas analytisch gebundene Phantasie. Wie in diesem Bild sollten sich die semantischen Ebenen überlagern – im Akt von Dekonstruktion und „befreiender“ Neuaneignung. Das Abendmahl als Bacchanal. Wäre es nicht so übel und verletzend, man könnte den Einfall bewundern …

Verhöhnung und Blasphemie? Vielleicht. Ein Akt der Okkupation im Kulturkrieg, der hier geführt werden sollte – neudeutsch: ein Akt der „kulturellen Aneignung“? Ganz sicher.


Dr. theol. Martin Brüske
Martin Brüske, Dr. theol., geb. 1964 im Rheinland, Studium der Theologie und Philosophie in Bonn, Jerusalem und München. Lange Lehrtätigkeit in Dogmatik und theologischer Propädeutik in Freiburg / Schweiz. Unterrichtet jetzt Ethik am TDS Aarau.


Beitragsbild: „Betrachter einer internationalen Ausstellung von Reproduktionen berühmter Kunstwerke in New York“
Bildrechte: Imago Images

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