Laien und Klerus geschwisterlich
Gerne wird ein angebliches Konkurrenzverhältnis zwischen Klerikern und Laien hervorgehoben. Das mag es geben; es ist aber nicht katholisch, im Gegenteil: Das Zusammenwirken ist geschwisterlich angelegt. So sieht es das Konzil, so beschreibt es die „Würzburger Synode“. – Teil 2 der Serie über das Laienapostolat von Martin Grünewald.
Die Kirche muss sich in tiefgreifenden Prozessen der Umkehr und Reinigung eingestehen, dass der besondere, von Jesus grundgelegte Weg der Kirche derzeit in der Öffentlichkeit wenig hervortritt. Ein Grund dafür liegt in dem Umstand, dass die Kirche bis heute einen zentralen Auftrag des Konzils nur mangelhaft aufgenommen und umgesetzt hat. In der dogmatischen Konstitution „Lumen Gentium“ hat das kirchliche Lehramt nicht nur das Bild des pilgernden Gottesvolkes betont (damit gewissermaßen die gemeinsame Wegsuche aller), sondern immer wieder auch das biblische Bild vom mystischen Leib Christi hervorgehoben – ein Bild von grundlegender Bedeutung, denn hier findet sich die Infrastruktur der Kirche grundlegend beschrieben.
Im ersten Korintherbrief beschreibt Paulus unterschiedliche Gnadengaben (Charismen), die Gottes Geist schenkt. Rivalität und jedes Konkurrenzdenken will er dabei ausschließen. Deshalb verweist Paulus auf den Ursprung aller Gaben:
„Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist. Es gibt verschiedene Dienste, aber nur den einen Herrn. Es gibt verschiedene Kräfte, die wirken, aber nur den einen Gott: Er bewirkt alles in allen. Jedem aber wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt“ (1 Kor 12,4).
Damit niemand sich im Volk Gottes über einen anderen stellt, bekräftigt Paulus:
„Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen, Juden und Griechen, Sklaven und Freie“ (1 Kor 12,13).
Dann folgt das Bild des einen Leibes mit vielen Gliedern, die sich gegenseitig ergänzen und nur im Miteinander funktionieren:
„Wenn der Fuß sagt: Ich bin keine Hand, ich gehöre nicht zum Leib!, so gehört er doch zum Leib. … So aber gibt es viele Glieder und doch nur einen Leib. Das Auge kann nicht zur Hand sagen: Ich bin nicht auf dich angewiesen. Der Kopf kann nicht zu den Füßen sagen: Ich brauche euch nicht“ (1 Kor 12,15).
Das Haupt dieses Leibes ist Christus.
Das neue Bild des Laien
Das Wort „Laie“ kommt von griech. laos = Volk; in diesem Sinn ist aber nun jedes Kirchenmitglied „Laie“ – auch der Papst ist natürlich ein „Laotiker“. Man könnte das Wort also auch ganz streichen und einfach nur von „Christen“ sprechen. Das Wort „Laie“ (bei dem man im Deutschen gleich an „Nichtfachmann“ denkt) hat seinen Sinn tatsächlich nur in der negativen Abgrenzung von solchen Christen, die neben ihrem Laotikertum (oder Christsein) obendrein noch eine spezielle Berufung zu einem Dienst haben oder einer geistlichen Einladung in die Evangelischen Räte folgen. Dieser Dienst ist allerdings mit der Aufforderung zur Fußwaschung (Joh 13,5) und zum selbstlosen Dienen (Mt 20,25-28) verbunden.
Der besondere Dienst hebt die zusätzlich Berufenen aber nicht über alle „normalen“ Christenmenschen. Erwünscht ist ein kirchlicher „Lifestyle“, wie ihn Paulus von den Philippern fordert: „Macht meine Freude vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid, einander in Liebe verbunden, einmütig, einträchtig“ (Phil 2,2), – in aller Verschiedenheit der Gaben und Charaktere.
Das Konzil (LG 31) lobt den Reichtum dieser „wunderbaren Mannigfaltigkeit“ und gibt den Amtsträgern die Aufgabe, die „Dienstleistungen und Charismen (der Laien) so zu prüfen, dass alle in ihrer Weise zum gemeinsamen Werk einmütig zusammenarbeiten“.
Es kommt aber nicht nur auf eine geschwisterliche Zusammenarbeit an. Die Laien haben einen besonderen Auftrag. Das Konzil betont: „Den Laien ist der Weltcharakter in besonderer Weise eigen.“ Ihnen obliege die „Regelung der zeitlichen Dinge“. Sie leben in der Welt, im Familien-, Berufs- und Gesellschaftsleben, wo sie „Sauerteig zur Heilung der Welt“ sein sollen, „vor allem durch das Zeugnis ihres Lebens“. Der Einsatzort für Laienchristen ist genau bestimmt. Bildlich ausgedrückt: Er ist etwa 510.000.000 km² groß. So groß ist nämlich die Erdoberfläche, auf der Laienchristen eine missionarische Dynamik entfalten sollen.
Sie kommt niemals zustande, solange Laien glauben, ihr primärer Entfaltungsraum befinde sich innerhalb der Grenzen der Kirchenareale. Entscheidend:
„Das Apostolat der Laien ist Teilnahme an der Heilssendung der Kirche selbst…. So ist jeder Laie kraft der ihm geschenkten Gaben zugleich Zeuge und lebendiges Werkzeug der Sendung der Kirche selbst“ (LG 33).
Die Laien sind „besonders dazu berufen, die Kirche an jenen Stellen und in den Verhältnissen anwesend und wirksam zu machen, wo die Kirche nur durch sie das Salz der Erde werden kann“ (LG 33). Dieser Auftrag ist umfassend, nahezu unbegrenzt. Er wird eigenverantwortlich wahrgenommen.
Grenzen des Lehramtes
Das Lehramt hat sich in das operative Geschäft der Laien nicht einzumischen, so das Konzil – eine wesentliche, oft übersehene Feststellung. Dazu stellt das Konzil (LG 37) klar:
„Die geweihten Hirten aber sollen die Würde und Verantwortung der Laien in der Kirche anerkennen und fördern … und ihnen Freiheit und Raum im Handeln lassen, ihnen auch Mut machen, aus eigener Initiative Werke in Angriff zu nehmen.“
Den Laien steht also die ganze Welt offen, um sie in Jesu Geist zu verwandeln und zu gestalten.
Haben sie deshalb innerkirchlich nichts zu sagen? Nein, die Laien sollen ihre Meinung einbringen, „was das Wohl der Kirche angeht“. Laien haben „die geweihten Amtsträger zu Brüdern“, betont das Konzil (LG 32). Das ist in der Tat eine kleine Revolution: Sollte es jemals eine Zwei-Klassen-Gesellschaft in der Kirche gegeben haben, so gibt es sie seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil nicht mehr. Aufgrund der Taufe haben alle in der Kirche – vom gerade getauften Kind bis zum Papst – die gleiche Würde.
Diese Ansage muss allerdings genauer bestimmt werden, denn sie ist die Quelle anhaltender Missverständnisse in der Kirche. Wenn heute von einem laikalen Klerikalismus wie von einem klerikalen Laizismus gesprochen wird, so ist festzustellen: Weder ist Lumen Gentium eine Aufforderung an Priester, ihre Berufung zu einem Dienstamt im Volk Gottes aufzugeben, um in Kleidung, Lifestyle und Anspruch 1:1 im Volk Gottes aufzugehen, noch ist Lumen Gentium eine versteckte Aufforderung an Laien, einen innerkirchlichen Machtkampf aufzunehmen.
Das Konzil macht vielmehr ernst mit dem Bild des mystischen Leibes Jesu Christi, der von Christus als Haupt geordnet wird, aber in dem alle voneinander abhängig sind und die gleiche Bedeutung haben. Gläubige, die das Wesen dieses Miteinanders im „Leib Christi“ kennen und praktizieren, wissen um die Schubkraft, die daraus entspringt. Da bildet die vom Konzil erwähnte „wunderbare Mannigfaltigkeit“ eher eine Untertreibung.
Das Konzil sagt dazu:
„Aus diesem vertrauten Umgang zwischen Laien und Hirten kann man viel Gutes für die Kirche erwarten. In den Laien wird so der Sinn für eigene Verantwortung gestärkt, die Bereitwilligkeit gefördert. Die Kraft der Laien verbindet sich leichter mit dem Werk der Hirten. Sie können mit Hilfe der Erfahrung der Laien in geistlichen wie in weltlichen Dingen genauer und besser urteilen. So mag die ganze Kirche, durch alle ihre Glieder gestärkt, ihre Sendung für das Leben der Welt wirksamer erfüllen.“
Eine neue Kultur mit verschiedenen Rollen
Dass der Laie von gleicher Würde, aber in einer komplett anderen Rolle als der Kleriker ist, hat sich noch nicht überall herumgesprochen. Sonst würde man in den Gemeinden nicht immer wieder dem Kampf um die paar Meter zwischen Sakristei und Altar erleben, während jenseits der Kirchentüren katholische, Zeugnis gebende Laien mit der Lupe gesucht werden. In manchen Regionen der Kirche herrscht noch immer der Eindruck vor, es sei das Höchste aller Ziele für einen Laien, einen möglichst exponierten Platz im Chorraum des Gotteshauses zu erobern.
Vielerorts ist die neue Kultur eines Miteinanders schon gelebte Realität innerhalb der Kirche. Engagierte Laien machen die Erfahrung eines vertrauten Zusammenspiels mit Priestern und manchmal auch Diakonen, deren Mitwirkung allerdings noch selten ist. Geschwisterlichkeit im Miteinander bestärkt die Gläubigen und vermittelt die Gegenwart des Heiligen Geistes. Im Bild des mystischen Leibes Christi, in dem alle in gleicher Würde mitarbeiten „zum Nutzen aller“, können sich auch Menschen investieren, die unter vielfältigen menschlichen Enttäuschungen gelitten haben und jetzt spüren, dass es in der Kirche nicht um Oben oder Unten, Eigennutz, Eitelkeit oder Profilierung einzelner geht, sondern um das Reich Gottes.
Gleichzeitig gilt ein weiterer Grundsatz, der bottom up durch top down ergänzt. Lehrer in der Kirche ist nicht, wer sich selbst für kompetent hält. Es sind die in die Nachfolge der Apostel berufenen Bischöfe, von denen es heißt: Sie sind
„authentische, das heißt mit der Autorität Christi ausgerüstete Lehrer. Sie verkündigen dem ihnen anvertrauten Volk die Botschaft zum Glauben und zur Anwendung auf das sittliche Leben und erklären sie im Licht des Heiligen Geistes, indem sie aus dem Schatz der Offenbarung Neues und Altes vorbringen. So lassen sie den Glauben fruchtbar werden und halten die ihrer Herde drohenden Irrtümer wachsam fern“ (LG 25, vgl. Mt 13,52).
Der von allen Christen geforderte Gehorsam im Glauben „ist in besonderer Weise dem authentischen Lehramt des Bischofs von Rom, auch wenn er nicht kraft höchster Lehrautorität spricht, zu leisten“, bekräftigt das Konzil (LG 25). Auch die einzelnen Bischöfe lehren authentisch in Glaubens- und Sittenfragen und „verkündigen … auf unfehlbare Weise die Lehre Christi“, wenn sie etwas „in Wahrung des Gemeinschaftsbandes untereinander und mit dem Nachfolger Petri, übereinstimmend als endgültig verpflichtend vortragen“ (LG 25).
Das geschwisterliche, aber differenziert strukturierte Miteinander von Klerikern und Laien in der Kirche – Kernanliegen der Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils – wird neuerdings problematisiert. Mit Berufung auf das Leitungsversagen von Bischöfen und Klerikern in der Missbrauchskrise stellen Kräfte, die lange schon für eine Demokratisierung der Kirche kämpfen, das „System“ infrage, bis hin zu Feststellungen, „Missbrauch“ sei Auswuchs von Klerikalismus, „Lehre“ sei Immunisierung gegen Reform und „Amt“ sei verfestigte Männerherrschaft. Insbesondere die Zuständigkeit der Bischöfe für Glaubens- und Sittenlehre wird bestritten.
Der deutsche „Synodale Weg“ stellte rundweg die Machtfrage. Der erste von vier Themenbereichen hatte die „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“ zum Inhalt. Es wurde gefragt: „Was muss getan werden, um Machtabbau und eine Verteilung von Macht zu erreichen?“ Von 32 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die diesem „Macht“-Forum zugeteilt waren, verfügten 13 über einen Professoren-Status, weitere acht waren promoviert, lediglich elf waren ohne akademischen Titel. Allein diese Zusammensetzung rückt die Kritik von Papst Franziskus ins Licht, der deutsche Synodale Weg sei „keine Synode, kein echter synodaler Weg. Es ist nur dem Namen nach ein Synodaler Weg; keiner, an dem das Volk Gottes als Ganzes beteiligt ist, sondern einer, der von einer Elite veranstaltet wird“, so sagte der Papst im Interview der Nachrichtenagentur AP.
Martin Grünewald
Der Journalist war 36 Jahre lang Chefredakteur des Kolpingblattes/Kolpingmagazins in Köln und schreibt heute für die internationale Nachrichtenagentur CNA. Weitere Infos unter: www.freundschaftmitgott.de
Dieser Beitrag erschien gestern bei CNA Deutsch.